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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 1

a)    Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2023 (Nachtragshaushaltsgesetz 2023 - NHG 2023)

Gesetzentwurf Landesregierung - Drs. 8/3421

b)    Beratung

Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation nach § 18 Abs. 5 LHO für das Haushaltsjahr 2023

Antrag Landesregierung - Drs. 8/3434


Wir haben eine Zehnminutendebatte vereinbart, also zehn Minuten Redezeit pro Fraktion. Für die Einbringung bitte ich jetzt für die Landesregierung Herrn Minister Richter nach vorn. - Herr Richter, Sie haben das Wort. Wenn Sie die zehn Minuten einhalten, dann wäre das schön. Danke.


Michael Richter (Minister der Finanzen): 

Herr Präsident, ich gebe mir Mühe. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selten hat ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts für so viel Diskussionsstoff gesorgt wie die Entscheidung zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 des Bundes. 60 Milliarden € nicht abgerufener Mittel zur Pandemiebekämpfung dürfen nicht in den Klima- und Transformationsfonds umgewidmet werden, so die Richter des Bundesverfassungsgerichts. 

Schuldenbremse, Sondervermögen und Verfassungskonformität waren über Nacht in aller Munde. Unser Land war um zahlreiche Verfassungsexperten reicher. Uns, im Finanzministerium, wurde nach intensiver Beleuchtung des 60-seitigen Urteils klar, dass auch für uns Handlungsbedarf besteht; denn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betrifft nicht nur den Klima- und Transformationsfonds des Bundes, sondern in einem Punkt auch die Verfassungsmäßigkeit unseres Corona-Sondervermögens.

Meine Damen und Herren! Eines möchte ich an dieser Stelle betonen. Mit dem Urteil werden Sondervermögen nicht grundsätzlich infrage gestellt. Ihrer Finanzierung werden jedoch Grenzen gesetzt. Das Urteil ist weitreichend. Auch andere Bundesländer haben in jüngster Zeit schuldenfinanzierte Sondervermögen aufgelegt und sind ebenso wie wir betroffen. So gab es in den vergangenen Wochen natürlich auch einen regen Austausch auf der Ebene der Länder mit vielen unterschiedlichen Argumenten, aber letztlich doch mit einer ähnlichen bzw. gleichlautenden Auslegung.

Nach intensiver Prüfung sieht die Landesregierung Handlungsbedarf. Sie legt Ihnen heute den Entwurf eines Nachtragshaushaltsgesetzes für das Jahr 2023 vor, verbunden mit der Bitte, auch für das Jahr 2023 eine außergewöhnliche Notsituation festzustellen.

Lassen Sie mich zunächst kurz ausführen, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Das Zweite Nachtragshaushaltgesetz 2021 des Bundes ist verfassungswidrig und damit nichtig. Das hat drei Gründe. Erstens dürfen die Ausgaben nur dann mittels Notlagenkredit finanziert werden, wenn sie zur Bewältigung der Notlage dienen. Es bedarf also eines Sachzusammenhangs zwischen Notlage und Ausgabe. Der Bund hat hiergegen verstoßen, 

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Sachsen-Anhalt auf keinen Fall!)

da er die Notlagenkredite für andere Zwecke nutzen wollte: statt zur Bewältigung der Coronakrise zur Bewältigung des Klimawandels.

Zweitens muss ein Nachtragshaushalt in dem Jahr verabschiedet werden, für das er gelten soll. Der Bund hat seinen Nachtragshaushaltsplan seinerseits rückwirkend in Kraft gesetzt.

Drittens gebieten die Grundsätze der Jährlichkeit und Jährigkeit, dass Notlagenkredite in einem Haushaltsjahr nur in der Höhe der notlagenbezogenen Ausgaben desselben Haushaltsjahres aufgenommen werden dürfen. Die zeitliche Entkopplung von Kreditaufnahme und tatsächlicher Ausgabenleistung ist nicht zulässig. Auch hiergegen hat der Bund verstoßen. 

