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Plenarsitzung

Transkript

Holger Hövelmann (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist schon eine Art, sich mit politischen Problemen auseinanderzusetzen, die grenzwertig ist.

(Zurufe von der AfD: Kommen wir mal zum Inhaltlichen! Inhalte, nicht Phrasen! Die Wahrheit ist unangenehm! Geh doch zu den GRÜNEN! - Unruhe)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Stopp! Stopp! Stopp! Also an der Stelle bitte ich jetzt wirklich um Konzentration und Ruhe. Wir wollen es nicht übertreiben. Irgendwann reicht es dann auch. Dem, der hier vorn spricht, kann man zuhören. Man kann ein paar Bemerkungen ablassen, aber die Achtung im Hohen Hause bleibt erhalten, so lange ich hier vorn sitze.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)


Holger Hövelmann (SPD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Man kann ja unterschiedliche Bewertungen vornehmen zu politischen Sachverhalten. Dabei kann es auch mal hoch hergehen. Aber sich hierhin zu stellen und so zu tun, als wären die Fakten, was die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Sachsen-Anhalt anbelangt, alles nur Sand, der den Menschen in die Augen gestreut wird, ist verlogen und falsch.

(Ulrich Siegmund, AfD: Welche Fakten?)

Das ist Sand, der den Menschen dieses Landes in die Augen gestreut wird.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und von Konstantin Pott, FDP)

Was mich am meisten ärgert   das will ich deutlich sagen; die Formulierung verzeihen Sie mir möglicherweise  , das ist Ihr vorpubertäres Verhalten.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN - Ulrich Thomas, CDU: Oh! - Unruhe)

Wenn Sie in diesem Raum herumjohlen, wenn Sie herumgrölen, wenn Sie auf die Tische schlagen. Das ist so unerträglich. Sie machen diese Hohe Haus damit so lächerlich.

(Jan Scharfenort, AfD: Das sehen die Bürger aber anders! Fragen Sie mal die Bürger!)

Das ist offensichtlich das, was Sie wollen. Das finde ich das Schlimmste. Das sind nicht mal so sehr die Inhalte, von denen kann man sich ja distanzieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will aber zur Aktuellen Debatte etwas sagen. Ja, die Bürgerinnen und Bürger von Sachsen-Anhalt können stolz auf ihr Land sein. Die letzten drei Jahrzehnte haben gezeigt, dass wir erfolgreich sind, dass wir wirtschaftlich erfolgreich sind.

Und sie können stolz auf die Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land sein. Sie können aber auch stolz auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein. Denn nur beide erwirtschaften den Reichtum in diesem Land und beiden gilt unser Dank und unsere Anerkennung.

(Zustimmung bei der SPD)

Sachsen-Anhalt holt mit Siebenmeilenstiefeln zu Ländern wie Bayern, Hessen oder Baden-Württemberg auf. Das ist tatsächlich kein Zufall. Es gibt verschiedene Ursachen für diese positive Entwicklung in unserem Land. Ich möchte drei davon kurz benennen.

Da ist erstens unsere Wissenschaftslandschaft. Die Universitäten und Hochschulen in unserem Lande sind hervorragende Forschungsstandorte, egal, ob für technische oder geisteswissenschaftliche Studiengänge. Das Niveau der Ausbildung ist hoch und international anerkannt.

Zahlreiche Studentinnen und Studenten aus der ganzen Welt studieren in unserem Land, aus Indien, aus China und sonst wo her. In den Hochschulrankings punkten wir regelmäßig mit exzellenten Bewertungen und nicht zuletzt durch die SPD wurde die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft in unserem Land in den letzten Jahren vorangetrieben.

(Zustimmung bei der SPD)

Das erleichtert Ausgründungen und den nahtlosen Übergang vom Studium in die Arbeit.

Zweitens. Wir haben Platz für Ideen. In Leuna entsteht derzeit durch Linde der weltweit größte Elektrolyseur zur Herstellung von Wasserstoff, daneben eine Bioraffinerie von UPM für Chemikalien aus Holz. In Halberstadt   der Minister hat es gesagt  , baut Daimler Trucks ein Logistikzentrum. Bei Möckern wird von Nokera eine Gigafactory für den seriellen Wohnungsbau errichtet.

