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Plenarsitzung

Transkript

Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Zunächst, Herr Abg. Büttner, muss ich feststellen, Sie haben nicht zu Ihrem eigenen Antrag gesprochen.

(Zustimmung)

Ich vermute einmal, Sie nehmen ihn selbst nicht ernst und lehnen ihn anscheinend auch inhaltlich ab; ansonsten hätten Sie ja versucht, ihn hier zu verteidigen. Für den Fall, dass Sie noch nicht ganz in Ihrer Meinung gefestigt sind, will ich Ihnen darlegen, wieso dieser Antrag abzulehnen ist.

Was versuchen Sie hiermit? - Sie versuchen, mit diesem Antrag zu suggerieren, die Demokratie in Deutschland sei in Gefahr, die Versammlungsfreiheit in Deutschland sei in Gefahr und irgendwer müsste das Grundgesetz stärken. Genau das Gegenteil ist der Fall.

(Zustimmung)

In Sachsen-Anhalt sind die Versammlungs- und auch die Meinungsfreiheit durch das Grundgesetz und durch die Landesverfassung garantiert. Das sind unveräußerliche Grundrechte jedes einzelnen Menschen, der in unserem Land lebt. Das galt und gilt noch immer, auch in Zeiten der Pandemie. Niemand muss auch nur im Ansatz Sorge haben, dass sich daran etwas ändert.

(Zustimmung)

Tatsache ist doch - das haben Sie eigentlich selbst gesagt  , dass in den letzten Wochen Versammlungen unter freiem Himmel auch in Sachsen-Anhalt stattfinden, bei denen Menschen ihre Meinung gegen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung und auch der Landesregierung kundtun. Sie machen also ganz offensichtlich von dem Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ganz selbstverständlich Gebrauch.

Ich sage auch, dass wir uns in der Landesregierung sehr frühzeitig und sehr bewusst dafür entschieden haben, der Versammlungsfreiheit auch während der Coronapandemie breiten Raum zu geben. Andere Bundesländer sind teilweise einen anderen Weg gegangen. Der Freistaat Sachsen hatte z. B. bis Anfang dieses Jahres geregelt, dass alle Versammlungen ausschließlich ortsfest zulässig sind und auf eine Teilnehmerzahl von maximal zehn Personen begrenzt sind. - Solche Beschränkungen gab es in Sachsen-Anhalt zu keinem einzigen Zeitpunkt und sind auch nicht vorgesehen.

(Zustimmung)

Dass Versammlungen unter freiem Himmel anzumelden sind, gilt nicht erst seit der Coronapandemie, sondern es stand schon immer im Versammlungsgesetz des Landes. Denn das Versammlungsgesetz unseres Landes regelt die Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit ordnend, damit sich alle Menschen friedlich und ohne Waffen in der Öffentlichkeit versammeln können. Die Anmeldepflicht dient vor allem dem Schutz der Versammlung selbst, da dadurch Versammlungsrouten abgestimmt werden können, der Straßenverkehr entsprechend geleitet werden kann und insgesamt ein friedlicher Verlauf der Versammlung sichergestellt werden kann.

Ich will eines ganz unmissverständlich klarstellen - das klingt auch in Ihrem Antrag an: Eine Demokratie- und Freiheitsbewegung, wie Sie die Coronaproteste nennen, erkenne ich nicht einmal im Ansatz.

(Beifall)

Wenn Sie die aktuellen Coronaproteste damit in die Nähe der wahren Demokratie- und Freiheitsbewegung von 1989 rücken wollen, dann sage ich: Das ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die im Jahr 1989 auch in Sachsen-Anhalt auf die Straße gegangen sind.

(Beifall)

Die Menschen, die im Jahr 1989 auf die Straße gegangen sind, sind genau diejenigen, die die Demokratie- und Freiheitsrechte erkämpft haben, von denen jetzt so selbstverständlich Gebrauch gemacht wird.

Ich glaube, es muss auch daran erinnert werden, dass im Herbst 1989 die Menschen erst in die Kirchen und dann auf die Straßen gegangen sind. Jede und jeder Einzelne musste damit rechnen, anschließend abgeführt und von der Staatssicherheit verhört zu werden.

(Zustimmung)

Die Menschen hatten damals Angst vor einer chinesischen Lösung, nachdem die SED-Führung offen Sympathie für das Vorgehen der Kommunistischen Partei auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking gezeigt hat. Deswegen will ich es für heute so formulieren: Wer sich heute in Deutschland und auch in Sachsen-Anhalt friedlich versammeln will, der muss doch allenfalls Sorge haben, dass es regnet und der Anorak nass wird.

