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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 9

Aktuelle Debatte

33 Jahre Deutsche Einheit - Sonntagsreden ersetzen keine Anerkennung

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/3199


Das übliche Prozedere: 10 Minuten. Frau von Angern wird das Thema einbringen. - Frau von Angern, bitte schön.


Eva von Angern (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren Abgeordneten! 33 Jahre Deutsche Einheit - bald feiern wir 34 Jahre Friedliche Revolution.

(Lothar Waehler, AfD: Das war keine friedliche Revolution! - Kathrin Tarricone, FDP: Sondern?)

Wir dürfen nie vergessen, dass wir diesen Tag den mutigen Menschen in Ostdeutschland zu verdanken haben, die im Jahr 1989 für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind.

(Beifall bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: Gegen die SED!)

Zum 30. Jubiläum der Deutschen Einheit veröffentlichte die Wochenzeitung „Die Zeit“ eine besondere Studie. Erstmals wurde genauer geschaut, also nicht nur zwischen Ost- und Westdeutschland verglichen. Vielmehr wurden auch die Westdeutschen einbezogen, die in Ostdeutschland leben, bzw. die Ostdeutschen, die in Westdeutschland leben.

Vergleicht man das durchschnittliche Haushaltsnettovermögen dieser vier Gruppen, dann ergab sich für das Jahr 2020 das folgende Bild: Im Durchschnitt am meisten zur Verfügung haben Westdeutsche, die in Westdeutschland leben. Auf Platz 2 landen wiederum Westdeutsche, die in Ostdeutschland leben. Auf Platz 3 sind Ostdeutsche, die in den Westen gegangen sind. Und wer ist noch übrig? - Richtig: Am wenigsten haben im Durchschnitt die Ostdeutschen, die in Ostdeutschland geblieben sind.

Es ging und geht also nicht um eine regionale Wohlstandslücke. Es geht bis heute um ungleiche Chancen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und, meine Damen und Herren, es geht darum, dass Menschen, die in der DDR und im östlichen Deutschland geboren wurden, im Durchschnitt weniger erreichen können als ihre westdeutschen Nachbarn.

Lange wurde öffentlich argumentiert, der Osten hänge eben bei wirtschaftlicher Produktivität und Effizienz halt hinterher. Das war pauschal aber so nie richtig. Denn die Altenpflegerin übt die gleiche Arbeit am Menschen aus, egal wo das Seniorenheim steht.

(Beifall bei der LINKEN)

Trotzdem wird im Westen mehr verdient und meist auch kürzer gearbeitet. Wir leisten uns, aus gesamtdeutscher Perspektive gesprochen, seit mehr als 30 Jahren eine strukturelle Abwertung, eine Verkopplung von Herkunft und zugeschriebener Kompetenz.

Noch augenfälliger wird dies bei Menschen, die erkennbar oder vermutlich Zugewanderte sind. Wir übersetzen also falscherweise ökonomische Benachteiligung in persönliche Unzulänglichkeit. Das gilt für die Stellung von Migrantinnen und Migranten in unserem Land. Das gilt im Übrigen tendenziell auch für Frauen.

(Tobias Rausch, AfD: Das stimmt doch gar nicht!)

Das gilt eben auch für Ostdeutsche. Diese Geringschätzung von Menschen ist demokratisch ein Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht längst nicht mehr um blühende Landschaften, sondern es geht um das Ideal von Freiheit und Gleichheit.

Meine Damen und Herren! Der industriell entkernte Osten ist bis heute Niedriglohnland. Die Niedriglohnstrategie ist eng verbunden mit dem Agieren der CDU in der Landesregierung.

(Beifall bei der LINKEN - Oh! bei der CDU - Tobias Rausch, AfD: Jetzt wissen wir’s: Die DDR hat damit nichts zu tun!)

Insofern erlauben Sie mir eine Bemerkung zu der Debatte, die wir auf Ihren Antrag hin vor einer Stunde geführt haben. Dass ausgerechnet die CDU hier postuliert, Leistung müsse sich wieder lohnen, ist vor dem Hintergrund Ihrer konkreten Politik in Sachsen-Anhalt ein schlechter Witz.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr Redner sprach vorhin selbst noch davon, dass der Mindestlohn nur etwas ist, das er gönnt. Darum geht es nicht. Wer also wie Sie die Einführung des Mindestlohns verhindern wollte,

(Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

der sollte jetzt niemandem etwas vom Wert der Arbeit erzählen.

(Beifall bei der LINKEN)

Machen Sie sich stattdessen stark für eine Änderung der Lohnstruktur, die in Ostdeutschland dringend notwendig ist. Setzen Sie öffentliches Geld tatsächlich im öffentlichen Interesse ein. Derzeit werden Milliarden Euro an Fördermitteln für Industrieansiedlungen zugesichert.

(Guido Kosmehl, FDP: Die Arbeitsplätze schaffen! - Andreas Silbersack, FDP: Gut bezahlte Arbeitsplätze!)

Wir sagen: Binden Sie diese Zusagen auch an Bedingungen für die Qualität der Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Binden Sie sie auch an Zusagen für einen schonenden Ressourcenverbrauch von Wasser und Energie. Aber bisher geht es genauso weiter, wie es in den 90er-Jahren begonnen hat. Wenige Unternehmer und Konzerne schalten und walten im ganz eigenen Interesse, und Sie machen mit.

