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Plenarsitzung

Wie ein Gesetz die Diktatur ermöglichte

Am Tag der Landtagssitzung (23. März) jährte sich die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes im März 1933 zum 90. Mal. Dies nahm die SPD-Fraktion zum Anlass, um zu zeigen, „was Parteien anrichten können, die in Parlamenten mit Rechtsextremisten kollaborieren“. Die Parteien und Abgeordneten, die dem Gesetz seinerzeit zustimmten (alle außer die SPD; die KPD war bereits aus dem Reichstag „entfernt“ worden), hätten damit der scheinbaren demokratischen Legitimation für den Ausbau der NS-Gewaltherrschaft zugestimmt.

Blick auf die Titelseite des Reichsgesetzblatts vom 24. März 1933, das das Ermächtigungsgesetz vom Tag zuvor verkündet.

Blick auf die Titelseite des Reichsgesetzblatts vom 24. März 1933, das das Ermächtigungsgesetz vom Tag zuvor verkündet.

Alles andere als parlamentarische Normalität

Nichts an dieser Sitzung des Reichstags am 23. März 1933 sei parlamentarische Normalität gewesen, konstatierte Dr. Katja Pähle (SPD), führte sie mit der Manipulation der Geschäftsordnung doch letztlich zum Ende der Weimarer Republik, zur Zerstörung der Verfassung. Schon die Reichstagswahl am 5. März 1933, die zur Zusammensetzung des Parlaments geführt hatte, sei nicht mehr demokratisch gewesen. Viele der gewählten Abgeordneten von der SPD und alle der KPD hätten wegen Verhaftung oder Flucht nicht an der Sitzung teilnehmen können. „Das Ermächtigungsgesetz hat nur mit der Mitwirkung der bürgerlichen Parteien verabschiedet werden können“, jeder Abgeordnete hätte mit seiner Stimme das scheinparlamentarische Spiel der Nazis durchbrechen können, erinnerte Pähle. „Das alles ist neunzig Jahre her, und doch ist es ein Lehrstück für heute“, sagte Pähle und erinnerte an Parlamentsstürmungen zuletzt in den USA, in Brasilien und Berlin. „Demokratie ist kein Selbstläufer, sie braucht immer wieder den aktiven Einsatz von Demokratinnen und Demokraten.“

Rückgrat unserer Demokratie

Mit nur fünf Artikeln habe die damalige Reichsregierung mit ihrem Ermächtigungsgesetz die Demokratie in Deutschland zerstört, erinnerte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (CDU). Die bürgerlichen Parteien hätten sich mit der Zustimmung zum Gesetz aktiv an der Errichtung der Diktatur schuldig gemacht. Einzig die SPD habe an diesem Tag im Reichstag dem Weg ins Unheil Widerstand entgegengesetzt, es sei ein Aufbäumen der Freiheit gewesen. Trotz drohender Gewalt habe die SPD geschlossen gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt, so Haseloff. Er wies auf die Wichtigkeit von freier Debatte und Widerspruch hin, die parlamentarische Ordnung müsse stets aufrechterhalten werden. Die Demokratie müsse von den Bürgerinnen und Bürgern unterstützt werden, anderenfalls gerate sie in Gefahr. Haseloff dankte und warb für politisches Engagement auch im Kleinen: „Diese Menschen, die auf das Gemeinwohl schauen, sind das Rückgrat unserer Demokratie.“

„Mehrheiten bedrohen die Verfassung“

Oliver Kirchner (AfD) kritisierte, dass frühere Mitglieder und politische Verantwortungsträger aus den „Altparteien“ durchaus zuvor NSDAP-Mitglieder gewesen seien, dies aber bisher in der Debatte nicht zur Sprache gekommen sei. Die Geschichte lehre, dass politische Mehrheiten die Verfassung bedrohten und nicht die Opposition. Kirchner nahm beispielsweise Bezug auf die von der AfD abgelehnten Corona-Maßnahmen und die Vergabe staatlicher Gelder. Kirchner zitierte Joseph Goebbels, der die NSDAP als „linke Partei“ deklariert habe. Seine Fraktion empfinde sich auch nicht als rechtsextremistisch, wie in der Beantragung der Aktuellen Debatte suggeriert werde. Die SPD-Abgeordneten von heute könnten der SPD von damals nicht das Wasser reichen, meinte der AfD-Fraktionsvorsitzende.

