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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 5

Aktuelle Debatte

Damit nach den Wahlen nicht der Rotstift regiert: Soziale Sicherheit statt Abstiegsagenda in Sachsen-Anhalt und im Bund!

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/151


Die Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Es wurde folgende Reihenfolge vereinbart: zunächst DIE LINKE als Antragsteller, dann die SPD, die AfD, die FDP, die GRÜNEN und die CDU. Zunächst hat für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau von Angern das Wort.


Eva von Angern (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! „Kuschelbündnis steht“ - So titelte die „Magdeburger Volksstimme“ am 14. September 2021 aus Anlass der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages von CDU, SPD und FDP. Nun, bereits heute ist klar geworden: Der Ernst des Lebens ist da.

Aber ich komme noch einmal auf den Beitrag in der „Volksstimme“ zurück. Das Foto der „Volksstimme“ suggerierte noch, hier sei eine Gruppe zu einem feuchtfröhlichen Klassentreffen zusammengekommen und reiche inzwischen vergilbte Klassenzeitungen mit lustigen Fotos und Sprüchen herum à la „Weißt du noch?“.

Nur einer auf dem Foto, der Co-Vorsitzende der Landes-SPD, gibt den Spielverderber und schaut dem lustigen Treiben mit einer Mischung aus Distanziertheit und Skepsis zu. Wusste er an diesem Tag schon mehr?

Mich haben dieses sprachliche Bild der „Volksstimme“ und der für die Fotografen demonstrativ zur Schau gestellte Frohsinn irritiert. Beides, meine Damen und Herren, kommuniziert nicht den Ernst der Lage in Sachsen-Anhalt, kommuniziert nicht den Ernst der Lage in Deutschland. Sie sagen den Bürgerinnen und Bürgern in Sachsen-Anhalt: Wir wollen uns durchkuscheln.

Das mag eine nette Erzählung für Ihre Deutschland-Koalition sein, Herr Ministerpräsident. Allerdings ist die Erzählung schon heute gescheitert und sie verkennt - das ist das Entscheidende - bewusst die Herausforderungen unserer Zeit.

(Beifall)

Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Wir stehen vor wesentlichen Weichenstellungen, die über die Zukunft der nachfolgenden Generationen entscheiden werden. Und ja, auch Sachsen-Anhalt steht vor fünf richtungsweisenden Jahren.

Wir müssen die Frage beantworten, wie uns ein sozial gerechter Klimaschutz unter Einbeziehung aller Menschen gelingen kann. Wir müssen gerade mit den Erfahrungen aus den letzten anderthalb Jahren Pandemie im Rücken die Frage beantworten, wie wir einen starken Sozialstaat nicht nur garantieren, sondern auch tatsächlich realisieren wollen. Dazu sage ich ganz deutlich: Ja, wir brauchen eine Abkehr vom neoliberalen Anbeten des Marktes.

(Beifall)

Allen Verächtern des Sozialstaates sei gesagt, dass gerade dieser uns relativ gut über die letzten anderthalb Jahre gebracht hat. Und ja, wir brauchen mehr davon. Ein starkes soziales Fundament schafft Geborgenheit und Sicherheit gerade in Zeiten des Wandels.

Schaut man in den Koalitionsvertrag, dann wird deutlich: Die Antworten auf diese Herausforderungen, die der Koalitionsvertrag gibt, sind nicht zeitgemäß, sie sind kleinteilig. So wird Sachsen-Anhalt weiter verlieren. Wir bleiben weiterhin das Land, durch das lediglich durchgefahren wird, mehr nicht.

(Beifall)

Auch mit Blick auf die heutige Wahl ist noch einmal deutlich geworden: Dieser Ministerpräsident ist eben nicht der Garant für stabile Verhältnisse in unserem Land.

(Zustimmung)

Bei aller Kuschelei, gestritten haben Sie auch, und zwar als es um Posten und Zuständigkeiten für Minister und Ministerinnen ging, also faktisch, als es um die Macht ging. Das Eingreifen des Ministerpräsidenten in die Verhandlungen war erst nötig, als sich Frau Feußner erdreistete, anstelle eines Sachsen-Anhalters einen Thüringer zu ihrem Staatssekretär benennen zu wollen.

