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Plenarsitzung

Transkript

Michael Richter (Minister der Finanzen): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin ein kleines bisschen irritiert bezogen auf das, was hier gerade vorgetragen wurde, dass die Schuldenbremse und das Thema IPS zusammengebracht werden und gesagt wird, das sei eine Verletzung der Schuldenbremse. Genau das ist im Einklang mit der Schuldenbremse; denn hierbei geht es um eine finanzielle Transaktion - das haben wir schon öfter besprochen  , die letztlich dazu führt, dass das Land auf der einen Seite eine Vermögensmehrung hat und auf der anderen Seite auch eine Refinanzierung. Das Ganze gleichermaßen auch bei der HTP GmbH - Stichwort Intel  , wo wir auch eine finanzielle Transaktion haben im Einklang mit der Schuldenbremse. Das ist keine Verletzung der Schuldenbremse. Insoweit stellt sich hier die Frage, ob dann tatsächlich Handlungsbedarf besteht. 

Aber lassen Sie mich vom Grundsatz her darauf eingehen. Ich meine, dass wir auch in der Diskussion Einiges zu beachten haben.

Wir können festhalten, dass kurz nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz des Bundes für das Jahr 2021 die Diskussion über die Schuldenbremse in der Öffentlichkeit Fahrt aufgenommen hat. Olaf Meister hat uns das gerade gesagt. Auch von wirtschaftlicher Seite gibt es Stellungnahmen zu der für den Bund und die Länder gleichermaßen bindenden Regelung. Diese reichen - jetzt sollten wir versuchen, das ein bisschen zu sortieren - von der gänzlichen und ersatzlosen Abschaffung bis zur unveränderten Beibehaltung der Regelung. All das haben wir schon gehört. Die Vorschläge - die unveränderte Beibehaltung und die vollständige Abschaffung einmal ausgenommen - lassen sich im Wesentlichen in drei Gruppen unterteilen.

Der erste Ansatz zielt auf eine Freistellung spezifischer Kategorien von Investitionen, die damit künftig jenseits des Konjunkturbezugs mittels Kredit finanziert werden dürfen. In Bezug auf die freigestellten Investitionen finden sich verschiedene Ansätze. Klimaschutzinvestitionen und bedeutende Zukunftsinvestitionen sind hierbei nur Stichworte in einer breiteren Diskussion. 

Der zweite Ansatz knüpft unmittelbar an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts an und schlägt vor, dass zumindest im Falle einer Notlage der Grundsatz der Jährlichkeit eingeschränkt und eine überjährige Notlagenkreditfinanzierung der Krisenbewältigung ermöglicht wird. Mit anderen Worten also eine Verfahrensweise, wie wir sie bei der Konzeption des Corona-Sondervermögens ursprünglich gewählt haben.

Der dritte Anlass stellt vorrangig auf die Tragfähigkeit der Verschuldung ab und setzt sie in Relation zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der kreditaufnehmenden Gebietskörperschaft. Für den Bund enthält die bisherige Regelung der Schuldenbremse bereits ein derartiges Element; er darf sich in Höhe von 0,35 v. H. des BIP unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung verschulden. Die Länder haben damals darauf verzichtet; sie hätten sich auch in Höhe von 0,15 v. H. des BIP verschulden können, sie haben das damals aber nicht gewollt.

Ein ähnlich gelagerter Ansatz wäre, die Zinslast in Relation zum Steueraufkommen zu setzen und hieraus eine Tragfähigkeitsobergrenze zu entwickeln. Der Tragfähigkeitsgedanke liegt im Übrigen auch dem EU-Recht zugrunde, auf dem der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt basiert. Die EU setzt - das Stichwort sind hierbei die sogenannten Maastricht-Kriterien - hierfür Grenzen: für das jährliche Defizit bei 3 v. H. des BIP und für die Gesamtverschuldung bei 60 v. H. des BIP.

Allein dieser kleine Überblick, der die Überlegungen natürlich nur unvollständig darstellen kann, verdeutlicht die Komplexität dieser Fragestellung, auf die es naturgemäß keine eindeutigen richtigen und falschen Antworten geben kann. Hier und heute scheint es mir aber vor allem wichtig zu sein, einige grundlegende Punkte festzuhalten, die wir in der Diskussion nicht aus den Augen verlieren sollten.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Schuldenbremse im Grundgesetz geregelt ist und die Länder unmittelbar bindet. Das Land selbst hat also weder einen gesetzgeberischen noch einen verfassungsgeberischen Spielraum, die Schuldenbremse im Sinne erweiterter oder modifizierter Verschuldungsspielräume zu ändern. Um es deutlich zu sagen: Wir führen eine von unseren Handlungsmöglichkeiten losgelöste Debatte.

Ein weiteres Faktum ist: Der Kern der Schuldenbremse besteht darin, die konjunkturellen Folgen auf die öffentlichen Haushalte zu neutralisieren, d. h. mit Verschuldensspielräumen in schlechten und Tilgungspflichten in guten Zeiten. Wir haben die Symmetrie hier schon des Öfteren dargestellt. Sie ist daher - und das ist aus meiner Sicht wirklich zu unterstützen - investitionsfreundlich; denn Steuerausfälle müssen nicht mehr wie früher durch Kürzungen an anderer Stelle ausgeglichen werden. Das staatliche Handeln wird hierdurch besser planbar.

