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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 24

Beratung

Gesellschaftlicher Verantwortung gerecht werden! Aufnahmebedingungen gestalten - Kommunen entlasten - Integrationsarbeit sichern

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/3195


Frau Quade bringt ihn ein. - Bitte sehr.


Henriette Quade (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! „Sachleistungen“, „Obergrenze“ und „Migrationsanreize minimieren“ sind Schlagworte, die wir auch in der derzeit laufenden Debatte zur Migration hören. Sie haben etwas gemeinsam. Sie sind altbekannt, sie sind nicht evidenzbasiert und sie sind nicht umsetzbar, weil sie an den Problemen und Realitäten der Kommunen vorbeigehen oder weil sie geltendes Recht - europäisches Recht und die Genfer Flüchtlingskonvention - brechen würden.

Vor allem aber machen sie Geflüchtete und Asylsuchende zum Problem, wo das eigentliche Problem zahlreiche und zunehmende Fluchtgründe in der Welt und ein Mangel an sozialer Infrastruktur und sozialer Gerechtigkeit sind.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Niemandem, der heute Sorge hat, weil er nicht weiß, wie er finanziell über die Runden kommen soll, oder weil der Unterricht in der Schule des Kindes ständig ausfällt oder weil er Angst vor Altersarmut hat, ginge es mit diesen Sorgen besser, wenn weniger Asylsuchende und Geflüchtete im Land wären oder wenn sie schlechter behandelt würden.

Denn für diese Sorgen sind nicht die Schutzsuchenden verantwortlich, sondern diese Sorgen sind eine Folge politischer Entscheidungen, die im Gegensatz zu den Grenzschließungsfantasien und Co tatsächlich anders getroffen werden könnten und nach unserer festen Überzeugung anders getroffen werden müssten.

Wer also wie jüngst der ehemalige Bundespräsident Gauck und zahlreiche CDU-Politikerinnen davon träumt, das Undenkbare zu denken - in Bezug auf den Umgang mit Minderheiten in Deutschland ist das übrigens nicht nur, aber auch und gerade angesichts der deutschen Geschichte im Umgang mit Minderheiten eine unfassbare Entgleisung  , oder aber einen Deutschlandpakt als neuen Ansatz in Sachen Migration fordert, der übernimmt und übertrifft nicht nur die Ideen der Rechten, sondern vermäntelt auch die eigene Verantwortung in zentralen politischen und gesellschaftlichen Fragen.

Nichts, wirklich nichts am Asylkompromiss der 90er-Jahre kann ein Vorbild für demokratische Politikerinnen und Politiker sein. Er hat nicht nur zu einer massiven Entrechtung der Betroffenen geführt. Er hat mit der Übernahme der Problembeschreibung der Neonazis als Brandbeschleuniger für Rassismus und rassistische Pogrome gewirkt. „Erst stirbt das Recht, dann der Mensch“, erinnerte jüngst Heiko Kaufmann. Das ist die Bilanz des Asylkompromisses.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Es ist leider notwendig, das klarzustellen, und es wäre schon viel gewonnen, wenn sich das erübrigen würde. Es hält nämlich auch davon ab, Lösungen für die konkret vor uns, vor den Kommunen und vor den vielen für eine offene Gesellschaft Engagierten liegenden Herausforderungen, Probleme und Aufgaben zu finden.

Unser Antrag zielt daher auch auf notwendige Entscheidungen auf der Bundesebene, für die sich die Landesregierung einsetzen soll. Die von der Bundesregierung angekündigte Halbierung der Mittel für Kommunen und Länder zur Unterbringung und Versorgung Schutzsuchender ist inakzeptabel und muss korrigiert werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wenn wir allerdings wissen, dass das die Planung der Bundesregierung ist, dann reicht es nicht, als Land auf den Bund zu zeigen, egal wie berechtigt das sein mag. Unser Antrag schlägt deswegen darüber hinaus konkrete Maßnahmen vor, die gezielt die Kommunen unterstützen sollen.

Dafür muss man das Rad auch nicht neu erfinden, sondern kann in anderen Bundesländern erprobte und gut angenommene Ideen übernehmen. Thüringen hat ein Förderprogramm für die Herrichtung und Ertüchtigung von Wohnraum aufgelegt. Damit werden die kommunalen Wohnungsgesellschaften bei der Erschließung von Unterkünften und der Nutzbarmachung unterstützt und finanziell entlastet.

Sachsen-Anhalt hat einerseits eine Leerstandsquote von 15 %, gerade im ländlichen Raum, und gleichzeitig wird gesagt: Es können keine Asylsuchenden mehr untergebracht werden, deswegen müssen wir die Grenze schließen. Der Platz ist nicht das Problem, auch nicht die Zahl der Menschen, sondern die Kosten und der Aufwand für die Ertüchtigung von Wohnraum, der längere Zeit leer stand. Hieran setzt das Thüringer Förderprogramm an. Hieran sollte auch eines in Sachsen-Anhalt ansetzen.

Ein weiteres praktisches und vor allem finanzielles Problem sind die Kosten der Unterkunft für Ukrainerinnen und Ukrainer. Der Bund trägt im Durchschnitt 70 % und 30 % verbleiben bei den Kommunen. Bei finanziell gut aufgestellten Kommunen ist das sicherlich machbar. Bei uns führt das in der Mehrzahl zu einem Problem.

Eine konkrete Hilfe und Entlastung wäre es deshalb, ebenfalls nach Thüringer Vorbild, als Land die Differenz zwischen der Kostenübernahme des Bundes und den tatsächlich entstehenden Kosten zu übernehmen und den Kommunen zu erstatten. Auch das schlagen wir mit unserem Antrag vor.

