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Plenarsitzung

Transkript

Detlef Gürth (CDU):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Einbringungsrede hat genau das gezeigt, was die meisten von den GRÜNEN auch erwartet haben - eine lupenreine Großstadtperspektive.

Sie wollen mehr Geld vom Autofahrer. Sie wollen die PKW in den Städten vergrämen, wenn Sie sie schon nicht verbieten können. Der ländliche Raum und die Menschen, die dort wohnen, spielen für die GRÜNEN offenbar überhaupt keine Rolle.

(Beifall - Zuruf)

In der gesamten Rede zur Einbringung Ihres Antrags spielte die Lebenswirklichkeit im ländlichen Raum überhaupt keine Rolle.

(Beifall - Zuruf)

Es ist nicht nur so, dass in den Städten über den Parkraum und über die Gebührenhöhe für die Städter entschieden wird nach dem Motto: Die Stadt Halle entscheidet für die Hallenser, die Stadt Dessau - ist das eine Großstadt? - entscheidet für die Dessauer und die Stadt Magdeburg entscheidet für die Magdeburger.

(Zurufe)

Nein, wenn man im Magdeburger Stadtrat eine Entscheidung darüber trifft, trifft man diese nicht nur für die Magdeburger, sondern ebenso für die Leute in Barleben und weit darüber hinaus.

(Zustimmung)

Dort wohnen Tausende, Zehntausende Menschen, die darauf angewiesen sind, in die Städte zu fahren, weil sie nicht nur ihren Lebensunterhalt dort verdienen, sondern weil die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum so ausgedünnt ist,

(Zuruf: Genau!)

dass man, egal ob Sie es als Luxus empfinden oder nicht, auch mit einem geringen Einkommen zum Domplatz fahren muss, weil dort der Kinderarzt ansässig ist.

Man hat in den Oberzentren völlig ausgeblendet, dass sie nicht die Wohlstandsinseln sind, die über Luxus entscheiden und darüber, ob sie das Auto oder eine Gebührenerhöhung, weil sie etwas anderes finanzieren wollen, als Luxus empfinden. Nein, die Oberzentren haben einen Versorgungsauftrag. Das haben sie völlig ausgeblendet. Zentrale Orte, Mittelzentren und Oberzentren haben einen Versorgungsauftrag für das ländliche Gebiet.

(Beifall)

Dort befinden sich die Notare, die Gerichtsbarkeit, die Ärzte und andere Institutionen. Weil das so ist - das dürfen Sie auch nicht ausblenden -, gibt es einen sogenannten Veredelungsfaktor bei den finanziellen Zuweisungen für die Gemeinden. Diese bekommen sie doch nicht nur, weil sie einen schönen Stadttitel haben, weil sie ein Mittel-, ein Oberzentrum oder gar eine Landeshauptstadt sind. Das bekommen sie, weil sie einen Versorgungsauftrag haben. Das darf man nicht ausblenden, und man kann nicht sagen, das spielt keine Rolle und wir verteuern erst einmal den Individualverkehr.

Viele Leute würden gern das von Ihnen geschilderte Problem, ob die Straßenbahn alle zehn oder alle 30 Minuten fährt, haben. Wenn ich in Wieserode, in Ermsleben, in Friedrichrode mit 46 Einwohnern oder in Friedrichsause mit 90 Einwohnern bin, dann muss ich erst einmal zusehen, dass ich irgendwie zu einer Bushaltestelle gelange.

(Beifall)

Dort hält dann einmal am Tag auf der Klaus-Straße der Bus und die alten Frauen und Männer mit ihren Rollatoren kommen den Berg gar nicht hoch und müssen manchmal auch im Regen stehen.

(Zurufe)

Von dort aus muss ich dann mit dem Bus an einen Ort, an dem ein Zug oder eine Straßenbahn fährt. Wenn Sie das alles schon finanzieren, um ihren Lebensunterhalt zu sichern - ärztliche Versorgung, Bekleidung und Ernährung  , dann haben sie oftmals leider gar keine Alternative, weil sie die Straßenbahn von Magdeburg oder Halle aus gar nicht bis in den Harz legen können. Das muss einkalkuliert werden und das haben Sie völlig ausgeblendet.

Worüber wir reden können - das wollen wir auch gern und deswegen stimmen wir auch einer Überweisung Ihres Anliegens in den Fachausschuss zu  , ist die Höhe der Gebühren, aber keine gänzliche Freigabe. Das ist mit der CDU nicht zu machen. Über einen Inflationsausgleich, über eine Anpassung, über ein Stück weit mehr Spielraum kann man reden. Aber es darf nicht ausgeblendet werden, dass viele Tausende Menschen mit einem kleinen Einkommen auf ihren Pkw angewiesen sind, dass man die Eltern, Großeltern und Familienangehörigen in die nächstgrößere Stadt fahren muss, um die Dinge des täglichen Lebens und die wichtige Versorgung noch gewährleisten zu können.

Angesichts dessen kann man die Vergrämungspolitik in Bezug auf Auto- und Individualverkehr nicht einfach zur Doktrin erheben, ohne die Menschen im ländlichen Raum - das ist eine große Mehrheit - zu beachten. Denn sie zahlen genauso wie die Städter ihre Steuern, sie tragen genauso zum Gemeinwesen bei und wir dürfen sie nicht einfach unter den Tisch fallen lassen.

Wir plädieren für eine Überweisung des Antrags in den Fachausschuss.

(Beifall)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Gürth, Herr Gallert hat eine Nachfrage. Würde Sie diese beantworten?


Detlef Gürth (CDU):

Ja.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Gallert, bitte.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Wenn sich die beiden am längsten in diesem Haus befindlichen Abgeordneten unterhalten können, Herr Gürth, dann wollen wir die Situation doch einmal ausnutzen.