„Den Mut von Otto Wels haben“

Das Verhalten der AfD erinnere ihn immer wieder beängstigend daran, wie die parlamentarischen Debatten des Jahres 1933 abgelaufen seien, erklärte Guido Kosmehl (FDP). Der AfD-Abgeordnete Kirchner habe in seinem Redebeitrag versucht, den damaligen Sozialdemokraten Otto Wels zu einem (heutigen) Mitglied der AfD zu verklären, „aber alle, die Sie aufzählen, würden niemals – niemals – in die AfD eintreten“, betonte Kosmehl. Die bürgerlichen Parteien hätten sich der rechten Mehrheit im Parlament gebeugt, warnende Hinweise – auch von den Liberalen – hätten kein Gehör mehr gefunden. „Allerhöchste Achtung gebührt auch neunzig Jahre später den sozialdemokratischen Abgeordneten, die gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben“, betonte Kosmehl. Auch die KPD hätte gegen das Gesetz gestimmt, zeigte er sich sicher. Einige dieser kommunistischen NS-Gegner hätten allerdings wenige Jahre später in der DDR gezeigt, dass auch sie die neue parlamentarische Demokratie abschaffen wollten. „Sollte es noch einmal zu einer solchen Abstimmungssituation kommen, hoffe ich, dass ich den gleichen Mut habe wie Otto Wels“, schloss Kosmehl.

„Alle Menschen sind gleich“

Mit dem Ermächtigungsgesetz hätten sich die Nazis den absoluten Durchbruch gesichert, nicht mal acht Wochen nach deren Machtantritt sei aus der Weimarer Republik ein Einparteienstaat geworden, erinnerte Eva von Angern (DIE LINKE). Schon am 1. April 1933 sei es zum Boykott jüdischer Geschäfte gekommen, wenig später seien Jüdinnen und Juden aus ihren Berufen gedrängt worden. Ausgerechnet die Mörderbande der Nazis sei zum Hoffnungsbringer für die Mehrzahl der Menschen in Deutschland geworden. In der Rückschau seien sich die meisten darüber einig, wie verbrecherisch die Zeit des Nationalsozialismus gewesen sei. In den beiden deutschen Teilstaaten habe nach den NS-Menschheitsverbrechen ein neuer Aufbruch stattfinden müssen. Zu spät habe sich der deutsche Staat für die Verfolgung der Täterinnen und Täter eingesetzt, befand von Angern. „Alle Menschen sind gleich und frei geboren – das ist das Versprechen der Demokratie“, konstatierte von Angern. Sie dankte allen, die jeden Tag dieses Versprechen einlösten.

Keine Sternstunde der bürgerlichen Parteien

Trotz der gewaltdräuenden Situation im Reichstag (Krolloper) an diesem Tag im März 1933, in der sie Zweifel, Angst und innere Berührung verspürt haben müssen, hätten es die tapferen Männer und Frauen der SPD-Fraktion vermocht, Nein zu sagen, rekapitulierte Marco Tullner (CDU). Die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes sei keine Sternstunde für die bürgerlichen Parteien gewesen, die dem Ermächtigungsgesetz geschlossen zugestimmt hätten. Tullner warb dafür, auch heute miteinander „achtsam und sensibel im Umgang zu sein“. Es gelte, an den Problemen mit der parlamentarischen Demokratie in der Gegenwart zu arbeiten, damit so etwas wie im März 1933 nie wieder geschehen könne.

Drückende Mehrheitsverhältnisse

Es sei in der Rückschau schockierend, wie schnell und heftig die Dinge im März 1933 in Richtung Diktatur ins Rutschen gekommen seien, staunte Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Für ihn als Katholik sei es schwer zu ertragen, dass sich die katholische Zentrumspartei seinerzeit proaktiv auf die Seite der Nationalsozialisten gestellt habe, denn ihr seien die Folgen des Ermächtigungsgesetzes sehr deutlich gewesen. Mit der Zustimmung zum Gesetz hätten die Parteien zugleich die Zustimmung für den eigenen Untergang herbeigeführt. Es müsse im parlamentarischen Alltag darum gehen, respektvoll Argumente auszutauschen und um die bestmöglichen Entscheidungen zu ringen. Dies gelte Striegel zufolge auch in den Ausschüssen des Landtags. Hier herrschten zu oft drückende Mehrheitsverhältnisse contra demokratische Willensbildung. Bei der Basta-Politik der Koalition sei es schwer, sich ernsthaft mit parlamentarischen Reformen zu beschäftigen – „das können wir besser“, meinte der Grünen-Abgeordnete.

Im Anschluss an die Aktuelle Debatte wurden wie gewohnt keine Beschlüsse zur Sache gefasst.