Prof. Dr. Wulf Diepenbrock, ehemaliger Rektor der Martin-Luther-Universität, schrieb dazu in der „Mitteldeutschen Zeitung“:

„Wer ist Jürgen Böhm? Er ist ein herausragender Bildungspolitiker und Schulkenner, wie es nur wenige gibt. (…) Es gibt nur wenige Ostdeutsche, die auf einen solchen Werdegang zurückblicken können.“

Sogar in Bayern war er anerkannt.

Ich sage Ihnen: Nein, wir können es uns leisten, in Anbetracht des immer tiefer werdenden Tals der bitteren schulpolitischen Tränen in Sachsen-Anhalt auf derart ausgewiesenen Experten- und Sachverstand zu verzichten, schon gar nicht der Kuschelpolitik wegen. Das ist keine kluge Politik für Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung)

Durchkuscheln will sich auch die CDU, die ein mit der SPD mögliches Zweierbündnis ablehnte, somit auf eine zahlenmäßig größere Mehrheit hier im Hohen Hause Wert legte und die FDP mit ins Boot holte. Der Ministerpräsident will uns weismachen, er wolle eine stabile Mehrheit, die nicht von Krankenscheinen abhängig ist. Tatsächlich will er nicht abhängig sein von unsicheren Kantonisten in seiner eigenen Fraktion sein. Das ist ein politisches Armutszeugnis.

(Zustimmung)

Es ist heute schon viel spekuliert worden. Ich möchte auch an die beiden Verfasser der Denkschrift erinnern, die in der letzten Wahlperiode stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion waren. Sie meinten, es müsse wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu verbinden. Wie man hört, sind beide nur deshalb nicht wieder Teil der Fraktionsspitze, weil sich das Konrad-Adenauer-Haus eingemischt hat.

Zu nennen ist selbstverständlich auch die Angst vor der stimmenmäßigen Abhängigkeit und möglichen Retourkutsche von dem ehemaligen Landesvorsitzenden und Innenminister, den Herr Haseloff entlassen hat, weil er für den Fall des Scheiterns der damaligen Kenia-Koalition eine Kooperation mit der AfD laut ins Spiel gebracht hatte.

Aber, meine Damen und Herren, durchkuscheln will sich auch die SPD, die eine für sie und vor allem für die Umsetzung ihrer möglichen Wahlziele überaus günstige taktische Situation von sich aus beiseitegelegt hat. Sie hat nun das Wirtschaftsressort verloren und damit - ich glaube, das ist bitter - die Hoheit für das Tariftreue- und Vergabegesetz. Es verging kein Wahlforum, Frau Dr. Pähle, in dem Sie diese richtige Forderung nicht ganz bewusst vorn angestellt haben.

Nun müssen Sie darauf warten oder vielleicht hoffen, dass das CDU-geführte Wirtschaftsressort einen Gesetzentwurf vorlegt. Für den Fall, dass dieser Entwurf vorgelegt wird, haben Sie schon jetzt den Weg dafür geebnet, dass Ihre Forderung - eine der wichtigsten Forderungen  , der Vergabemindestlohn, unterlaufen werden kann. Ihr Deal in dieser neuen Koalition war: Vergabemindestlohn gegen juristische Beinfreiheit bei der Umgehung. Es tut mir leid, aber die Taktik hinter diesem Deal verstehe ich nicht.

(Beifall)

Ich finde übrigens auch die Formulierung zur Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag äußerst ambitionslos. Sie wollen sich auf der Bundesebene positiv in die Debatte einbringen. Donnerwetter! Man zittert in Berlin. Selbstverständlich hätten wir eine Bundesratsinitiative gebraucht. Sie wissen nur zu gut, dass fast jedes vierte Kind in Sachsen-Anhalt in Armut lebt. Wir wissen, was das ganz konkret bedeutet. Da kann man sich nicht hinter Floskel verstecken, sondern da hätte es endlich konkreter Taten bedurft.

(Beifall)

Nun stellen wir fest, die genehmere Partnerin - genehmer als die Bündnisgrünen - ist die FDP. Allerdings: Sie sollten sich über das Kuschelpotenzial oder über die Kuschelbereitschaft der Landes-FDP und der Frontleute nicht irren und sich keine Illusionen machen.

