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Plenarsitzung

Transkript

Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Vielen Dank. - Mit dem Härtefallfonds Renten des Bundes soll die Gerechtigkeitslücke für viele Ostrentnerinnen zumindest teilweise geschlossen werden. Helfen soll die Pauschale denen, die in der DDR z. B. bei der Reichsbahn, bei der Post, in der Braunkohleveredlung, im Gesundheitswesen oder als Balletttänzer gearbeitet haben, oder in der DDR geschiedenen Frauen. Wir haben im Landtag schon einmal darüber beraten. Der Bund stellt Mittel in Höhe von 500 Millionen € bereit. Die Bundesländer können diesem Fonds noch bis Ende März, also Ende dieses Monats, beitreten, sodass Anspruchsberechtigte dann insgesamt Mittel in Höhe von 5 000 € statt 2 500 € erhalten können.

Von den Ostländern sind Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern dem Fonds bisher beigetreten. In den Medien konnten wir lesen, der Ministerpräsident behält sich eine Positionierung bis zur Ost-Ministerpräsidentenkonferenz, die in der letzten Woche stattfand, vor. Meine Frage ist: Wie haben Sie, Herr Ministerpräsident, sich auf der Ost-Ministerpräsidentenkonferenz zu dieser Frage positioniert, und warum haben Sie sich so positioniert?


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Ministerpräsident.


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident):

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir hatten in der letzten Woche die Ministerpräsidentenkonferenz. Dieser Punkt stand nicht explizit auf der Tagesordnung, aber wir haben die Gesprächsmöglichkeiten am Rande und im Rahmen der Kamingespräche zu einigen Themen genutzt, um auch diesen Themenkomplex aufzurufen.

Ich will vorher noch sagen, was wir im Kabinett dazu für einen Austausch hatten bzw. in der Staatskanzlei im Anschluss an die Kabinettsitzung in der vorletzten Woche. Damals war die Staatsministerin Frau Ryglewski bei uns, die Koordinatorin für die Arbeit des Bundeskanzleramtes mit den Bundesländern bezüglich des Bundesrates. Das heißt, alles, was dort mehr oder weniger durch die Verfahren geschickt wird, Kabinett, Bundestag, Bundesrat, Ausschussbefassung usw., wird seitens des Bundeskanzleramtes und der Bundesregierung durch Frau Ryglewski koordiniert.

Wir hatten im Kabinett ausreichend Zeit, um verschiedenste Themen mit ihr durchzusprechen. Ich will das nur andeuten. Es gibt gerade in den letzten anderthalb Jahren, sicherlich auch bedingt durch die letzten zwölf Monate und den Krieg in der Ukraine, eine Situation, mit der wir derzeit alle unzufrieden sind, nämlich dass es ständig Verkürzungsbitten gibt, was die Behandlung von Tagesordnungspunkten im Bundesrat anbelangt. Das heißt, es gibt keine originären Durchläufe mehr, wie wir sie gewöhnt sind, damit wir in den Ausschüssen und auf den Arbeitsebenen für uns die Beschlusslagen so vorbereiten, dass im Kabinett und dann auch im Bundesrat die Entscheidung getroffen werden kann.

Warum mache ich diese Schleife? - Genau dieses Thema ist sozusagen kein ostdeutsches Thema, sondern ein gesamtdeutsches Thema. Der Bund weiß, dass es eine ganze Reihe von ungelösten Problemen gibt, soziale Härtefälle in Ost und West, in Nord und Süd, und dass es dort verschiedene Personengruppen gibt, die, mit unterschiedlichsten historischen Kontexten verbunden, in unserem Sozialsystem vorfindbar sind.

