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Plenarsitzung

Transkript

Eva Feußner (Ministerin für Bildung): 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die PISA-Studie zeigt uns an, an wie vielen Stellen wir dringenden Handlungsbedarf haben, der über das Feld der Schulen weit hinausgeht. 

Die Ursachen müssen gründlich, vertieft und auch unvoreingenommen analysiert werden. Keine Frage: Die Ergebnisse der PISA-Studie sind schlecht, aber nach den Ergebnissen von PIRLS, IGLU, TIMMS, auch des letzten IQB-Bildungstrends, bei denen ähnliche Testungen unter unseren Schülern vorgenommen wurden, konnte man sicherlich nicht mit gravierenden Abweichungen rechnen, auch da zum Teil gleiche Klassenstufen, auch im gleichen Zeitraum, getestet wurden. Also, die Ergebnisse waren aus meiner Sicht nicht wirklich überraschend. 

Ich möchte an dieser Stelle nur festhalten, dass wir in Sachsen-Anhalt bei der IQB-Studie nicht unbedingt schlecht abgeschnitten haben; im Gegenteil. 

Bei der PISA-Studie wird es keine länderbezogene Auswertung geben, sodass wir diesen Vergleich an der Stelle nicht anstellen können. Für die PISA-Studie wurde nur Deutschland als Ganzes ausgewertet. 

Die PISA-Studie ist ein Teil der Gesamtstrategie der KMK zum Bildungsmonitoring. Allerdings umfasst Schule gerade in Deutschland mehr als die in der OECD-Studie erfassten Bereiche. Insbesondere möchte ich darauf hinweisen, dass auch Gesellschaftswissenschaften und kulturelle Bildung, all diese Dinge, bei der PISA-Studie und auch bei den anderen Testungen bisher nie eine Rolle gespielt haben. 

Andere Länder setzen verstärkt - das ist tatsächlich so  , mehr als wir in Deutschland, auf die sogenannten MINT-Fächer. Auch über diese Strategie gilt es natürlich, zu diskutieren bzw. sie zu hinterfragen. 

Die Leistungen der Schüler lagen in Mathematik, in den Lesekompetenzen und in den Naturwissenschaften geringfügig über dem OECD-Durchschnitt. Die Durchschnittsergebnisse fielen im Jahr 2022 natürlich schwächer aus als im Jahr 2018. Die Differenz   das ist weniger erfreulich; im Gegenteil: besorgniserregend   zwischen den Durchschnittsergebnissen in den Jahren 2018 und 2022 entspricht in etwa dem typischen Lernfortschritt eines gesamten Schuljahres. Was sind nun nach derzeitigen Analysen die wesentlichen Gründe dafür? 

Erstens die Auswirkungen der Coronapandemie. Deutschland hatte besonders lange Zeiträume von Schulschließungen im Vergleich zu den Spitzenländern. 

(Zuruf von der AfD: Ihr habt es doch gemacht!)

Das heißt, die Lernrückstände zu kompensieren, daran muss dringend festgehalten werden.

Ich möchte es an dieser Stelle noch einmal sagen: trotz der Warnung aller Bildungsminister in Deutschland und des Appells, die Schulen bitte nicht so lange zuzumachen. Wir brauchen uns nur an den Nordländern zu orientieren, in denen die Schulen bei Weitem nicht so lange geschlossen waren. 

Zweitens die Zunahme der Gruppe der Risikoschüler. Die Zusammensetzung der Schülerschaft hat sich verändert. Ein nicht geringer Teil kommt aus einem Umfeld - das ist auch keine gute Analyse  , in dem die Bildungsanstrengungen nicht oder zu wenig unterstützt werden. Insbesondere ist hier das Elternhaus zu nennen. Das spielt eine ganz wesentliche Rolle. Es braucht neben Unterstützungsangeboten - ich nenne nur den Bereich der Ganztagsangebote; alle Länder, die an der Spitze bei der PISA-Studie stehen, haben Ganztagsangebote - auch eine gesellschaftliche Gesamtverantwortung, klare Zuständigkeiten und fördernde Anreize. 

