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Plenarsitzung

Transkript

Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Hintergrund der Großen Anfrage ist ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes Sachsen-Anhalt vom 2. Juli 2021 zu der als Versammlung eingestuften Aktion von Gegnern des Baus der Nordverlängerung der Bundesautobahn 14 im Losser Forst bei Seehausen in der Altmark. Dort ist ein sogenanntes Baumcamp errichtet worden. Behördlicherseits wurde die Aktion erstmals am 27. April 2021 bekannt. Seitdem dauert die Aktion an.

Gestatten Sie mir drei Vorbemerkungen:

Die erste Vorbemerkung. Da die Aktion andauert, haben wir als Stichtag für die Beantwortung der Großen Anfrage den 18. August 2021 gewählt. Darauf beziehen sich auch alle weiteren Angaben.

Die zweite Vorbemerkung ist, dass weite Teile der Antwort der Landesregierung als Verschlusssache „VS-Nur für den Dienstgebrauch“ und Verschlusssache „VS-Vertraulich“ eingestuft waren. Sie kennen das Verfahren. Die Antworten wurden insoweit zur Einsichtnahme in der Geheimschutzstelle hinterlegt. Sie betreffen insbesondere die Fragenkomplexe zu Lage und Umfang der betroffenen Fläche, zu Umfang der Rodung und der Kompensation, zu den Besetzern und teilweise auch zum Ausblick. Sie wissen, dass mir Ausführungen zu diesen Punkten an dieser Stelle nicht möglich sind.

Die dritte Vorbemerkung. Einige Fragstellungen berühren Komplexe, die nicht in der Zuständigkeit der Landesregierung liegen. Wie Sie alle wissen, ist die Zuständigkeit für die Bundesautobahnen seit dem 1. Januar 2021 in die Eigenverwaltung des Bundes und damit in die Zuständigkeit insbesondere der Autobahn GmbH des Bundes sowie des Fernstraßen-Bundesamtes übergangen. Deswegen können wir als fachlich nicht zuständige Landesregierung zu Fragen der Bauvorbereitung und  realisierung der A 2 auch keine Antworten mehr geben. So weit zu meinen Vorbemerkungen.

Bis zum Stichtag 18. August 2021 gingen beim zuständigen Landkreis Stendal weder eine Versammlungsanmeldung noch Anträge auf eine Baugenehmigung bezüglich der errichteten baulichen Anlagen ein. Der Landkreis Stendal prüfte unter Beteiligung weiterer fachlich betroffener Sicherheitsbehörden die Verhängung von versammlungsrechtlichen Beschränkungen bzw. ein Versammlungsverbot im Hinblick auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Unter anderem in diesem Zusammenhang suchten Bedienstete des Landkreises Stendal das betroffene Waldstück im Losser Forst mehrfach auf. Dabei wurden sie teilweise von Bediensteten des Landesverwaltungsamtes und in Amtshilfe auch von Polizeibediensteten begleitet.

Nach den Erkenntnissen der Landesregierung befanden sich regelmäßig fünf bis 15 Personen in dem betreffenden Waldstück. An Wochenenden und aus Anlass von geplanten bzw. auch durchgeführten Veranstaltungen vor Ort kam es zu einem erhöhten Zulauf von Personen. Im Hinblick auf den versammlungsrechtlichen Charakter der Protestaktion fanden bis zum 18. August 2021 keine Identitätsfeststellungen bei den Versammlungsteilnehmern statt.

(Zuruf: Warum?)

- Weil es sich um eine Versammlung handelt.

Bei den Begehungen vor Ort stellten die Bediensteten des Landkreises Stendal Anfang Juli 2021 unter anderem folgende bauliche Strukturen fest: zehn Baumhäuser, vier Bodenbauten und eine Sitzgruppe unter einem Baumhaus. Eine baurechtliche Genehmigung für das Baumcamp lag, wie erwähnt, nicht vor. Dieses Baumcamp wäre baurechtlich nach Einschätzung des Landkreises Stendal auch nicht genehmigungsfähig, da es unter anderem aufgrund seiner Lage in einem Landschaftsschutzgebiet die öffentlichen Belange nach § 35 Abs. 3 des Baugesetzbuches beeinträchtigt.

In der Großen Anfrage ist auch nach dem Einsatz der Landespolizei gefragt worden. Zum Einsatz der Landespolizei ist auszuführen, dass dieser, neben der bereits erwähnten Amtshilfe, im Wesentlichen anlassbezogene Einsatzmaßnahmen sowie weitere im Zusammenhang mit der Protestaktion stehende Maßnahmen umfasste. Hierbei ging es um den Schutz von Versammlungen direkt im Losser Forst, aber auch abseits dieser Fläche.

Hinsichtlich der ebenfalls in den Fokus der Großen Anfrage gestellten Rechtsverletzungen im Zuge der Waldbesetzung in Fragenkomplex 4 wurden bis zum 18. August 2021 insgesamt neun strafrechtliche Ermittlungsverfahren bekannt, die Straftatbestände, wie Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Verstoß gegen das Vermummungsverbot und auch Beleidigungen, umfassten. Vier Ermittlungsverfahren werden der politisch motivierten Kriminalität links zugeordnet. Zwei der Ermittlungsverfahren wurden durch die zuständige Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Bei den übrigen Verfahren dauern die Ermittlungen an.

Vielleicht zum aktuellen Sachstand noch eine Ergänzung über das hinaus, was wir zu der Großen Anfrage geantwortet haben. Ich hatte schon angedeutet, dass der Landkreis Stendal zunächst mit einer Allgemeinverfügung vom 6. Juni 2021 sämtliche Arbeiten zur Errichtung von baulichen Anlagen und Protestcamps auf baurechtlicher Grundlage untersagen wollte. Diese Allgemeinverfügung wurde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verwaltungsgerichtlich angegriffen. Das Oberverwaltungsgericht - das sagte ich eingangs - hat am 2. Juli 2021 bestätigt, dass die Aktion als Versammlung mit entsprechendem versammlungsrechtlichen Schutz einzustufen ist. Auch der Umstand, dass das Baumcamp nicht angemeldet wurde und auch kein Veranstalter in Erscheinung getreten ist, stand laut Oberverwaltungsgericht der Einstufung als Versammlung nicht entgegen.

Sie wissen, die Exekutive ist an die Rechtsprechung gebunden. Das ist Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips. Insofern setzt die Landespolizei auch diese Entscheidung und Einstufung des Oberverwaltungsgerichtes um.

Mit Datum vom 6. Oktober 2021 - das haben wir in der Antwort auf die Große Anfrage nicht ausgeführt - erließ der Landkreis Stendal nach fachlicher Unterstützung auch durch das Landesverwaltungsamt eine versammlungsrechtliche Allgemeinverfügung und versah diese mit umfangreichen versammlungsrechtlichen Beschränkungen im Hinblick auf die baulichen Anlagen, aber auch im Hinblick auf die Fragen des Brandschutzes sowie auf die Flucht- und Rettungswege.

Diese versammlungsrechtliche Allgemeinverfügung des Landkreises trat am 21. Oktober 2021 in Kraft und wurde vom Landkreis für sofort vollziehbar erklärt. Auch gegen diese Verfügung und insbesondere deren sofortige Vollziehbarkeit wurde am 1. November vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz eingereicht. Eine gerichtliche Entscheidung steht bislang aus.