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Plenarsitzung

Transkript

Nicole Anger (Die Linke): 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zahnmedizinische Versorgung, ein akuter Notfall in Sachsen-Anhalt. Die zahnmedizinische und kieferorthopädische Versorgung in unserem Land bröckelt wie ein Zahn, der zu lange unbehandelt geblieben ist. Das müsste nicht so sein.

Bereits im Februar 2022 haben wir als Fraktion den Antrag „Zahnärztliche und kieferorthopädische Ver-sorgung in den Landkreisen sicherstellen“ in dieses Haus eingebracht. Der Antrag mündete in eine Be-schlussempfehlung der Koalitionsfraktionen mit Feststellungen und Bitten.

Im Juni 2023 folgte unser zweiter Antrag: „Zahnärztliche und kieferorthopädische Unterversorgung ver-hindern - Landeszahnarztquote einführen, mehr Weiterbildungsangebote entwickeln“. Dieser steckt noch immer in der Ausschussdebatte fest - seit zwei Jahren. Zwei verlorene Jahre, in denen wir eine Chance verpasst haben, die Versorgungslücke zu schließen.

Auch unser dritter Antrag „Damit Sachsen-Anhalt auch morgen noch lächeln kann - Zahnmedizinische Versorgung im Land stärken“ aus dem Februar 2024 liegt seit mehr als einem Jahr im Ausschuss. Still-stand, wo Handlungsbedarf besteht.

(Zustimmung bei der Linken)

Und jetzt - Überraschung! - legen die Koalitionsfraktionen einen Gesetzentwurf vor, mit dem sie im We-sentlichen unsere Forderungen aufgreifen. Alles, was Sie in Ihrem Antrag aufgeführt haben, haben wir be-reits im Plenum diskutiert. Sie hätten nur zugreifen müssen. Die Ideen und Vorschläge waren da, die Notwendigkeit mehr als bekannt.

Doch stattdessen wurde gewartet und vertagt. Es scheint, als hofften die Koalitionsfraktionen gemein-sam mit der Landesregierung wie so oft, der Markt werde es schon richten. Doch wir alle wissen, der Markt regelt einen Missstand nicht von selbst.

(Zustimmung bei der Linken)

Während Sie abwarten, verschärft sich die Versorgungslage. Wir haben bereits in drei Landkreisen, Bör-de, Jerichower Land und Saalekreis, eine drohende Unterversorgung mit Zahnärzt*innen. In der Börde und im Landkreis Anhalt-Bitterfeld haben wir im Bereich der Kieferorthopädie bereits eine akute Unter-versorgung.

Meine Damen und Herren! Eine Kleine Anfrage meinerseits hat gezeigt, dass wir bis zum Jahr 2035 etwa 750 Zahnärztinnen brauchen. Jährlich fehlen uns 75 Absolventinnen. Was passiert auf der anderen Seite? Betrachtet man rein nüchtern die Zahlen, wird deutlich, das passt vorn und hinten nicht. 40 Studienplät-zen in Halle, von denen nur ein Viertel im Land bleibt, und zwölf Plätzen in Pécs stehen 75 vakante Stellen pro Jahr gegenüber. Etwa 20 ausgebildete Zahnmediziner*innen pro Jahr, das reicht noch längst nicht, um die Lücke zu schließen.

Der aktuelle Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ist damit nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Stellschrauben Studienplätze und Landzahnarztquote reichen schon lange nicht mehr.

Denn das bloße Übernehmen von Praxen oder gar eine Neueröffnung ist für viele junge Menschen in un-serem Land gar nicht mehr attraktiv. Auch insoweit müssen wir dringend umdenken und vor allen Dingen handeln. Verwaltungsaufwand, Dokumentation, das Risiko der Selbstständigkeit verunsichern viele. Da-bei können medizinische Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft natürlich Abhilfe schaffen, quasi Praxisgemeinschaften, in denen man sich teure technische Geräte, aber auch bestimmte Arbeits-vorgänge teilt und auch eine gegenseitige Vertretung wie in Urlaubszeiten möglich gemacht wird. Statt-dessen haben wir aber weder ein kommunales zahnmedizinisches Versorgungszentrum noch eine Lan-desförderung dafür - freie Bahn also für private Investoren, die aus jeder Behandlung massiv Profit schla-gen. Gesundheitsversorgung muss aber der Fokus sein, statt klingelnder Kassen der Privaten.

Meine Damen und Herren! Aber auch Standortfaktoren spielen eine Rolle. Eine gute ÖPNV-Anbindung, Kitas, Schulen - alles das muss gewährleistet sein, um Fachkräfte im Land zu halten. Wer Familien nach Sachsen-Anhalt holen will, der muss ihnen gute Lebensbedingungen ermöglichen. 

