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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 2

Aktuelle Debatte

Stabile Demokratie, Weltoffenheit und Willkommenskultur - Grundlagen für wissenschaftliche Exzellenz, neue Investitionen, Arbeitskräftegewinnung und Wohlstand

Antrag Fraktion SPD - Drs. 8/2816


Die Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Die Redezeit der Landesregierung beträgt ebenfalls zehn Minuten. Die Fraktionen sprechen in folgender Reihenfolge: SPD, AfD, CDU, DIE LINKE, FDP und GRÜNE. Zunächst spricht die Fraktionsvorsitzende der SPD Frau Pähle. - Sie haben das Wort, bitte sehr.


Dr. Katja Pähle (SPD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Hohes Haus! Als es nach 1990 darum ging, wo es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR neue moderne Industrieansiedlungen geben würde und wo neue Arbeitsplätze entstehen könnten, machte sich die traditionsreiche mitteldeutsche Industrieregion einschließlich des Raums Magdeburg große Hoffnungen. Diese Hoffnungen waren gut begründet; denn für die Region sprachen zwei gute Argumente: die einmalige verkehrsgünstige Lage mitten im vereinten Deutschland, mitten in einem Europa ohne Grenzen und die große Zahl von qualifizierten Arbeitskräften, vom Facharbeiter bis hin zur Ingenieurin, von deren DDR Berufserfahrung jeder neue Eigentümer hätte profitieren können.

Wenn diese Gründe gezogen hätten, dann hätte Sachsen-Anhalt schon damals zu den Gewinnern der deutschen Einheit zählen können. Wir wissen alle, so ist es nicht gekommen - einerseits, weil die Treuhand auf zukunftsfähige Arbeitsplätze gepfiffen hat, andererseits, weil viele westdeutsche und internationale Unternehmen bei uns Betriebe nicht gekauft haben, um zu investieren, sondern um den Markt zu bereinigen und um Überkapazitäten abzubauen

(Zustimmung von Frank Bommersbach, CDU)

oder um sich bestenfalls kostengünstig eine verlängerte Werkbank zuzulegen.

Was damals passierte, war organisierte Verantwortungslosigkeit. Diese negativen Erfahrungen haben viele Menschen nachhaltig geprägt. Die Entwertung ihrer beruflichen Erfahrung hat viele verbittert. Seitdem ist in unserem Land mit Gründermut und mit innovativen Ideen gleichwohl sehr viel auf die Beine gestellt worden.

Aber das, was wir derzeit erleben, ist eine neue positive Qualität. Die größte ausländische Direktinvestitionen in der deutschen Nachkriegsgeschichte kommt nach Magdeburg. In Leuna versammeln sich immer mehr Kompetenzen in Sachen Wasserstoff, also in einer der Schlüsseltechnologien für die Industrie der Zukunft, eingebettet in einen internationalen Forschungsverbund und in einer engen Verbindung mit anwendungsorientierten Vorhaben. Halle wird zum Sitz eines Thinktanks für die Gestaltung dieser und künftiger Transformationsprozesse. Zugleich bewerben sich unsere beiden Universitäten mit mehreren Clustern darum, Spitzenforschung im Interesse einer nachhaltigen und einer energieeffizienten Produktion in die Exzellenzstrategie von Bund und Ländern einzubringen. Der Minister wird dazu nachher sicherlich noch mehr sagen.

Weitere große Ansiedlungen, auch in kleinen Städten, kommen aktuell hinzu. Wir haben also eine echte Chance auf einen neuen Aufbruch für den Osten. Diese Chance müssen wir mit beiden Händen ergreifen.