Doch schaue ich nach Berlin, muss ich hier und heute davon ausgehen, dass auch der SPD-Kanzlerkandidat lieber mit der FDP kuschelt, als seine Ziele durchzusetzen, namentlich den gesetzlichen Mindestlohn und die Einführung einer Vermögensteuer. Das ist eine Wahrheit, die nicht gern gehört wird, die aber allen bewusst sein sollte, wenn sie die SPD wählen und damit auf mehr soziale Gerechtigkeit hoffen. Sie werden bitter enttäuscht werden.

(Beifall)

Das Stichwort „Vermögensteuer“ trifft ein Kernproblem Ihres Koalitionsvertrages. Ihnen wird an vielen Stellen das Geld für die Umsetzung der vielen Dinge fehlen. Die Möglichkeiten, die damals die Kenia-Koalition hatte, sind aufgebraucht. Die Kassen des Landes Sachsen-Anhalt sind leer. Ihre einzige Möglichkeit, vielleicht sogar Hoffnung, sind tatsächlich höhere Steuereinnahmen.

Finanzminister Richter sprach kürzlich vor dem Landkreistag von einer „großen Herausforderung für unser Land“ - ich füge hinzu  , für die er eine Lösung hat und für die auch der Koalitionsvertrag keine Lösung bietet. Deshalb sage ich ganz deutlich: Ihr Vertrag ist eine Mogelpackung.

(Beifall)

Sie versprechen sich gegenseitig bzw. den Menschen in unserem Land Dinge, die Sie nicht halten können. Auch da lohnt ein Blick in Richtung Bund. Zwei der hiesigen Koalitionspartnerinnen sprechen sich ganz offen gegen Steuererhöhungen aus.

(Beifall)

CDU und FDP sagen sogar, dass die Reichsten in unserem Land entlastet werden müssen.

Nur mit einem Mitte-Links-Bündnis kann es zu einer dringend erforderlichen großen Steuerreform kommen. Nur dann verfügen wir im Übrigen auch im Land Sachsen-Anhalt über die erforderlichen Mittel, um Ihre Wünsche und Ideen hier in Sachsen-Anhalt tatsächlich umsetzen zu können.

(Beifall)

All die Herausforderungen, vor denen unser Land steht, kosten Geld. Und selbstverständlich muss die Frage beantwortet werden, wer das bezahlt. Unser Land ist doch jetzt schon gespalten,

(Unruhe)

gespalten in Millionen von Verlierern und wenigen Gewinnern, Gewinnern sogar in der Pandemie mit obszönem Reichtum, der sich in den letzten eineinhalb Jahren vermehrt hat. Deswegen brauchen wir eine Debatte über eine angemessene Vermögensbesteuerung, eine große Steuerreform, die Normal- und Geringverdiener

(Zurufe: Ja! - Super!)

tatsächlich entlastet. Ein Klatschen vom Balkon reicht nicht aus. Es schützt auch nicht vor Altersarmut.

(Beifall)

Allein das Thema „Steuerreform“ zeigt, dass diese Koalition, die alles verbindet, für das Ganze - Stehende, Erzählung und Botschaft - steht. Aber wir brauchen dringend Ideen. Wir brauchen einen Ort des Aufbruchs in unserem Land.

Anstatt sich den Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft mutig zu stellen, anstatt Weichen in die richtige Richtung zu stellen und stärker den Sozialstaat, aber auch die Wirtschaft zu fördern, eine Wirtschaft, die der Gesellschaft tatsächlich dient, verharren Sie in einem mutlosen „Weiter so!“.

Sie eröffnen keine Perspektiven für Sachsen-Anhalt. Sie begnügen sich mit einer mangelhaften Verwaltung von mangelhaften Zuständen. Damit führen Sie Sachsen-Anhalt sehenden Auges weiter aufs Abstellgleis.

Allerdings - das will ich schon jetzt sagen  : Zu Ihrer Politik liegen selbstverständlich Alternativen auf dem Tisch. Mit denen werden wir Sie auch öffentlich konfrontieren. Dann erklären Sie bitte den Menschen, warum Sie sich lieber für Stagnation als für Fortschritt einsetzen.

(Beifall)

Ich glaube, es ist klargeworden: Die Idylle des Kuschelbündnisses ist bereits heute beendet. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)