Wir wissen - all die Diskussionen gibt es schon seit vielen Jahren  , dass wir an dieser Stelle gerade bezüglich der neuen Länder einen großen Handlungsbedarf haben. Dieser Handlungsbedarf ist nicht nur Ausfluss des Rentensystems, das sich sukzessive über die 32 Jahre mit unserem Beitritt zur alten Bundesrepublik entwickelt hat, sondern resultiert in Teilen auch aus der Schnelligkeit des damals erstellten Einigungsvertrages, als bestimmte Fallgestaltungen entweder nicht transparent waren, auch der westdeutschen Seite nicht, sagen wir einmal, bewusst waren.

Ich sage es einmal so: Es sind Berufsbezeichnungen völlig anders belegt gewesen. Ein Ingenieurökonom ist - das wissen wir - eigentlich etwas anderes als ein Ingenieur im engeren Sinne. Physiker und Chemiker - das betrifft mich übrigens auch - sind anders behandelt worden als Diplomingenieure für Maschinenbau. So könnte man das durchdeklinieren. Damals sind, der Schnelligkeit geschuldet, viele Unwuchten hineingekommen.

Damals hat man sich, weil man eigentlich von kleinen Gruppen oder kleinen Problemlagen ausging, in einer allgemeinen Klausel darauf verständigt, dass man dieses dann einvernehmlich, aber vor allen Dingen in einer Mitfinanzierung durch die beitretenden neuen Bundesländer, die gerade frisch gegründet wurden, zu regulieren versucht.

Wenn wir gewusst hätten, was damit auf die beim Unterschreiben des Einigungsvertrages noch gar nicht existenten Bundesländer zukommt, dann hätte man damals reingrätschen können. Das kann man niemandem vorwerfen. Das war nicht bekannt. Niemand wusste, wie z. B. bestimmte Klageverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ausgehen, als es darum ging, inwieweit die Renteneinstufung von zum originär engeren System der alten DDR gehörenden Personen ausgeht. Diese sind zu großen Teilen hochgepunktet worden, sage ich einmal.

Wir zahlen inzwischen die Hälfte - ich glaube, wir sind jetzt bei 50 : 50; wir hatten einen wesentlich höheren Anteil - in dieses Sonderrentensystem ein -oder, Herr Robra? Wir könnten jetzt in den Haushalt gucken. Ich schätze, um die 430 Millionen € bis 450 Millionen € haben wir in dem nachher zu beschließenden Haushalt für dieses Sonderrentensystem zu bezahlen. Das sind für alle neuen Länder pro Jahr übrigens knapp 2,5 Milliarden €, wenn ich richtig gerechnet habe. Darauf kommt man zumindest, wenn man es anhand der Bevölkerungszahl hochrechnet.

Das heißt übrigens - das muss man wissen; es ist vielleicht ganz gut, wenn man das vor der Behandlung des Haushaltsplans hier einmal durchnimmt  : Saldiert über die Jahre haben wir faktisch die gesamten europäischen Strukturfördermittel, die in Sachsen-Anhalt und auch in den anderen ostdeutschen Ländern angekommen sind, komplett in das Rentensystem überführt. Originär haben wir, anders als Polen, Ungarn, die Tschechische Republik usw., die das einsetzen konnten, - zumindest rein mathematisch, wenn ich die Mengenverhältnisse ins Verhältnis setze - die gesamten Strukturfördermittel für das Rentensystem verwendet.

(Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

- Nein, das muss alles im Zusammenhang gesehen werden, weil wir genau darüber auch verhandeln. - Denn es gibt noch die alte Zusage der alten, also der früheren Bundeskanzlerin - „alt“ bezüglich der alten Legislaturperiode; ansonsten ist sie genau so alt wie ich und natürlich stehe ich zu meinem Alter; das mache ich auch gern.

