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Plenarsitzung

Transkript

Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland sind laut einer neuen Studie finanziell besser gestellt als im Westen, so lautete Anfang des Jahres eine Schlagzeile in der „Tagesschau“. An dieser Stelle fragt man sich doch: Wie kann das sein? Haben wir jahrelang die falschen Debatten geführt? - Das passiert, wenn man sich wahllos nur einen Indikator herauszieht und sich auf nur einen Fakt bezieht. 

Wenn man Wohneigentum und private Alterseinkünfte hinzuzieht, dann kippt die Waage sehr schnell wieder in Richtung der besser gestellten Westrentner. Das ist falsch. Deswegen ist es wichtig, immer eine ganzheitliche Betrachtung vorzunehmen. Die genannte Studie schaut nur auf die gesetzliche Rente und generiert damit ein verkürztes Bild. 

Der Armutsbericht der Parität mit seinem Bezugspunkt zur Armutsquote zeichnet auch nur ein grobes Bild der tatsächlichen Lebensumstände. Für sachgerechtes Agieren sind eine ganzheitliche Betrachtung und ein klares Bewusstsein essentiell. 

Für mich ist klar: Deutschland gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Es ist beschämend, dass es überhaupt Armut gibt. Eine unserer drängendsten Aufgaben ist somit der Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Armut schränkt Bildungschancen ein und gefährdet die Gesundheit. Dies ist drastisch an der signifikant kürzeren Lebenserwartung von armen Menschen zu sehen. Das darf soziale Politik nicht zulassen und es muss dringend gehandelt werden, und zwar kurzfristig mit Geld und langfristig mit Bildung. 

Es gibt vergleichsweise einfache Mittel gegen akute Armut. Der Mindestlohn hat seit seiner Einführung im Jahr 2015 die Einkommenssituation im Niedriglohnbereich signifikant verbessert und die Abhängigkeit von Sozialleistungen reduziert. Die Zahl der Aufstocker ist deutlich nach unten gegangen. Besonders bei Frauen, die allzu häufig noch immer in niedrig bezahlten Berufen arbeiten, ist das deutlich zu beobachten. 

Wir haben durch den Mindestlohn eine vielfach verbesserte Lebenssituation und selbstverständlich ist auch eine echte armutsfeste Kindergrundsicherung Teil der Lösung. Darum wird auf der Bundesebene hart gerungen. Wir haben darüber eben schon einiges gehört. 

Seit ich in diesem Landtag bin, also seit mehr als 13 Jahren, ist das eines meiner grundlegendsten Themen. Ich habe immer wieder versucht, diese Sache mit Anträgen voranzubringen. Die aktuelle Situation auf der Bundesebene ist für mich tatsächlich wenig nachvollziehbar. 

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Es war doch schon bei dem Abschluss des Koalitionsvertrages klar, dass dieses große, umfassende, politikfeldübergreifende Projekt nur im Zusammenspiel aller Akteure, aller Koalitionspartner auf den Weg gebracht werden kann. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber wenn ein Koalitionspartner die Kindergrundsicherung nur als Verwaltungsvereinfachung sehen will, dann wird es schwierig. 

(Guido Kosmehl, FDP: Das steht dort wortwörtlich drin!)

Denn dabei geht es dann nicht mehr um Armutsbekämpfung. 

Ich bin aber Optimistin, Kollege Kosmehl. 

(Guido Kosmehl, FDP: 5 000 Stellen!)

Ich glaube noch immer, dass wir die Kindergrundsicherung hinbekommen, Kollege Kosmehl. Sie wissen genauso gut wie ich, dass diese 5 000 Stellen schon längst vom Tisch sind. 

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Wir müssen das anders lösen und es ist auch anders zu lösen. Ich hoffe sehr darauf, dass wir insbesondere den Kindergrundsicherungscheck auf den Weg bringen; denn damit wird die verdeckte Armut endlich nach oben geholt. 

Es gibt Millionen von Kindern, denen Leistungen zustehen, die sie aber nicht abrufen bzw. die die Eltern nicht abrufen. Es bestehen Ansprüche auf Leistungen, die nicht eingelöst werden, und zwar aus unterschiedlichsten Gründen, bspw. weil die Eltern nicht wissen, dass ihnen die Leistungen zustehen, weil es zu kompliziert ist, die Leistungen abzurufen, weil die Antragsverfahren viel zu lange dauern und sich die Lebensumstände dann schon wieder geändert haben. Einer der wesentlichen Kritikpunkte beim Bildungs- und Teilhabepaket, die wir immer hatten, ist die überbordende Bürokratie gewesen. 

