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Plenarsitzung

Strukturelle Nachteile von Frauen abbauen

16. Aug. 2019

Im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung des Landtags von Sachsen-Anhalt wurde am Freitag, 16. August 2019, eine öffentliche Anhörung zum von der Fraktion DIE LINKE im Februar dieses Jahres vorgelegten Parité-Gesetz durchgeführt.

Hintergrund: Der Anteil der Frauen in der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt beträgt etwas mehr als 50 Prozent. Im Landtag beispielsweise waren es seit 1990 jedoch nie mehr als ein Drittel (derzeit 21 Prozent). Um das zu ändern, soll auf Basis des Gesetzes eine paritätische Zusammensetzung der Verfassungsorgane des Landes Sachsen-Anhalt mit Frauen und Männern sichergestellt werden. Der Landtag von Brandenburg hatte kürzlich ein solches Parité-Gesetz beschlossen.

Nach der Ersten Beratung im Februar 2019 war der Gesetzentwurf (Drucksache 7/3968) in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung (federführend) sowie in den Ausschuss für Inneres und Sport (mitberatend) überwiesen worden. Ersterer hatte sich auf die Durchführung einer Anhörung verständigt.

Der Frauenanteil im Landtag von Sachsen-Anhalt beträgt aktuell nur rund 21 Prozent, dabei liegt er im Land insgesamt bei über 50 Prozent. Grafik: Landtag

Redebeiträge aus der öffentlichen Anhörung

Der Gesetzentwurf richte sich gegen die strukturelle Diskriminierung von Frauen in parteiinternen Nominierungsvorgängen und trage zur Sicherung der gleichberechtigten Teilhabe bei der politischen Vertretung bei, erklärte Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski von der Universität Kassel (Öffentliches Recht). Der Zusatz im Gesetz für die paritätische Besetzung politischer Gremien (Landtag, Landesregierung, Landesverfassungsgericht) oder Wahllisten sei verfassungskonform, konstatierte die Rechtsexpertin. Er würde nur das Recht auf Chancengleichheit unterstreichen.

Es sei nicht zwingend erforderlich, die Landesverfassung zu ändern, um das vorgelegte Gesetz verfassungsgemäß auszugestalten, kommentierte Prof. Dr. Jelena von Achenbach von der Justus-Liebig-Universität Gießen (Öffentliches Recht). Dem Gesetzgeber sei ein relativ weiter Spielraum bei der Ausgestaltung des Wahlrechts eingeräumt. Er habe verschiedene Möglichkeiten, die Wahlrechtsgrundsätze zu konkretisieren oder aber auch einzuschränken – insbesondere um die mangelnde Gleichberechtigung von Frauen und Männern und so strukturelle Ungleichbehandlungen (bei Kandidatur und Mandat) auszuräumen.

Prof. Dr. Karl-Albrecht Schachtschneider, emeritierter Staatsrechtslehrer und Mitglied im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, hält den Entwurf des Parité-Gesetzes für verfassungswidrig, denn: „Es geht nicht um Gleichheit, denn die Menschen sind nicht gleich“, konstatierte Schachtschneider. Frauen seien durch die geltenden Gesetze (zum Beispiel Wahlgesetz) keineswegs ungleichberechtigt. Dass weniger Frauen in Parlamenten seien, heiße nicht, dass sie nicht die gleichen Chancen gehabt hätten, dass sie hätten gewählt werden können, so Schachtschneider.

„Das Ziel, dass Frauen stärker in den Volksvertretungen vertreten sind, steht außer Frage“, betonte Prof. Dr. Martin Morlock, Emeritierter Professor für Öffentliches Recht, es müsse jedoch geklärt werden, ob Paritätsregelungen zulässig seien oder nicht. Morlock hält dies für nicht gegeben, denn Rechte und Pflichten dürften nicht von einer Gruppenzugehörigkeit abhängen, man habe nicht Rechte als Frau oder Mann, sondern als Mensch. Wenn die Landesverfassung geändert werden soll (Artikel 1 des Gesetzentwurfs), eigneten sich Möglichkeitsbestimmungen nicht – denn die politischen Gremien könnten bereits jetzt paritätisch besetzt werden. Eine erzwungene paritätische Besetzung von Gremien (zum Beispiel der Landesregierung) sei apolitisch gedacht und lebensfremd, so Morlok.

Die Möglichkeit einer paritätischen Besetzung politischer Gremien bestehe bereits, konstatierte auch Alexander Hobusch von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Verfassungsrechtliche Beeinträchtigungen hinsichtlich des Grundsatzes der freien Wahl erkannte er beispielsweise im Bereich gesetzlich gesteuerter paritätisch besetzter Parteilisten und Wahlkreise. Die Gleichheit der Chancen (bei Wahlen) führe nicht automatisch auch zu einer Ergebnisgleichheit. Grundsätzlich sei zu beobachten, dass der Frauenanteil in den Parteien zu niedrig sei, daraus resultiere für Hobusch die geringe Zahl an weiblich besetzten Wahllistenplätzen.

Das Menschenrecht sei bis heute vom (weißen) Mann gemacht, erkannte Katharina Miller vom Deutschen Juristinnenbund e. V. Die Europäische Union habe aber unlängst eine Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter erstellt, um geschlechtsspezifische Unterschiede in Entscheidungsprozessen auszuräumen. Die EU lege ihren Mitgliedsstaaten nahe, Quotengesetze für eine höhere Beteiligung von Frauen in Parlamenten einzuführen. In Spanien gebe es beispielsweise eine Flexiquote, alle Parteien hätten dabei das Reißverschlussverfahren angewandt (dadurch hohe Frauenquote), so Miller.

Der Schritt des Gesetzentwurfs sei politisch geboten, betonte Daniela Suchantke für den Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt und die LAG Kommunale Gleichstellungsbeauftragte, nicht nur vor dem Hintergrund von „100 Jahre Frauenwahlrecht“. Es bestehe ein alternativloser Handlungsbedarf für eine geschlechterparitätische Besetzung politischer Gremien, diese machte die Demokratie besser und zukunftsfest, so Suchantke. Strukturelle Benachteiligungen von Frauen bestünden nach wie vor, der Staat müsse die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern herstellen. An verschiedenen Quoten-Konzepten mangele es nicht, gleichwohl an deren Umsetzung, kritisierte Suchantke. Daher spreche sich der Landesfrauenrat für ein Parité-Gesetz aus.

Es sei erstaunlich, dass einige Angehörte die strukturelle Benachteiligung von und die mangelnde Chancengerechtigkeit für Frauen infrage stellten, gleichwohl klare statistische Daten vorlägen, die diese bestätigten, sagte Dr. Andrea Blumtritt, Landesbeauftragte für Frauen-​ und Gleichstellungspolitik in Sachsen-Anhalt. Studien wiesen nach, dass – wenn es in den Parteien zur Aufstellung von Wahllisten komme – Frauen Nachteile durch ein signifikant geringeres Unterstützungsniveau in der jeweiligen Partei hätten. Im Wahlgesetz müsse sichergestellt werden, dass nominierte Frauen nicht von der Liste weggewählt werden könnten, zitierte Blumtritt die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach. Besondere Wichtigkeit komme hier der Vergabe von Direktmandaten an Frauen zu. 

Der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung wird sich in seinen kommenden Beratungen weiter mit dem Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE beschäftigen. Ziel ist, eine Beschlussempfehlung zu erstellen, die dem Landtag zur Abstimmung vorgelegt wird.