Insofern ist es eine Fehleinschätzung, dass die Schuldenbremse wichtige Zukunftsinvestitionen unmöglich macht. Der in dieser Sitzungsperiode des Landtages auf der Tagesordnung stehende Haushaltsplanentwurf 2024 widerlegt diese Behauptung. Allein im Zusammenhang mit der Ansiedlung von Intel wird das Land im Jahr 2024 Mittel in Höhe von 250 Millionen € kreditfinanziert investieren, ohne, wie ich vorhin schon dargestellt habe, die Schuldenbremse zu verletzen. 

Ich bezweifle, dass wir zu diesem Kraftakt in der Lage gewesen wären, wenn wir die für das Jahr 2024 in der jüngsten Steuerschätzung prognostizierten Mindereinnahmen durch Einsparungen hätten auffangen müssen. Wir hatten noch die Möglichkeit, auch hier zwischen den entsprechenden Mindereinnahmen und den Mehreinnahmen für einen Ausgleich zu sorgen.

Die Schuldenbremse lässt auch kurzfristiges Reagieren auf Krisen zu. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz des Bundes für das Jahr 2021 ausdrücklich bestätigt.

In Notsituationen gewährt sie einem weiteren Verschulden Spielraum. Klargestellt wurde in diesem Zusammenhang aber: Der Gesetzgeber muss die zusätzlichen Kredite zur Krisenbekämpfung nutzen und diesen inneren Zusammenhang dezidiert darlegen. 

Ich halte fest: Die Handlungsfähigkeit des Staates ist also auch in derartigen Situationen gewährleistet.

Im Übrigen dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, dass die Forderung nach kreditfinanzierten Investitionen alles andere als neu ist. Ich erinnere diejenigen, die zu dieser Zeit noch nicht hier im Landtag waren, daran, dass vor der derzeit geltenden Schuldenbremse die sogenannte goldene Regel galt, die die Verschuldung an die Investitionsausgaben koppelte. 

Ohne die methodischen Unterschiede der alten und der neuen Regelung hier werten zu wollen und zu können, wird man aber zweierlei festhalten müssen: Zu Zeiten der goldenen Regel wurde nicht mehr investiert, als das heute der Fall ist. Das gilt übrigens nicht nur für das Land, sondern allgemein für die öffentliche Hand.

Fakt ist zweitens, dass die öffentlichen Haushalte in Zeiten der Kopplung von Verschuldung und Investitionsausgaben einen über die Jahre hinweg kontinuierlich anwachsenden Schuldenberg aufgebaut haben. Das ist auch nicht verwunderlich. Investitionen müssen derzeit abgeschrieben werden   wir haben es vorhin gehört  , Schulden aber bleiben. In der Debatte über einen stärkeren Investitionsbezug der Schuldenbremse müsste daher immer auf Nettoinvestitionen, Neuinvestitionen abzüglich Abschreibung, abgestellt werden. 

Aus dem Blickwinkel der Schuldentragfähigkeit lässt sich nicht unbedingt ein höherer Verschuldensspielraum herleiten. Deutschlands Gesamtverschuldung liegt schon jetzt mit etwa 65 % des BIP über dem Maastricht-Referenzwert.

Das Land Sachsen-Anhalt mit seiner im Ländervergleich überproportional hohen Verschuldung und seiner ebenfalls im Ländervergleich ungünstigen demografischen Entwicklung hat bereits heute eine enorme Vorbelastung, die einer Erweiterung der Verschuldungsspielräume eigentlich entgegensteht. Auch das muss man sich vor Augen halten. 

Olaf Meister, Sie haben vorhin deutlich gemacht, dass es gute und schlechte Schulden gibt - so habe ich Sie zumindest verstanden; so war auch der erste Teil Ihrer Rede - und dass bezüglich der guten Schulden dann auch die nachfolgenden Generationen das abzuarbeiten haben. In diesem Zusammenhang ist allerdings die Frage zu stellen, inwieweit dann die Handlungsfähigkeit des Landes eingeschränkt wird. Sie haben das Beispiel gebracht, dass wir auch bei uns im Land schon einen Zinsendienst von bis zu 900 Millionen € hatten, und das zu einer Zeit, in der es wirklich sehr, sehr schwierig war. Das muss man sich auch vor Augen halten und sich fragen, ob in diesem Zusammenhang dann tatsächlich eine Lockerung der Schuldenbremse nicht letztlich dazu führt, dass dann möglicherweise sogar weniger investiert wird. 