Das zeigt: Sachsen-Anhalt ist ein Land mit einer exzellenten Infrastruktur für Unternehmen jeder Größe.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Die Ansiedlungspolitik der letzten Jahre macht sich bezahlt.

Drittens. Wir haben viele erneuerbare Energien. Entgegen allen Vorurteilen und Behauptungen ist das   d e r   Standortvorteil für die Zukunft.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Christian Hecht, AfD, lacht)

Strom aus Wind und Solarkraft ist einfach zu erzeugen, günstig und sauber. Ich bin Ministerpräsident Reiner Haseloff sehr dankbar dafür, dass er diesen Standortfaktor für unser Land erkannt hat und weiter ausbauen will. Es waren nicht zuletzt diese drei Gründe, die Intel nach Magdeburg geholt haben.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollege! Ich will keine Wermutstropfen über diese freudigen Umstände verteilen, aber auf den Lorbeeren ausruhen sollten und können wir uns nicht. Bei aller Freude über den glänzenden wirtschaftlichen Aufschwung: Die Menschen in unserem Land müssen auch daran teilhaben.

(Zustimmung bei der SPD)

200 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sachsen-Anhalt - das ist beinah jeder Vierte - haben im letzten Jahr Niedriglohn verdient. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind zu viele.

(Zustimmung bei der SPD und von Guido Henke, DIE LINKE)

Das Leben ist nicht nur seit dem letzten Jahr deutlich teurer geworden. Wenn 25 % der Sachsen-Anhalter kaum noch über die Runden kommen, dann schadet das dem sozialen Frieden in unserem Land. Die Erhöhung des Mindestlohns durch die SPD-geführte Bundesregierung hat hierbei Abhilfe geschaffen.

(Marco Tullner, CDU: Na ja!)

Mittelfristig brauchen wir aber eine Erhöhung der Tarifbindung. Tarifverträge sind kein Teufelszeug

(Beifall bei der SPD und von Marco Tullner, CDU)

und kein Wachstumshemmnis. Im Gegenteil: Sie erhöhen die Motivation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für den Erfolg ihres Unternehmens zu arbeiten. Denken Sie an die berühmte Aussage von Robert Bosch - ich zitiere  : 

„Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle.“

Das ist auch die Lösung, meine sehr verehrten Damen und Herren, für die erste uns bevorstehende Herausforderung: den Fachkräftemangel. Wir laufen Gefahr, in eine Spirale zu geraten. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen in den Ruhestand, zu wenige kommen nach.

Wir verlieren aber auch viele gut ausgebildete junge Menschen in andere Bundesländer, egal ob sie von der Universität oder von den Berufsschulen kommen. In Zeiten knapper Arbeitskräfte entscheiden offenkundig Lohn, Arbeitsbedingungen und Zukunftsperspektiven, wo sich die Menschen niederlassen. Vorschläge wie verknappte Zulassung zum Abitur sind daher nur eines: Scheinlösungen. Nicht die Arbeitnehmer bewerben sich heute um einen Job. Die Arbeitgeber bewerben sich um Arbeitnehmer. Die Unternehmen in unserem Land sollten aus diesem Grund mit den Gewerkschaften zusammen Angebote entwickeln, die Arbeitskräfte hier arbeiten lassen wollen. 

Aber auch darüber hinaus muss uns klar sein: Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen. 

(Zustimmung bei der SPD und von Andreas Silbersack, FDP)

Ganz Deutschland braucht pro Jahr 400 000 Menschen, die netto zu uns kommen, um wenigstens das Niveau an arbeitsfähigen Personen in unserer Republik zu halten. Willkommenskultur und Integration sind daher die Großinvestitionen in unsere Zukunft, größer noch als Intel.

