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Plenarsitzung

Nachparlamentarischer Dienst in 30 Jahren

Mit einem Festakt im Festsaal der Staatskanzlei in Magdeburg feierte die Parlamentarische Vereinigung Sachsen-Anhalt e. V. am Donnerstag, 6. November 2025, ihr 30-jähriges Bestehen. Die Festrede hielt der frühere Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert. Viele ehemalige und aktive Abgeordnete waren zur Festveranstaltung gekommen, darunter auch ehemalige Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus elf Bundesländern. Ulrich Seidel, ehemaliger Vorsitzender der Vereinigung, wurde wegen seiner Verdienste zu deren Ehrenmitglied ernannt.

Nach der 1. Wahlperiode des Landtags von Sachsen-Anhalt war von ausgeschiedenen Mandatsträgern 1995 die „Vereinigung ehemaliger Mitglieder des Landtages von Sachsen-Anhalt e. V.“ gegründet worden (Vereinsaufnahme am 13. November 1995). Sie stellte sich unter anderem die Aufgabe, die Erfahrungen ehemaliger Landtagsabgeordneter auch weiterhin für die Stärkung der parlamentarischen Demokratie in Sachsen-Anhalt zu nutzen. Seit Oktober 2019 agieren die ehemaligen (und mittlerweile auch aktiven) Abgeordneten unter dem neuen Vereinsnamen „Parlamentarische Vereinigung Sachsen-Anhalt e. V.“. 

Begrüßung durch den Landtagspräsidenten

Viele seiner eigenen parlamentarischen Weggefährten seien heute Gast der Festveranstaltung, freute sich Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger. Ausgehend von den spannenden Umbruchsjahren der 1990er Jahre hätten sich die parlamentarische Demokratie und das parlamentarische Selbstverständnis in den vergangenen drei Jahrzehnten gut entwickelt, so Schellenberger. In zehn Monaten wähle Sachsen-Anhalt den Landtag der 9. Wahlperiode – bis dahin gelte es, das Vertrauen in die demokratischen Institutionen zu stärken und bei den Menschen im Land für mehr Verständnis zu sorgen, für welche Prozesse der Landtag Verantwortung trage.

Begrüßung durch die Präsidentin

Viele der Gäste seien Schülerinnen und Schüler aus allen Ecken des Landes Sachsen-Anhalt, vor diesem Hintergrund zeige sich die Wahrung der Demokratie als eine Aufgabe für die Zukunft, erklärte Carmen NiebergallPräsidentin der Parlamentarischen Vereinigung Sachsen-Anhalt e. V. Das Demokratieprojekt der Vereinigung habe einige Zeit gebraucht, um zu reifen, werde nun aber umgesetzt. Im Projekt gehen Abgeordnete in die Schulen, um mit Schülerinnen und Schülern politische und gesellschaftliche Probleme zu besprechen und zu Lösungen zu gelangen. Man habe auf eigene parlamentarische Erfahrungen zurückgreifen können und wollen, um sich weiter gesellschaftlich und politisch einzubringen. „Demokratie braucht Haltung und Menschen, die sie leben“, betonte Niebergall.

Grußwort der Justizministerin

In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung seien wichtige Grundlagen für die spätere Landesentwicklung gelegt worden, erklärte Justizministerin Franziska Weidinger. Sie richtete Grüße von Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff aus. Die Staatskanzlei – der Veranstaltungsort – sei mehr als ein historisches Gebäude, sondern ein gesellschaftlicher Mittelpunkt, so Weidinger, seit zwanzig Jahren sei sie Sitz der Landesregierung. Die parlamentarische Demokratie sei wohl die verantwortungsvollste Staatsform, weil neben viel Freiheit auch viel Verantwortung jedes Einzelnen notwendig sei. Sie fuße auf lebendiger Teilhabe und sozialem Kapital. Die Abgeordneten der 1. Wahlperiode seien für sie – damals Schülerin in Halberstadt – Vorbilder gewesen.