Drittens. Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund ist im Zeitraum von 2012 bis 2022 von 25,8 % auf 38,7 % gestiegen -

(Zuruf von der AfD: Wahnsinn! Danke!)

deutschlandweit. Die Lernrückstände insbesondere bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind besonders eklatant, da ihnen ganz häufig die Grundlagen für einen Bildungserfolg fehlen. Das ist nämlich insbesondere das Beherrschen der deutschen Bildungssprache. 

Ausgehend von diesen Befunden und Analysen müssen natürlich auch Maßnahmen folgen. Ich bin sehr froh darüber, dass wir uns vorige Woche in der KMK bereits auf erste Maßnahmen verständigen konnten. Darüber hinaus gibt die PISA-Studie auch wertvolle Hinweise darauf, was andere Länder, die an der Spitze stehen, nicht nur anders, sondern besser machen. Auch hierdurch können wir für unser System Anregungen und Ideen gewinnen. Man geht aber fehl in der Annahme, dass wir all dies eins zu eins in unser System übernehmen könnten, weil die Voraussetzungen jeweils andere sind.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf Finnland verweisen. In der vorletzten PISA-Studie belegte Finnland einen Spitzenplatz. Massen sind nach Finnland gereist. Das System wurde als Vorbild für uns alle deklariert.

(Zuruf von Marco Tullner, CDU)

Heute ist Finnland nur noch Mittelmaß. Die Gründe hierfür sind nachvollziehbar. Sie haben mit ähnlichen Problemen zu tun wie wir in Deutschland. 

Ich warne also davor, die Ergebnisse überzuinterpretieren. Auch eine Berichterstattung auf Länderebene findet eben nicht statt. Trotzdem müssen wir Lehren aus dem Gesamtergebnis ziehen.

Schauen wir auf die Spitzenreiter, die ostasiatischen Länder. Sie schneiden in den Tests durchweg besser ab. Tatsache ist, dass die Spitzenländer mehr als wir in Bildung investieren - das sage ich ganz bewusst  , mehr finanziell, aber auch mehr ideell. Tatsache ist aber auch, dass z. B. in China keine flächendeckende Teilnahme am Test stattgefunden hat. Kinder von Wanderarbeitern z. B. wurden im Test gar nicht berücksichtigt, sondern es wurden nur punktuelle Regionen herausgesucht, in China z. B. Hongkong.

(Zuruf von Jan Scharfenort, AfD)

Estland hat keine Schüler mit Migrationshintergrund, ist auch ein Spitzenland

(Zustimmung von Jörg Bernstein, FDP)

und, was die Digitalisierung anbelangt, wesentlich weiter als Deutschland. 

Singapur als Stadtstaat hat natürlich auch andere Voraussetzungen als wir als Flächenland. Interessant ist insbesondere die ständige Verpflichtung zur Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte. Sie ist dort mit 100 Stunden im Jahr Pflicht. 

(Zustimmung von Jörg Bernstein, FDP)

Interessant ist aber, dass alle diese Länder über ein Ganztagsangebot verfügen und dass sie Sicherheit geben für Eltern und für die Schülerinnen und Schüler.

Was sagen uns diese Beispiele? - Wir sollten uns informieren. Wir sollten uns damit auseinandersetzen und auch Best-Practice-Beispiele übernehmen, aber unter der Berücksichtigung der Gegebenheiten und Voraussetzungen anderer Länder ist das eben nicht alles genuin auf Deutschland und insbesondere auch nicht auf Sachsen-Anhalt übertragbar. 

Das alles soll natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir dringenden Handlungsbedarf haben. Die Ergebnisse sind tatsächlich besorgniserregend, aber eben auch nicht wirklich überraschend, wenn man die Ergebnisse in einen entsprechenden Kontext einordnet. 

Darüber haben wir uns als Länder in der Kultusministerkonferenz, wie gesagt, in der vorigen Woche ausgetauscht. Wir haben uns dazu auch verständigt. Ich kann das Papier gerne den Abgeordneten des Bildungsausschusses zur Verfügung stellen.

(Marco Tullner, CDU: Dem ganzen Landtag!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast 30 % der Schüler in Deutschland geben an, in Mathematik in den meisten oder in allen Unterrichtsstunden nicht ungestört arbeiten zu können. Fast 40 % gaben an, dass sie der Lehrkraft nicht zuhören bzw. sich im Unterricht langweilen. Wir müssen dafür sorgen, dass Schulen wieder Orte werden, an denen den Lehrkräften in Ruhe zugehört werden kann und in Ruhe gelernt werden kann, ja, auch Wissen vermittelt wird. 

