Nach der zentralen Gedenkveranstaltung zum Holocaustgedenktag ist im Foyer des Landtags von Sachsen-Anhalt eine Gedenktafel zu Ehren von unter den Nationalsozialisten (1933–1945) verfolgter Abgeordneter enthüllt worden. Die dort geehrten 87 Abgeordneten stammen alle aus der Region des heutigen Sachsen-Anhalt. Die dreigeteilte Gedenktafel besteht im unteren Teil aus drei gebrochenen Hölzern als Symbole für die „gebrochenen Leben“ durch Verfolgung, Demütigung und Tod. Mit der Verwendung unterschiedlicher Holzarten soll die Unterschiedlichkeit der Lebenswege und der individuellen Schicksale verdeutlicht werden.
Opferbegriff bewusst weit gefasst
Ziel des nun zur Vollendung gelangenden Projekt „Gedenktafel“ sei eine möglichst vollständige und wissenschaftlich fundierte Sammlung von Informationen über die von den Nationalsozialisten verfolgte Abgeordnete aus dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts gewesen, erklärte Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch vor der Enthüllung der Gedenktafel im Foyer des Landtags. Der Opferbegriff sei bewusst weit gefasst worden, so reiche er von Schikanen und Arbeitsverbot bis hin zum Tod der früheren Abgeordneten.
Es soll und wird erinnert werden
„Nach den 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs sagte man ‚Nie wieder Krieg!‘, doch die Kriege hörten nicht auf, es gibt sie nach wie vor zahlreich auf der ganzen Welt. Man sagte ‚Nie wieder Antisemitismus’, und dennoch gibt es den Hass – selbst von jenen, die noch nie einen Juden persönlich kennengelernt haben – bis heute, wie die Angriffe in Halle (Saale) zeigten“, sagte Dr. Rüdiger Fikentscher, Landtagsvizepräsident a.D. „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.“ Es gelte, wachsam zu sein und sich antidemokratischen Aktionen entgegenzustellen. „Freilich, die Toten haben nichts mehr von dieser Tafel, aber die Lebenden sollen zum Nachdenken veranlasst werden“, betonte Fikentscher. „An diese Menschen soll und wird erinnert werden – sie waren Demokratinnen und Demokraten, die sich gegen den Nationalsozialismus stellten, und das eint sie, auch wenn sie seinerzeit politische Gegner waren.“
Projekt GE|DENKEN
Die Würdigung und das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ist seit vielen Jahren fester Bestandteil der Erinnerungs- und Gedenkarbeit des Landtags. Und so entstand die Idee, auch die ehemaligen Abgeordneten aus dem Gebiet des heutigen Landes Sachsen-Anhalt zu würdigen, die Opfer nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen geworden sind. Eine genauere Prüfung dieses Vorhabens ergab, dass es bislang keine wissenschaftlich fundierte Arbeit gibt, die möglichst umfassende Informationen über das Schicksal aller während der nationalsozialistischen Diktatur verfolgten Parlamentarier aus Sachsen-Anhalt und über ihre Lebenswege zu geben vermag.
Wissenschaftliche Dokumentation VER|FOLGT
Deshalb entschloss sich der Landtag, durch Recherchen in Archiven des Bundes und der Länder sowie in bestehenden Dokumentationen, unter anderem des Reichstags und des Preußischen Landtags, sowie der Auswertung ergänzender biographischer Quellen eine möglichst vollständige und wissenschaftlich fundierte Gesamtübersicht der Mitglieder der Vorgängerparlamente erarbeiten zu lassen.
Mit dem ausgewiesenen Landeshistoriker Prof. Dr. Mathias Tullner wurde ein Forschungsvorhaben entwickelt, in welchem Studierende im Rahmen eines Seminars an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg die notwendigen Vorarbeiten in Archiven und Bibliotheken durchführten. Im Ergebnis entstand die wissenschaftliche Dokumentation VER|FOLGT, die auf 148 Seiten Auskunft über das Wirken und die Verfolgung von 11 Frauen und 78 Männern gibt. Diese Verfolgtenbiographien bilden die wesentliche Grundlage für die nun enthüllte Gedenktafel im Foyer des Landtags.
Die Tafel ist im Foyer zu besichtigen, der erste Blick der Besucherinnen und Besucher im Landtag fällt auf die Tafel und setzt ein würdiges Zeichen zur Erinnerung an 87 verfolgte Abgeordnete. Vor Ort können über einen QR-Code zahlreiche Informationen über den neuen Gedenkort, aber vor allem über die Abgeordneten eingeholt werden. So gelangt man beispielsweise zu einer umfangreichen Biographiesammlung (PDF) zu den betroffenen Frauen und Männern.