Die größte Herausforderung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist aber eine beständige: die Veränderung. Die Coronapandemie, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der Klimawandel - all dies haben viele als selbstverständlich wahrgenommene Gegebenheiten mal schnell über den Haufen geworfen. Wir merken es daran, dass unsere Chemieindustrie plötzlich nach neuen Quellen für Erdgas suchen muss, dass unsere Automobilzulieferer noch nicht wissen, wie sie mit den Plänen der Automobilhersteller auf E-Mobilität Schritt halten können, dass im Süden unseres Landes die Frage im Raum steht: Was machen wir eigentlich nach der Braunkohle?

Ein Patentrezept für all diese Herausforderungen gibt es nicht. Es braucht zielgenaue Lösungen für die Veränderungen in jeder einzelnen Branche. Das heißt bspw. für die Chemieindustrie: den Weg freimachen für den Aufbau von Wasserstoff, damit zukünftig weniger Erdgas gebraucht wird. Das heißt für die Automobilzulieferer: Investitionsförderung und Programme zur Umschulung von Mitarbeitern, damit die Unternehmen ihre Produktpalette von Verbrenner- auf Elektromotoren umstellen können. Das heißt für die Braunkohleregionen: Gewerbe- und Industriegebiete ausbauen, die Ansiedlung von Unternehmen fördern, um die Braunkohlekumpel in neuen Branchen unterbringen zu können.

(Marco Tullner, CDU: Und Infrastruktur!)

Das heißt branchenübergreifend: Wir müssen uns widerstandsfähiger gegen plötzliche Umschwünge machen. Dazu zählt unter anderem der Ausbau der erneuerbaren Energien.

(Zuruf von der AfD: Nein!)

Dies macht uns unabhängiger von Gas- und Öllieferungen aus dem Ausland. Dazu zählt aber auch die Neuausrichtung unserer Außenwirtschaft auf Wertepartner innerhalb und außerhalb der EU. Wir erhalten dadurch Verlässlichkeit in einer immer unverlässlicher gewordenen Welt. 

All das erfordert aber auch etwas von uns: Mut. Mut, sich auf die Veränderungen einzulassen und sie nicht als Bedrohung, sondern als Chance wahrzunehmen. Wenn wir krampfhaft die alten Gegebenheiten einfrieren wollen, dann halten wir weder Fachkräfte im Land, noch lösen wir unsere Energiefragen.

(Beifall bei der SPD)

Es waren der Mut und der Tatendrang der letzten Jahre, welche uns heute so erfolgreich machen. Seien wir stolz auf das Erreichte, und arbeiten wir weiter mutig an dem, was vor uns liegt. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei SPD - Zustimmung von Siegfried Borgwardt, CDU)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. Es gibt zwei Interventionen. - Herr Lizureck, bitte.


Frank Otto Lizureck (AfD): 

Herr Hövelmann, Sie haben beklagt, dass die Menschen im Niedriglohnsektor nicht mehr mit ihrem Geld klarkommen. Sie vergessen dabei gewisse Zusammenhänge. Ich will Ihnen dabei ein bisschen helfen. Sachsen-Anhalt brüstet sich mit der höchsten Dichte von Windkraftanlagen in Deutschland. Dazu muss ich Ihnen sagen: Ein Ergebnis dessen ist, dass der Bürger in Sachsen-Anhalt die höchsten Preise für Elektroenergie zu zahlen hat. Das ist auf Ihre Politik zurückzuführen. Die Leitungen, die verlegt werden mussten, müssen nämlich die Bürger in diesem Land bezahlen. Andere Länder profitieren davon. - Danke.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. 


Holger Hövelmann (SPD): 

Muss man nicht korrigieren.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Scharfenort, bitte.


Jan Scharfenort (AfD): 

Ihre Rede war ein gutes Beispiel für Gesundbeterei. Ich greife bloß einmal zwei Beispiele heraus. Zu der Aussage, wir stünden im Hochschulranking so gut da. Mittlerweile ist einschlägig, dass wir Studien zufolge im internationalen Ranking inzwischen nur noch eine Universität unter den Top 50 haben. Das ist die Universität in München. Also, wenn das Ihr Maßstab sein soll, dann sage ich: Früher standen wir besser da. Mit unseren Universitäten geht es steil abwärts.