(Lachen - Zuruf von Tobias Krull, CDU)

- Richtig. - Aber das ist die Altbundeskanzlerin. Ich bin noch im Dienst, auch dank Ihrer freundlichen Stimme, die Sie mir mehrheitlich gegeben haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Jedenfalls ist es so, dass wir genau dafür     

(Unruhe)

Wir wollten in Zehnprozentschritten genau das herausnehmen. Das sind - über mehrere Jahre gerechnet - Hunderte Millionen Euro, um wieder einen Freiheitsgrad zu haben, damit wir nachher nicht überlegen müssen, bei wem wir die entsprechenden Millionen Euro dann wegnehmen müssen. So ist es doch. Das ist ein Umverteilen. Sie - und auch ich mit meiner einen Stimme - haben, wenn wir einen Haushalt verabschieden wollen, auch die freundliche Aufgabe, zu sortieren.

Um eine Problemlage - das ist bezüglich des Mengengerüstes, das eigentlich dahinter steht, fast schon symbolisch - offensiv oder proaktiv zu verhandeln     Ich will durchaus erst einmal positiv sagen, auch mit Blick auf die Verhandlungsführer, vor allen Dingen Carsten Schneider als Ostbeauftragter der Bundesregierung: Das, was denen gelungen ist, ist, dass wir jetzt einen Sonderfonds haben, dem übrigens alle 16 Bundesländer beitreten können. Bisher haben einige ihre Bereitschaft erklärt, allerdings noch nicht haushalterisch wirksam, auch Thüringen nicht. Dort überlegt man, wie man das im nächsten Jahr in den Haushalt aufnimmt. Man braucht dort immer auch Stimmen von der Opposition; denn sie haben eine Minderheitsregierung. Dazu kann man jetzt noch vieles sagen.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich glaube, Sie haben das schon ausführlich beschrieben.


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident):

Nein, ich muss das noch zu Ende bringen. Wir haben ja noch ein bisschen Zeit.

(Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Drei Minuten! Drei Minuten ist die Redezeit! - Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE: Die Frage war, wie Sie sich positioniert haben! - Unruhe)

- Gut. - Dann sage ich Ihnen eines: Vergessen Sie alles wieder. Ich arbeite Ihnen das schriftlich zu.

(Lachen - Unruhe)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke.


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident):

Ich muss doch wenigstens noch die Chance haben zu sagen:


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Ja.


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident):

Wir haben mit Frau Ryglewski, die genau gesagt hat     Stellen Sie eine Nachfrage dazu, dann kann ich dazu ausführen. Dieses Thema lässt sich nicht in drei Minuten beantworten, weil es hoch komplex ist.

Wir wollen soziale Härten nicht nur für 10 % der für uns in Rede stehenden Personen abgearbeitet sehen, sondern wenn wir das sozusagen politisch durchfechten, dann wollen wir das Problem für all diejenigen, für die derzeit keine gute Lösung da ist, lösen. Darum kämpfen wir.

(Beifall bei der CDU)

Der 31. März ist keine Ausschlussfrist - das hat uns Frau Ryglewski gesagt, auch mir persönlich im Nachgespräch in der Staatskanzlei noch einmal  , sondern da ist noch eine Gesprächsmöglichkeit gegeben; da kann nachverhandelt werden.

Genauso hat uns im Prinzip der Zentralrat der Juden am Anfang gebeten, diese Personengruppe nicht über den Sonderfonds laufen zu lassen, sondern die Kontingentflüchtlinge und die Nachgezogenen, also die, die später gekommen sind, einem anderen Förderschema zuzuordnen, damit sozusagen nicht alles in einen Gesamtzusammenhang gepackt wird und nachher niemand mehr sortieren kann, auch bezüglich der politischen und der sozialen Betroffenheit, wie das Problem gelöst wird.

Es gibt derzeit keine für unsere Bürgerinnen und Bürger, die es betrifft, akzeptable Lösung. Und für 10 % waren wir derzeit nicht bereit, dort etwas zu machen, wenn 90 % zu Recht fragen: Und was wird mit uns? Wir wissen, wenn wir jetzt zugeschlagen hätten, dann wäre eine weitere Verhandlungsmöglichkeit mit dem Bund kaum noch gegeben.

(Beifall bei der CDU)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. - Frau Frederking.


