Anlässlich des Volkstrauertags fand am 16. November 2025 die zentrale Gedenkstunde des Landtags von Sachsen-Anhalt und des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge statt. Die Ansprache hielt Bischof Dr. Gerhard Feige. Auf dem Westfriedhof wurden Kränze niedergelegt. Der obengenannte Titel entstammt der Slam-Poetry von Antonia Bergmann, die ihr eindrückliches Werk „80 Jahre Kriegsende“ vortrug.
© ltlsa/msü© ltlsa/msüAnmerkung:Totengedenken und Schweigeminute im Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt anlässlich des Volkstrauertags 2025.
© ltlsa/smü© ltlsa/smüAnmerkung:Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger spricht zum Volkstrauertag 2025 im Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt.
© ltlsa/smü© ltlsa/smüAnmerkung:Rüdiger Erben, Vorsitzender des Landesverbands Sachsen-Anhalt im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge spricht zum Volkstrauertag 2025 im Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt.
Anmerkung:Slam-Poetin Antonia Bergmann trägt zum Volkstrauertag 2025 im Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt ihr Werk „80 Jahre Kriegsende“ vor.
© ltlsa/smü© ltlsa/smüAnmerkung:Bischof Dr. Gerhard Feige spricht zum Volkstrauertag 2025 im Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt.
„Frieden und Freiheit immer neu verteidigen“
„Am Volkstrauertag versammeln wir uns, um innezuhalten, um der Opfer von Krieg, Gewalt und Terror zu gedenken.“ Der Tag sei ein Tag der Erinnerung, aber auch ein Tag der Mahnung, sagte Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger. Man erinnere an die Menschen, die Gewalt erlebten, Angst hätten und Not litten. „Tod, Hunger, Flucht und Verzweiflung sind für alle sichtbar, sie sind Teil des Alltags, unzählige Menschen verlieren ihre Hoffnung und ihr Zuhause“, konstatierte Schellenberger. „Unser Blick auf den Frieden erfährt in Europa einen Wandel“, jahrzehntelang sei er als selbstverständlich genommen worden, aber Krieg und Vertreibung gehörten wieder zu unserem Erleben. „Auch in unserer direkten Mitte erfahren wir Leid, der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt hat uns schwer gezeichnet, die Angst und der Verlust des Gefühls von Sicherheit sind zu täglichen Begleitern geworden“, so der Landtagspräsident. Taten wie diese mahnten uns, dass Frieden und Freiheit immer neu verteidigt werden müssten, nicht allein durch Waffen, sondern auch durch Diplomatie, Menschlichkeit und Mut.
Gräueltaten entstanden nicht im luftleeren Raum
Jedes der Millionen Opfer von Krieg und Gewalt fordere von uns den Einsatz für Frieden, Freiheit und Demokratie, sagte Rüdiger Erben, Vorsitzender des Landesverband Sachsen-Anhalt des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Die Verbrechen während der Nazi-Diktatur seien nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern weil die Menschen sie zugelassen und unterstützt hätten. Für die Demokratie gelte es, nicht nur wehrhaft nach außen zu sein, sondern sich auch mit der Verfasstheit der inneren Demokratie auseinanderzusetzen. „Jedes Opfer ist ein verlorenes Menschenleben, sie mahnen uns, uns tagtäglich für unsere Werte einzusetzen.“ Durch den Krieg in der Ukraine sei Europa so bedroht wie lange nicht, kaum 1 500 Kilometer entfernt versuchten russische Soldaten, Gebiet zu erobern, das nicht Russland gehöre, so Erben. Putin gehe es nicht um die Entnazifizierung der Ukraine, sondern um die Ausweitung seines Machtbereichs. Der Volkstrauertag sei als Gelegenheit anzusehen, „uns zu unserer Verantwortung zu Menschlichkeit und Miteinander zu bekennen“.