Wir sagen hingegen: Der Strukturwandel Ost darf nicht schon wieder in Wild-West-Manier erfolgen.

(Beifall bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: Stereotype! Stereotype!)

Neben den Beschäftigten gibt es noch eine sehr große Gruppe, die uns jetzt ebenfalls aufmerksam zuhören wird, nämlich diejenigen Menschen, die bereits seit zehn oder 20 Jahren Rentnerin bzw. Rentner sind. CDU und SPD hatten sich in der alten Bundesregierung auf einen Härtefallfonds zum Ausgleich für Regelungslücken bei ostdeutschen Rentnerinnen und Rentnern geeinigt.

Umgesetzt hat den Fonds aber erst die neue Bundesregierung, die Ampel. Deshalb hat sich die CDU-geführte Landesregierung mal eben in die Büsche geschlagen. Im Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern hat die Landesregierung in Sachsen-Anhalt eine Beteiligung am Fonds bekanntermaßen abgelehnt. Ich erinnere an die entsprechenden Anträge der Linksfraktion und an die Debatten dazu.

Jetzt gibt es einen Zwischenstand; denn das Antragsverfahren wurde im September zunächst beendet. Der Senior*innenrat aus Halle hat dazu völlig zu Recht eine Petition an den Landtag gerichtet. Nur ein Bruchteil der Anträge betraf überhaupt ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner mit einer DDR-Biografie. Der weit größere Teil der Anträge kommt von Menschen, die als Kontingentflüchtlinge aus Osteuropa nach Deutschland kamen.

Das, meine Damen und Herren, verweist auf zwei Dinge: erstens auf ein Armutsproblem bei älteren Menschen in den jüdischen Gemeinden, und bei denjenigen, die nie wieder an ihre alte berufliche Qualifikation anknüpfen konnten, sowie zweitens darauf, dass das Gerechtigkeitsproblem bei ostdeutschen Renten nach wie vor ungelöst ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade einmal 77 Anträge aus dieser Gruppe wurden bisher bewilligt. Das bestätigt unsere bitterste Befürchtung. Bislang gibt es also nur 77 Bewilligungen für diese 2 500 €. Ich erinnere daran: Ihre Sorge war die Belastung des Landeshaushalts. Ich finde, die 2 500 € für die 77 hätten wir noch obendrauf packen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme noch einmal zurück zu der vorherigen Aktuellen Debatte. O-Ton der CDU: „Leistung muss sich lohnen“. - Ich kann nur sagen: Die betroffenen Rentnerinnen und Rentner haben geleistet, die Landesregierung hat das nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Politik der CDU wirft stattdessen halbgare Vorschläge in die Luft. Ausgerechnet der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz hat bei seinem Besuch in Magdeburg versprochen, er wolle sich ein paar Gedanken über die Vermögenssituation der Ostdeutschen machen. Ich sage: Bitte, bitte nicht.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE - Guido Henke, DIE LINKE, lacht)

Wir brauchen keinen Friedrich Merz als selbsternannten Experten für Ostdeutsche. Ich traue ihm weder die Interessenvertretung für Ostdeutsche noch ein Verständnis für Migrantinnen und Migranten und schon gar nicht ein Verständnis für feministische Belange zu. 

(Ulrich Siegmund, AfD: Feministische Belange!)

Ich glaube, darin sind wir uns sogar einig.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich würde namens der Fraktion DIE LINKE die CDU eher dazu auffordern, endlich für diejenigen aktiv zu werden, die ihre Leistung erwiesenermaßen bereits erbracht haben und auch noch jeden Tag erbringen, die jahrzehntelang auf ein paar Hundert Euro Rente verzichten mussten, die für westdeutsche Rentnerinnen und Rentner hingegen selbstverständlich waren.

Vergleichbare Arbeitstätigkeiten an vergleichbaren Arbeitsorten dürfen nicht unterschiedlich bewertet werden. Es darf, rückschauend betrachtet, keinen unterschiedlichen Rentenanspruch geben. Es darf, aktuell betrachtet, keine Lohnabwertung Ost geben. Beenden Sie den Irrwitz der Arbeitsbiografien erster, zweiter und dritter Klasse in diesem Land.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn - damit schließt sich wieder der Kreis - die Lohnlücke Ost bedeutet die Rentenlücke Ost. Schauen Sie ehrlich auf den Stand der Dinge und den Stand der Deutschen Lohneinheit. Die erst in diesem Jahr erfolgte gesetzliche Angleichung der Rentenpunkte ist verbunden mit der schrittweisen Absenkung der bisherigen Höherwertung der Ostlöhne.

Wir sagen: Solange die Unterschiede im Verdienst so hoch sind, muss auch diese Umrechnung erhalten werden. DIE LINKE hat sich deswegen auch im Bundestag generell dafür ausgesprochen, für Beschäftigtenzeiten mit Niedriglohn in Ost wie West eine Hochwertung in der Rente einzuführen. Schließen Sie sich dieser Forderung an.

Abschließend sage ich: Wir werden an dem Thema Ostdeutschland dranbleiben. Um es im übertragenen Sinn mit Katja Hoyer zu sagen: Wir kämpfen solange, bis die deutsche Norm und die ostdeutsche Abweichung nicht mehr existent sind. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)