Dorothea Frederking (GRÜNE):

Herr Minister Präsident, Sie haben ausgeführt, dass die Unwuchten, die Ungerechtigkeiten bei den Rentenansprüchen kein rein ostdeutsches Problem, sondern ein gesamtdeutsches Thema seien. Aber gerade im Rahmen der Wiedervereinigung - das weiß man - ist es zu Versäumnissen bei den Rentenüberleitungen gekommen, sodass insbesondere Frauen benachteiligt wurden.

Sie sprachen auch die jüdischen Kontingentflüchtlinge an. Diese und auch in der DDR geschiedene Frauen haben ihr Anliegen sogar vor den UN-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung von Frauen getragen.

(Zuruf: Falsches Bundesland!)

All das sind Entwicklungen, die zeigen, dass diese Ungerechtigkeiten bestehen. Meine Frage ist: Was sagen Sie diesen Menschen, diesen Frauen zum 1. April, wenn das Land Sachsen-Anhalt dem Fonds nicht beigetreten sein sollte?


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident):

Erstens: Die wenigen, die derzeit zum Zuge kommen - es ist ein begrenztes Budget; dabei geht es gar nicht um den Faktor zwei, den einzelne Bundesländer noch aufpunkten können  , sind antragsberechtigt und bekommen ihr Geld. Jeder, auch aus Sachsen-Anhalt, kann Geld aus diesem Fonds beantragen, nur bekommt er nicht noch einmal den gleichen Betrag von uns obendrauf. Wir meinen - das ist auch meine persönliche Meinung; das ist auch abgestimmt mit den noch nicht beitrittswilligen Kollegen in Ostdeutschland, in den neuen Ländern  : Es gibt erst einmal ein Grundprinzip: Rentenrecht ist Bundesrecht. Hierbei geht es nicht um irgendwelche Almosen, die wir einmalig verteilen,

(Beifall bei der CDU)

sondern hierbei geht es um Rentenrecht, ein Recht auf Rente und auf Anerkennung der Lebensleistung. Das ist eine Bundessache. Wir als Bundesländer sind nicht der Rechtsnachfolger der DDR, sondern das ist im Rahmen des Einigungsvertrages und auch verfassungsrechtlich anders gelaufen und entschieden worden. In dem Moment, wo wir über die Zusatzrentenversicherung ohnehin schon im Rentenrecht sind, sind wir der Meinung     Als ich das dem Kollegen Kretschmann in der MPK erklärt habe, ist er bald nicht mehr geworden.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Das kann alles nicht sein!)

Also Kretschmann aus Baden-Württemberg, der Winfried.

(Lachen bei der CDU)

Winfried Kretschmann kann sich überhaupt nicht erklären - Sie kennen ihn ja sehr gut  ,

(Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

dass wir da überhaupt drinstecken. Dem war nicht einmal bewusst, dass wir mit dem Sonderrentensystem als kleines Bundesland mit knapp 2,2 Millionen Einwohnern da 4 % unseres gesamten Haushaltes hineingeben. Das hat kein anderes westdeutsches und süddeutsches Bundesland. Das gab es auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht, als es dann die Bundesrepublik gegeben hat. Es ist schlicht und einfach so: Für das, was sozusagen aus dem System des NS-Regimes und davor rentenrechtlich entstanden ist, hat immer die Bundesrepublik mit ihrem Rentenrecht gestanden.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: 16 Jahre! - Eva von Angern, DIE LINKE: Aber Sie haben doch 16 Jahre lang mitregiert!)

Und jetzt sollten wir im Prinzip hier eintreten.

Wir werden so lange kämpfen und diese Möglichkeit dort sozusagen mit einem vielleicht veränderten Fonds, mit anderen Personengruppen und nicht bloß mit einer einmaligen Zahlung     Ich möchte die gar nicht kleinreden; denn das ist für die möglicherweise 10 % der Betroffenen, die für uns derzeit ermittelbar sind, auch ein Betrag. Aber was erzählen wir gemeinsam den 90 %, die nichts kriegen

(Zustimmung)

und die auch rentenmäßig nicht entsprechend eingebucht werden, sondern die schlicht und einfach mit einer Einmalleistung jetzt ruhiggestellt werden sollen? Es ist politisch eigentlich nicht mein Ziel, dass wir das für Sachsen-Anhalt so organisieren.

