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Plenarsitzung

Klares Bekenntnis zum Gedenken an die Opfer

Per Antrag der Fraktion DIE LINKE sollte sich der Landtag zu einem würdigen Gedenken an die Novemberpogrome von 1938 bekennen. Der Landtag sollte allen Akteurinnen und Akteuren oder politischen Gruppierungen, die die Singularität dieses Menschheitsverbrechens in Abrede stellen oder dieses in anderer Form zu relativieren suchen, in dieser Form widersprechen. Zudem sollte er sich dazu bekennen, aus diesem Teil der deutschen Geschichte verantwortliche Lehren für Gegenwart und Zukunft zu ziehen und gruppenbezogener Ausgrenzung, Stigmatisierung oder Diskriminierung entgegenzutreten.

Die Koalitionsfraktionen brachten einen Änderungsantrag ein, durch den der Ursprungsantrag unter anderem durch einen Passus zur Wertschätzung von Gedenk-Aktivitäten von Bürgerinnen und Bürgern und der Begrüßung des Baus einer Synagoge in Magdeburg ergänzt wurde.

Nach der Reichspogromnacht 1938: Zerstörtes Geschäft in Magdeburg. Foto: Archiv

Bruch mit der Zivilisation

Der bevorstehende 9. November sei in Deutschland geradezu überladen mit historischen Bezügen, erklärte Thomas Lippmann (DIE LINKE). Der 9. November 1989 habe eher zufällig stattgefunden, anders als der Hitlerputsch 1923. Denn nichts war den Rechtsextremen verhasster als die fünf Jahre vorher stattgefundene Novemberrevolution 1918. „Es konnte also kein besseres Datum geben, um die Weimarer Republik zu stürzen“, so Lippmann.

Der Fraktionsvorsitzende der Linken erinnerte an die Verbrechen der Nationalsozialisten seit deren Machtergreifung 1933, insbesondere an die Vertreibung, Inhaftierung und Ermordung der europäischen Juden. Die permanente Hetze der Nazis habe über die Jahre hin gewirkt. „Die meisten sahen einfach weg“ – ein Erfolg der Propaganda der Freund-Feind-Logik.

„Die Verbechen der Nazis sind kein ‚Vogelschiss‘ und sie werden es auch nie sein.“ Diese Verbrechen seien in das nationales Erbe eingegangen. „Wir werden dafür sorgen, dass sie sich nie wiederholen.“ Heute werde von den ewig Gestrigen immer öfter versucht, die Sprache des Dritten Reiches wiederzubeleben und die Verbrechen zu relativieren oder zu verharmlosen. „Wir dürfen nicht wieder wegschauen!“, forderte Lippmann. Der 9. November 1938 sei nicht zuletzt ein Mahnmal für den Bruch mit der Zivilisation.

Katastrophe vor der Katastrophe

„In dieser Nacht gingen nicht nur Synagogen und Geschäfte zu Bruch, sondern es war die Katastrophe vor der Katastrophe – nach der Reichspogromnacht 1938 führte ein direkter Weg nach Auschwitz und zu den anderen Konzentrationslagern“, konstatierte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (CDU).

Die Errungenschaften der Zivilisation seien leicht zu gefährden. Dieses Erinnern sei keine Sache des Wollens. Der Fall Hitler lehre, wie rasch eine Demokratie aus den Angeln gehoben werden könne. „Die Erinnerung an die Verbrechen ist ein moralischer Imperativ und unbedingte Verpflichtung, sie verjährt nicht und kann nicht bewältigt werden“, so Haseloff.

Es gelte, verantwortlich mit unserer Freiheit umzugehen. Zukunft gewinne man aus dem Wissen um die Vergangenheit. Der Triumph des Bösen könne nur gelingen, wenn die Guten nichts tun, „zu viele schauten damals weg, aber wer wissen wollte, konnte wissen“, so Haseloff. „Wir schulden diese Erinnerung zuletzt auch uns selbst“, sie trage zur Bildung von Toleranz und gegenseitigem Respekt bei.