Jeder einzelne dieser Gründe ist für eine Verfassungswidrigkeit ausreichend. Was folgt daraus für unser Corona-Sondervermögen? - Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirkt nicht unmittelbar auf unser Corona-Sondervermögen und stellt dieses auch nicht infrage. Wir müssen jedoch die Finanzierung anpassen, damit es den Vorgaben des Urteils entspricht. 

Die ersten beiden der drei Gründe, die ich Ihnen dargelegt habe, treffen auf das Sondervermögen in Sachsen-Anhalt nicht zu. Das Land hat mit dem Corona-Sondervermögensgesetz einen detaillierten und verbindlichen Maßnahmenkatalog beschlossen, den Sachzusammenhang zur Notsituation genau begründet und damit verfassungskonform gehandelt. Ebenso hat der Landtag den Nachtragshaushalt 2021 und das Corona-Sondervermögensgesetz noch am Jahresende 2021 und damit rechtzeitig verabschiedet.

Der dritte der drei vom Bundesverfassungsgericht angeführten Gründe trifft jedoch auch auf das Corona-Sondervermögen zu. Das ist die unzulässige zeitliche Entkopplung von Kreditaufnahme und tatsächlicher Ausgabenleistung. Das heißt, ganz einfach gesprochen, es dürfen keine Schulden auf Vorrat gemacht werden.

Wir haben das Corona-Sondervermögen im Jahr 2021 so konzipiert, dass ihm einmalig Mittel in Höhe von knapp 2 Milliarden € zugeführt werden. Diese Mittel sollen bis zum Jahr 2027 für rund 60 im Detail aufgeführte und im Hinblick auf die Bekämpfung der Pandemie abgegrenzte Maßnahmen ausgegeben werden können. Diese Zuführung wurde durch eine einmalige Kreditaufnahme im Jahr 2021 finanziert. Zugleich haben Sie, sehr geehrte Abgeordnete, eine außergewöhnliche Notsituation für die Jahre 2021 und 2022 festgestellt und damit diese Kreditaufnahme ermöglicht. - So weit zur Einordnung des Urteils.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns nun zwei Jahre zurückgehen. Am 18. November 2021 habe ich Ihnen den Entwurf des zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2020/2021 und damit das Konzept für ein Sondervermögen zur Bewältigung der Folgen der Coronapandemie vorgelegt.

Dabei bezog ich die bis dahin herrschende Rechtslage, insbesondere die damals bekannten Verfassungsgerichtsrechtsprechungen, in meine Überlegungen ein. Wir haben extra noch gewartet, um das Urteil des Verfassungsgerichts aus Hessen auch noch auswerten zu können. Das kam dann zusammen; die Urteilsbegründung und die Auslegung. Das hat sich dann widergespiegelt in unserem Corona-Sondervermögensgesetz.

Fraktionsübergreifend bestand die Übereinkunft, dass die Pandemie sowohl in der Akutlage als auch in den Langzeitfolgen für eine Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche in ihrer wechselseitigen Durchdringung zu bekämpfen ist und dass die Einbringung eines Sondervermögens unausweichlich ist, um allen notwendigen Ausgaben zu entsprechen, zur Stärkung des Gesundheitswesens, zur Revitalisierung der Wirtschaft und vor allem zur Gestaltungsfähigkeit der Städte und Gemeinden. - Das war übrigens ein Zitat aus der Opposition dieses Landtages.

Diese Einschätzung gilt auch heute noch. Das pandemische Geschehen ist zwar abgeklungen, unser Bundesland hat jedoch die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie keineswegs überwunden. Insbesondere das Ziel der Stärkung der Pandemieresilienz ist bei weitem noch nicht erreicht. Schon bei der Konzeption des Sondervermögens war uns allen hier bewusst, dass die einzelnen Maßnahmen auf mehrere Jahre angelegt sind, um überhaupt nachhaltig umgesetzt werden zu können.

