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Plenarsitzung

Transkript

Ulrich Siegmund (AfD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mittlerweile müsste es eigentlich bei jedem in diesem Land angekommen sein: Die Pflege ist und bleibt die große Herausforderung unserer Zeit. Völlig egal, ob Alten- oder Krankenpflege - der Lösungsvorschlag aller Regierungen, ob auf der Landes- oder auf der Bundesebene, war immer gleich, nämlich die Pfleger zu loben und zu beklatschen. Inzwischen hat es sich aber ausgeklatscht. Die Probleme sind geblieben und sie werden schlimmer.

Aber beginnen wir damit, dieses wichtige Thema Schritt für Schritt zu durchleuchten. Seit Jahrzehnten ist die drohende Katastrophe in der Pflege absehbar gewesen. Es ist nämlich kein Problem, zu berechnen, wie der Bedarf in der Zukunft sein wird und wie viele Menschen ausgebildet werden, wie viele nachkommen, wie viele diesem Beruf weiterhin zur Verfügung stehen. Doch niemand hat die Grundursachen der Schieflage im Pflegebereich in Gänze angesprochen. Zu sehr hat man nämlich darauf vertraut, dass die Probleme sich von allein lösen. Das ist ein Symptom in der Politik allgemein.

Jede Pflegereform musste eigentlich immer mit dem Zusatz „kostenneutral“ auskommen, obwohl allen klar ist, dass jede Reform Geld kostet und dass auch die Pflege Geld kosten muss und darf. Es war eine mathematische Gewissheit, dass wir die Pflege ausbauen müssen; denn es leben immer mehr ältere Menschen in diesem Land. Auf immer mehr ältere, zunehmend multimorbide Menschen kommen immer weniger jüngere, schon rein quantitativ, die überhaupt zur Verfügung stehen und diesen wertvollen und wichtigen Beruf ausüben könnten.

Hier haben wir das Grundproblem, das niemand anspricht. Es ist ein Symptom in dieser Politik, dass man sich immer an der Oberfläche abarbeitet. Niemand geht in die Tiefe, niemand greift bis heute das auf, was mit voller Wucht zuschlagen wird: Dieses Land steuert auf eine demografische Katastrophe zu.

Sie haben es seit der Wende in diesem Bundesland nicht hinbekommen, die Kitas kostenlos zu gestalten. Was viele andere Länder als einen wichtigen Punkt erkannt haben, das haben Sie nicht geschafft. Sie wollten es nicht schaffen; Sie haben andere Prioritäten gesetzt. Sie möchten bis heute auch kein kostenloses Mittagessen für alle Kinder. Das haben wir erst vor einem Monat gesehen. Auch das möchten Sie nicht; auch hierbei setzen Sie die Prioritäten woanders.

So kann man eine Stellschraube nach der anderen drehen, wie man möchte. Wenn man nur auf der Oberfläche arbeitet und immer nur an irgendwelchen Stellschräubchen dreht, aber nie das Grundproblem angeht, dann wird man die Lage langfristig niemals lösen.

(Zustimmung)

Es gibt aber noch ein anderes Grundproblem, nämlich die Arbeitsbedingungen. Allein im vergangenen Jahr haben in Deutschland mehr als 10 000 Menschen diesen wichtigen und wertvollen Beruf verlassen, weil sie mit den Arbeitsbedingungen nicht mehr zurechtkamen. Fangen wir einmal bei dem Grundproblem an. Was war mit dem Geld? - Es hat viel zu lange gedauert, bis es eine adäquate Bezahlung in der Pflege gab. Der Weg ist richtig   das muss man hier auch einmal festhalten  , aber es war viel zu spät. Es war viel zu viel Zeit verstrichen. Man hätte viel früher umsteuern müssen, um junge Leute für diesen Beruf zu motivieren, die uns heute zur Verfügung hätten stehen können.

