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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 29

Beratung

Grundsteuerchaos beseitigen - Rechtssicherheit herstellen

Antrag Fraktion AfD - Drs. 8/3047


Einbringen - Sie sehen ihn schon am Rednerpult - wird den Antrag Herr Kohl. - Herr Kohl, bitte.


Hagen Kohl (AfD):

Ja, sehr vielen Dank.

(Zuruf: Cannabis!)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Kollegen! Ich freue mich zunächst darüber - das muss ich sagen -, dass um diese Uhrzeit noch so viele Abgeordnete, Kollegen, vor Ort sind. Das zeigt doch eines, nämlich dass dieses Thema doch alle irgendwie bewegt, mitnimmt und interessiert.

(Beifall bei der AfD)

Dann will ich mal starten: Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 10. April 2018 wurden die Vorschriften zur Einheitsbewertung für die Bemessung der Grundsteuer für verfassungswidrig erklärt, da diese mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar waren und zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen führten.

Der Bundesgesetzgeber hat sodann im Jahr 2019 die Grundsteuer reformiert und ein sogenanntes Bundesmodell entworfen. In Sachsen-Anhalt soll die Grundsteuer auf der Grundlage des Bundesmodells erhoben werden. Aus diesem Grunde wurden Grundstücks- bzw. Immobilienbesitzer von den Finanzämtern in Sachsen-Anhalt aufgefordert, eine Grundsteuererklärung abzugeben. Viele Betroffene hatten jedoch Probleme oder Schwierigkeiten damit, die neue Grundsteuererklärung zu verstehen, die Formulare digital auszufüllen oder/und die entsprechenden Daten zu ermitteln.

Dies war und ist eigentlich auch gar nicht notwendig, da die Daten wie Baualtersklasse, Lage, Bodenrichtwert, und Flurstücksnummer in den Ämtern vorliegen. Das war aber politisch so gewollt. Dazu ein passendes Zitat aus dem Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums vom November 2021:

„Damit die Umsetzung der Grundsteuerreform bewältigt werden kann, sind die Finanzämter auf die Mithilfe der Grundstückseigentümerinnen und -eigentümer angewiesen.“

Dass der Bürger anstatt der Finanzämter die Daten sammeln und wieder zurückschicken soll, ist an sich schon ein höchst fragwürdiger Vorgang. Und er erklärt zumindest teilweise die relativ geringe Akzeptanz der Maßnahme in der Bevölkerung; denn nach einem Bericht des MDR, der gerade gestern gesendet wurde, fehlen den Finanzämtern in Sachsen-Anhalt aktuell noch 62 000 Grundsteuererklärungen zu Grundstücken und Gebäuden. Das entspricht einem Anteil von 6,8 % von den gut 905 000 zu bewertenden Grundstücken.

Ein weiteres Problem ist die enorme Anzahl von Einsprüchen gegen die neuen Grundsteuerbescheide und deren schleppende Bearbeitung. Eine Umfrage des „Handelsblattes“ unter den 16 Landesfinanzministerien hat ergeben, dass mehr als 3 Millionen Menschen bundesweit Einspruch gegen ihre Bescheide zur neuen Grundsteuer eingelegt haben. Um diese Flut an Einsprüchen bearbeiten zu können, haben einige Bundesländer Finanzbeamte von eigentlich wichtigen Aufgaben abgezogen, darunter auch Betriebsprüfer, die normalerweise Steuererklärungen von Firmen kontrollieren.

Der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft Florian Köbler beklagte im Juni gegenüber der „Tagesschau“, dass Betriebsprüfer an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden können. Laut Köbler bringe ein Betriebsprüfer dem Staat im Durchschnitt 1 Million € zusätzlich an Steuereinnahmen. Nach den Angaben des Bundesvorsitzenden fehle Geld in der Staatskasse, wenn sich die Fachleute nicht um ihre eigentlichen Aufgaben kümmern könnten.

Wie ist die Situation in Sachsen-Anhalt? - Laut Aussage des Finanzministers in der heutigen Fragestunde sind 101 500 Einsprüche gegen Grundsteuerwertfeststellungen und/oder gegen Festsetzungen des Grundsteuermessbetrages eingegangen. Gemessen an der Gesamtzahl der Bescheide entspricht das einem Anteil von etwa 10 %. Laut Aussage des Finanzministeriums gebe es keine grundsätzliche Anweisung, Personal umzuschichten. Bereiche, in denen die Grundsteuererklärungen bearbeitet würden, würden jedoch bei Bedarf mit Personal unterstützt werden. Ob es sich bei diesen Unterstützungskräften um Betriebsprüfer handelt, ist leider nicht bekannt.