Die im Corona-Sondervermögen implementierten Maßnahmen sind jedoch aus dem Kernhaushalt in ihrer Gesamtheit nicht finanzierbar. Knapp 2 Milliarden € kann das Land nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Auch wenn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht unmittelbar auf unser Corona-Sondervermögen wirkt, halte ich es jedoch für angemessen und geboten, das Sondervermögen auf eine nach der neuesten Rechtsprechung verfassungsgemäße Grundlage zu stellen, und das zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich bereits heute für das Haushaltsjahr 2023.

Hierfür schlägt die Landesregierung Ihnen folgende Maßnahmen vor:

Erstens. Mit dem Entwurf des Nachtragshaushaltes 2023 ist eine konkrete Kreditermächtigung in Höhe von 150 Millionen € zur Finanzierung der im Haushaltsjahr 2023 geleisteten und noch zu erwartenden Ausgaben aus dem Sondervermögen zu schaffen. Diese Kreditermächtigung kann allerdings nur in Höhe der tatsächlich bis zum Jahresende 2023 benötigten Mittel in Anspruch genommen werden. Ein Rückgriff auf die Rücklage ist somit nicht mehr notwendig.

Zweitens. Es ist festzustellen, dass die vom Landtag zuletzt für die Jahre 2021 und 2022 festgestellte außergewöhnliche Notlage auch für das Jahr 2023 fortbesteht. Die Landesregierung hat Ihnen dazu einen entsprechenden Antrag vorgelegt.

Meine Damen und Herren! Mit diesen Maßnahmen gelingt es uns, die Finanzierung des Corona-Sondervermögens auf der Grundlage des Urteils neu auszurichten. Damit können z. B. wichtige Investitionen im Gesundheitssektor weitergeführt und vollendet, die Schulen bei der Bewältigung von Lernrückständen unterstützt sowie wichtige Investitionen in die Kommunikations-, Informations- und Serviceangebote des Landes und der Kommunen vorgenommen werden.

Ich möchte den im Jahr 2021 in diesem Haus gefundenen Konsens in Erinnerung rufen. Inhaltlich muss das Sondervermögen fortbestehen, um die Einzelmaßnahmen umzusetzen. Aber die Finanzierung muss auf eine neue Basis gestellt werden, um den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils gerecht zu werden.

Ich bitte um Zustimmung zum Antrag der Landesregierung und um Überweisung des Nachtragshaushaltsgesetzes 2023 in den Ausschuss für Finanzen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung bei der SPD)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger: 

Es gibt eine Frage.


Guido Heuer (CDU): 

Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, eine Frage. Jetzt ist die voraussichtliche Einigung zum TV-L bekannt geworden; eine Einmalzahlung von 1 800 € für alle Landesbediensteten noch im Dezember 2023. Ist dafür Vorsorge im Haushalt 2023 getroffen worden? Wir sind ja gerade beim Nachtragshaushalt.


Michael Richter (Minister der Finanzen): 

Es konnte keine Vorsorge dafür getroffen werden, weil das Ergebnis der Verhandlungen und der Tarifabschluss beim besten Willen nicht vorauszusehen waren. Wir haben aber für das Jahr 2024 Vorsorge getroffen. Heute findet noch eine Sitzung des Finanzausschusses statt; dort werde ich über den Abschluss des Tarifvertrages berichten.

Falls die Abgeordneten dann bereit sind, heute noch einen Tagesordnungspunkt zuzulassen, werden wir eine Vorgriffsregelung beantragen, die uns in die Lage versetzt, den Betrag für die Beamten noch im Jahr 2023 zu zahlen. Wir reden über rund 50 Millionen €. Für die Tarifbeschäftigten brauchen wir, wenn der Tarifvertrag zustande kommt, keine Rechtsgrundlage. Diese 50 Millionen € wollen wir aus dem Vollzug des Haushaltes 2023 zahlen.

Eines kann ich schon heute sagen: Der Inflationsausgleich in Höhe von 1 800 €, steuer- und sozialversicherungsfrei, beläuft sich auf ungefähr 100 Millionen €. Wir werden diesen Betrag im Rahmen des Haushaltsvollzuges - ich gehe davon aus, dass der Vollzug dies zulässt - noch im Jahr 2023 verbuchen.