Wir müssen unsere Schülerinnen und Schüler motivieren, aber auch unsere Lehrer und nicht ständig alles schlechtreden, was in Schule passiert. 

(Zustimmung bei der CDU)

Erfolge und gute Schulen finden wir ausreichend auch in Sachsen-Anhalt. Sie finden aber nur selten in der Öffentlichkeit statt. 

(Angela Gorr, CDU: Ja!)

Es muss eine Stärkung der Kernfächer und der basalen Kompetenzen stattfinden. Das Prinzip heißt fördern, aber auch fordern. 

(Zustimmung bei der CDU)

Wir müssen die Resilienz, die Konzentrationsfähigkeit und die Ausdauer unserer Schüler stärken. Sie müssen selbstständiger werden und Inhalte eigenständig erfassen. Dazu müssen wir sie befähigen. 

Die Lehrkräfte müssen wir auf diesem Weg mitnehmen und ebenfalls dazu befähigen, diese Kompetenzen auch vermitteln zu können. 

Eine wichtige Voraussetzung ist die Beherrschung der deutschen Sprache. Das ist unerlässlich.

(Zustimmung bei der CDU)

Das gilt nicht nur für das Fach Deutsch, sondern für alle Fächer und alle Lernbereiche. Bereits in der frühkindlichen Bildung spielt das eine ganz zentrale Rolle. Sprachstandserhebungen vor dem Schulbesuch und damit vorschulische Sprachförderung sind nicht nur notwendig, sondern unerlässlich, um einen erfolgreichen Start in der Grundschule zu gewährleisten. 

(Zustimmung bei der CDU und von Dr. Katja Pähle, SPD)

In allen Spitzenländern ist eine verbindliche Vorschule Voraussetzung für den späteren Schulbesuch. Darüber hinaus müssen die Konzepte für den Unterricht in Deutsch als Zweitsprache auf den Prüfstand gestellt werden. Unabhängig davon, dass auch hierbei Fachkräftemangel besteht, sind hierfür nicht allein die Schulen in der Verantwortung, sondern insbesondere - ich betonte es schon - auch die Eltern. 

In Familien mit und ohne Migrationshintergrund wird zu wenig gesprochen und auch zu wenig gelesen. Stattdessen werden die Kinder im System Schule - so habe ich es aufgeschrieben - abgegeben, manchmal aber sogar abgekippt. Und dies alles soll die Schule nun leisten, wird von der Schule eingefordert. Das überfordert das System Schule. Das kann die Schule, auch wenn sie es will, allein nicht leisten. 

Verantwortlichkeiten müssen klar definiert und auch zugeordnet werden. Es klingt vielleicht banal, aber die Schule ist tatsächlich kein gesellschaftlicher Reparaturbetrieb.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Analysiert man die Erfolge in den Spitzenländern, dann bemerkt man, dass dort bei den Schülern eine intrinsische Motivation besteht, die Schule erfolgreich zu absolvieren, 

(Zustimmung bei der CDU - Angela Gorr, CDU: Genau! - Zuruf von der AfD: Das hat etwas mit der Kultur zu tun!)

und das kommt insbesondere aus der Gesellschaft und aus dem Elternhaus. Eine kohärente Gesamtstrategie über ein Bildungsmonitoring, die Durchführung von Tests und Lernstandserhebungen führen natürlich zu evidenzbasierten Schul- und Unterrichtsentwicklungen, und das ist auch notwendig. Das sind die Grundlagen für eine ausführliche Analyse und für zielgerichtete Maßnahmen, die daraus auch abgeleitet werden müssen.

Der Leistungsgedanke und nicht seine Nivellierung spielt jeweils eine ganz wesentliche Rolle in den Ländern, die an der Spitze stehen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Um entsprechende Abschlüsse auch zu erlangen, ist der Leistungsgedanke vordergründig. Da müssen wir wieder hinkommen. Die Arbeit im Team, ja, auch in multiprofessionellen Teams, die gezielte Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte sind ebenfalls Gelingensbedingungen für den Schulerfolg.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Ministerin, darf ich daran erinnern, dass wir uns in einer Zehnminutendebatte befinden.


