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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 8

Beratung

Erkenntnisse für eine rationale Cannabispolitik gewinnen. Modellregionen in Sachsen-Anhalt schaffen.

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/2769


Die Abg. Frau Sziborra-Seidlitz wird den Antrag einbringen.

(Zuruf von Eva von Angern, DIE LINKE)


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Selbstverständlich nicht. - Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Es ist die Prohibition, die alles wertvoll macht.“ Dieses Zitat von Mark Twain steht wohl wie kein zweites für die Mechanismen der bisherigen Drogenpolitik in Deutschland und für ihre Auswirkungen, zumindest, solange es nicht die gefährlichen, aber uns kulturell vertrauten Suchtmittel Alkohol und Tabak betrifft. Das ist hoch irrational. Wir GRÜNE und mit uns die Ampelregierung in Berlin wollen eine rationale Cannabispolitik. Eine Cannabispolitik, die Jugendschutz, Prävention und Qualitätskontrolle ernst nimmt und dafür auf einen staatlich reglementierten und kontrollierten Cannabismarkt setzt. 

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)

Die bisherige „Augen zu und durch“-Verbotspolitik löst keinerlei Probleme. Sie sorgt nur dafür, dass Konsumentinnen und Kleindealer kriminalisiert werden, Polizeibehörden mit der Verfolgung von Cannabisdelikten tausendfach belastet werden und ein Schwarzmarkt besteht, auf dem abseits jeder Kontrolle Cannabispräparate von jedermann und jeder Frau erworben werden können, und deren immer stärkere Dosierung - das lässt sich in den letzten Jahren beobachten - eben auch die Konsumrisiken immer unkalkulierbarer macht.

Und: Der Dealer fragt nicht zur Alterskontrolle nach dem Ausweis. Der Dealer händigt keine Übersicht zu Inhaltsstoffen aus. Der Dealer vermittelt keine Kontakte zu Suchtberatung. Der Dealer hat immer auch härtere Drogen zur Hand. Auf einem kontrollierten Cannabismarkt ist der Personalausweis die nötige Eintrittskarte, werden Inhaltsstoffe und Dosierungen kenntlich gemacht, stehen Beratungen zu Konsum und Suchtprävention offen und der Erwerb von Cannabis ist strikt getrennt von anderen weiterhin illegalen Drogen. Die Mär von der Einstiegsdroge Cannabis entbehrt spätestens dann aller Begründung. Denn der Schwarzmarkt ist der denkbar schlechteste Ort für eine rationale Drogenpolitik. Prohibition ist einer der denkbar schlechtesten politischen Ansätze in der Drogen-, in der Cannabispolitik.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE, und von der LINKEN - Zuruf von Alexander Räuscher, CDU)

Das haben manche Staaten und auch US-Bundesstaaten begriffen und verschiedene Wege der Legalisierung beschritten, und nun eben auch die Bundesregierung. Neben diesen quasi pragmatischen Erwägungen ist schlicht und ergreifend festzustellen, dass das deutsche Grundgesetz eine allgemeine Handlungsfreiheit als unser aller Grundrecht verbürgt. An anderer Stelle pochen Sie selbst ja immer wieder darauf. Warum sollte es der Staat also erwachsenen und mündigen Bürgerinnen und Bürgern verbieten, einen Joint zu rauchen?

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE, und von Konstantin Pott, FDP)

Die Beweislast liegt bei der Politik, wenn sie Handlungsfreiheit einschränken will. Im Fall von Cannabis hat man es sich dazu allzu lange viel zu leicht gemacht. Dabei wurde nicht abgewogen und versucht, gangbare Wege regulierten Konsums zu entwickeln. Nein, dabei wurde per Brechstange wunderbar vereinfacht, letztendlich polemisiert und verboten, illegalisiert und auch verteufelt. 

Rationale Fragen und rationale Antworten sind im Bereich der Cannabispolitik im politischen Raum bisher leider kaum möglich. Den Vogel schoss sicherlich der Ministerpräsident eben jenes Bundeslandes ab, in dem jedes Jahr das weltgrößte Rauschmittel-Volksfest stattfindet und der angesichts der angekündigten Cannabislegalisierung sagte, er wolle keine Drogen in seinem Bundesland.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE, von Sebastian Striegel, GRÜNE, und von der LINKEN)

Ich bin gespannt, wann das Alkohol- und Tabakverbot in Bayern kommt. 