(Beifall bei der CDU)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. - Die nächste Fragestellerin ist Frau Lüddemann.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Danke schön, Herr Präsident. - Herr Ministerpräsident, ich glaube, Sie können davon ausgehen, dass meine Kollegin, die diese Frage gestellt hat, im Speziellen und das Parlament im Allgemeinen wissen, wie die Rentenregelung in Deutschland funktioniert, und dass wir diese große Debatte hier nicht führen wollten, sondern dass sich die Frage ganz konkret auf die Positionierung dieser Landesregierung, die Sie anführen, bis März 2023 bezogen hat. Wir entnehmen Ihren Worten jetzt, dass Sie sich nicht an diesem Fonds beteiligen wollen.


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident):

Das wäre    


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Das ist das, was ich Ihren Worten jetzt entnommen hatte. Das halte ich jetzt fest.


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident):

Okay.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Dann will ich Sie noch fragen: Nach 30 Jahren kann man all das beklagen, was vielleicht nicht nach der reinen Lehre des Rentenrechts der Bundesrepublik Deutschland gelaufen ist. Jetzt sind wir aber an einem Punkt, an dem die Betroffenen, die auch schon deutlich weniger sind als in den letzten 30 Jahren - das liegt in der Natur der Sache  , ein klares Zeichen von den politisch Verantwortlichen brauchen.

Ich erwarte, dass auch dieses Bundesland dort ein klares Zeichen setzt und sich so wie einige andere ostdeutsche Länder an diesem Fonds beteiligt, damit zumindest ein kleines Zeichen in Richtung eines Schließens der Ungerechtigkeitslücke passiert. Aber ich entnehme Ihren Worten, dass Sie das nicht tun wollen.


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident):

Nein. Ich werde Ihnen jetzt einmal zwei formale Dinge sagen. Erstens: Halten Sie es für opportun, dass die jetzige Bundesregierung uns dieses Angebot in dieser unvollkommenen Art macht, die uns sogar vor das Problem stellt.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: 16 Jahre lang Kabbelei! 16 Jahre lang haben Sie nichts auf die Reihe gebracht von der CDU! - Zuruf: Ihr wart doch fünf Jahre mit dabei! Was für eine Heuchelei! - Weitere Zurufe)

Ich will da überhaupt keine Schelte machen.

(Unruhe)

Es geht gar nicht um die Vergangenheit. Es geht schlicht und einfach darum, dass ich sage: Ist das Ihre Lösung?

(Unruhe)

Sie haben die Regierungsverantwortung in Berlin. Ist das Ihr Lösungsvorschlag für das, was die Menschen von uns erwarten? Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Die erwarten etwas anderes.

(Starker Beifall bei der CDU - Unruhe)

Das Zweite ist: Ich habe keine Autorisierung, einer Stiftung beizutreten, die haushalterisch mehrere Dutzend Millionen Euro erforderlich macht, die über den Landeshaushalt zu zahlen wären.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das könnten wir heute im Haushaltsgesetz beschließen!)

- Sie haben nachher die Möglichkeit, diese entsprechende Summe hier einzubuchen. Dann habe ich eine Freizeichnung, dass ich hier unterschreiben kann.

(Beifall bei der CDU - Zuruf: Genau! - Weitere Zurufe)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. - Wir machen weiter. Als nächster Fragesteller spricht Herr Striegel.

(Zuruf: Oijoijoi! - Unruhe)


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Ministerpräsident, ich muss schon sagen: Nachdem die CDU 16 Jahre lang bei diesem Thema nichts auf die Reihe gekriegt hat,

(Oh! bei der CDU - Unruhe)

hier jetzt auf die Ampelregierung zu schimpfen, dass die Lösung nicht vollkommen ist, das ist schon eine besondere Dreistigkeit.