Eva Feußner (Ministerin für Bildung):

Ja, ich komme gleich zum Ende. - Ich will noch einmal sagen: Die Standardargumente, die jetzt immer wieder kommen, Schulstruktur, längeres gemeinsames Lernen, Klassenstärke - diese liegt in Japan übrigens bei bis zu 44  , Lehrermangel usw., das sind nicht die wesentlichen Aspekte der Spitzenländer, auch nicht der Föderalismus, Stichwort: Kanada. 

Wir brauchen eine eigene Bildungs-DNS, die uns als Grundpfeiler für zukünftige Bildung dient, und ein Grundverständnis. Deshalb freue ich mich, dass wir uns diesbezüglich auch im Bildungsausschuss austauschen werden und uns vielleicht auch einmal konsensual auf die Herausforderung verständigen werden, die es notwendig macht, in unser System einzugreifen. Dazu gehören eben die frühkindliche Förderung und Maßnahmen zum konsequenten Spracherwerb, die schnelle und profunde Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte, eine zielgenaue Lernförderung auch durch digitale Tools - hierbei haben wir trotz erheblicher Fortschritte im Bereich der Digitalisierung noch Nachholbedarf; Herr Borchert hat es gesagt - und eine bedarfsgerechte Ressourcenzuweisung.

Es geht aber auch um die Fragen, wie wir dabei zielgerichtet unterstützen können, was und wer dazu nötig ist. All dies bedeutet nicht nur ein gesellschaftliches Bekenntnis - nein, das reicht nicht aus  , es braucht ein Verständnis dafür, dass Bildung alle Bereiche betrifft und auch alle, die wir hier sitzen und darüber hinaus Verantwortung dafür tragen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Keine einseitigen Schuldzuweisungen! Das sind wir unseren Kindern schuldig. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Ministerin, trotz der erheblichen Redezeit haben sich doch noch einige Nachfragen ergeben. Es gibt eine Frage von Herrn Striegel, eine Intervention von Herrn Dr. Tillschneider und weitere Nachfragen von Herrn Lieschke und von Frau Hohmann. - Herr Striegel fängt an.


Sebastian Striegel (GRÜNE): 

Vielen herzlichen Dank. - Frau Ministerin, ich glaube, die Probleme sind aufgeworfen worden. Sie haben sie hier noch einmal beschrieben. Sie haben eine gute Sprachförderung als einen der Schlüssel herausgestellt. Wir haben des Weiteren das Problem, dass der Bildungserfolg in Deutschland sehr stark vom sozioökonomischen Hintergrund der Eltern abhängt.

(Jörg Bernstein, FDP: Nein! - Tobias Rausch, AfD: Das ist Schwachsinn! - Zuruf von der AfD: Das ist eine Lüge!)

- Das ist ein Befund. - Die Frage, die ich habe, gerade auch vor dem Hintergrund des von Ihnen, Frau Ministerin, gemachten Angebots, doch gemeinsam für Bildungserfolge zu arbeiten, ist: Wie könnten aus Ihrer Sicht tatsächlich die konkreten Förderinstrumente an dieser Stelle aussehen? Sie haben sozusagen die Richtung vorgegeben. Aber haben Sie auch schon Ideen zu konkreten Instrumenten, mit denen man auch angesichts der Rahmenbedingungen in Sachsen-Anhalt, die nicht ganz einfach sind - das begrenzte Ressourcenangebot trifft uns alle  , weiter vorankommen kann? Könnten Sie das vielleicht noch etwas stärker konkretisieren?


Eva Feußner (Ministerin für Bildung):

Ich habe das in meinen Redebeitrag eingebaut; vielleicht ist das nicht ganz so deutlich geworden. Wir brauchen tatsächlich ein evidenzbasiertes Bildungsmonitoring.

(Zustimmung von Matthias Redlich, CDU)

Wir müssen vieles erheben, damit wir zielgerichtet fördern können. Es geht nicht darum, etwas in Massen herauszukippen; denn wir haben eben einen begrenzten Personalpool zur Verfügung. Deshalb müssen wir gezielt vorgehen, d. h., Erhebungen von allen möglichen Daten, insbesondere Leistungserhebungen, damit wir wissen, wo wir ansetzen müssen, auch was das soziale Umfeld anbelangt. All das sind Dinge, die wir dringend brauchen.