Auch in Sachsen-Anhalt kann ich mir gut feuchtfröhliche Zechabende vorstellen, bei denen dann Trinkgenossen - nennen wir einen von ihnen mal    ; ach, ich nenne keine Namen, wir alle kennen trinkfeste Kolleginnen und Kollegen - über Kiffer lästern, die sich das Gehirn wegrauchen. Dabei sind organische Hirnschädigungen bis hin zu letalen Überdosierungen viel eher mit Alkohol in Verbindung zu bringen.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE, von Sebastian Striegel, GRÜNE, und von der LINKEN - Alexander Räuscher, CDU: Schizophrenie!)

Sie sind viel eher mit Alkohol in Verbindung zu bringen. Aber kulturkämpferische Folklore im Bereich der Cannabispolitik kommt zum Glück jetzt endlich an ihr Ende, zumindest auf der Ebene der Bundesregierung; denn - Trommelwirbel - die Eckpunkte der Bundesregierung zur Cannabislegalisierung liegen seit Ende April vor, nach zähem Ringen um die Regularien auf der EU-Ebene. 

Der Referentenentwurf für die erste Säule der Eckpunkte liegt schon vor. Wenn die ampeltypischen Reibereien bei diesem Thema einmal ausbleiben - darauf hoffen wir - werden wir zur ersten Säule noch in diesem Jahr das Gesetz bekommen. Das ist ein Meilenstein für eine offene Gesellschaft, für eine Gesellschaft, die auf mündige Bürger vertraut und die schwierige Themen nicht wegschiebt und mit Verboten regelt, sondern aktiv gestaltet, auch normiert, auch sanktioniert.

Die angesprochenen Eckpunkte möchte ich im Folgenden kurz erläutern, damit sichergestellt ist, dass auch alle wirklich wissen, worüber wir hierbei genau reden. Es geht ja nicht schlichtweg um „Gebt das Hanf frei!“ - das wäre mir zu plump. Die Eckpunkte bestehen aus zwei Säulen und nennen sich Club-Anbau & Regional-Modell, kurz CARe. Damit soll es nicht gewinnorientierten Vereinigungen unter klar definierten Rahmenbedingungen erlaubt werden, Cannabis anzubauen und den Mitgliedern für den Eigenkonsum zur Verfügung zu stellen. Auch wenn die grundgesetzlichen Regelungen zu Cannabisklubs per Bundesgesetz normiert werden, ist geplant, Zulassung und Überwachung in die Hände der Länder zu geben. Dabei kommt also Arbeit auf unsere Landesregierung zu, die es frühzeitig und fundiert vorzubereiten gilt.

Die zweite Säule sieht Modellvorhaben für kommerzielle Lieferketten vor. Es sollen die Auswirkungen kommerzieller Lieferketten für Cannabis auf den Gesundheits- und Jugendschutz sowie auf die Entwicklung des Schwarzmarktes wissenschaftlich untersucht werden. 

Vorgesehen ist auch der legale Anbau von drei Cannabispflanzen im privaten Rahmen. Der Regelungsbedarf bei den beiden genannten Säulen ist natürlich wegen der Neuheit dieses Ansatzes enorm. Das will gut vorbereitet sein, auch in Sachsen-Anhalt. 

Wir GRÜNE wollen diese beiden Säulen einer rationalen Cannabispolitik auch hierzulande voranbringen. Wir wollen daher, dass alle interessierten Kommunen im Land Modellprojekte zum lizenzierten Verkauf von Cannabis umsetzen können. Wir fordern mit unserem Antrag letztlich nur die Minimalfassung von einem dieser Modellprojekte in Sachsen-Anhalt. Aber das Land sollte alle Kommunen ermutigen und unterstützen, solche Modelle umzusetzen. Denn je mehr Daten und Erfahrungen wir sammeln und auswerten, desto rationaler und passender werden anschließend die Regelungen sein können. Sachsen-Anhalt ist dabei besonders interessant unter den Bedingungen eines Flächenlandes. Davon haben wir ja in der Bundesrepublik nur ein paar.

