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Plenarsitzung

Volkstrauertag: „Über Gräber weht der Wind“

18. Nov. 2018

Im Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt und auf dem Magdeburger Westfriedhof wurde am Sonntag, 18. November 2018, in einer Gedenkstunde im Rahmen des Volkstrauertags der Millionen Opfer von Krieg und Vertreibung gedacht. In diesem Jahr stand das Gedenken unter einem besonderen Aspekt: das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Die Gedenkrede hielt Staatsminister a.D. Dr. Wolfgang Gerhardt.

Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung vom Vokalkreis und Musikern des Konservatoriums „Georg Philipp Telemann“ Magdeburg. Rezitationen von Texten von Kriegsteilnehmern sprachen Annemarie Braatz, Amro Al Zouabi und Cass Bluszis vom Jugendarbeitskreis des Landesverbands des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch erinnerte an das Ende des Ersten Weltkriegs (1914–1918) vor 100 Jahren, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Freiheit, Frieden und demokratische Strukturen seien auch heute keine Selbstverständlichkeit, mahnte Brakebusch. Die politische Lage sei in zahlreichen Ländern instabil, global betrachtet lebten wir in Sachsen-Anhalt in einer geradezu privilegierten Situation. „Wir sind gefordert, für unsere Demokratie zu streiten, ihre Werte machen unser Leben lebenswert und menschlich.“

„Lassen Sie uns in den Frieden ziehen!“

Der Volkstrauertag mache uns erinnern an den Wert des Leben, konstatierte Dieter Steinecke, Vorsitzender des Landesverbands Sachsen-Anhalt im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Zu viele hätten aus der Geschichte nicht gelernt, Fremdenfeindlichkeit werde wieder salonfähig gemacht. „Das muss uns beschämen und nachdenklich machen und zum Handeln auffordern.“ Fehlende Empathie, bürgerliche Enge, Geschichtsvergessenheit bildeten den Nährboden für Hass und Gewalt.

Es gelte, solidarisch füreinander einzustehen, das große Ziel müsse sein, Krieg, Terror und Rassismus zu beenden und auch den inneren Frieden herbeizuführen. Frieden und Freiheit blieben ein Wagnis, das jeden Tag aufs Neue erstritten werden müsse. Frieden sei nicht ansteckend, nur Krieg breite sich aus wie eine Epidemie. Es bedürfe der Kraft der Vergebung auf allen Seiten, sagte Steinecke: „Lassen Sie uns gemeinsam in den Frieden ziehen!“

„Wegschauen ist kein ethischer Horizont“

Der Volkstrauertag sei einer der stillen Tage in Deutschland, sagte Wolfgang Gerhardt. Er selbst habe seinen Vater nie kennengelernt, sein ersten Treffen mit ihm habe an dessen Grab auf einem Soldatenfriedhof stattgefunden. In diesem Zuge habe er sich auch mit Kommandoorten der Nazis auseinandergesetzt und sie besucht.

„Wie viele Hunderttausende Menschen hätten weitergelebt, wenn Stauffenbergs Attentat gelungen wäre“, fragte er sich seinerzeit. Große Fassungslosigkeit sei über ihn gekommen, „was wir uns selber und anderen angetan haben und was nie mehr – und das zu Recht – aus dem Gedächtnis der Menschen weicht“. Krieg und Gewalt hätten nie eine vernünftige Kosten-Nutzen-Relation, nein, alle hätten dabei verloren, immer.

„Wegschauen ist kein ethischer Horizont“, betonte Gerhardt. „Wir müssen Menschen helfen, deren eigene Staaten ihnen nicht helfen oder sie auch nur beschützen können.“ Die Menschen seien vielerorts unfähig geworden, miteinander zu leben – warum sonst gebe es Abspaltungsbestrebungen auch in Ländern Europas?, fragte Gerhardt. Viele Konflikte basierten auf jahrhundertealten Zerwürfnissen, die nicht aufgearbeitet worden seien.

Dennoch, neben der europäischen Friedenspolitik nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gebe es nichts Vergleichbares auf der Welt, das so auf Versöhnung und Austausch setze. Das europäische Miteinander, die Europäische Union – „es geht nur so, wenn zukünftige Konflikte vermieden werden sollen“. Noch sei sie nicht die Gestaltungskraft, die sie habe werden sollen, spaltende Kräfte seien wieder stärker geworden, kritisierte der frühere hessische Staatsminister.

„Wenn wir Europa nicht hätten, müssten wir es erfinden. Wir müssen es verbessern, wenn wir Frieden und Freiheit erhalten wollen“, eine gewisse Eigenbeteiligung und Eigenverantwortung seien dafür aber nötig. Der Volkstrauertag sei ein Tag, an dem wir der Toten und Verfolgten gedenken, aber auch ein Tag, „an dem wir nach vorn blicken und wir schauen, was noch zu tun ist, damit sich die Schrecken des Krieges nicht wiederholen“.

Ein Baum als Zeichen des Lebens 

Jugendliche Strafgefangene aus der Haftanstalt Raßnitz hatten für den Volksbund hölzerne Kreuze und Davidssterne angefertigt, die zum Gedenken an die Millionen Kriegstoten auf dem jüdischen Friedhof und dem Westfriedhof in Magdeburg hinterbracht wurden. Zudem hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zum Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren einen Baum gestiftet, der unweit des Gräberfeldes für die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs auf dem Westfriedhof gepflanzt worden ist. Ihn ziert eine Plakette mit dem Gustav-Heinemann-Zitat: „Frieden ist kein Naturprodukt, er wächst aus menschlichem Handeln.“