Wulf Gallert (Die Linke):
Herzlichen Dank, Herr Präsident. Ich schaue eben ein bisschen auf die Uhr und auf unseren Zeitplan heute.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Die geopolitischen Herausforderungen, die hier im Zentrum der Debatte der SPD stehen, sind - das sage ich ganz klar - nur auf der Vorderseite rein wirtschaftspolitischer Natur. Wir haben es hierbei mit einer neuen geopolitischen Aufstellung zu tun, die - das sage ich ganz klar - auch in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht vollständig angekommen ist. Friedrich Merz als alter Transatlantiker scheint noch immer nicht so richtig emotional verkraftet zu haben, dass sich die USA unter Trump mit ihren politischen Interessen eindeutig gegen die Europäische Union entschieden haben. Ich habe hier schon einmal gesagt, dass ich außer Herrn Stehli kaum noch einen Transatlantiker in dem Landtag von Sachsen-Anhalt sehe. Auf der Bundesebene ist es noch anders und ich sehe
(Sebastian Striegel, GRÜNE, winkt)
- Herr Striegel, machen Sie eine Selbsthilfegruppe mit Herrn Stehli. Das ist in Ordnung.
(Zustimmung von Stefan Gebhardt, Die Linke)
Wir haben eine Situation, in der ganz offensichtlich einige lieb gewonnene Wahrheiten der Bonner Republik vollständig infrage gestellt werden. Ich glaube, dass wir emotional an vielen Stellen im Westen dieser Republik noch nicht dort angekommen sind, wo wir eigentlich sind. Denn es handelt sich hierbei nicht nur um einen Zollstreit. Ich sage klar: Trump hat gegenüber einem EU-Mitglied, nämlich Dänemark, mit einer Besetzung von Grönland mit militärischen Mitteln gedroht. Wir reden hierbei nicht nur über irgendwelche ökonomischen Interessen, die man jetzt besser ausgleichen sollte. Vielmehr reden wir über eine aggressive Politik der USA, die bereit sind, ökonomische und militärische Mittel
(Beifall bei der Linken)
gegenüber demjenigen einzusetzen, den sie als Gegner definieren. Das ist zurzeit fast jeder auf der Welt.
Es ist nicht so, dass sich die US-amerikanische Administration unter Trump wünscht, dass Kanada der USA beitritt, sondern es ist eine politische Forderung. Und diese politische Forderung wird mit Zöllen untersetzt. Man will Kanada erpressen, seine Autonomie aufzugeben. Das ist ja nicht nur gegenüber Kanada so. Wenn wir uns die Debatte anschauen, ob es nun „Golf von Mexiko“ oder neuerdings „Golf von Trump“ heißen soll - offensichtlich denkt er, dass dann dort ein großer Golfplatz für ihn reserviert ist ,
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD, lacht)
dann sehen wir, dass die Dinge tatsächlich in einem ganz anderen Raum sind. Wir sind in einer neuen geopolitischen Situation. Ich sage ganz deutlich: Wer glaubt, mit guten Worten und mit irgendwelchen Aktionen ein transatlantisches Bündnis, das dann gemeinsam gegen China marschiert, wiederherzustellen, der hängt einer Illusion an, die dem letzten Jahrhundert entspricht, nicht aber der aktuellen Situation, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der Linken)
Natürlich ist es vernünftig, das hier zu diskutieren, weil wir unmittelbar davon betroffen sind. Ich nenne nur einmal zwei Begriffe: Intel und Dow. Diese wirtschaftspolitischen Einschnitte, die hier kommen, betreffen nicht nur die Energiepolitik oder mögliche Absatzrückgänge. Diese Zollpolitik soll dazu dienen, dass US-amerikanische Firmen Produktionsarbeitsplätze nicht mehr im Ausland vorhalten, sondern in die USA zurückholen. Und da es bei uns immer noch Leute gibt, die glauben, dass wir in absehbarer Zeit eine realistische Chance auf Intel haben - Herr Thomas hat es gesagt -, sage ich: Gucken Sie sich bitte einmal die Wirtschaftspolitik der Trump-Regierung an. Denn dann sehen Sie, dass die Möglichkeiten dafür immer schlechter werden.