(Zustimmung von Juliane Kleemann, SPD, von Dr. Heide Richter-Airijoki, SPD, und bei der FDP)

Aber damit das klappt, müssen wir damit umgehen, dass heute eben nicht mehr eine große Zahl von qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern auf der Straße steht. Wir müssen heute das Problem des Arbeitskräftemangels lösen und die wirtschaftliche Entwicklung stützen, und das, um es noch einmal unmissverständlich zu sagen, funktioniert nur mit Zuwanderung;

(Zustimmung bei der SPD und bei der FDP)

alles andere ist Augenwischerei. Gleichzeitig müssen wir daran arbeiten, die Menschen, die heute noch arbeitslos und arbeitsfähig sind, für eine Arbeitsaufnahme zu qualifizieren und zu motivieren, auf dem ersten Arbeitsmarkt ideale Bedingungen für Menschen mit Behinderung zu schaffen

(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

und weitere Hindernisse für die Erwerbstätigkeit von Frauen aus dem Weg zu räumen, wozu übrigens auf der Bundesebene gerade mit einer Diskussion über das Elterngeld beigetragen werden soll.

Selbst wenn wir all das schaffen, brauchen wir Zuwanderung in Größenordnungen, wenn wir die Grundlage unseres Wohlstandes nicht gefährden wollen.

Um es ebenso deutlich zu sagen: Es geht nicht bloß um die IT-Koryphäen aus Indien, nicht nur um hoch qualifizierte Fachkräfte. Wir brauchen helfende Hände und kluge Köpfe in der Pflege, in der Medizin, im Handwerk, in der Gastronomie, an unseren Schulen und, ja, auch im öffentlichen Dienst. Deshalb hat der Bundestag in der vergangenen Woche mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz genau das Richtige getan. Die Zuwanderung von Fachkräften wird erheblich vereinfacht. Die Sprachförderung wird deutlich ausgebaut. Bewerbungs- und Anerkennungsverfahren werden entbürokratisiert.

Was die SPD geführte Koalition in Berlin jetzt geschafft hat, ist zugleich ein wirtschafts- und arbeitnehmerfreundliches Gesetz. Aber Gesetze allein reichen nicht aus, um Menschen für das Land und die Arbeit in Deutschland und gern auch in Sachsen-Anhalt zu gewinnen. Wir brauchen auch ein gesellschaftliches Klima, in dem sich Zuwandernde willkommen fühlen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn sich Berichte von Übergriffen gegen Menschen mit Migrationsgeschichte verbreiten, wenn Menschen Erfahrung mit Alltagsrassismus und Antisemitismus machen, wenn gegen Flüchtlingsunterkünfte demonstriert wird, aber auch wenn die „New York Times“ meldet, dass zum ersten Mal seit 1945 in Deutschland ein Rechtsextremist zum Landrat gewählt wurde, dann schreckt das Menschen ab,

(Oliver Kirchner, AfD: Das schreckt die Linksextremisten ab!)

die wir in unseren Betrieben, in unseren Krankenhäusern, im Nahverkehr und eben auch für Intel brauchen.

Es wirkt ebenso negativ auf die internationale Besetzung von Teams, die an Universitäten und Fachhochschulen arbeiten und forschen. Es wirkt negativ auf die internationalen Studierenden, die wir an unseren Hochschulen ausbilden und sie für eine Studienaufnahme in Sachsen-Anhalt gewinnen wollen und aus denen wir unser akademisches Führungspotenzial von morgen gewinnen müssen. Kurz gesagt: Rassismus schädigt unser Land.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU)

Wir müssen der Menschenfeindlichkeit von rechts außen deshalb weiter eine breite Willkommenskultur in unseren Städten und Gemeinden entgegensetzen. Gerade jetzt brauchen die zivilgesellschaftlichen Bündnisse und Initiativen für Demokratie unsere Rückendeckung.

(Oliver Kirchner, AfD: Nehmen Sie Ihre linken Gewerkschaften!)

Rassismus ist kein Ostproblem. Für viele politisch Verantwortliche im Bund und in den westdeutschen Ländern ist es ein allzu bequemer Weg, sich unbequemen Debatten zu entziehen. Es ist kein Problem des Ostens und es ist auch kein Demokratiedefizit des Ostens. Das ist nicht nur eine historische Ungerechtigkeit gegenüber den friedlichen Revolutionen im Jahr 1989; sondern es heißt auch, die Augen zu verschließen vor menschenfeindlichen antidemokratischen Auffassungsstrukturen, die es in ganz Deutschland gibt.