(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE, und von Olaf Meister, GRÜNE)

Wir wollen einen frühzeitigen Dialog mit den Suchberatungsstellen im Land und mit der Landesstelle für Suchtfragen zu den neuen Bedingungen und Möglichkeiten der Beratung und Aufklärung. Denn erst, wenn Cannabis legalisiert ist, kann eine ernsthafte und realistische Suchtprävention anfangen. Dann redet man nicht mehr an den Konsument*innen und an ihren eigenen Erfahrungen mit der Droge vorbei, sondern dann spricht man tatsächlich rational über Cannabis. Dann darf fundiert auch über die Risiken, aber eben auch über die Möglichkeiten des Konsums informiert werden. 

Bei illegalen Substanzen ist das logischerweise nicht gestattet, dabei geht es dann immer nur um das Verbot. Dabei obliegt es letztendlich der Polizei, strafrechtlich aufzuklären. Das passiert im Moment. Die Polizei kommt und klärt über illegale Drogen auf. Das braucht tiefgreifendere und fundiertere Aufklärung.

(Zustimmung von den GRÜNEN)

Wenn es für die Suchtberatung und die Prävention im Fall einer Cannabislegalisierung finanzielle Mehrbedarfe gibt, dann sind diese natürlich auch in die nächsten Haushalte einzupreisen. Das versteht sich von selbst.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Was?)

Wir wollen einen abgewogenen, ordnungsrechtlichen Rahmen für die erste Säule der Legalisierung für die Cannabisklubs.

(Zustimmung von den GRÜNEN)

Die Regulierung dieser Klubs ähnelt den Vorgaben für Glücksspielstätten. Es geht um Abstände z. B. zu Einrichtungen wie Schulen und Kitas. Es geht um Sichtschutz. Es geht darum, die Räume für Erwerb und Konsum zu trennen. Es geht darum, Werbung zu untersagen, etc. 

Bei vielen dieser Vorgaben werden die Länder Gestaltungsmöglichkeiten bekommen. Es gilt, dafür ein ausgewogenes und konsequentes Konzept zu erarbeiten, das einerseits Freiheitsräume gewährt und schützt, aber eben auch - und das ist wichtig - Jugendschutz und Suchtprävention berücksichtigt. 

So geht verantwortungsvolle und rationale Drogenpolitik; kein martialisch ausgerufener „War on Drugs“, keine moralinsaure Abstinenzpredigt am liebsten vor einem Maßkrug Bier, keine Verteufelung mit dramatisierten Schilderungen reiner Worst-Case-Fälle, sondern eine reflektierte, empiriegesättigte und damit rationale Reglementierung mit klaren und eben auch strengen Regeln, die auf den grundsätzlichen Freiheitsanspruch erwachsener und mündiger Bürgerinnen und Bürger gerecht werden, 

(Zuruf von Angela Gorr, CDU)

und eine Suchtprävention, die nicht verteufelt, aber ernst nimmt - alle Suchtmittel:

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

nichtstoffliche wie Glücksspiel und stoffliche wie Alkohol, Tabak und eben auch Cannabis.

Die Tage der Vogel-Strauß-Politik, des schlichten Verbietens sind zum Glück gezählt. Stimmen Sie heute für den Startschuss einer abgewogenen, freiheitlichen und rationalen Cannabispolitik.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Einen Augenblick, Frau Sziborra-Seidlitz, Ihr Anliegen wirft Fragen auf. Es gibt zwei Fragen, einmal von Frau Schüßler und dann von Herrn Kosmehl. Wollen Sie die zulassen?


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Ja.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Dann bitte, Frau Schüßler.


Xenia Sabrina Schüßler (CDU):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Sziborra-Seidlitz, Sie haben jetzt ganz viel zu den organischen Auswirkungen von Alkohol und Tabak gesagt. Aber ich würde gern einmal wissen, inwiefern Sie schon mit Menschen mit drogeninduzierten Schizophrenien zu tun gehabt haben. Dieses Leiden, das man da sieht    

(Angela Gorr, CDU: Ja!)