In dieser Richtung sind wir als KMK schon unterwegs. Wir müssten eigentlich schon viel schneller sein. Wir sind im Land mit dem BMS diesbezüglich unterwegs, mit dem wir viele Daten erheben können, Leistungen zurückkoppeln können. An dieser Stelle können wir gezielt ansetzen. Dort müssen wir dann gezielt hineingehen, was die Unterstützung anbelangt, wie viel Unterstützung, wie viel Personal. Das ist erst einmal die essenzielle Grundlage, um in dem Bereich überhaupt weiterzukommen.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Feußner. - Herr Dr. Tillschneider, bitte.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD): 

Ja, Frau Ministerin Feußner, ich bin angenehm überrascht. Ihre Rede hätte zu - ich will nicht übertreiben; ich will nicht sagen, zu 100 % - 60 % von der AfD stammen können. Es gibt schon noch einige Dinge, bei denen wir uns uneinig sind, aber zu 60 % war das Geist vom Geist der AfD.

(Oh! bei der CDU)

Es freut mich, dass wir hier nicht umsonst sind, dass wir hier nicht gegen eine Wand sprechen, sondern dass da eine Ministerin sitzt,

(Beifall bei der AfD - Zuruf von Angela Gorr, CDU)

die zuhört und nachdenkt und sich überzeugen lässt und unsere Ansätze aufnimmt. Das finde ich sehr gut. Ich will Ihnen auch nicht nachtragen, dass Sie in der Vergangenheit immer alles abgelehnt haben, was von uns kam und was in diese Richtung ging. Ich bin wohlwollend, und ich unterstelle Ihnen, dass Sie von gestern auf heute einen Sinneswandel vollzogen haben.

(Lachen bei der CDU)

Deshalb würde ich Sie jetzt etwas fragen wollen. Sie haben sehr treffend ausgeführt, dass die Schule kein Reparaturbetrieb für die Gesellschaft sein kann - AfD. Leistungsgedanken stärken - AfD.

(Guido Kosmehl, FDP: Ach, Schwachsinn! - Weitere Zurufe von der CDU)

Es ist ein großes Problem, dass viele Schüler mit Migrationshintergrund kein Deutsch können - AfD.

Sie haben in der Vergangenheit diese Willkommensklassen für die Flüchtlinge aus der Ukraine eingeführt. Die fanden wir am Anfang gar nicht schlecht, aber Sie konnten diese Sonderklassen nicht schnell genug abschaffen und die Schüler in die Regelklassen integrieren. Unseren Vorschlag, Sonderklassen für Flüchtlingskinder im Fall der Syrer einzurichten, haben Sie von vornherein abgelehnt.

Jetzt frage ich Sie aufgrund der Standpunkte, die Sie jetzt verlautbart haben: Wenn noch einmal so etwas wie in der Ukraine oder in Syrien passiert und wieder Massen von Schülern mit Migrationshintergrund kommen, die kein Deutsch können, werden Sie uns dann zustimmen und Sonderklassen bilden oder machen Sie weiter wie in der Vergangenheit?

(Zustimmung bei der AfD - Marco Tullner, CDU: Was ist das denn für eine dämliche Frage? - Zuruf von der AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Feußner, bitte.


Eva Feußner (Ministerin für Bildung):

Ich will jetzt nicht mit dem Satz aus der Werbung antworten: Wer hat‘s erfunden? 

(Lachen bei der CDU)

Ich glaube, jeder hat sein Programm und darin kann man nachlesen, wer wofür einsteht. Darüber müssen wir uns hier, glaube ich, nicht streiten.

Zu den Ukraine-Sonderklassen. Natürlich haben wir mit Sonderklassen angefangen und versucht, insbesondere den Spracherwerb zu fördern und dort, wo das gelungen ist, die Schülerinnen und Schüler in das Regelsystem zu integrieren. Das ist uns nicht generell gelungen, das gebe ich hier offen und ehrlich zu. Wir haben weiterhin Sonderklassen. Da in den letzten Monaten wieder erheblich mehr Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine nach Sachsen-Anhalt gekommen sind, werden wir auch wieder Sonderklassen führen; denn die Kapazitäten in unseren Schulen reichen nicht mehr aus, um sie in unsere Schulen zu integrieren. Wir müssen vielmehr nach Räumlichkeiten suchen und schauen, dass diese Schüler beschult werden, insbesondere was den Spracherwerb anbelangt. Wir müssen schauen, dass wir auch Kooperationen mit vorhandenen Schulen der jeweiligen Schulform schaffen.