Guido Heuer (CDU): 

Herr Minister, Sie sind also der Meinung, dass wir diese Zahlung noch aus dem Haushalt 2023 leisten sollten, auch für die nachgeordneten Behörden, deren Personalkosten teilweise in anderen Einzelplänen veranschlagt sind.


Michael Richter (Minister der Finanzen): 

Wir werden das so versuchen. Ich gehe auch davon aus, dass das klappen wird. Wir entlasten damit natürlich den Haushalt 2024, in dem wir Vorsorge getroffen haben. Wir werden im Einzelnen noch darüber berichten, welche Auswirkungen dieser Tarifabschluss insgesamt für das Jahr 2024 und auch für die Jahre 2025 und 2026.

Ich kann jetzt schon darauf hinweisen, dass die volle Wirkung erst ab dem Jahr 2025 eintreten wird. Wenn ich Ihnen einmal eine Zahl zurufen kann und soll: Es sind 340 bis 370 Millionen €, die dieser Abschluss im Jahr 2025 kosten wird.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger: 

Danke. - Es gibt noch eine Intervention von Herrn Scharfenort.


Jan Scharfenort (AfD): 

Herr Minister, wir schließen uns der Meinung des Landesrechnungshofs seit dem Jahr 2021 an, dass die Haushalte für die Jahre 2021, 2022 und 2023 verfassungswidrig sind. Nun haben wir das neue Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sie haben versucht, anhand der Linie des Bundesverfassungsgerichts zu argumentieren. Sie versuchen auch, es zu heilen, indem Sie jetzt formaljuristisch den Versuch unternehmen, eine Notlage für die Jahre 2023 und 2024 zu erklären.

Meine Frage ist jetzt: Auf welcher Basis, und zwar konkret auf der Basis welcher Daten von welchem Institut, Vereinigung usw. wollen Sie die Notlage für die Jahre 2023 und 2024 erklären? Diese Zahlen, wenn Sie sie jetzt nicht nennen können, bitte ich, im Nachgang zu liefern. Denn es ist doch sehr von Interesse, aufgrund welcher Zahlen-, Daten- oder Faktenbasis Sie die Notlage erklären wollen.

Und wie geht es Ihrer Meinung nach, dass man im Dezember rückwirkend für das Jahr 2023 noch die Notlage erklären kann? Wie wollen Sie diesbezüglich argumentieren?


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger: 

Herr Richter, einen Augenblick. - Herr Scharfenort, Sie haben ein kleines Problem. Wenn Sie sich hinstellen, signalisieren Sie eine Intervention. Für eine Frage gibt es ein anderes Signal.


Jan Scharfenort (AfD): 

Es war eine rhetorische Frage.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger: 

Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, dass wir eine Geschäftsordnung haben; das ist mein Spezialgebiet. - Bitte, Herr Richter.


Michael Richter (Minister der Finanzen): 

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass der Rechnungshof die Haushalte für 2021 und 2022 für verfassungswidrig gehalten hat und dass er den Haushalt 2023 für verfassungswidrig hält. Das ist mir nicht bekannt. Das ist mir auch so nicht zugetragen worden. Das möchte ich an dieser Stelle klar sagen.

Wir machen das im Übrigen auch nach Anhörung einer großen Anzahl von Rechtsexperten im Haushaltsausschuss des Bundestages, die ebenfalls dazu geraten haben, um für Klarheit zu sorgen, für das Jahr 2023 die Notlage noch zu erklären.

Jetzt fragen Sie, auf welcher Basis das geschehen soll. Das kann ich Ihnen sagen: Wir haben im Jahr 2021 die damals 63 Maßnahmen beschlossen, die alle dazu dienen, die Coronafolgen einzudämmen bzw. zu beseitigen, und die gleichzeitig auch Resilienz schaffen sollen, damit wir besser aufgestellt sind, wenn es erneut zu einer Pandemie kommen sollte. Diese Maßnahmen sind noch nicht beendet mit der Folge, dass aus unserer Sicht die Notlage weiterhin besteht.