(Lachen)

Ihre Bemerkung zum Inflationsausgleich sollten Sie noch einmal überdenken. Der entsprechende Grenzwert gilt seit 1992. Wenn wir an dieser Stelle einen Inflationsausgleich berücksichtigen, ergibt sich möglicherweise eine Gebühr von 4 € pro Stunde. Aber meine Frage ist eine andere.

Ich fand Ihre Einlassung zur Perspektive eines potenziellen Beschlusses des Stadtrates der Stadt Magdeburg interessant. Habe ich Sie richtig verstanden? Sie meinen, wenn der Stadtrat in Magdeburg das entscheidet, würde er potenziell eine Fehlentscheidung treffen, weil er die Leute aus Barleben und aus den umliegenden Gemeinden abkassieren will. Das wären ohnehin nicht die Leute, die die Räte wählen. Demzufolge müssten wir eigentlich dafür sein, dass der Stadtrat Magdeburg diese Kompetenz nicht hat. Wer soll diese Kompetenz denn Ihrer Meinung nach haben, wenn Sie dem Stadtrat Magdeburg an der Stelle nicht über den Weg trauen, Herr Gürth?

(Zuruf)


Detlef Gürth (CDU):

Verehrter Kollege Gallert, vielen Dank für Ihre Frage. Wenn ich in Ihre Richtung schaue, sehe ich automatisch den geschätzten Kollegen und Stadtrat Meister sowie den Kollegen Krull, der lange Verantwortung im Stadtrat Magdeburg hatte. Ihnen würde ich niemals unterstellen, dass sie die Perspektive Dritter völlig außen vor lassen.

(Zuruf)

Aber es sind leider nicht alle so wie der Kollege Meister und der Kollege Krull. Ich bin selbst ehrenamtlicher Stadtrat. Deshalb weiß ich schon, DDR-sozialisiert, das Sein bestimmt das Bewusstsein.

Wenn ich allein aus einer Straßenbahnperspektive über solche Themen rede, also Innenstadtentwicklung und solche Geschichten, und ich wohne in Barleben - Barleben gehört ja fast schon dazu, zwar nicht eingemeindet, so wie wir, aber de facto gehören die zum Verflechtungsgebiet  , dann ist es nicht zwangsläufig gegeben, dass die Interessen der Einwohner des ländlichen Raumes, die noch ein Stückchen weiter weg wohnen und die gänzlich ohne einen Schienenanschluss irgendeiner Art auskommen müssen, die also weder Straßenbahn noch Bahn in irgendeiner anderen Form zur Verfügung haben, hinreichend gewürdigt werden.

Ich habe auch ein bisschen die Sorge, dass grün dominierte Mehrheiten - die können ja kommen, die sind ja nicht verboten, in einer Demokratie ist ja alles möglich - die Lebenswirklichkeit der Menschen im ländlichen Raum ausblenden.

(Zustimmung)

Und wenn Sie, verehrter Kollege Gallert     Sie kommen, glaube ich, aus der Altmark, ja? Oder waren da zumindest     

(Zuruf von Wulf Gallert, DIE LINKE)

- Ja, Prignitz usw. usf. Ich sage Ihnen, ich habe jetzt im Wahlkampf mal einen Journalisten des „Spiegel“, der eine Hamburg- und eine Berlin-Perspektive hat, der da geboren wurde, dort aufgewachsen ist und dann da gearbeitet hat, mitgenommen und gesagt: So, das ist ein Stück von Deutschland jeden Tag.

Wir sind ins Mansfelder Land gefahren zu einer 46-Einwohner-Gemeinde mit einem Grundschüler, einem Sekundarschüler und einem Gymnasiasten. Es gibt 22 Haushalte, kein schnelles Internet, aber Homeschooling. Die Bushaltestelle mit Wendeschleife, die man in den Ort gelegt hat, wird nicht mehr angefahren. Vielmehr müssen die 1,2 km den Berg hinauf auf die Klausstraße. Das ist aber kein Einzelfall. So haben die älteren Personen genauso wie die Jungen das folgende Problem: Sie müssen nachts oder frühmorgens, wenn es im Dunkeln zur Schule geht oder wo auch immer hin, wenn es zur Arbeit geht, wenn sie zum Arzt wollen und wenn sie ihre Lebensmittel besorgen wollen, da hoch gehen, wenn sie kein Auto haben.

Wenn keiner in der Familie ist, der ein Auto hat   meistens sind das, das werden Sie auch feststellen, ganz kleine und alte Autos, weil sie sich nicht mehr mehr leisten können  , dann kriegen die ihre Lebensmittel nicht, dann kriegen die ihre Klamotten nicht, dann kommen sie nicht zum Arzt und nichts.

Wenn die mit ihrem geringen Einkommen einen Pkw unterhalten müssen oder auf nur eine Busverbindung hinein in das Oberzentrum oder in das Mittelzentrum und auf nur eine zurück angewiesen sind, weil das aus Kostengründen immer mit dem Schülerverkehr kombiniert wird, dann haben sie eine völlig andere Perspektive als ein Magdeburger oder Hallenser Stadtrat.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Gürth, jetzt ist das, glaube ich, sehr ausführlich beantwortet worden.


Detlef Gürth (CDU):

Und wegen dieser Perspektive,


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Das war jetzt eine eindrückliche Schilderung.


Detlef Gürth (CDU):

Frau Präsidentin, überweisen wir diesen Antrag in den Ausschuss.

(Wulf Gallert, DIE LINKE: Die Frage hat er in der Kürze nicht beantwortet! - Lachen)

- Doch, das habe ich doch. Ich habe gesagt, nein, beim Kollegen Meister habe ich überhaupt keine Sorgen, beim Kollegen Krull auch nicht.