Das ist eine Kapazitätsfrage, weniger eine Frage des Inhaltes. Wir müssen bedenken, dass alle Schülerinnen und Schüler, die hier in Deutschland ankommen und leben, ein Recht auf Schulbesuch, ja, sogar eine Pflicht dazu haben. Das werden wir weiterhin verfolgen. Ich lehne damit nicht die Integration in die Regelklassen ab; es ist es einfach eine Frage der Kapazität.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Feußner. - Herr Lieschke.


Matthias Lieschke (AfD): 

Werte Frau Feußner, werte Ministerin, ich weiß, Sie sind recht neu in diesem Amt und haben nicht alles verbockt, was in der Vergangenheit im Bildungssystem hier schiefging. Wir wissen seit vielen Jahren, speziell Sie von der CDU, wie viele Lehrer fehlen. Sie wussten genau, wie viele Kindergartenkinder in die Schule kommen. Sie haben das Problem nicht erkannt und stattdessen irgendwelche bestimmt, die mal durchzählen sollten, wie viele Schüler kommen. Das Problem ist nun einmal da und Sie setzen jetzt massiv auf das Thema Quereinsteiger. 

Ich habe ein Beispiel aus dem Landkreis Wittenberg. Dort haben Sie an der Sekundarschule Elster einen iranischen Lehrer eingestellt. Er ist z. B. der Meinung gewesen, dass er wegen einer Stunde nicht kommt. Später wurde er nie wieder gesehen. Er hat die Schlüssel der Schule behalten. Eine Kündigung konnte man ihm nicht ausstellen, weil als sein Wohnsitz noch immer Teheran angegeben war, was ehrlicherweise völlig bescheuert ist.

Ich frage mich: Wie prüfen Sie die Qualität der Quereinsteiger, wenn Sie solche Leute, die für den Schuldienst offensichtlich nicht bereit sind, auf die Schüler loslassen? Wie wollen Sie damit die Qualität der Schüler steigern? Denn die Schüler bei uns im Landkreis wollen lernen, aber sie bekommen dann Lehrer vorgesetzt, die selbst nicht auf die Idee kommen, zur Schule zu kommen. Ehrlich!

(Zustimmung bei der AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Feußner, bitte.


Eva Feußner (Ministerin für Bildung):

Ich beginne einmal so: Ich hoffe stark, auch wenn Umstände manchmal so sind, wie sie sind, dass wir die Fehler, die in der Vergangenheit tatsächlich gemacht worden sind, nicht wiederholen. Man wusste in der Vergangenheit ganz genau, wie viele Lehrkräfte aus dem System ausscheiden, wie viele man hätte ausbilden müssen, wie viele man hätte einstellen müssen. Das ist tatsächlich versäumt worden, nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern in Deutschland generell. Ich hoffe, dass man daraus lernt und auch den Blick dafür hat, dass solche Fehler nicht wieder passieren. Denn das ist natürlich immer eine schlechte Voraussetzung für gute Schule.

(Jan Scharfenort, AfD: Dann müsst ihr es besser machen! - Guido Kosmehl, FDP: Wie denn?)

Jetzt komme ich zu den Seiteneinsteigern. Ich möchte, wenn es darum geht, Lehrkräfte einzustellen, natürlich nach Möglichkeit immer gut ausgebildete Lehrkräfte einstellen, wenn sie da wären. Sie sind aber nicht da, deutschlandweit nicht und im Übrigen auch international nicht. Auch die Länder auf den Spitzenpositionen haben Probleme mit Lehrermangel.

(Zustimmung von Jörg Bernstein, FDP, und Guido Kosmehl, FDP)

Es ist also nicht so, dass diese Länder ganz oben stehen, weil sie Massen an Lehrern zur Verfügung haben, sondern sie haben eine Vielzahl von Unterstützungssystemen, wo auch pädagogisches Personal unterstützend wirkt, weil die Lehrer nicht vorhanden sind. Das ist eigentlich die Crux. Wenn man nicht ausreichend pädagogisch ausgebildete Personen hat, in dem Falle Lehrkräfte, dann muss man auf solche Wege zurückgreifen wie den Seiteneinstieg. Die Lehrkräfte im Seiteneinstieg sind zu einem großen Teil gut. Natürlich gibt es auch einige, denen es nicht gelingt, diesen pädagogischen Ansprüchen gerecht zu werden und das zu bewältigen. 