Aber auch wir dürfen gegenüber spezifischen Problemlagen hier im Land keine Scheuklappen anlegen. Vor ca. einer halben Stunde sind die Ergebnisse einer neuen Studie aus Leipzig in Berlin vorgestellt worden und an uns verschickt worden. Es geht um die Leipziger Autoritarismusstudie. Die Ergebnisse einer Befragung, die insbesondere die Situation in Ostdeutschland beleuchtet und Vergleiche zwischen den einzelnen ostdeutschen Ländern vornimmt.

Schon der erste Blick zeigt: Sachsen-Anhalt hat keinen Grund, mit dem ausgestreckten Finger auf Nachbarländer zu verweisen. Nach dieser Studie wird in Sachsen-Anhalt sogar der höchste Anteil von Menschen mit einem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild gemessen. Er liegt bei 11,6 %. Dieser Befund zeigt deutlich: Wer rechtes Denken, Handeln und Wählen als bloßen Protest abtut, der lügt sich in die eigene Tasche.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Rechtsextreme Ideologien, Antisemitismus und Ablehnung der Demokratie haben nichts mit Kritik am Gebäudeenergiegesetz zu tun.

(Oliver Kirchner, AfD: Das hat ganz stark mit der Einwanderung, mit der Zuwanderung zu tun!)

Was wir jetzt klarmachen müssen, ist: Wir, die Befürworter der Demokratie, die Unterstützer eines weltoffenen Sachsen-Anhalts, sind die Mehrheit. Wir sorgen gemeinsam dafür, dass Menschen, die neu in unser Land kommen, um hier zu arbeiten, in Sachsen-Anhalt gute Nachbarn finden. Wir kümmern uns darum, dass sich unsere Schulen für Kinder aus ganz unterschiedlichen Ländern öffnen - ich bin sicher, das funktioniert auch ohne Stabsstelle - und dass auch Erwachsene alle Möglichkeiten haben, ihre Deutschkenntnisse zu vertiefen und ihren Platz in unserem Land zu finden.

Um es kurz zusammenzufassen. Wer „I“ wie Intel sagt, der muss auch „V“ wie Vielfalt sagen können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU - Oh! bei der AfD)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Es gibt eine Intervention von Herrn Hecht, wenn ich das richtig sehe. - Bitte sehr.


Christian Hecht (AfD):

Frau Pähle, Sie haben gesagt, dass die „New York Times“ darüber berichtet habe, dass ein Rechtsextremist den Posten des Landrates bekommen habe. Ich habe den Artikel der „New York Times“ in der Hand, und ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, so etwas zu behaupten. Darin steht nichts von „Robert Sesselmann ist ein Rechtsextremist“.

(Zuruf von der AfD: Fake News!)


Dr. Katja Pähle (SPD):

Das können wir nachher abgleichen, Herr Hecht.

(Zuruf von der AfD: Das ist Ihre Wahrnehmung!)


Christian Hecht (AfD):

Ich habe mir den Artikel herausgesucht. Darin steht nichts. Das ist der Artikel von Herrn Schuetze, der in Berlin tätig ist. Einen anderen gibt es dazu nicht. Wir können es gern abgleichen. Aber nach dem, was ich in dem Artikel gelesen habe, ist dies nicht der Fall.

(Zuruf von der AfD: Fake News! - Frank Otto Lizureck, AfD, steht am Mikrofon)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Lizureck, noch einmal zu den Regeln im Zusammenhang mit einer Rede. Interventionen und Fragen sind während der Reden anzuzeigen und nicht danach.

(Frank Otto Lizureck, AfD: Ich bin aufgestanden!)

- Ja, nachdem Frau Pähle, Ihre Rede beendet hat, sind Sie aufgestanden. Ich habe gerade mit beiden Schriftführern darüber geredet. Grundsätzlich: während der Rede anzeigen und nicht erst danach. - Danke.