Krebs ist auch schlimm, aber wie sich das Gehirn, ich sage einmal, so verflüssigt über die Jahre, wenn der Point of no Return überschritten ist, das ist viel schlimmer. Ich muss auch ehrlich sagen: Ich bin komplett gegen die Legalisierung von Cannabis.

(Zustimmung bei der CDU)


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Ich kann den Punkt verstehen. Ich habe während meiner Tätigkeit als Gesundheits  und Krankenpflegerin auch lange in der Psychiatrie gearbeitet und tatsächlich auch mit vielen Menschen zu tun gehabt, die unter dem Einfluss verschiedener Drogen psychisch und körperlich krank geworden sind. Ich teile, dass das problematisch ist. Deshalb betonen wir auch den Aspekt des Jugendschutzes und der Suchprävention so sehr. 

Aber an dieser Stelle noch einmal: Es ist rational nicht nachzuvollziehen, warum wir das bei Alkohol hinnehmen - ich kenne auch körperliche Schäden von Alkohol; auch die sind dramatisch, auch die psychiatrischen Schäden  , warum wir uns jahrzehntelang gegen Werbeverbote und Ähnliches wehren 

(Alexander Räuscher, CDU: Sie reden wieder über Alkohol statt über Cannabis!)

und gerade den Aspekt des Jugendschutzes häufig hinter das Interesse der Händler zurückstellen, 

(Zuruf von der CDU: Am Thema vorbei!)

und warum wir bei Cannabis auf diese Art und Weise irrational anders handeln.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Alkohol ist auch ein Problem! - Alexander Räuscher, CDU: Dann bringt einen Alkoholantrag ein!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Das war die eine Frage. - Jetzt kommt Herr Kosmehl an die Reihe.


Guido Kosmehl (FDP):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, Sie wissen, dass es in meiner Partei sehr viele Menschen gibt, die sich auch für die Legalisierung oder die legalisierte Abgabe von Cannabisprodukten starkmachen. Wir haben das auch gemeinsam in Berlin im Koalitionsvertrag verankert.

Meine Frage stelle ich deshalb, weil Sie einen möglicherweise für Sie wichtigen Satz mehrfach betont haben, der mir ein bisschen Sorge bereitet. Es geht um den Gleichlauf mit der Prävention bei Glücksspiel.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Ja!)

Diesbezüglich sind die GRÜNEN in Sachsen-Anhalt sehr, sehr weit gegangen. Sie wollen das Wahlalter auf 14 Jahre senken, 

(Siegfried Borgwardt, CDU: Ja!)

aber 18-jährigen Jugendlichen nicht erlauben, in eine Spielhalle zu gehen, weil sie dort erst ab 21 Jahre hineingehen sollen. 

Nun haben wir z. B. auch Werbemöglichkeiten für Glücksspiel. Deshalb würde mich interessieren: Gibt es bei Ihnen durch die Hintertür dann doch das Verbot der Abgabe von Cannabis an 18-Jährige, also an Volljährige? Sagen Sie das auch Ihrer Jugendorganisation, dass Sie das so tun?


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Das ist von Ihnen jetzt trickreich dreimal um die Ecke gedacht. So ist es tatsächlich nicht gemeint. Sie kennen unsere Haltung zu der Frage Glücksspiel, gerade was die Werbung betrifft. Genau so muss das selbstverständlich auch für Cannabis gelten. Werbung für Cannabis muss untersagt sein. Es darf sie nicht geben.

Ich sage das jetzt ganz deutlich: Es geht nicht plump um „Gebt das Hanf frei!“ und Legalisierung, sondern um einen reglementierten Markt, 

(Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

mehr Jugendschutz und mehr Präventionsmöglichkeiten. Nein, bei uns wird es an dieser Stelle keine Hintertüren geben. Deswegen muss ich das auch nicht mit der grünen Jugend aushandeln.

(Beifall bei den GRÜNEN)