Wir haben ein Auswahlverfahren. Erstens ist eine entsprechende Ausbildung Voraussetzung; das ist klar. Man muss entsprechende Nachweise vorlegen und die Ausbildung muss auch anerkannt sein. Zweitens haben wir Auswahlkommissionen, die sich insbesondere auch die Lehrkräfte im Seiteneinstieg ansehen, mit ihnen Gespräche führen und sie auch darauf testen - dafür gibt es ein Punktesystem  , ob sie für die Schule geeignet sind.

Trotzdem gibt es immer auch einen Teil, der das Auswahlverfahren besteht, aber in der Schule nicht besteht. Das ist ein normaler Vorgang. Es gibt auch ausgebildete Lehrkräfte, die in der Schule nicht bestehen, wenn sie vom Studium kommen. Auch bei diesen gibt es Abbrecher, allerdings ist deren Zahl nicht so groß wie im Bereich der Seiteneinsteiger.

Ihren speziellen Fall können Sie mir gern noch einmal geben. Ich würde mir das gern einmal angucken. Im Detail kann ich zu dieser Person jetzt nichts sagen, aber wir prüfen das seitens des Landesschulamtes immer sehr genau.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Feußner. - Es folgt eine letzte Frage von Frau Hohmann.


Monika Hohmann (DIE LINKE): 

Frau Ministerin, meine Frage bezieht sich auf die Sprachstandsfeststellung, die Sie vorhin angesprochen haben. Sie sagten, dass die Kinder, bevor sie in die Schule kommen, sich dieser Sprachstandsfeststellung unterziehen sollten. Meinen Sie damit allgemein alle Schülerinnen und Schüler?

Dann hätte ich eine Frage dazu. Wir hatten schon einmal ein System der Sprachstandsfeststellung im Kinderförderungsgesetz. Das ist damals ohne eine Evaluation wieder herausgenommen worden. Könnten Sie sich vorstellen, dass man ein moderneres, überarbeitetes Modell für die Sprachstandsfeststellung wieder einführen könnte oder sollte?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Feußner.


Eva Feußner (Ministerin für Bildung):

Wenn Sprachstandsfeststellung, dann für alle Kinder, die sich im vorschulischen Alter bewegen. 

(Beifall bei der CDU)

Denn wir haben nicht nur migrantische Kinder, die Probleme mit der Sprache haben, wir haben auch deutsche Kinder, die Probleme mit der deutschen Sprache haben,

(Zustimmung - Zuruf von der AfD)

die zu Hause in der Regel wenig angeleitet werden.

Jetzt kommt es: Wir sind, wenn ich es richtig weiß, eines der wenigen Bundesländer, die keine Sprachstandsfeststellung im vorschulischen Bereich machen. Das wird mir regelmäßig auch in der KMK vorgeworfen. Da wird gefragt: Warum macht Sachsen-Anhalt das eigentlich nicht? Ich kann das nicht beantworten; das ist nicht meine Zuständigkeit. Ich würde es mir sehr wünschen. Das ist auch zwingend notwendig. 

Bitte beschäftigen Sie sich einmal damit. Ich habe in meinem Redebeitrag auch gesagt, man kann nicht alles eins zu eins übertragen. Beschäftigen Sie sich einmal mit den Spitzenländern. Ich habe bewusst die Vorschule angesprochen. Ob das nun Vorschule heißt oder Kindergarten oder wie auch immer, darüber kann man sich streiten. Aber alle Spitzenländer haben ein solches System, in dem man im vorschulischen Alter intensiv gefordert wird. In der Regel kommen die Kinder in die Schule und können schon Lesen, Rechnen und Schreiben. Wir beginnen aus meiner Sicht viel zu spät damit, die Kinder zu fördern. Dafür müssten wir gemeinsam einen Weg finden. Sicherlich sollten wir dann auch mit meiner Kollegin und mit dem Sozialausschuss dazu ins Gespräch kommen, wie man das, wenn man das möchte, gemeinsam bewerkstelligen kann.