Aber   das ist eine ganz entscheidende Aussage   viele Pfleger treffen ihren Berufswunsch nicht wegen des Geldes. Niemand geht doch in die Pflege, weil er sagt: In drei Jahren bin ich Millionär. Das macht doch kaum jemand. Der Anreiz dafür, dass ein Mensch in die Pflege geht, ist in der Regel ein anderer: Jemand geht in die Pflege, weil er selbstlos ist, weil er Nächstenliebe besitzt, weil er einen Dienst an dieser Gesellschaft leisten möchte, weil er mit Menschen zusammenarbeiten möchte, weil er Menschen helfen möchte.

Das Problem in der aktuellen Zeit ist, dass dieser Anreiz dafür, dass Menschen in die Pflege gehen, dass sie sich für diesen wichtigen und tollen Beruf motivieren, nicht mehr zum Tragen kommt. Es funktioniert nicht mehr. Das Personal muss immer hastiger arbeiten. Immer mehr Patienten müssen in gleicher Zeit von immer weniger Menschen versorgt werden. Damit bleibt auch immer weniger Zeit für das Zwischenmenschliche, das für die Pflege so elementar und wichtig ist und das für viele Pfleger die Grundlage ihrer Arbeitsmotivation ist. Genau deswegen sind auch so viele Menschen aus dem Beruf abgehauen.

Jetzt möchte ich natürlich auch nach vorn gucken und Lösungen präsentieren. Eine Grundlösung habe ich vorhin angesprochen; das ist die langfristige Lösung in der demografischen Situation. Aber natürlich müssen wir auch jetzt konkret und schnell handeln.

Wir brauchen eine Verbesserung der Selbstorganisation in den Pflegebereichen, auch in Kombination mit dem Wegfall der Fallpauschalen in den Kliniken. Jeder Mensch, jeder Patient, jeder Bewohner, jeder Pflegefall ist individuell, ist einzigartig, ist anders und muss deswegen auch individuell betrachtet und finanziert werden. Das ist ein ganz wesentliches Problem, vor dem wir stehen, das die Schieflage zusätzlich befeuert.

Wir brauchen natürlich mehr Personal, mehr Ausbildung. Einige Punkte habe ich schon aufgezählt. Wir brauchen auch eine Rückgewinnung der Menschen, die den Pflegeberuf verlassen haben. Man müsste allerdings erst einmal aufklären, warum sie diesen Beruf verlassen haben   das habe ich gerade erklärt  , um dann gegenzusteuern.

Wir brauchen kein, wie man heutzutage sagt, Outsourcing von einzelnen Bereichen mehr, sondern eine gemeinsame Betrachtung aller Berufsgruppen, die damit zusammenhängen. Was ist denn mit den Ergotherapeuten, mit den Physiotherapeuten, mit dem Reinigungspersonal, mit dem Betreuungspersonal, mit den Küchenmitarbeitern etc.? Alle Bereiche müssen zusammen, als eine Einheit betrachtet werden. Das ist ganz, ganz wichtig, wenn man hier gegensteuern möchte.

Natürlich möchte ich auch die aktuelle   Herr Rausch hat es gerade angesprochen   absolute Respektlosigkeit gegenüber unseren Pflegern nicht vergessen, die Impfpflicht. Gerade medizinisches Personal, das ja eine medizinische Ausbildung hat, das das Grundverständnis hat, gerade diese Menschen müssen doch frei und selbst über diese Sache entscheiden können. Jeder von ihnen muss abwägen können   er hat eine entsprechende Ausbildung  , ob Risiken und Nutzen für ihn und seine Umgebung in einem angemessenen Verhältnis stehen.