Ich wünsche mir, dass wir die heutige Debatte sowie künftige Debatten im Bewusstsein dieser Faktenlage führen, uns auch wirklich inhaltlich damit auseinandersetzen; denn auch Rechtsexperten sind dazu sehr, sehr unterschiedlicher Auffassungen. Das ist eine wirklich äußerst schwierige Materie. Insoweit ist es, denke ich, wichtig, die Debatte tatsächlich intensiv zu führen, nicht mit Schlagwörtern zu arbeiten nach dem Motto: „Der eine hat mehr Erfolg als der andere, wenn er etwas in die Welt setzt, was möglicherweise dem einen oder anderen besser gefällt.“ 

Das, was ich damit sagen will, ist: Wir haben uns hier sachlich sehr intensiv damit auseinanderzusetzen, um letztlich festzustellen, welchen Weg wir gehen. Ich sage Ihnen, dass die Schuldenbremse so, wie sie im Augenblick normiert ist, eine Reihe von Möglichkeiten bietet, hier Investitionen vorzunehmen. Insoweit bitte ich darum, auch sachlich zu diskutieren. Wir müssen übrigens abzuwarten, was die Bundesebene macht; denn das ist, wie gesagt, eine Voraussetzung.

Im Übrigen für Sie: Es steht auch in der Landesverfassung. Die zwei Drittel auf der Bundesebene heißen nachher auch zwei Drittel in der Landesverfassung. Das ist hier nachzuvollziehen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Richter, es gibt zwei Nachfragen, und zwar einmal von Herrn Striegel, des Weiteren von Herrn Scharfenort. - Herr Striegel, bitte.


Sebastian Striegel (GRÜNE): 

Vielen Dank. - Herr Minister, während wir hier miteinander tagen, wird der Ministerpräsident in der „Zeit“ mit der Forderung auch gegenüber dem Bund zitiert, die Schuldenbremse für das kommende Jahr auszusetzen. Mich interessiert, wie Sie das aus finanzpolitischer Sicht sehen. Teilen Sie diese Einschätzung, dass der Bund die Schuldenbremse im nächsten Jahr aussetzen sollte? Und: Zeigt sich nicht genau daran, dass wir immer wieder über ein Aussetzen reden, auch, dass wir eine Reform dieses Instrumentes auf der Bundesebene brauchen?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Richter.


Michael Richter (Minister der Finanzen):

Herr Striegel, ich weiß jetzt nicht, was der Ministerpräsident gegenüber der Zeitung gesagt hat, ob tatsächlich von einer Aussetzung der Schuldenbremse gesprochen wurde. Da wird immer einiges durcheinandergebracht. Wenn wir eine Notlage haben, dann wird die Schuldenbremse nicht ausgesetzt, sondern wir befinden uns in der Schuldenbremse. Sie wird dadurch auch nicht verletzt und sie wird nicht ausgesetzt. Ich kann jetzt nicht sagen, was der Ministerpräsident dort wirklich gesagt hat. Ansonsten weiß ich aber, dass er es sehr wohl genau so sieht, wie ich das hier vorgetragen habe, dass die Diskussion geführt werden muss, und zwar unter den Voraussetzungen, die ich hier dargestellt habe.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Richter. - Es folgt Herr Scharfenort.


Sebastian Striegel (GRÜNE): 

Stopp! Stopp! Stopp!


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Ach so, Entschuldigung. Herr Striegel, aber kurz.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Ganz klar und ganz kurz. - Er spricht tatsächlich von „Aussetzung“ und er spricht in diesem Zusammenhang von den Investitionen im Kontext von Intel. Er sagt, wir würden uns - so ist, glaube ich, die Formulierung - in den Hintern beißen, wenn wir diese Investition am Ende verlieren würden. Er befindet sich da im deutlichen Widerspruch zu Herrn Merz.

Meine Frage ist: Ist das eine Einzelmeinung von ihm? Ist das die Position der Landesregierung? Was können Sie als Finanzminister dazu sagen?


Michael Richter (Minister der Finanzen):

Erst einmal müssten Sie danach den Ministerpräsidenten selbst fragen. Ich kann nur sagen: Das, was ich hier vorgetragen habe, ist sicherlich auch die Auffassung der Landesregierung. Die Diskussion muss geführt werden. Aber noch einmal, Herr Striegel: Aussetzung der Schuldbremse bzw. Notlage und im Rahmen der Schuldenbremse zu agieren, das sind unterschiedliche Dinge.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Richter. - Es folgt Herr Scharfenort. Herr Scharfenort, bitte.


Jan Scharfenort (AfD): 

Vielen Dank. - Herr Meister hat mich auf die Nachfrage gebracht, und zwar zur Kritik an der IPS. Ich möchte das noch einmal ansprechen. Sie und Ihr Staatssekretär haben uns im Ausschuss schon mehrmals - ich habe es mir einmal auch als Wortprotokoll geben lassen - eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für die IPS versprochen. Ich frage Sie: Wann kommt denn die in den Ausschuss? Wann wird die uns geliefert? Gibt es dafür schon ein konkretes Datum? Oder empfehlen Sie mir, dazu noch einmal eine konkrete Kleine Anfrage zu machen? Dann werde ich das natürlich tun.


Michael Richter (Minister der Finanzen):

Nein, wir können das gern am 11. Januar 2024 im Finanzausschuss besprechen.