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Plenarsitzung

Holocaustgedenktag 2019 in Wernigerode

Im ehemaligen Außenlager des KZs Buchenwald im Veckenstedter Weg in Wernigerode waren Häftlinge untergebracht, die in der näheren Umgebung bei körperlich schweren Arbeiten eingesetzt wurden. Einsatzgebiete waren das Rautalwerk, bergmännische Arbeiten im Galgenberg, Gleisbauarbeiten und nicht zuletzt der Ausbau des Lagers. Genau hier, heute eine Mahn- und Gedenkstätte, wurden noch vor der zentralen Gedenkstunde im Wernigeröder Rathaus Kränze und Blumen niedergelegt und Worte des Erinnerns, Mahnens und des Gebets gesprochen.

Martin Skiebe, Landrat des Landkreises Harz, erklärte, nur wer sich der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit stelle, übernehme auch Verantwortung dafür, dass sich Geschehenes nicht wiederholen könne. Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch sprach das Totengebet, in dem es so eindrücklich heißt, dass das Leben im Zeichen der Hoffnung stehe – Hoffnung auf Vergebung und Verständigung.

„An das Erinnern erinnern“

Der 27. Januar sei ein schwerer Gedenktag, brachte es Peter Gaffert, Oberbürgermeister der Stadt Wernigerode, gleich am Beginn seiner Rede im Wernigeröder Rathaus auf den Punkt. Der Holocaust führe uns an die Grenzen dessen, was der Mensch ertragen und verstehen könne. Am liebsten würde man noch heute wegsehen und weghören – „doch das wäre falsch, ist falsch und wird auch in Zukunft falsch bleiben“. Niemand dürfe wegschauen, wenn Menschen ausgegrenzt und verfolgt würden. Auch in Wernigerode seien unschuldige Menschen entwürdigt und gequält, auch hier sei weggesehen worden. Die Mahn- und Gedenkstätten sowie die Gedenktage und Organisationen seien wichtig, um die Erinnerung in neue Räume und anderen Menschen zu tragen. Man müsse sich an das Erinnern erinnern, forderte Gaffert.

„Zukunft braucht Erinnerung“

Auschwitz stehe als Chiffre für das schrecklichste Verbrechen der Menschheit, den Holocaust, erinnerte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff, aber auch für den Massenmord an politisch Andersdenkenden, religiös Verfolgten, an Menschen anderer Völker oder Verfolgter aufgrund der sexuellen Identität. Gewalt und Tod waren im NS-deutsch besetzten Europa allgegenwärtig. Die großen Zahlen der Menschenopfer erschrecke, dies werde noch intensiviert, so Haseloff, wenn man realisiere, dass sich hinter jeder Zahl (gar mehr als) eine menschliche Tragödie verberge.

Aus der Geschichte lernen, heiße vor allem, es besser machen zu wollen, sagte Haseloff. Doch eine Demokratie könne allzu schnell aus den Angeln gehoben werden, der Firnis der Zivilisation sei dünn. Antisemitismus sei auch in Deutschland nicht verschwunden, im Gegenteil, Hass und Vorurteile seien wie ein schleichendes Gift. Die Anzeichen für die Brutalität der Machthaber sei offensichtlich gewesen, trotzdem hätten sich zu viele die Verbrechen nicht vorstellen können oder wollen, erinnerte Haseloff. „Unsere Erinnerungskultur wird sich verändern müssen, da die letzten Zeitzeugen am Ende ihres Lebens angekommen sind“, sagte der Ministerpräsident. „Das Ausbleiben der Erinnerung wäre eine Katastrophe, denn Zukunft braucht Erinnerung.“

Schülerinnen und Schüler des Stadtfeld-Gymnasiums Wernigerode sowie der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Sekundarschule Ilsenburg trugen Schicksalsberichte und Texte von Überlebenden des Holocausts vor.

„Die Freiheit geht schleichend verloren“

Die Gedenkrede hielt Gideon Jakob Nissenbaum, Vorstandsvorsitzender der Stiftung der Familie Nissenbaum (Fundacja Rodziny Nissenbaumów), die sich mit privaten Mitteln der Wiederherstellung von geschändeten (Grab-)Stätten des Judentums in Polen widmet.

Die Ausrufung des Holocaustgedenktags sei ein wichtiges Signal für alle Juden gewesen, betonte Nissenbaum. Der frühere Bundespräsident Roman Herzog, auf dessen Initiative der Gedenktag zurückgeht, habe seinerzeit ins Erinnerungsbuch in Auschwitz geschrieben: „Hier öffnen die Toten den Lebenden die Augen.“ Herzog habe keinen Gedenktag allein für die jüdischen Opfer einrichten wollen, sondern für alle Opfer des Nationalsozialismus, denn mehr als 50 Millionen Menschen haben ihr Leben lassen müssen, so Nissenbaum.

Im November 2018 hatte Nissenbaum gemeinsam mit Ministerpräsident Haseloff das frühere Vernichtungslager Treblinka besucht. Lange Zeit sei Treblinka im kollektiven Gedächtnis ausgeblendet worden – tatsächlich war es auch von den Nazis abgebaut worden, zur Tarnung wurde ein Bauernhof installiert. Es hatte seinen einzigen Zweck, nämlich Menschen zu ermorden und zu beseitigen, erfüllt. Spät sei es gelungen, Treblinka ins Bewusstsein zurückzuholen.

Nissenbaums Vater, Großvater und Onkel hatten (wegen der Deportation in ein anderes Lager) Treblinka überlebt, viele andere Familienmitglieder wurden vergast und verbrannt – wie mehr als eine Million andere Menschen. Wie durch ein Wunder sei es den Männern und Jungen gelungen, im Durchgang verschiedener Lager zusammenzubleiben. Nach dem Krieg sei sein Vater in Deutschland geblieben und habe sich eine neue Existenz aufgebaut, erzählte Nissenbaum. Dieser sei davon ausgegangen, dass die junge Generationen aus den Fehlern der Eltern und Großeltern lernen würden.

Die Nissenbaum-Stiftung setzt sich für eine würdige Gedenkstätte in Treblinka ein. In den Schulen müssten die Themen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung weiter behandelt werden, ein Besuch der Gedenkstätten gehöre unbedingt dazu, so Nissenbaum. Der Jugend müsse begreiflich gemacht werden, wie schleichend die Freiheit verlorengehen könne. Die demokratischen Parteien dürften die Belange der breiten Bevölkerung nicht aus den Augen verlieren, forderte Nissenbaum, nur so könne den Populisten mit ihren vermeintlich leichten Lösungen entgegengetreten werden.

Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung vom Philharmonischen Kammerorchester Wernigerode unter der Leitung von MD Christian Fitzner. Die Musikerinnen und Musiker brachte Werke von Dmitri Schostakowitsch (Streichquartett Nr. 8), Gideon Klein (Patita für Streicher) und John Williams (Thema aus dem Film „Schindlers Liste“) zu Gehör.