Vor einem Jahr   das zeigt, wie paradox diese ganze Sache ist   mussten Pflegemitarbeiter arbeiten gehen, obwohl man wusste, dass sie mit dem Coronavirus infiziert waren, weil der Notstand einfach so dramatisch war, dass man auf keinen verzichten konnte. Vor einem Jahr hat man also mit Corona infizierte Pflegekräfte zur Arbeit geschickt. Heute behauptet man   die Regierung und die Presse, die „Mitteldeutsche Zeitung“ bspw.  , dass ungeimpfte Pfleger für den Tod von geimpften Bewohnern oder Patienten verantwortlich seien. Das ist eine unfassbare Frechheit und Unterstellung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall)

Ganz viele von denen, die bereits geimpft sind   übrigens nicht nur Pfleger, sondern alle Menschen in diesem Land, die geimpft sind  , haben das nicht aus freien Stücken oder aus medizinischen Gründen gemacht. Die allermeisten, die das gemacht haben, haben dem Druck nachgegeben. Sie haben es gemacht, weil sie gegängelt werden, weil sie ausgegrenzt werden, weil sie unter Druck gesetzt werden.

In der Impfpflicht für medizinische Berufe sehen wir ein gewaltiges Risiko für die Versorgungssicherheit von uns allen. Wenn nur ein Anteil von 5 % der Mitarbeiter oder noch weniger   oder vielleicht auch ein bisschen mehr, das weiß ja noch niemand   den Pflegeberuf aufgrund der Impfpflicht aufgibt, bedeutet die daraus resultierende Knappheit eine Gefährdung von Menschenleben und ein Risiko für die Versorgungssicherheit für uns alle.

Auch der Vergleich mit Masern, der auch gerade eben als Argument angeführt wurde, ist irreführend und führt immer wieder zu einer völlig verzerrten Darstellung. Eine Masernimpfung muss einmal erfolgen   einmal!   und schützt vor einer Weitergabe. Sie unterscheidet sich noch in vielen anderen Punkten. Gestern haben wir gelesen, dass in einer Klinik acht Personen angesteckt wurden von einem Mitarbeiter, der bereits geboostert worden war. Das heißt, er hatte drei Impfungen hinter sich und hat dieses Virus trotzdem weitergegeben. Und das ist die Grundlage für eine Impfpflicht? Das muss ganz klar hinterfragt werden; denn das kann und darf nicht normal sein.

(Beifall - Dorothea Frederking, GRÜNE: Aber die Wahrscheinlichkeit ist doch reduziert!)

Wir brauchen jeden einzelnen Pfleger. Wir dürfen keinen von ihnen verlieren. Nach dem Prinzip „höher - schneller - weiter“, das schon lange die Lösung für Ihre Probleme war, darf es nicht weitergehen. Es ist ein Armutszeugnis für unser Land, dass Sie die Pflegekräfte alleinlassen, dass Sie die Pflegekräfte im Stich lassen. Sie sind ein elementarer Bestandteil des Fundaments unserer Gesellschaft.

Ich habe hier schon ganz oft gesagt   doch niemand geht hier auf meine Argumente ein, das möchte ich mal konstatieren  : Dass wir über diese Situation, auch über Krankenhausschließungen während einer pandemischen Situation, wie sie uns immer wieder vermittelt wird, überhaupt sprechen müssen, beweist doch die ganze Unlogik in der Sache. Auch dass gestern in Gardelegen schon wieder eine Klinik geschlossen hat, beweist diese Schieflage. Das, was Sie den Menschen draußen weismachen wollen, passt überhaupt nicht zusammen.

Zum Abschluss möchte ich mich auch im Namen meiner Fraktion bei jedem einzelnen Pfleger ganz herzlich bedanken. Ich möchte mich zudem bei jedem Pfleger bedanken, der sich nicht unterkriegen lässt, der sich nicht erpressen lässt und der trotz der widrigen Umstände, die Sie diesen Pflegern mit auf den Weg geben, einen so unfassbar wichtigen Dienst an unserer Gesellschaft leistet. Wir stehen an eurer Seite. - Vielen Dank.

(Beifall)