Schauen wir uns einmal die Situation bei Dow genauer an. Die Kollegen dort sagen uns, dass eines der zentralen Probleme, das nicht nur die deutschen, sondern auch die europäischen Standorte von Dow haben, die Zollpolitik ist. Denn man kann praktisch keinen transatlantischen Handel mehr organisieren, selbst dann nicht, wenn man als US-amerikanische Firma in Europa stationiert ist.
Dann kommen wir zu einer Situation, die möglicherweise noch gar keine Rolle gespielt haben wird; ich befürchte, auch am Freitag bei der Betriebsversammlung nicht. Dow hat noch ein ganz anderes Problem. Dow hat ein 11-Milliarden-Investitionsprojekt in Kanada, das kurz vor der Inbetriebnahme steht, und zwar einen Ethylen-Cracker auf der Basis von grünem Wasserstoff. Mit den Zollandrohungen und der Zollpolitik Trumps gegenüber Kanada und dem Rollback hin zu fossilen Brennstoffen ist ein Ruin, ist eine Existenzgefährdung von Dow als Gesamtkonzern von Trump in Kauf genommen worden.
Wir brauchen uns also keine Illusionen zu machen, mit wem wir es hier zu tun haben.
Hinzu kommt noch eine andere Situation. Natürlich gibt es Außenhandelsdefizite bzw. Außenhandelsüberschüsse. Es gibt Handelsbilanzdefizite aufseiten der USA. Allerdings sind die Statistiken, die dazu veröffentlicht worden sind, nicht wirklich aussagekräftig. Denn in all diesen Statistiken wird nur der materielle Warenwert analysiert.
Es gibt eine andere Seite, die darin überhaupt keine Rolle spielt: Das sind die großen Tech-Konzerne der USA, die global riesige Umsätze und Gewinne machen und in dieser Außenhandelsbilanz nicht vorkommen. Wenn man diese allerdings einrechnet, dann schmilzt der Exportüberschuss der Europäischen Union gegenüber den USA massiv und radikal. Aber das tut Donald Trump natürlich nicht. Warum? - Weil gerade deren Gewinne häufig auf so verschlängelten Pfaden durch die globalen Computersysteme wandern, dass sie kaum registrierbar sind.
Wir hätten aber eine Chance dazu. Ich sage das mit aller Deutlichkeit: Wenn die USA in dieser Art und Weise den Warenverkehr zwischen Europäischer Union und USA weiter behindern wollen, dann brauchen wir endlich eine Digitalsteuer. Ich möchte mir einmal angucken, wie das Silicon Valley reagiert, wenn sie ihre riesigen Umsätze, die sie in der Bundesrepublik Deutschland machen, die sie in Europa machen, auf einmal mit einer realen Digitalsteuer versteuern müssten. Das wären allein in der Bundesrepublik etwa 6 Milliarden € im Jahr. Ich weiß nicht, wie lange dann die strategische Unterstützung für Trump durch das Silicon Valley noch anhält.
Ich denke, das wären endlich einmal Maßnahmen einer selbstbewussten Europäischen Union mit einem Binnenmarkt von 450 Millionen Menschen, die ganz klar sagt: Halt, Stopp, mein Freund, so nicht! Ich glaube, dieses Zeichen von Stärke braucht die Europäische Union gegenüber den USA.
(Beifall bei der Linken)
Ich will an dieser Stelle auch klar sagen, dass diese Politik „America first“, „Make America great again“; das Vorbild für die AfD für Deutschland, eben nicht nur den globalen Warenverkehr und die globale Arbeitsteilung behindert, sondern natürlich auch radikale Auswirkungen auf die US-amerikanische Wirtschaft selbst hat, und die schrumpft.