Die Zusammenführung der Leistungen und die Schaffung des Familienservice soll die Zahl der leistungsbeziehenden Kinder von 2,9 Millionen auf 5 Millionen erhöhen. Das alles sind keine neuen Leistungen. Das will ich ganz klar sagen. Das alles sind Kinder, die schon jetzt einen Anspruch haben. Diese Lücke zu schließen, sollte doch der kleinste gemeinsame Nenner in der Berliner Koalition sein. Das würde in Sachsen-Anhalt sehr vielen Kindern helfen. 

Dann müsste Lehrerin Meyer sich nicht mehr sorgen, was mit den Kindern passiert, die sich den Klassenausflug nicht leisten können. Dann müsste die alleinerziehende Frau Müller sich nicht mehr die Haare raufen, weil ihr Kind nachmittags nicht am Musikunterricht an der Musikschule teilnehmen kann. Dann bräuchte der kleine Willibald nicht am Rande der Turnhalle zu sitzen, weil er keine Sportschuhe hat, und Erna könnte dank der Teilnahme an der Mittagsversorgung nachmittags besser ihre Hausaufgaben erledigen. 

Geld hilft gegen Armut - klar. 

(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)

Aber um Armut nachhaltig zu verhindern - davon bin ich zutiefst überzeugt  , ist das beste Mittel: Bildung, Bildung, Bildung. 

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Armutsprävention beginnt bereits in der Kita. Frühkindliche Bildung ist essenziell im Kampf gegen Armut. 

Der Betreuungsanspruch für alle Kinder im Land und die Entlastung von Mehrkindfamilien sind wichtige und richtige Schritte. Auch die Sonderförderung von Kitas mit besonderen Bedarfen ist wesentlich. Ich freue mich - das ist wirklich ernst gemeint  , dass die jetzige Koalition dieses gute Projekt fortführt; denn dies ist gerade für Kinder in prekären Lebenslagen wichtig. 

Ebenso zentral ist die Beherrschung der deutschen Sprache. Sie ist das A und O für alles. Das beginnt mit einer sachgerechten Sprachstandfeststellung und geht mit der Förderung der Sprach-Kitas weiter. Diesbezüglich will und muss ich Herrn Lindner und der FDP klar widersprechen; denn dies betrifft leider nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund. Wenn man die deutsche Sprache nicht beherrscht, dann ist es schwierig, in unserem Bildungssystem zu bestehen, dann ist es schwierig, sich eine gute Grundlage für das weitere Leben zu schaffen. 

Es gehen so viele Chancen für so viele Kinder verloren, weil keine sachgerechte Sprachförderung stattfindet. Deswegen ist es wichtig, dass wir dort ganz früh ansetzen; denn das kann im späteren Leben oft nicht mehr aufgeholt werden und das führt zu dieser Spirale, dass Armut immer weitervererbt wird. 

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

Deswegen streiten wir GRÜNE auch so ausdauernd für längeres gemeinsames Lernen und für echte Gemeinschaftsschulen, für mehr Lehrerinnen und Lehrer und gut ausgestattete Schulen. Wir müssen uns um alle Kinder kümmern und der Schulerfolg darf nicht länger mehr am Status und am finanziellen Vermögen der Elternhäuser hängen. 

Ebenso unser steter Einsatz für die Schulsozialarbeit, und zwar landesweit und dauerhaft. Wir brauchen endlich eine gesetzliche Grundlage, damit dieses Hick-Hack aufhört und damit wir an jeder Schule verlässlich und dauerhaft eine Schulsozialarbeiterin oder einen Schulsozialarbeiter haben. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das alles kostet Geld. Ja, das wissen wir wohl. Aber ich bin sofort bereit, an überkommener Infrastruktur zu sparen, um mehr Geld für Bildung in diesem Land freizuschaufeln. 

(Guido Kosmehl, FDP: Was ist überkommene Infrastruktur?)

Investitionen in Köpfe und nicht in Beton. 

(Guido Kosmehl, FDP: Oh nö!)

Sie wissen das. Sie kennen das. Das ist ein Klassiker, aber das ist wahr. 

(Guido Kosmehl, FDP: Ein Fahrradweg kostet auch Geld!)

Wir haben nichts anderes als die Zukunft unserer Kinder. Wir haben keine Bodenschätze und an dieser Stelle müssen wir investieren. Denn nicht in Bildung zu investieren - das wissen Sie ganz genau - ist viel, viel teurer. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gehen Bildungschancen verloren, bleiben Potenziale und Talente von jungen Menschen ungenutzt, dann entsteht der eigentliche volkswirtschaftliche Schaden. Wenn wir in diesen Teufelskreis kommen, den wir allzu oft beobachten, mit dem Armut und schlechte Gesundheit einhergehen, mit dem Armut und Suchterkrankungen einhergehen, mit dem Armut und Schulden einhergehen, dann wird das richtig teuer für den Einzelnen und für die Gesellschaft. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen. 

Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss eines unbedingt noch ansprechen, weil es mich wirklich in Rage bringt. Wenn Politiker Armutsbetroffene stigmatisieren, wenn aus politischen Kreisen schlecht über diese Menschen gesprochen wird, dann regt mich das wirklich auf. Es sollte in einer sozialen Marktwirtschaft - davon sprechen immer alle - eine Herzensangelegenheit aller Politikerinnen und Politiker sein, konsequent an der Beseitigung der armutsfördernden Faktoren zu arbeiten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Aber wie wird häufig aus den politischen Kreisen heraus geredet und wie wird häufig geurteilt? - Ich will und muss an die unerträgliche Polemik seitens der CDU und ihres Vorsitzenden Herrn Merz erinnern; denn an dieser Stelle geht mir wirklich die Hutschnur hoch. 

(Jörg Bernstein, FDP: Beispiele!) 

Es ist wirklich armselig, welche Beiträge in der Debatte über das Bürgergeld abgeliefert werden. Arme Menschen gegen noch Ärmere auszuspielen, ist unterste politische Kategorie, das ist armselig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Von Armut betroffenen Menschen ihre Armut als persönliches Versagen vorzuwerfen, treibt einen Keil in unsere Gesellschaft. Es ist mehr als bezeichnend, dass Herr Lindner als allererstes die Streichung von Sozialleistungen einfiel, als das Urteil zum Klimafonds im letzten Jahr vom Bundesverfassungsgericht kam. Auch der aktuelle Zwölfpunkteplan der FDP atmet soziale Kälte. 

(Kathrin Tarricone, FDP: Ausdrücklich Nein! - Guido Kosmehl, FDP: Das stimmt doch gar nicht! - Oh! bei der CDU)

Daumenschrauben beim Bürgergeld, Rentenkürzungen: Sie bleiben Ihrem Motto, Partei der Besserverdienenden zu sein, treu. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist armselig, in einem reichen Land wie Deutschland Armut nicht effektiv zu bekämpfen; denn wir haben die Ressourcen, den Wohlstand und die Möglichkeiten, jedem Menschen ein lebenswürdiges Leben zu ermöglichen, Menschenwürde tatsächlich zu realisieren. In einem reichen Land wie Deutschland Armut nicht zu bekämpfen, ist ethisch verwerflich, aber es ist auch kurzsichtig und es bringt einen volkswirtschaftlichen Schaden mit sich. 

Ich glaube fest daran: Eine gerechtere Gesellschaft ist möglich. Wir müssen es wollen und müssen Aktivitäten entfalten. - Vielen Dank. 

(Beifall bei den GRÜNEN)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Es gibt zwei Nachfragen. Möchten Sie sie beantworten? - Herr Pott.


Konstantin Pott (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Frau Lüddemann. Eine kurze Vorbemerkung. Sie sprachen an, in die Jugend investieren zu wollen. Die Freien Demokraten waren bei der letzten Bundestagswahl bei den Erstwählern die stärkste Kraft, und zwar noch vor den GRÜNEN. Uns vorzuwerfen, dies nicht im Blick haben, ist ein wenig gewagt. 

Ich möchte eine Frage zur Kindergrundsicherung stellen. Ich habe die Passage aus dem Koalitionsvertrag herausgesucht. Dort steht - Zitat  :

    „In einem Neustart der Familienförderung wollen wir bisherige finanzielle Unterstützungen - wie Kindergeld, Leistungen aus [dem] SGB II/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets sowie den Kinderzuschlag - in einer einfachen, automatisiert berechnet und ausgezahlten Förderleistung bündeln.“

Können Sie mir erklären, weshalb dafür auch nur ansatzweise eine einzige zusätzliche Stelle notwendig ist?

(Beifall bei der FDP)


Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Das kann ich Ihnen nicht erklären. Ich kann nur darauf verweisen, dass die Zahl     Ich fand es auch megaunglücklich, dass diese Zahl - ich will sie gar nicht wiederholen - in die Welt gekommen ist.

(Guido Kosmehl, FDP: 5 000! Sie können es ruhig sagen!)

- Ja, wir kennen die Zahl alle. - Ich fand es sehr unglücklich. Ich kann es Ihnen nicht erklären. Ich finde es auch nicht richtig.

(Beifall bei den GRÜNEN - Stefan Ruland, CDU: Hätten Sie es lieber durch die Hintertür hineingeschoben!)