Zu dem Mantra der Erneuerbaren. Sie sehen nun selbst, dass die GRÜNEN letztlich immer mehr   sie haben es früher immer als Dreckschleudern bezeichnet   Kohlekraftwerke ans Netz nehmen müssen, weil man mit der Grundlast nicht mehr auskommt. Jetzt sind auch Müllverbrennungsanlagen neue grüne Technologie. Was kommt am Ende oben heraus? - CO2, natürlich.

Die Probleme, die Sie selbst verursacht haben, wollen Sie nun gesundbeten. Ihre Rede war letztlich eine Gesundbeterei. Ich empfehle Ihnen einfach, die Rationalität wieder in den Vordergrund zu stellen. Dann wird es auch besser.

(Ulrich Siegmund, AfD, lacht)


Holger Hövelmann (SPD): 

Das provoziert dann doch eine Reaktion.

(Ulrich Siegmund, AfD, lacht)

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der AfD, Sie stellen sich hierhin und kritisieren die Arbeit der Landesregierung von Sachsen-Anhalt und der Bundesregierung,

(Jan Scharfenort, AfD: Konkret ging es jetzt um Sie und die SPD!)

egal, welche Regierung bisher in welcher Konstellation an verantwortlicher Stelle war.

(Oliver Kirchner, AfD: Sind ja alle gleich!)

Diese Regierungen haben einen Auftrag vom Volk.

(Jan Scharfenort, AfD: Den nehmen Sie ja nicht wahr! - Weitere Zurufe von der AfD)

Dieser Auftrag vom Volk lautet, knapp ausgedrückt, dieses Land weiterzuentwickeln und dafür zu sorgen, dass Demokratie herrscht

(Frank Otto Lizureck, AfD, lacht)

und dass wirtschaftlicher Wohlstand erhalten bleibt.

(Jan Scharfenort, AfD: Das sind schon wieder platte Sprüche!)

Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, dann stellen Sie fest, die Regierungen - und zwar alle - tun genau das. Und sie tun das erfolgreich. Auch die Regierung in Sachsen-Anhalt, alle Regierungen seit 1990 haben dies erfolgreich getan. Nur die Bedingungen waren nicht zu jeder Zeit so, wie sie heute sind.

Wer sich an den Strukturwandel der 90er-Jahre erinnern kann, als hier ein wirtschaftlicher Zusammenbruch stattfand, als der Ausverkauf der ostdeutschen Wirtschaft und damit auch der sachsen-anhaltischen Wirtschaft stattfand und die Menschen massenhaft arbeitslos geworden sind, der stellt fest: Eine damalige Regierung - es gab zu dieser Zeit in diesem Land verschiedene Regierungskonstellationen - hatte selbstverständlich erhebliche andere Problemberge zu bewältigen, als das heute der Fall ist. Heute haben wir andere Herausforderungen.

(Jan Scharfenort, AfD: Selbstgemachte Probleme!)

Aber wir haben genau das getan, was die Menschen von uns verlangen und erwarten können. Wir lösen die Probleme der Gegenwart und kümmern uns um die Sorgen und die Problemlösungen der Zukunft. 

(Jan Scharfenort, AfD: Dann hören Sie auch mal auf die Umfragen! - Zuruf von Frank Otto Lizureck, AfD)

Das sollten Sie anerkennen. Bei aller Kritik, die an vielen Stellen berechtigt ist - damit habe kein Problem  :

(Jan Scharfenort, AfD: Die Leute wollen den Verbrenner bspw. weiter! - Weitere Zurufe von der AfD)

Wenn Sie sich permanent hier hinstellen und den Leuten in diesem Land erzählen,

(Jan Scharfenort, AfD: Wir erzählen nichts! Wir erzählen nur das, was sie uns sagen!)

sie leben in einem der schlechtesten Länder dieses Planeten, dann lügen Sie wie gedruckt.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Das ist eines der besten und erfolgreichsten Länder der Welt.

(Zustimmung bei der SPD - Jan Scharfenort, AfD: Gucken Sie mal in die Umfragen! - Zuruf von der AfD: So ein Käse! - Weitere Zurufe von der AfD)