Das, was Trump macht, „America first“, und das, was die AfD machen will, „Deutschland first“, wird dazu führen, dass die eigene Wirtschaft schrumpft, weil wir natürlich in ein globales System eingebunden sind. Wir als Bundesrepublik Deutschland, als Exportnation, sind extrem darauf angewiesen, dass dieser Protektionismus nicht überhandnimmt.
Nun will ich auf der anderen Seite auch eine der alt gewordenen Bonner Wahrheiten infrage stellen. Aus der Position der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik ist immer gesagt worden: Derjenige, der einen Exportüberschuss hat, ist derjenige, der in der Welt frei entscheiden kann, ist derjenige, der nicht von anderen abhängig ist.
Jetzt sehen wir genau das Umgekehrte. Jetzt sehen wir: Derjenige, der einen starken Binnenmarkt hat, ist derjenige, der auf einmal die Regeln in der Weltwirtschaft entscheidet. Diejenigen, die erpressbar sind, sind jetzt auf einmal die Länder mit dem Exportüberschuss, nicht diejenigen mit einem starken Binnenmarkt.
Wir sollten einmal darüber nachdenken, ob es denn wirklich so ist, dass die Bundesrepublik Deutschland sich über ihre wirtschaftliche Entwicklung als Exportnation definiert, oder ob es nicht vielleicht viel besser für uns ist, einen starken Binnenmarkt innerhalb der Europäischen Union weiterzuentwickeln. Das macht man übrigens mit Mindestlohnregeln auf europäischer Ebene. Das macht man mit sozialen Sicherungssystemen auf europäischer Ebene. Das macht man mit Arbeitnehmerschutz auf europäischer Ebene. Das ist der Weg zu einer Antwort auf Trump, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Zustimmung bei der Linken)
Insofern möchte ich noch einmal ganz deutlich sagen: Wir haben es mit einer riesigen Herausforderung zu tun. Wir brauchen vernünftige und ordentliche Antworten darauf, wie dieser Nationalismus und Protektionismus zu schlagen ist. Ich glaube, das geht mit einer selbstbewussten EU, die nicht selbst als imperiales Weltwirtschaftskonglomerat auftritt, sondern eine Perspektive bietet zwischen den Polen USA und China, die darauf orientiert ist, in einem starken Binnenmarkt für globale Abkommen zu agieren und nicht für bilaterale Freihandelsabkommen, die darauf orientiert ist, politische und wirtschaftliche Regeln auf der Ebene der UN, z. B. solche Organisationen wie der WTO, vernünftig zu organisieren, statt in einem wahnsinnigen, nicht mehr überschaubaren Komplex von bilateralen Handelsverträgen, die immer nur gegen denjenigen gerichtet sind, der nicht dabei ist.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
In Anbetracht des Zeitplans weise ich darauf hin: 10:20.
Wulf Gallert (Die Linke):
Jawohl, Herr Präsident, jetzt habe ich fünf Minuten und fünf Minuten addiert. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Das war's.
(Beifall bei der Linken)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Herr Scharfenort hat eine Intervention.
Wulf Gallert (Die Linke):
Ich sah es.
Jan Scharfenort (AfD):
Ich möchte noch einmal betonen, dass für die AfD „Germany first“ nicht bedeuten würde, dass wir Zölle errichten. Da haben Sie etwas falsch verstanden. Wir sehen das kritisch. Es wurde auch schon erörtert, dass es vielleicht für die USA der letzte Versuch ist, hier die Dollarhegemonie noch zu behalten.
Das ist auch ein mahnendes Beispiel. Herr Kosmehl hat schon gesagt, wohin die hohe Verschuldung, die hohen Defizite am Ende führen: Immer weiter Geld drucken, das ist dann das Ende, das wir jetzt bei den Amerikanern sehen.