Meine Damen und Herren! Wir führen diese Debatte auch, weil wichtige Lehren aus der Situation in den Jahren 2015 und 2016 nicht gezogen wurden. Eine Lehre wäre es gewesen, dass kurzfristige Anmietungen von Wohnraum schwer und teuer sind und dass es notwendig ist, Unterbringungsmöglichkeiten, die bei Bedarf aktiviert und hochgefahren werden können, vorzuhalten.

Solche Unterkünfte könnten auch in anderen Bedarfsfällen, z. B. Katastrophenfällen, genutzt werden. Darauf hat unter anderem der Landrat des Burgenlandkreises hingewiesen, genauso wie auf die Notwendigkeit der personellen Stärkung der Kommunen durch Abordnungen von Bund und Land.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Eine Lehre ist, dass es sinnvoll ist, Menschen so schnell wie möglich eigenständig werden zu lassen. Migrationsforschende, Betroffene und Integrationsberatungen weisen seit geraumer Zeit darauf hin, dass Residenzpflicht, Gemeinschaftsunterbringung und Zuweisung die Integration nicht fördern, sondern schwerer machen.

Das ist ja in Teilen politisch durchaus so gewollt. Es schränkt die Betroffenen massiv ein und führt zugleich dazu, dass die Menschen zwangsläufig von den Kommunen intensiv betreut werden müssen und unnötig Personal und Ressourcen gebunden werden.

Wenn man Integration schwerer machen will und den Schulen, als ob sie nicht genügend Probleme hätten, im laufenden Schuljahr noch einen Knüppel zwischen die Beine schmeißen will, dann handelt man so wie die Bildungsministerin unseres Landes und streicht die Mittel für die Sprachmittlung für ukrainische Schülerinnen und Schüler. Das muss dringend rückgängig gemacht werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Eine der Lehren, die hinlänglich bekannt ist, ist, dass Menschen, die Schutz und Asyl suchen, in aller Regel arbeiten wollen, wenn sie es können. Dies ist nicht nur für die Selbstbestimmung und die Menschenwürde elementar, sondern auch Voraussetzung für Teilhabe und es ist bedeutend besser für die Staatskasse. 

Es ist bezeichnend, dass die Realität dieser Menschen, der Kampf um eine Arbeitserlaubnis ist. Es ist ebenso bezeichnend, dass dieselben Menschen, die sie ihnen bisher aus politischen Gründen verwehrt haben, nun über einen Arbeitszwang diskutieren wollen. 

(Oliver Kirchner, AfD: Die Anerkennungsquote liegt bei 71 %!)

Eine Konsequenz aus all den Erfahrungen und aus der demografischen Entwicklung Sachsen-Anhalts wäre ein radikaler Paradigmenwechsel in Sachen Zuwanderungspolitik. Die Devise müsste lauten: Humanisierung, Entbürokratisierung und Vereinfachung des Aufenthaltsrechts; Sprachkurse für alle, die sie brauchen, und eine Arbeitserlaubnis für alle Menschen, die hier leben. 

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Drittens. Unser Antrag fokussiert Dinge, von denen niemand, der die Integrationsarbeit, der Migrationsberatungsstellen kennt, sich jemals hätte vorstellen können, dass sie ernsthaft zur Debatte stehen, nämlich die dringend notwendige und unverzichtbare Integrationsarbeit. 

An dieser Stelle plant die Bundesregierung massive Kürzungen. Im Bereich der Jugendmigrationsdienste reden wir über eine Kürzung um 40 %. Die erst vor zwei Jahren etablierten Respekt Coaches - sie sind ebenfalls wichtig für die Schulen - sollen komplett wegfallen. 

Im Bereich der Migrationsberatung für Erwachsene plant die Bundesregierung so, dass 30 % der Beratungsstellen in Sachsen-Anhalt wegfallen würden. Bei der Asylverfahrensberatung gehen die Träger davon aus, dass es die Hälfte der aufgebauten Stellen treffen würde. Bei den psychosozialen Zentren steht ebenfalls eine Kürzung um 50 % im Raum. 

Meine Damen und Herren! Das wäre eine absolute Katastrophe. Es ist eine unverantwortliche Planung der Bundesregierung, die dringend geändert werden muss und gegen die wir als Land vorgehen müssen. 

(Zustimmung bei der LINKEN)

Als Landesgesetzgeber noch dazu mitten selbst im Haushaltsaufstellungsprozess können wir aber nicht allein auf eine Lösung in Berlin warten, sondern wir müssen verantwortlich handeln und versuchen, diese Kürzungen aufzufangen. 

Unser Antrag lädt die demokratischen Fraktionen deshalb dazu ein, heute gemeinsam mit uns diesen Handlungsbedarf festzustellen, diesen Arbeitsauftrag anzunehmen und sich dazu zu verabreden, im Landeshaushalt eine Lösung zu finden. 

Denn, so schrieb es die Liga der Freien Wohlfahrtspflege im August - ich zitiere  : 

Kürzung oder sogar Wegfall der Beratungsstrukturen würden die Kommunen und Landkreise in ihrer Struktur und Arbeitsfähigkeit massiv schädigen und würden erhebliche und für die Menschen in Sachsen-Anhalt spürbare Einschnitte bei den sozialen Angeboten nach sich ziehen. Auch sehen wir Beeinträchtigungen nicht nur für den Ausbau des Wirtschaftsstandorts Sachsen-Anhalt, sondern befürchten die Destabilisierung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes in den Kommunen. - Zitatende. 

Meine Damen und Herren! Dieser Einschätzung können wir uns nur anschließen. Das müssen wir abwenden und als Arbeitsauftrag akzeptieren. 

Ich werbe um Zustimmung zu unserem Antrag

(Beifall bei der LINKEN)