Vor dem Hintergrund, dass von den knapp 100 000 Einsprüchen in Sachsen-Anhalt erst ein Bruchteil bearbeitet wurde, stellt sich die Frage, ob die Flut an Einsprüchen anhält und wann deren Bearbeitung abgeschlossen sein wird? Denn schließlich sollen bis Ende 2023 die Finanzämter den Kommunen die neuen Grundsteuerdaten zur Verfügung stellen, auf deren Grundlage die Kommunen zusammen mit einer Steuermesszahl und dem kommunalen Hebesatz den zu zahlenden Grundsteuerbetrag bestimmen.

Das dritte und wohl schwerwiegendste Problem ist die mutmaßliche Verfassungswidrigkeit des neuen Bundesmodells. Das vom Bund der Steuerzahler und vom Verein Haus & Grund Deutschland in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von Prof. Dr. Gregor Kirchhof kommt zu dem Ergebnis, dass das Bundesmodell zur Berechnung der neuen Grundsteuer in insgesamt zehn Punkten verfassungswidrig sei.

Das sogenannte Bundesmodell, um das es in dem juristischen Gutachten geht, wurde schon früh von Steuerexperten als viel zu kompliziert bewertet. Herr Kirchhof kritisiert in seinem Gutachten bspw., dass die festgelegten Bodenrichtwerte etwa mit den Modellen nur mit Fläche und Gebäudeart nicht vergleichbar seien. So habe etwa eine begehrte Wohnlage einen geringeren Richtwert erhalten als eine weniger attraktive Lage. Außerdem würden individuelle Umstände wie Denkmalschutzauflagen, Baumängel, Altlasten und anderes bei der Bewertung der Grundstücke nicht berücksichtigt.

Das Bundesmodell, das für bergeweise Einsprüche bei den Finanzämtern sorgt, soll nach dem derzeitigen Stand in elf Bundesländern Anwendung finden, darunter bekanntermaßen natürlich auch in Sachsen-Anhalt.

In den Bundesländern Hamburg, Bayern    

(Unruhe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Kohl, einen Augenblick. Gerade die Menschen mit einer tiefen, weittragenden Stimme und dann noch mit einem lauten Organ möchten sich bitte ein bisschen zügeln.

(Marco Tullner, CDU: Frau Simon-Kuch, bitte Ruhe! - Lachen bei der CDU)

Herr Kohl, bitte.


Hagen Kohl (AfD):

Danke. Ich habe mich jetzt nicht angesprochen gefühlt. - In den Bundesländern Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen gelten jeweils eigene Grundsteuergesetze. Im Rechtsgutachten verweist Kirchhof auf die Bundesländer Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen. Nach der Ansicht des Experten weisen diese Länder den Weg dazu auf, wie die notwendige Grundsteuerreform gelingen kann.

Der Steuerzahlerbund sowie der Verein Haus & Grund Deutschland wollen in fünf Bundesländern mit Musterklagen vor Gericht ziehen, so in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. Die Kritik der Verbände ist kurz und prägnant formuliert: Die Grundsteuerberechnung ist zu kompliziert, intransparent und ungerecht.

Mit dem Zielgedanken, alles allen gerecht machen zu wollen, hat der Gesetzgeber eine Reform beschlossen, die, wie wir sehen, nach hinten losgeht. Damit ist das eingetreten, wovor viele Experten vor Jahren gewarnt haben, nämlich dass mit der Grundsteuerreform der Gesetzgeber Bürger und Behörden in eine sinnlose Überforderungssituation manövriert hat.

Damit komme ich zum Anliegen unseres Antrages. Wir fordern die Landesregierung auf, zu prüfen, ob anstelle des rechtsunsicheren Grundsteuermodells des Bundes eines der Modelle, die in den Ländern Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen Anwendung finden, auf Sachsen-Anhalt übertragbar ist. Wir halten die Prüfung für zwingend geboten, um in Sachen Grundsteuer den in Sachsen-Anhalt eingeschlagenen Weg zu überprüfen und möglichst zu korrigieren, um das Grundsteuerchaos zu beseitigen und um Rechtssicherheit herzustellen. Daher werbe ich um Zustimmung für unseren Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)