Sie sprachen den Binnenmarkt an. Das, was Sie beschreiben, ist ein starker Binnenmarkt in der EU. Dafür sind wir natürlich auch. Aber den wollen Sie jetzt abschotten so habe ich es verstanden gegenüber bspw. den USA. Das sehe ich sehr kritisch; denn wir sind das muss man klar sagen innerhalb der EU mittlerweile eine sterbende Region. Wir sind kaum noch innovationsfreundlich. Wir haben in vielen Bereich kaum noch Produkte, die innovativ sind.
Jetzt haben Sie richtigerweise das Tech-Problem angesprochen. Damit haben Sie durchaus recht, auch was die Statistik anbelangt. Aber es wäre nun ganz fatal,
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Tut mir leid, Herr Scharfenort,
Jan Scharfenort (AfD):
wenn wir unseren Markt abschotten würden gegen die Tech-Unternehmen.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Sie können eine Intervention abgeben,
Jan Scharfenort (AfD):
Dann können wir ja komplett einpacken.
(Zuruf von Dr. Katja Pähle, SPD)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Sie müssen nicht das Statement von Herrn Gallert interpretieren.
Jan Scharfenort (AfD):
Ich wollte nur auf den Aspekt zu den Tech-Unternehmen eingehen.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Nein!
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD, lacht)
Jan Scharfenort (AfD):
Das wird nicht funktionieren. Wenn Sie die vom europäischen Binnenmarkt abschneiden, na dann, gute Nacht. Denn gucken Sie sich doch einmal an: Unser Handy, die ganze Software, worauf basiert denn das? - Auf amerikanischen Tech-Unternehmen. Wenn Sie die EU damit zurückbringen wollen
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Ich danke für Ihre Intervention an der Stelle
Jan Scharfenort (AfD):
ins Mittelalter, können wir das gern tun.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Herr Gallert, Sie können darauf reagieren, wenn Sie das möchten.
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Das bezahlen doch nachher die Leute, diese Tech-Steuer! Wer denn sonst?)
Wulf Gallert (Die Linke):
Das würde ich schon noch machen. - Ich habe nicht gesagt, dass wir die amerikanischen Tech-Konzerne verbieten wollen. Ich habe gesagt, den amerikanischen Tech-Konzernen müsste man eine Digitalsteuer auferlegen,
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Die bezahlen doch dann die Menschen!)
die einen Bruchteil
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Sie als Verbraucher bezahlen das dann hier! - Jan Scharfenort, AfD: So ist es! - Zuruf von Dr. Katja Pähle, SPD)
- Nun warten Sie doch! - Eine Digitalsteuer ist eine Gewinnsteuer.
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Ja, aber die wird umgelegt auf die Menschen!)
Und wenn man diese Digitalsteuer einsetzt, dann wäre man natürlich in der Lage Übrigens: Alle Konzerne, alle Unternehmen, die es hier gibt, bezahlen Körperschaftssteuer.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Ja!)
Diejenigen, die faktisch keinerlei Körperschaftssteuer bezahlen, das sind die amerikanischen Tech-Konzerne, die in etwa ein Drittel ihres globalen Umsatzes in Europa machen. Sie bezahlen faktisch nichts dafür.
(Guido Kosmehl, FDP: Na ja, in Irland ein bisschen!)
Aber nein, sie bezahlen hier mehr oder weniger nichts. Denn dort sind zwar die Produktionsstätten, aber dort werden ja die Steuern mehr oder weniger kaum erhoben.
Hier haben wir ein extremes Ungleichgewicht. Die verzichten übrigens nicht auf ein Drittel ihrer globalen Umsätze, wenn sie hier eine Steuer bezahlen müssten. Nein, es ist ihnen eigentlich geschenkt worden. Das ist das große Problem. Das können wir dagegen ausgleichen. Und dafür brauchen wir eine starke Europäische Union, die Trump Einhalt gebietet.
Und das sage ich noch einmal im Kontext von UN-Organisationen: Es geht nicht nur darum, als Europäische Union zu handeln, sondern es geht darum, zu einem vernünftigen globalen Handelssystem zu kommen. Denn nur das brauchen wir. Das brauchen wir auch für die Entwicklung der Weltwirtschaft insgesamt. - Danke.