Положение о конфиденциальности
Plenarsitzung

Transkript

Katrin Gensecke (SPD): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Hier im Haus haben wir in den letzten Jahren mehrfach über das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, über den § 218, den gestrichenen § 219a und über die medizinische Versorgung von ungewollt Schwangeren diskutiert. Ich habe es schon mehrfach gesagt und werde es immer wieder sagen, vielleicht bis es der eine oder andere nicht mehr hören kann: Die Entscheidung, ob eine Frau schwanger wird, eine Schwangerschaft austrägt oder eine Schwangerschaft beendet, liegt allein bei ihr. Diese Entscheidung darf nicht länger kriminalisiert werden.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einigen Tagen wurde die komplette ELSA-Studie veröffentlicht. Sie ist auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums abrufbar. „ELSA“ steht für „Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer”.

Hinter dieser bis dato einzigartigen Studie steht ein multidisziplinärer Forschungsverbund aus mehr als  30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sechs Hochschulen und Universitäten, die in den vergangenen Jahren die Lebenslagen und Bedürfnisse ungewollt Schwangerer, ihre Unterstützungs- und Versorgungsbedarfe und die Versorgungsstrukturen untersucht haben.

Die Studie hat tausend Seiten, ist sehr umfassend, kommt aber auch zu interessanten und sehr wichtigen Erkenntnissen. So stellt sie bspw. fest, dass die Versorgung von ungewollt Schwangeren in einigen Regionen der Bundesrepublik sehr schwierig und mit großen Anfahrtswegen verbunden ist. Vornehmlich sind hier Bayern und Baden-Württemberg zu benennen.

Von den 400 befragten Landkreisen sind es allein in Bayern über 40   wenn ich richtig liege, sind es 43  , die unzureichend versorgt. Die gute Nachricht ist jedoch   das sagt die Studie ganz eindeutig  , dass Sachsen-Anhalt laut der Studie nicht dazugehört.

Wir als SPD haben es bereits betont und auch die Gesundheits- und Gleichstellungsministerin Frau Petra Grimm-Benne hat es gesagt: Die Versorgungslage in unserem Land gut ist. Es gibt erreichbare Beratungsstellen, für die wir immer wieder finanzielle Mittel im Haushalt eingestellt haben. Außerdem gibt es auch Einrichtungen und Praxen, in denen solche Eingriffe vorgenommen werden. Wir beobachten jedoch die Entwicklung des medizinischen Fachpersonals mit Sorge.

Die Studie stellt weiterhin fest, dass sich Frauen, die einen Abbruch vornehmen lassen, immer wieder stigmatisiert und kriminalisiert fühlen. Warum ist das so? - Weil der Abbruch immer noch im Strafgesetzbuch geregelt ist und Frauen dadurch vermittelt bekommen, dass sie etwas Unrechtes tun.

Die Studie stellt auch fest, dass die Stigmatisierung zu schlechten Informationen, zu Barrieren in der Versorgung und schließlich auch zu Kosten für die Frauen führen kann, und das gerade dann, wenn sich Frauen in dieser Ausnahmesituation befinden. Die Kosten liegen zwischen 350 € und 500 € und werden noch nicht von den Krankenkassen übernommen. Daher ist es gut, dass im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung auf Seite 102 vereinbart wurde   ich zitiere  :

„Wir erweitern dabei die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus.“

Die Kostenübernahme setzt im Übrigen voraus, dass ein Abbruch in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig, also legal, ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vielgescholtene und immer wieder kritisierte Ampelkoalition hat bei einem Thema, nämlich beim Selbstbestimmungsrecht, einiges bewegt. Unter anderem wurde der § 219a aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.

(Beifall bei der SPD)

Somit können Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche vornehmen, nun sachlich darüber informieren, welche Methoden sie anwenden, wie der Eingriff abläuft und welche Kosten auf die Frauen zukommen, und das, ohne Strafverfolgung oder Verurteilung befürchten zu müssen. Ich glaube, das ist an dieser Stelle doch immer noch ein gesellschaftspolitischer Meilenstein.

(Beifall bei der SPD)

Im letzten Jahr   es ist schon angesprochen worden   wurde auch das sogenannte Gehsteigbelästigungsgesetz verabschiedet. Es soll Gynäkologen und Gynäkologinnen, die solche Abbrüche vornehmen, vor Kliniken und Praxen besser schützen.