Demokratieprojekt an Schulen

Sind Brandmauern demokratisch, fragte Tessa Seidel, Teilnehmerin am Demokratieprojekt am Albert-Einstein-Gymnasium Magdeburg. Die gewählten Abgeordneten verträten schließlich die Interessen eines Teils der Bevölkerung; dürfen sie von Beratungen ausgeschlossen werden? Politik müsse den Leuten vielmehr zeigen, welche Konsequenzen sich ergäben, wenn demokratiefeindliche Parteien den politischen Alltag mitbestimmten. Sorgen bereite den jungen Menschen im Land der demographische Wandel. Er habe Auswirkungen auf das Sozialwesen und Wahlergebnisse, von der alternden Bevölkerung würden Themen junger Menschen weniger stark priorisiert. Politik sei für Jugendliche ein so wichtiges Thema wie noch nie, so Tessa Seidel, „aber wo ist die politische Mitte?“ Die Jugend rutsche eher an die politischen Ränder. Die Politik im Land müsse dafür sorgen, Politikverdrossenheit zu bekämpfen und die Jugend politisch und sozial zu stärken. „Bildung und Aufklärung sind hier nötig. Die Parteien müssen vernünftigen Wahlkampf machen!“, forderte Tessa Seidel abschließend.

Festrede von Norbert Lammert

„Demokratie braucht Demokraten – In welcher Verfassung befindet sich unser Land?“, fragte Bundestagspräsident a. D. Prof. Dr. Norbert Lammert in seinem Festvortrag. Dies sei erkennbar keine rhetorische Frage und sie beantworte sich nicht von selbst. 2024 habe Deutschland, recht überschaubar, so Lammert, „75 Jahre Grundgesetz“ gefeiert. Deutschland gilt als eine der stabilsten Demokratien der Welt. Während die deutsche Demokratie nicht zwangsläufig stabiler geworden sein, sei manch ältere Demokratie allerdings instabiler geworden, dies zum Teil fundamental. Wer heute über Demokratie spreche, müsse erklären, was er darunter verstehe, es gebe keinen einheitlichen Konsens mehr zur Bedeutung des Begriffs. Heute gebe es 36 funktionierende Demokratien weniger als Mitte der 1990er Jahre, so Lammert.

Die Deutschen hätten die seltene Fähigkeit, außergewöhnliche Ereignisse für eine Selbstverständlichkeit zu halten, die jahrzehntelang völlig undenkbar gewesen seien, darunter den Mauerfall und die Wiedervereinigung. Dabei bedeutete der Mauerfall sehr viel mehr als das Verschwinden eines hässlichen Bauwerks, nämlich das Ende eines politischen Systems, die „Systemfrage“ galt als beantwortet. „Jetzt sind wir 35 Jahre weiter und alle scheinbar geklärten Fragen sind wieder auf der Tagesordnung, wieder wird die Systemfrage gestellt.“

Eine funktionierende Demokratie setze faire politische Wettbewerbsbestimmungen als Mindestanspruch voraus. Ein gewaltenteilig organisiertes System setze auf politische Mandate für eine befristete Zeit. Es brauche unabhängige Gerichte und individuelle Grundrechte, auf deren Einhaltung jeder einen einklagbaren Rechtsanspruch haben müsse. Unter dieser Prämisse gebe es unter den 196 UN-Staaten nur zwei Dutzend funktionierende Demokratien. Das bedeute, dass selbst die EU nicht überall ihren eigenen demokratischen Ansprüchen genüge. Auch die USA seien dabei, sich aus diesem Kreis zu verabschieden. „Demokratien stürzen heute nicht durch Bürgerkriege, sondern durch Wahlen“, indem immer mehr Menschen Parteien unterstützten, die Stück für Stück die Demokratie aushöhlten und Systemveränderungen schrittweise vornähmen.

„Demokratie braucht Demokraten – der Satz ist nicht originell, aber er ist richtig“, betonte Lammert. Die erste deutsche Demokratie, die der Weimarer Republik, sei auch gescheitert, weil die Demokraten eigene politische Ziele über das Gesamtziel gestellt hätten, nämlich die Demokratie gegen Extremisten zu verteidigen. Ohne Parteien funktioniere Demokratie nicht, aber die wenigsten wollten sich in ihnen engagieren, diese Diskrepanz müsse überwunden werden.