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Plenarsitzung

Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen

01. Jul. 2020

Die Masseninfizierungen mit dem Corona-Virus in der Tönnies GmbH haben die mitunter prekären Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie in die Öffentlichkeit gerückt. Um diese ging es am Mittwoch, 1. Juli 2020, in einem Fachgespräch im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration im Landtag von Sachsen-Anhalt, das auf einen Selbstbefassungsantrag der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus dem September 2019 zurückging.

„Raus aus der Schmuddelecke“

Die Firma Tönnies Zerlegungs GmbH sei seit 1990 in Weißenfels tätig, berichtete dessen Geschäftsführer Reinhold Dierkes, im Rahmen der Entsendung sei eine Vielzahl ausländischer Angestellter beschäftigt gewesen. 2015 sei das Unternehmen Tönnies eine Selbstverpflichtung mit der Bundesregierung zum Umstieg auf deutsche Werkverträge eingegangen, ergänzte Andreas Töpfer, diese Umstellung (sie beinhaltet auch die Eingliederung in das deutsche Sozialversicherungssystem) sei im Jahr 2016 abgeschlossen gewesen. Mehr als 2 200 Mitarbeiter/innen seien mittlerweile am Standort Weißenfels beschäftigt, mehr als 800 davon seien deutsche Mitarbeiter. Viele der rund 1 700 Werkvertragsmitarbeiter/innen würden in und um Weißenfels zuhause sein. Der Standort Weißenfels verfüge über 18 Betriebsräte, eine Jugendvertretung und auch 25 Auszubildende. Es herrsche eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Werkvertragspartnern vor, dies betreffe unter anderem die Bereiche Arbeitszeit, Lohn, Arbeitssicherheit und Unterkunftsmöglichkeiten. Die momentane Kritik sei überzogen, so Töpfer.

Das Stellen in die Schmuddelecke führe dazu, dass die Rekrutierung von Mitarbeitern kaum mehr möglich sei, monierte Personalleiter Martin Bocklage von der Firma Tönnies. „Die Werkverträge wird es in dieser Form wie heute nicht mehr geben“, das Unternehmen arbeite an Verbesserungen bei der Beschäftigung und der Unterbringung der Mitarbeiter/innen. Die Firma Tönnies spreche sich zudem jetzt für einen allgemeinen Branchendienstlohn aus. Man agiere nicht „am untersten Rand des Erlaubten“. Dies freilich sehen Beschäftigtenvertreter des Unternehmens anders.

„Wir reden hier von Menschen“

Versuche man, mit Werkvertrags-Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen, senke sich oft eine Glocke der Angst über die ausländischen Kolleginnen und Kollegen, kritisierte Jörg Most von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Werkverträge beinhalteten oftmals Wechsel der Arbeitsstelle und des Wohnorts, oft seien sie sogar an Mietverträge gekoppelt. „Die Beschäftigten haben keine Chance, ihre eigenen Geschicke in die Hand zu nehmen und ihre eigenen Arbeitsbedingungen zu verbessern“, denn die vor Ort agierenden Betriebsräte seien nicht für Werkvertragsarbeiter zuständig. „Werkverträge in dieser Größenordnung wie in der Fleischindustrie darf es nicht mehr geben“, so Most. „Wir reden hier von Menschen, die arbeiten und ihre Familie versorgen wollen.“ Die Arbeitsbedingungen der letzten Jahre dürfe es nicht mehr geben.

Prüfzahlen werden in 2020 steigen

In der sachsen-anhaltischen Fleischbranche seien vom Hauptzollamt Magdeburg im Jahr 2019 vier Arbeitgeber überprüft worden, knapp über 100 Mitarbeiter seien auf Grundlage der vorgelegten Akten befragt worden, erklärte dessen Vertreter. Die Prüfzahlen würden 2020 erheblich steigen. Es sei jedoch relativ schwierig und aufwendig, Betriebe in der Fleischindustrie vor dem Hintergrund der Werkvertragskonstrukten zu kontrollieren. In der Fleischindustrie bestehe oft ein fester betriebseigener Standort, dieser weise aber wenig eigenes Personal vor, stattdessen gebe es viele Leiharbeiter und Werkvertragsarbeiter. Diese Strukturen gingen oft mit einer Verknappung beim Kündigungsschutz, bei der Arbeitssicherheit und bei den Kosten für Schutz- und Hygienebekleidung einher.

„Prekäre Bedingungen sind keine Einzelfälle“

Die prekären Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie seien schon lange bekannt, hauptsächlich betreffe dies osteuropäische Arbeiter, konstatierte Geschäftsführer Benjamin Gehne vom Projekt „Beratung migrantischer Arbeitskräfte“. Dieses betreibt Beratungsarbeit und behördenübergreifende Netzwerkarbeit.

Die Beratung ginge außergerichtliche und gerichtliche Wege zur Klärung von Beratungsgegenständen, erklärte Projektleiterin Anne Hafenstein. Ständige Schwerpunkte seien die mangelhafte Erfassung der Arbeitszeit, Fragen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (oder eher Kündigung im Krankheitsfall?), Fragen nach zustehendem Urlaub (der nicht immer ausreichend gewährt werde), auch die Androhung von Kündigung bzw. die Ausgabe von Aufhebungsverträgen seien ein Dauerthema: beobachtet würden unrechtmäßige fristlose Kündigungen oder einseitig negative Aufhebungsverträge. Oft würden auch Kosten für Arbeitsmaterial (Messer, Schuhe) vom Lohn abgezogen. „Es handelt sich nicht um Einzelfälle“, betonte Hafenstein. Die prekäre abhängige Beschäftigung, also die Werkvertragsstruktur von Tönnies in Weißenfels ermögliche ausbeuterische Strukturen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssten umgehend geändert werden, um gleiche Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten zu erreichen.

Umfassende Systemkontrolle geplant

Das Landesamt für Verbraucherschutz habe in den letzten fünf Jahren 491 Betriebsstätten geprüft, sagte dessen Vertreter. Schwerpunkte seien hier die Einhaltung der Arbeitssicherheit und der Arbeitszeit, aber auch die Einhaltung des Arbeitsschutzstandards hinsichtlich Covid-19 gewesen. Eine werktägliche Arbeitszeitüberschreitung sei am häufigsten zu bemängeln gewesen. Eine erneute Schwerpunktüberprüfung sei nun in der Fleischindustrie geplant; die Überprüfungen sollen im letzten Quartal 2020 und im ersten Quartal 2021 durchgeführt werden. Bei der umfassenden Systemkontrolle käme es zum Austausch mit Behörden und anderen Institutionen.

Erwartungsgemäß wird sich der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration in seinen weiteren Sitzungen erneut mit den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie in Sachsen-Anhalt beschäftigen.