(Beifall)

Wir leben nicht in einer Coronadiktatur.

(Zustimmung)

Wir leben in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Versammlungsbehörden und Polizei sind an Recht und Gesetz gebunden; ihr Handeln unterliegt der Überprüfbarkeit durch unabhängige Gerichte. Das heißt, keine Bürgerin und kein Bürger ist staatlichen Maßnahmen schutzlos ausgeliefert.

Ich will zum Schluss meiner Rede auf den letzten Punkt Ihres Antrags eingehen. Die Polizei im Land Sachsen-Anhalt hat sich nie einer friedlichen Meinungskundgabe in den Weg gestellt. Wieso auch? Die friedliche Versammlung ist Kern des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Deshalb arbeiten die Versammlungsbehörden und auch die Polizei seit Wochen permanent unter hohem Druck daran, die vielen Versammlungen angemessen abzusichern und zu begleiten. Ich glaube, es bedarf keiner Belehrung vonseiten Ihrer Fraktion, wie sie ihre Arbeit zu tun haben.

(Zustimmung)

Ich will auch all denjenigen, die sich in den vergangenen Wochen nicht angemeldeten Versammlungen angeschlossen haben, diese teilweise organisiert und begleitet haben, deutlich sagen, dass sie bedenken müssen, dass sie mit diesen unangemeldeten Versammlungen auch in Grundrechtspositionen anderer Menschen eingreifen. Denn wenn, wie es in den letzten Wochen vorgekommen ist, bspw. Straßenbahn nicht mehr fahren können, weil Versammlungsteilnehmer die Straßen und auch die Straßenbahngleise nutzen, dann führt das dazu, dass die eine oder der andere nach der Arbeit nicht nach Hause kommen. Insofern wird damit auch in Grundrechtspositionen anderer Menschen eingegriffen. Jeder muss für sich selbst sagen: Wenn ich Freiheitsrechte für mich selbst in Anspruch nehme, dann gebietet es auch, dass ich auf Freiheitsrechte anderer Rücksicht nehme.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Dr. Zieschang, darf ich Sie auf die Redezeit hinweisen?


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Schlussendlich: Es ist Aufgabe der Polizei, friedliche und waffenfreie Versammlungen abzusichern. Dieser Aufgabe kommt sie nach. - Vielen Dank.

(Beifall)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Dr. Zieschang, es gibt eine Frage des Abg. Herrn Siegmund.


Ulrich Siegmund (AfD):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich bin zunächst der Meinung, dass sich hier niemand anmaßen sollte, über die Beweggründe jedes Einzelnen zu urteilen und auch den Zusammenhang zu dem Jahr 1989 nicht herzustellen. Ich weise Sie nur höflich darauf hin, dass der allergrößte Teil der Menschen, die heute auf die Straße gehen, auch damals auf der Straße waren und sehr wohl einen Zusammenhang für sich selbst bewerten können.

(Zuruf: Dreist! Das ist schon wieder eine Nebelkerze!)

Dieses Recht sollte jedem Einzelnen zugestanden werden. Jeder sollte selbst darüber entscheiden dürfen. Das ist mein Standpunkt; das möchte ich klarstellen.

Ich habe eine konkrete Frage. Herr Büttner hat konkrete Vorkommnisse von Gewalt, die wir in Sachsen-Anhalt durch Polizeibeamte erlebt haben und die auf Videomaterial dokumentiert sind, dargestellt. Das haben wir uns nicht ausgedacht. Ich kann Ihnen das jederzeit zeigen. Ich gehe aber davon aus, dass Ihnen diese Aufnahmen vorliegen, die zeigen, wie Polizisten aus dem Zug heraus Passanten umboxen, einfach so und offenbar aus einer Gewaltlust heraus, so zeigt es das Video. Jeder soll sich ein eigenes Urteil bilden.

Ich möchte von Ihnen wissen: Sind Ihnen diese Szenen bekannt? Sind Sie dem nachgegangen? Hatte das Konsequenzen für die Beamten? Wie gehen Sie damit um? Wie möchten Sie sicherstellen, dass sich solche Situationen nie wiederholen?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Ministerin, bitte.


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Ich habe Ihnen gesagt, dass das Handeln von Versammlungsbehörden und auch der Polizei selbstverständlich der Überprüfbarkeit durch Gerichte unterliegt. In dem konkreten Fall ging es um ein Video, um eine Szene, die - darüber haben wir bereits im Innenausschuss gesprochen - mit Bekanntwerden automatisch dazu führte, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet wurde.

(Zustimmung)

Das ist das, was im Rechtsstaat üblich ist und was jeden Tag ganz normal rechtsstaatlich stattfindet.

(Zustimmung)