(Zurufe von der CDU)

Aber ich würde gern von Ihnen wissen:

(Zuruf von Frank Bommersbach, CDU - Weitere Zurufe von der CDU)

Gibt es den politischen Willen in Ihrer Landesregierung und in den entsprechenden Fraktionen, bei diesem Thema tätig zu werden?

(Frank Bommersbach, CDU: Da hätten Sie uns als Koalitionspartner gern etwas sagen können! Wo waren Sie denn da?)

Haben Sie sich auf der Ost-Ministerpräsidentenkonferenz tatsächlich auch dahin gehend stark gemacht, dass die Länder einen Anteil leisten?


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident):

Herr Striegel, erstens: In den 16 Jahren hat sich etwas bewegt; denn wir haben durchgesetzt, dass wir unsere Belastung aus den Sonderrenten in Zehnprozentschritten abgemildert bekommen. Dafür haben wir auch andere soziale Spielräume bekommen. Das erwarte ich jetzt übrigens auch von der neuen Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU - Sebastian Striegel, GRÜNE: Die Frauen lassen Sie im Regen stehen! - Guido Kosmehl, FDP: Ach, Herr Striegel!)

Das Zweite ist: Solange ich hier in der politischen Verantwortung stehe, mit Ihnen gemeinsam, werde ich dafür kämpfen, dass es ein vernünftiges und akzeptables Rentenrecht gibt.

(Zuruf: Die sind bald tot! - Sebastian Striegel, GRÜNE: Da müssen Sie sich beeilen, die sind bald tot! Sie müssen sich jetzt aber beeilen! - Zuruf von Eva von Angern, DIE LINKE)

Dabei wird auch Sachsen-Anhalt weiterhin eine Verantwortung tragen. Aber diese Verantwortung wird nach dem Zuständigkeitsprinzip im Rentenrecht auch beim Bund liegen. Deswegen werden wir weiter mit dem Bund verhandeln.

(Beifall - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. - Wenn nicht alle durcheinanderreden, dann habe ich sogar die Chance, hier vorn etwas zu verstehen. Wir sind bei der Akustik immer noch nicht so weit, dass alles eindeutig zuzuordnen ist. Jeder, der eine Frage hat, kann sich melden. - Als Nächste hat sich Frau Dr. Pähle gemeldet.

(Zuruf von Ministerin Eva Feußner - Sebastian Striegel, GRÜNE: Ihr wartet doch nur auf eine biologische Lösung!)


Dr. Katja Pähle (SPD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wir sind uns in der Einschätzung, was die nicht nur unbefriedigende, sondern ungerechte Regelung zu Renten im Zuge der Wiedervereinigung betrifft, einig. Im Zuge der Wiedervereinigung sind sowohl, was die Sonderrenten betrifft, die bei den ostdeutschen Ländern liegen, wie auch bei der Überleitung bzw. Nicht-Überleitung von verschiedenen Sonderrenten schwere, schwere Fehler gemacht worden, die jetzt einzelne Personen auszutragen haben.

Im Zuge der letzten 30 Jahre - ich glaube, darin sind wir uns auch einig - war es insbesondere Einzelnen aus diesen Berufsgruppen zu verdanken, dass das Thema in den letzten 30 Jahren nie vergessen wurde. So konnten auch bei einzelnen Berufsgruppen über Klageverfahren Ergebnisse erzielt werden. Die Berufsgruppen, um die es jetzt geht     

Wir sind uns auch darin einig: Es ist die minimalste Lösung, die der Bund jetzt über den Fonds vorschlägt - übrigens: ja, mit einer höheren Summe. Aber schon in der letzten Großen Koalition war genau das der Vorschlag: einen Sonderfonds einzurichten. Die Gruppen, die jetzt darin erfasst werden, haben bei all ihren Klageverfahren bis zum Bundesverfassungsgericht nicht recht bekommen. Ihnen ist der rechtliche Weg abgeschnitten bzw. beendet worden mit dem Hinweis: Sie haben nicht recht.

