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Plenarsitzung

„Wir werden es nicht noch einmal zulassen“

Der 27. Januar steht als internationaler Holocaustgedenktag im Zeichen der Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs, heute aber auch als Mahnmal gegen Gewalt, Antisemitismus und Rassismus.

Landtag und Landesregierung erinnern in jedem Jahr an die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte, insbesondere auch an die Verbrechen, die im Namen der NS-Ideologie auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt begangen worden sind.

Als Ort der Erinnerung bietet die Gefängnisanstalt „Roter Ochse“ in Halle die Möglichkeit, an einem authentischen Ort der Opfer der NS-Verbrechen zu gedenken. Hunderte Regimegegner hatten in den Zellentrakten zu leiden, fanden schließlich in der Hinrichtungskammer den Tod durch das Fallbeil. Landtag, Landesregierung und zahlreiche gesellschaftliche Institutionen des Landes erinnerten mit einer Kranzniederlegung an die Schrecken des Krieges und die Verbrechen gegen die Menschheit.

Die anschließende Gedenkstunde fand in den Franckeschen Stiftungen Halle (Saale) statt. Für die dortige sehr würdevolle musikalische Umrahmung sorgte das Jugend-Kammerorchester der Latina August Hermann Francke unter der Leitung von Henry Ventur.

Höhen und Tiefen der Geschichte

Prof. Dr. Helmut Obst, Vorsitzender des Kuratoriums der Franckeschen Stiftungen, begrüßte die Gäste der Gedenkstunde zum Holocaustgedenktag im alten Bet- und Singesaal der Stiftungen in Halle (Saale). Auch die Geschichte der Franckeschen Stiftungen kennten Höhen und Tiefen, die mit der Geschichte des Landes verbunden seien. Ein äußerlicher wie innerlicher Verfall der Werte habe während der beiden totalitären Systeme stattgefunden. Die eigene Historie sei gut aufgearbeitet worden, ein Gedenkstein erinnere seit 2000 an die Opfer. Obst rief dazu auf, sich vor überheblichen Urteilen gegenüber der Eltern- und Großelterngeneration zurückzuhalten und stattdessen wachsam zu sein und es besser zu machen.

Besser fragen als schweigen

Der Holocaustgedenktag 2017 finde auf den Tag genau 72 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee statt, sagte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff zu Beginn seiner Ansprache. Auschwitz sei zum Symbol für die Fähigkeit des Menschen zum Unmenschlichen geworden. „Die Nazis machten aus Europa einen Kontinent der allgegenwärtigen Gewalt; die NS-Geschichte ist zugleich auch eine Geschichte ihrer Lager“, so Haseloff weiter. „Aber was sagen Zahlen aus? Sie bleiben abstrakt. Sie schweigen, wenn es darum geht zu berichten, wie der Tod über die Opfer kam.“ Dabei berge jede Zahl eine menschliche Tragödie, so der Ministerpräsident.

Die deutsche Erinnerungskultur demonstriere, dass die Opfer und ihr Leiden und Sterben nicht vergessen seien, Empathie sei unser Zugang zur Erinnerung. „Wir müssen die richtigen und notwendigen Lehren ziehen und im Geiste der Freiheit und Toleranz leben.“ Die Shoa sei „kein Unfall der Geschichte“ gewesen, zu viele hätten hingesehen, aber gleich darauf schnell wieder weggesehen, kritisierte Haseloff. Als Deutsche seien wir angehalten, immer wieder nach dem Warum zu fragen, wie es zu diesen Verbrechen habe kommen können –zur Aufrichtigkeit gehöre die Perspektive der Opfer unbedingt dazu: „Es ist besser zu fragen als zu schweigen!“

Die menschliche Größe der Opfer

„Die Haut der Zivilisation ist sehr dünn“, mahnte der Theologe Dr. h. c. Friedrich Schorlemmer bei seinem Vortrag während der Gedenkstunde zum Holocaustgedenktag in Halle. Man müsse sich allerorten gleichermaßen für die Würde des Menschen einsetzen. Es gebe nämlich keine Sicherheit, dass es das wie vor mehr als 70 Jahren nicht noch einmal geben werde. Man müsse sichergehen, dass keine Leute, die den NS-Politikern ähnlich seien, wieder politische Macht errängen.

„Wir erinnern heute an die Opfer, an jedes einzelne“, sagte Schorlemmer. Es gebe viele andere Tage, an denen wir feiern könnten, was die Nation an großartigen Leistungen in die Weltgeschichte eingebracht hätte. Zu diesem Tag jedoch gehörten die Villa am Wannsee und die brennenden Synagogen und die millionenfache Vernichtung von Menschen. Sich zu erinnern, was gewesen sei, sei das Pfand für die Hilfe und das Vertrauen der Weltgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen. Erinnerung sei nicht nur ein Projekt, sondern gehöre zu unserem Leben dazu.

Schorlemmer rief dazu auf, sich für Völkerverständigung und gleiche Chancen für alle einzusetzen. Die Erinnerung an die Greuel der Vergangenheit indes bleibe wichtig, für die kommenden Generationen müsse bewahrt werden, was die 15-jährige Anne Frank und die so vielen anderen haben erleiden müssen. Immer wieder müsse er auch an Johannes R. Bechers Gedicht „Kinderschuhe aus Lublin“ denken. „Wir erschaudern vor dem, was der Mensch dem Menschen antut“, konstatierte Schorlemmer, „die menschliche Größe der Opfer aber, die dem Gegner von einst die Hand zur Versöhnung reichten, ist ein Wunder des Menschen.“ Die Berichte der Überlebenden würden die Erschütterungen des Lebens bewahren; Faktenwissen allein reiche nicht aus, bliebe aber notwendig.

Es ist nicht nur der Theologe, sondern der Mensch Schorlemmer, der an die moralische Identität mahnt und gegen den zwanghaften Gehorsam aufruft, der zu Tod und Zerstörung führt. „Auschwitz bleibt ein Stachel im Fleisch unserer Geschichte – aber es kommt nicht wieder! Es kommt nicht wieder, weil wir uns gemeinsam dagegen einsetzen! Jeden Einzelnen braucht es dafür!“