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Plenarsitzung

Wie viel Bürger braucht die Verwaltung?

Die Enquete-Kommission „Öffentliche Verwaltung konsequent voranbringen – bürgernah und zukunftsfähig gestalten“ beschäftigt sich seit über zwei Jahren mit der Modernisierung der Verwaltung in Sachsen-Anhalt – vor allem vor dem Hintergrund des demographischen Wandels. Einer der Schwerpunkte ist die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen. Dazu führte die Kommission am Freitag, 12. September, eine öffentliche Expertenanhörung zum Thema „Bürgernähe und Bürgerbeteiligung“ durch.

Grundverständnis von Demokratie

„Stuttgart 21“, das große Bahn-Projekt in Baden-Württemberg, habe in der jüngsten Vergangenheit gezeigt, wie wichtig Bürgerbeteiligung sei, erklärte Prof. Dr. Mario Martini von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Die Möglichkeit der Mitbestimmung – in Stuttgart unter anderem durch eine Volksabstimmung – habe aus Betroffenen Beteiligte gemacht. Das Bundesland habe dem Engagement zehntausender Bürger Rechnung getragen. Für Martini bilde dies das Grundverständnis von Demokratie, es stärke das Gemeinwesen und fördert die Kompetenz in Sachen Demokratie. Wie wichtig das Thema Mitbestimmung in Deutschland sei, zeige, dass bei einer Umfrage drei Viertel der Deutschen angegeben habe, die Möglichkeiten der Teilhabe seien nicht ausreichend. Es müsse also zu einer qualitativen Aufwertung bestehender Instrumente kommen, erklärte Martini.

Merkmale einer guten Bürgerbeteiligung – generell und nicht nur bei Großprojekten – sei die Offenheit der Verwaltung, die eine „bürgerliche Inklusion“ betreibe und Informationen niedrigschwellig (auch ohne Nachfrage) bereitstelle. Dazu gehörte seiner Meinung nach auch die digitale Bauleitplanung. So könnten Pläne tagesaktuell online eingesehen werden. Um etwas bewirken zu können, müssten die Menschen zudem frühzeitig in die Projekte eingebunden werden. Es müsse zu einem kontinuierlichen Gedankenaustausch kommen – beispielsweise auf Internetforen, an Runden Tischen oder in Bürgerfragestunden. Klar sollte dabei aber sein, dass „Mitwirkung nicht gleichbedeutend mit Mitbestimmung ist“, sagte Martini. Dennoch unterstütze die Bürgerbeteiligung auch die Arbeit der Verwaltung, da ein Hinweis von außen oft den Blick auf bestehende Probleme schärfe.

Frühzeitige Beteiligung ermöglichen

Im europäischen Vergleich stehe Deutschland mit seiner repräsentativen Demokratie und einer zeitgemäßen Ausgestaltung bestehender Beteiligungsverfahren gut da, erklärte Prof. Dr. Oscar Gabriel vom Institut für Sozialwissenschaften an der Universität Stuttgart. Ein Reformbedarf lasse sich dadurch eher schwer begründen. Dennoch sei der Wunsch nach mehr direkter Demokratie sehr hoch. Wie also könne man die bestehenden Instrumente (direkt: Volksinitiative oder dialogorientiert: Mitwirkung, die nicht zu Rechtsakten führt) so ergänzen, dass sie die Gesetzgebungskompetenz des Parlaments nicht schwächen?, fragte Gabriel. Und bot sogleich einen Lösungsvorschlag: Er erkennt die Möglichkeit der direkten Mitbestimmung nicht als Aushebelung des Parlaments, sondern als Korrektiv. Dieses wiese auf Themen hin, die nach Meinung der Bevölkerung nicht ausreichend im parlamentarischen Prozess behandelt würden.

Bei der Bearbeitung der Mitbeteiligungsmöglichkeiten müsse geschaut werden, wie diese auf den Nutzer wirken: Sind sie leicht anwendbar oder schrecken sie ab – beispielsweise durch zu eng gefasste Themenkataloge oder zu hohe Quoren, also nötige Unterstützer. Schaue man auf die Zahlen von Volksbegehren, Volksentscheiden und Bürgerbegehren (auf kommunaler Ebene), werde man feststellen, dass nur eine geringe Zahl der Initiativen an ihrem jeweiligen Quorum gescheitert sei. Das spreche dafür, diese Quote beizubehalten, so Oscar Gabriel, eine Herabsenkung halte er aber auch für möglich.

Gabriel sprach sich dafür aus, Bürgerinnen und Bürger frühzeitig an Projekten zu beteiligen. Er forderte angemessene Darstellungsformen, ausreichend Dialogveranstaltungen und einen Rechenschaftsbericht der Verantwortlichen, wie mit den Ergebnissen der Bürgerbeteiligung umgegangen worden sei. Da es sich meist um langfristig diskutierte Themen handelt, in die sich Bürger einbrächten, könnte ihre Beteiligung auch zur Beilegung von langandauernden Konflikten beitragen. Bestes Beispiel auch für Gabriel: „Stuttgart 21“. Hier habe ein viele Jahre währender Streit um den möglichen Aus- und Umbau des Bahnhofs beendet werden können.

„Quoren wirken oft abschreckend“

Welche Ziele hinter dem „Mehr Demokratie e. V.“ stecken, kann man leicht von seinem Namen ableiten. Für Dr. Christian Heimann, Unternehmensberater und seit mehr als 20 Jahren Mitglied im Verein, gibt es Defizite bei der Bürgernähe der Verwaltung. Im Grunde sei die Verwaltung ein „monopolistischer Anbieter öffentlicher Leistungen“. Heimann forderte, den Weg zur „Bürgerkommune“ zu ebnen, in der der Bürger Kunde, die Verwaltung Dienstleister sei. Um mehr Beteiligung – vor allem im kommunalen Bereich – zu ermöglichen, spricht sich der Verein für eine Absenkung der Quoren und für eine Erweiterung der Themen aus, über die überhaupt mitbestimmt werden darf.

Christian Heimann erklärte, dass die eingeforderten Quoren (Mindestzahl an Unterstützern) oft abschreckend wirken, dies führe zu einer Schwächung der Bürgerbeteiligung. Themen müssten zudem extrem medial und emotional aufgeladen sein, um die nötigen Unterstützer zu binden. Dies gelte es zu ändern.

Die Enquete-Kommission „Öffentliche Verwaltung konsequent voranbringen – bürgernah und zukunftsfähig gestalten“ wird ihre Beratungen in den kommenden Monaten fortsetzen. Ein zweiter Zwischenbericht ist bereits in Vorbereitung. Anhörungen wird es nicht mehr geben. In den weiteren Sitzungen wird es um die Auswertung des gesammelten Materials gehen.