(Guido Kosmehl, FDP: Ausgeschöpft!)

- Ausgeschöpft, genau. Vielen Dank an den Juristen. - Der juristische Weg ist ausgeschöpft. Damit haben sie tatsächlich keinen Anspruch aus anderen Systemen mehr, weshalb wir eine Regelung - das ist zumindest die rechtliche Sichtweise - jenseits der bestehenden Rentenregelungen brauchten.

Habe ich Ihre Äußerungen - ich bin gern an Ihrer Seite, an dieser Stelle für ein gerechtes System zu kämpfen - richtig dahin gehend verstanden, dass es aus Sachsen-Anhalt heraus z. B. eine Bundesratsinitiative mit diesem Vorstoß geben wird? Denn ansonsten, glaube ich, sind auch im Konzert der ostdeutschen Bundesländer mittlerweile nur wenige bereit, diesen Weg in Richtung Berlin gemeinsam weiter zu gehen. Oder schätzen Sie das anders ein? - Vielen Dank.


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident):

Derzeit weiß ich, zumindest in Anbetracht der letzten Tage, dass die Bereitschaft, dem Fonds in dieser Form beizutreten, lediglich von Mecklenburg-Vorpommern besteht. Frau Schwesig hat, glaube ich, auf ihrer SPD-Schiene intern versucht, das in die Koalition hineinzuverhandeln. Respekt, dass sie zumindest überhaupt wieder einmal ein Stichwort hinterlegen konnte. Thüringen hat für das nächste Jahr in Aussicht gestellt, das ggf. auf den Weg zu bringen, falls der Haushalt es hergibt. Thüringen kann aber keine Entscheidung treffen, es hat keine haushalterische Grundlage. Ein Ministerpräsident kann sich nicht ohne Landtagsbeschluss hinstellen - es sei denn, er befindet sich im Wahlkampf  

(Siegfried Borgwardt, CDU, lacht)

und kann dort irgendetwas beschließen. Ich habe dieses Geld von Ihnen nicht zur Verfügung gestellt bekommen. Das muss ich ganz klar sagen. Ich habe keine juristische Autorisierung, diesbezüglich eine Unterschrift zu leisten.

(Wulf Gallert, DIE LINKE: Das kann sich in einer Stunde ändern!)

Brandenburg, Sachsen, Berlin und Sachsen-Anhalt sind die vier von den sechs. Ich habe Kretschmann gefragt: „Würdest du mit Baden-Württemberg beitreten? Du hast dort auch jüdische Gemeinden.“ Dort kommen auch ständig, auch aus der Ukraine, Angehörige in die Gemeinden. Sie alle befinden sich in einer Grundsicherung. Sie alle befinden sich genau auf dem Level, um das es sich handelt. Herr S. vom Zentralrat ist schon seit Jahren mit uns im Gespräch und bittet uns dringend, das herauszunehmen, damit keine inneren Konkurrenzen bezüglich des limitierten Budgets zwischen Personengruppen, die nichts miteinander zu tun haben, entstehen. Daran sieht man letztlich, wie hoch politisch das insgesamt auch ist. Ich brauche das zwischen uns nicht weiter zu vertiefen. Wir wissen, was wir damit meinen. Wir brauchen an dieser Stelle eine Beruhigung und eine Lösung. Wir brauchen bei diesem Thema kein Aufpeitschen und keine Instrumentalisierung, möglicherweise noch populistischer Art.