Die Frage nach einer Entkriminalisierung ist aber nicht nur eine ethische Frage, sondern auch eine Frage der Gesundheitsversorgung von Frauen. Abbrüche werden tagtäglich straffrei vorgenommen, Frauen werden aber weiterhin diskriminiert und kriminalisiert.

Wie kann eine Liberalisierung oder Entkriminalisierung aussehen? - Indem § 218 neu formuliert und die Durchführung eines rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt wird. Verfassungsrechtlich ist dies zulässig; denn der Gesetzgeber, also der Bundestag, kann eine Rechtsnorm neu fassen. Das ist ja auch seine ureigene Aufgabe. Im Übrigen gäbe es eine große Mehrheit in der Gesellschaft für diese Liberalisierung.

Eine Entkriminalisierung könnte neue gesetzliche Spielräume für eine bessere medizinische Versorgung, für eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse, für medizinische Weiterbildung eröffnet und schließlich eine Entkriminalisierung von Frauen erreicht werden. All diese Dinge waren Inhalt des Entwurfs eines überfraktionellen Gruppenantrags. Leider   und das ist unheimlich bedauerlich   wurde dieser ausgewogene Entwurf von Teilen der Union blockiert. Ich glaube, damit ist eine große historische Chance vertan worden.

(Beifall bei der SPD)

Eigentlich geht es bei der ganzen Diskussion aber um viel mehr als nur um einen medizinischen Eingriff. Es geht um die Rechte von Frauen, es geht um Selbstbestimmung, es geht um die Selbstbestimmung über ihren Körper. Mit großer Sorge sehe ich, sehen wir, was rechtskonservative und rechtspopulistische Kräfte wollen. Sie wollen eine Rückkehr zu alten, auch angestaubten Frauen- und Familienbildern und zu einer Tradition, die Frauen aus der Vollbeschäftigung zurückdrängt, die wir als SPD-Fraktion in der Arbeitswelt immer wieder sehen, aus dem öffentlichen Leben und auch aus der Politik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aber das Zurückdrehen erkämpfter Rechte und die Wiederherstellung einer vermeintlich natürlichen und patriarchischen Ordnung wird es mit uns nicht geben.

(Beifall bei der SPD)

In den letzten Wochen haben wir erlebt, wie gerade das Thema Schwangerschaftsabbrüche genau für diese Strategie genutzt wird. Man wird nicht davor zurückschrecken, die Rechte von Frauen weiter einzuschränken.

Wir müssen uns auch darüber klar werden, dass uns Demokratie und Frauenrechte nicht geschenkt werden, sondern dass wir sie täglich verteidigen und gemeinsam erkämpfen müssen. Die von der Kollegin Frau von Angern angesprochene unsägliche Kampagne gegen Frau Prof. Dr. Brosius-Gersdorf war geradezu ein Lehrstück dafür.

(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zurufe von der AfD)

Ich glaube, dass die von rechten Netzwerken betriebene und von Teilen der CDU unterstützte Kampagne mit Falschbehauptungen und Schmähungen gegen eine wirklich hoch angesehene Verfassungsjuristin nicht in Ordnung war.

(Florian Schröder, AfD: Bei Ihnen, aber nicht bei uns! - Weitere Zurufe von der AfD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Egal, wofür sich eine Frau entscheidet   für einen Abbruch oder eine ausgetragene Schwangerschaft  , es ist richtig, so wie sie es entschieden hat und so, wie sie es entscheiden wird. Lassen Sie uns gemeinsam für die Liberalisierung von Abbrüchen und für die Selbstbestimmungsrechte von Frauen kämpfen.

Ich möchte den Frauen im Hohen Haus ein Zitat einer großartigen Sozialdemokratin zurufen. Käte Strobel, die in den 1960er-Jahren Gesundheitsministerin war, sagte   ich zitiere  : 

„Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männern überlassen könnte.“

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Vielen Dank, Frau Gensecke. - Ich sehe keine Nachfragen.

(Unruhe)

Frau Sziborra-Seidlitz verzichtet auf das Schlusswort?

(Zuruf)

  Nicht in dieser Debatte.   Damit sind wir am Ende des Tagesordnungspunktes angelangt.