Ursachen für Antisemitismus bekämpfen

Der Ereignisse im November 1938 müsse gedacht werden, sagte Oliver Kirchner (AfD). So etwas dürfe nie wieder passieren. Er lehne diesen staatlichen und gesellschaftlichen Terror gegen Menschen ab. Die Ursachen für den Antisemitismus – ob von christlicher, links- oder rechtsextremistischer oder islamistischer Seite – müssten im Hier und Jetzt bekämpft werden. Zu einem Gedankenaustausch der AfD mit dem Landesverband jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt sei es bisher nicht gekommen. Dies solle nun gemeinsam mit allen Landtagsfraktionen eingerichtet werden.

Verbrechen vor aller Augen

Das Dokumentationszentrum Feldscheune Isenschnibbe (Gardelegen) werde exemplarisch verdeutlichen, mit welch krimineller Energie noch in den letzten Stunden des Regimes Menschen vernichtet worden seien, sagte Dr. Katja Pähle (SPD).

Ob Reichspogromnacht oder Massenmord in Isenschnibbe – es habe sich bei beiden Ereignissen und allen anderen Mordaktionen um Verbrechen vor aller Augen gehandelt. Der Pogromnacht sei die systematische Ausgrenzung der Jüdinnen und Juden aus der Gesellschaft vorausgegangen. Verdiente Kollegen seien verschwunden, behinderte Familienangehörige seien plötzlich verstorben, Menschen seien in Viehwaggons deportiert, auf Todesmärschen seien Menschen durch die Städte und Dörfer getrieben worden.

„Wir müssen uns gegen alle Formen von Antisemitismus wehren, eine harmlose Form gibt es nicht.“ Die Erinnerung an die Shoa müsse wachgehalten werden, aber genauso müsse das jüdische Leben in der Gesellschaft von heute unterstützt werden.

Aus Erinnern muss Handeln werden

„Der 9. November 1938 steht inmitten eines unglaublichen völkischen Rassismus“, sagte Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Der Holocaustüberlebende Primo Levi habe es trefflich formuliert: „Es ist geschehen und so kann es auch wieder geschehen“, zitierte Striegel. Die Nazis hätten „Worte in Arsendosen verwandelt“, nur so habe der Hass und die Gewaltbereitschaft einer aufgebrachten Minderheit auf die Mehrheit überschwappen können. „Die Mehrheit der Bevölkerung schaute und duckte sich weg. Wir dürfen einer solchen Gleichgültigkeit nie wieder Raum geben.“

In einer Zeit, da einige wenige die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben versuchten, reiche es nicht, Gedenkstunden abzuhalten. „Aus dem Erinnern muss ein Handeln werden, das Nie-Wieder muss Wirklichkeit werden“, so Striegel. Er forderte dazu auf, für eine offene und solidarische Gesellschaft einzutreten.

Übergang zur systematischen Verfolgung

Der deutsche Antisemitismus sei spätestens mit der Machtergreifung der Nazis staatlich gefördert und stabsmäßig umgesetzt worden, erinnerte Andreas Schumann (CDU). Die deutschen Medien hätten seinerzeit zudem eine nie da gewesene antisemitische Hetzkampagne gefahren.

Die Pogrome vom November 1938 seien der Übergang von der Diskriminierung zur systematischen Verfolgung der Juden in Deutschland und Europa gewesen, erklärte Schumann. Er forderte eine bleibende Erinnerung an die Opfer, aber auch an die Täter, um sie also solche benennen und in die historischen Zusammenhänge einordnen zu können. „Auch heute ist Antisemitismus weit verbreitet – dies darf der Rechtsstaat in Deutschland nicht zulassen!“

Der Antrag der Linken wurde in der durch den Änderungsantrag der Koalition bearbeiteten Fassung mit den Stimmen von Linken und Koalition angenommen. Die AfD enthielt sich.

Antrag der Fraktion DIE LINKE (PDF)

Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen (PDF)