Was bleibt heute von dem Gesetzentwurf? - Es bleibt vor allem der Eindruck, dass wertvolle Zeit ver-schenkt wurde - Zeit, in der Maßnahmen bereits hätten umgesetzt werden müssen, die bereits vor Jah-ren diskutiert wurden, Zeit, in der wir bereits auf einem ganz anderen Stand sein könnten. Denn die zehn Stipendien für Pécs, deren Anzahl Sie jetzt erhöhen, werden nicht in weniger als sieben Jahren absolviert werden. Was die drei Studierenden mit der Landzahnarztquote betrifft, können Sie sich das selbst aus-rechnen. 

(Dr. Katja Pähle, SPD: Plus die zehn, die neu anfangen sollen!)

Doch einen positiven Punkt gibt es: Die Hartnäckigkeit meiner Fraktion 

(Lachen und Oh! bei der CDU und bei der FDP)

und von mir hat sich ausgezahlt. Wenn auch sehr spät - hoffentlich nicht zu spät - haben Sie in der Koali-tion verstanden, dass ein weiteres Abwarten nur noch katastrophaler sein wird. Zahnmedizinische Ver-sorgung ist wie Gesundheitsversorgung generell kein Luxus. Sie ist Grundversorgung, und die Menschen in Sachsen-Anhalt haben ein Recht darauf, heute und morgen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Linken)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. - Herr Pott meldet sich für eine Intervention.


Konstantin Pott (FDP): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Kollegin Anger, als Erstes eine kurze Vorbemerkung dazu, dass Sie hier davon sprechen, dass der Markt Sachverhalte im Gesundheitssystem nicht regeln kann. 

(Eva von Angern, Die Linke: Nur negativ! Das ist an allen Stellen zu spüren!)

Ich glaube, es gibt wenig Stellen in Deutschland, bei denen es weniger freien Markt gibt als bei Stellen im Gesundheitssystem. Deswegen kann der Markt das an der Stelle gar nicht regeln.

Aber das ist gar nicht mein Punkt. Sie haben sich hier hingestellt und haben gesagt, wir hätten nur zugrei-fen müssen, weil Sie Ihre Anträge gestellt haben. Nun ist es aber so, dass die Aufgabe dieses Hohen Hau-ses darin besteht, Gesetze zu beschließen. Ich habe von Ihnen aber keinen einzigen Gesetzentwurf dazu gesehen; den haben Sie nicht vorgelegt.

(Zustimmung von Thomas Krüger, CDU - Nicole Anger, Die Linke, lacht - Hendrik Lange, Die Linke: Bitte? - Eva von Angern, Die Linke: Mehrfach! - Zuruf von Jörg Bernstein, FDP)

Das heißt, Sie haben die Aufgabe auch nur immer wieder an andere gegeben.

(Stefan Gebhardt, Die Linke: Das stimmt doch überhaupt nicht! - Weitere Zurufe von der Linken)

Wir haben sie jetzt erfüllt. Wir brauchen Ihre Aufträge gar nicht, um hier am Ende die Versorgung zu ver-bessern und die Probleme zu lösen.

(Stefan Gebhardt, Die Linke: Natürlich haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht! - Zurufe von Eva von Angern, Die Linke, und von Hendrik Lange, Die Linke)

Sie haben Ihre Aufgabe, hier einen Gesetzentwurf vorzulegen, die Sie durchaus hätten wahrnehmen kön-nen, so nicht erfüllt. 


Nicole Anger (Die Linke): 

Herr Pott, es ist schon ein bisschen niedlich, wie Sie sich aus Ihrer Verantwortung in der Koalition heraus-schleichen wollen und sich einen super schlanken Fuß machen.

(Zustimmung bei der Linken)

Sie werden doch Ihrer Verantwortung in diesem Hohen Haus seit mehr als dreieinhalb Jahren nicht ge-recht.

(Guido Kosmehl, FDP: Haben Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt oder nicht?)

Sie haben doch die Gesundheitsversorgung der Menschen überhaupt nicht im Blick.

(Konstantin Pott, FDP: Deswegen machen wir heute den Gesetzentwurf, oder was? - Also, ich glaube, es hackt! - Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Ich habe Ihnen gegenüber ausgeführt, dass wir diese Debatte seit mehr als zwei Jahren, auch dank Ihnen, im Sozialausschuss schieben und schieben und schieben. - Ich glaube, bei dem Thema Gesundheitsver-sorgung sollten Sie auch ein bisschen auf den Blutdruck achten; der Puls steigt gerade massiv an.

(Guido Kosmehl, FDP: Ah, Vorsicht! - Zuruf von Konstantin Pott, FDP)

Sie haben es versäumt und verschlafen. Jetzt kommen Sie auf den letzten Drücker

(Guido Kosmehl, FDP: Quatsch!)

und versuchen es mit einer Sondersitzung und schnellem Durchwinken.

(Guido Kosmehl, FDP: Quatsch!)

Ich sage Ihnen: Das wird das Dilemma nicht lösen, weil das, was Sie hier tun, viel zu spät erfolgt und viel zu wenig ist.