Poetry: „80 Jahre Kriegsende“
Slam-Poetin Antonia Bergmann trug ihr Poetry-Werk „80 Jahre Kriegsende“ vor. Sie machte darin auf die Perspektive junger Menschen von heute auf Begriffe wie Demokratie, Freiheit, Krieg und Angst aufmerksam. „Jede Träne rollt für sich, wir vergessen nicht“, heißt es etwa im Gedicht, zugleich fragte sie: „Sag, machen dir die gleichen Fehler?“ und machte ganz deutlich, was sie und ihre Generation, ja, was im Grunde doch alle wollen: „Wir wollen nicht wieder im Ozean der Schrecklichkeiten ertrinken.“
„Rücksichtslosen Blick auf das Grausame“
Er sei auch ein Nachkriegskind, benannt nach einem vermissten Verwandten, seine Eltern hätten immer wieder von ihren Erlebnissen berichtet, als hätten sie sie so zu verarbeiten versucht, erklärte S. E. Bischof Dr. Gerhard Feige. Als Seelsorger in den 1970er Jahren noch habe er sich jahrelang Geschichten von Gewalt- und Verlusterfahrungen, Ängsten, Trauer und Sehnsucht nach der alten Heimat angehört. Die Erinnerung gehört zu unserem Leben und stiftet Identität, eine Gesellschaft, die ihre Vergangenheit vergisst oder umdeutet, wird krank“, sagte Feige. Es bedürfe einer ausgewogenen Betrachtung vergangener Zeiten und eines rücksichtslosen Blicks auf alles Grausame. Das Gedenken an die Opfer der Kriege werde oft missdeutet und sei ideologisch vereinnahmt worden, dem müsse man eine aufgeklärte Erinnerung entgegenstellen.
„Orte der Erinnerung sind wichtig“, stellte der Bischof fest. Gräber und Gedenkstätten seien Zeugen einer Wirklichkeit, die vielen fremd und weit weg erscheine. Stolpersteine hielten das Gedenken an die unzähligen Opfer des Nationalsozialismus wach. Besonders eindrücklich bleibe ihm der Gedenkort Yad Vashem. Vergangenheit und Geschichte könne man zu begreifen und wissenschaftlich aufzuarbeiten versuchen, aber sie kann auch existenziell sein und ans Herz gehen. „Bei allem Druck des Alltags ist es nötig, eigene Resonanzräume zu schaffen, in denen unsere Seele unerwartet berührt werden kann.“
Existenziell sei „nach Auschwitz“ auch die Frage nach Gott geworden. Der Glaube an einen gütigen und allmächtigen Gott sei nach den Weltkriegen für viele kaum noch vorstellbar gewesen. „Es zeigt sich: Gott ist letztlich ein Geheimnis, kein totalitärer Machthaber, der ständig jedes einzelne Schicksal bestimmt oder dazu da ist, alle Wünsche zu erfüllen. Die Menschen sind keine Marionetten oder von Gott fremdgesteuert“, erklärte Feige. Das Leben müsse selbstständig gestaltet werden. So habe am Ende weniger der Glaube an die Existenz Gottes, vielmehr der Glaube an die Menschlichkeit viele Risse bekommen. Denke man an die Verbrechen der Nazis, frage man sich, wie sehr man hinter dem Menschsein zurückgeblieben sei. „Hätte das Zeitalter der Aufklärung den Menschen nicht freier, vernünftiger, gerechter machen müssen?, fragte der Bischof. „Stattdessen können Menschen auch heute noch eiskalt, brutal und grausam sein. Die unheimliche Macht des Bösen steckt offenbar in vielen Menschen.“
Erinnerung sei kein Selbstzweck, betonte Feige, sondern Mahnung und Auftrag, weiterhin wachsam zu sein. Ideologien, Feindbilder, Empörungswellen gewännen wieder Einfluss, die auf Selektion setzten. „Nächstenliebe“ sei zum Unwort geworden. „Im Gesicht eines Menschen eine Schwester oder einen Bruder zu erkennen, das ist die Grundlage für das Miteinander der Völker“, mahnte Bischof Feige.
© ltlsa/smü© ltlsa/smüAnmerkung:Trauermarsch zur Kranzniederlegung auf dem Magdeburger Westfriedhof.
© ltlsa/smü© ltlsa/smüAnmerkung:Volkstrauertag 2025, im Bild ein Gräberfeld auf dem Magdeburger Westfriedhof.
© ltlssa/smü© ltlssa/smüAnmerkung:Kranzniederlegung und Gedenken auf dem Magdeburger Westfriedhof.
Im Anschluss an die Gedenkstunde im Landtag wurden auf dem Magdeburger Westfriedhof Kränze niedergelegt. Auch hier wurde, wie schon im Plenarsaal, das traditionelle Totengedenken gesprochen.