Wir werden weiter verhandeln. Frau Ryglewski hat auch klar gesagt, der 31. März ist nicht der Schlusspunkt. Das ist wie eine Ordnungsfrist, innerhalb deren man beitreten kann. Aber es ist seitens des Bundes - so hat sie es uns jedenfalls gesagt - jederzeit möglich beizutreten. Aber ich glaube, die individuellen und auf Personengruppen bezogenen Rechtswege sind ausgeschöpft. Wir werden nichts bekommen. Entweder bekommen wir noch einmal einen politischen Fuß in die Tür, um das sozusagen auch breiter zu ziehen, oder es bleibt bei diesem Punkt, an dem wir aber in Bezug auf die anderen 90 % - das ist eine geschätzte Größe aus der Staatskanzlei; ich übernehme diese jetzt - irgendwann einmal sagen müssen: Wir haben resigniert; wir haben aufgegeben.

Solange zum heutigen Zeitpunkt, am 31. März oder am 1. April niemand einen originären Nachteil hat - denn jeder kann den Bundesanteil beantragen und zahlbar machen lassen  , haben wir die Möglichkeit, immer noch entweder andere Personen     Man kann verschiedene Überlegungen anstellen. Wenn der Bund sich nicht mehr bewegt, dann können wir überlegen, ob es noch andere Personengruppen gibt, die wir noch hinzunehmen, weil wir sagen, es gibt schon etwas - oder wie auch immer.

Ich denke, das ist genau die Aufgabe für unsere Koalition: dass wir versuchen, etwas Gutes und möglichst Optimiertes gegenüber dem zu erreichen, was wir jetzt zur Verfügung haben. Ich sage einmal: Da alles auch eine Haushaltsrelevanz hat, haben jetzt alle in der Hand, wie wir mit dem Thema umgehen. Es allein auf den Ministerpräsidenten zu schieben, der diese 36 Millionen € oder welchen hochgerechneten Betrag auch immer nicht zur Verfügung hat, ist an der Stelle, denke ich, nicht opportun. Aber wir sind eine Zukunftskoalition. Wir sind eine hervorragende Koalition, die für die Menschen Lösungen hervorbringt. Wir werden auch diesbezüglich, denke ich, weiter gemeinsam um die beste Lösung ringen.

(Hannes Loth, AfD: Mit euch sind wir einen Schritt weiter!)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. - Herr Heuer dazu. Bitte.


Guido Heuer (CDU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Es gab Zwischenrufe. - Sehr geehrter Herr Striegel, Sie haben heute wieder bewiesen, dass Sie der Position eines Parlamentariers unwürdig sind.

(Beifall bei der CDU und bei der AfD - Zurufe von der AfD: Jawohl!)

Nachdem Sie im letzten Jahr schon eine ganze Berufsgruppe, nämlich die Handwerker, beschimpft haben und ihnen prophezeit haben, sie alle würden bald mit einem Lastenfahrrad fahren,

(Ulrich Siegmund, AfD, lacht)

haben Sie heute unseren Ministerpräsidenten beleidigt.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Was?)

Ich erwarte, dass Herr Striegel sich entschuldigt und dass ein Ordnungsruf erfolgt. Herr Striegel hat gesagt: Sie müssen sich beeilen, Sie sind bald tot.

(Frank Bommersbach, CDU: Unglaublich! - Oh! bei der AfD - Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist doch absurd! - Weitere Zurufe)

Das ist unglaublich und eines Parlamentariers unwürdig.

(Beifall bei der CDU und bei der AfD - Zuruf: Was ist mit einer Entschuldigung? - Sebastian Striegel, GRÜNE: Ich habe auf die Betroffenen reagiert! - Weitere Zurufe - Unruhe)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Jetzt einmal ganz langsam. Der Präsident sitzt hier vorn.

(Zurufe von der CDU - Unruhe)

Ich mehrfach einige Sachen     Ich habe es akustisch nicht ganz verstanden. Wir werden auf jeden Fall in das Protokoll schauen.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Gern ins Protokoll schauen!)

Wir werden uns das anhören. So wie ich das gehört habe, kann man das vielleicht auch noch deuten. - Wenn Sie die Zeit jetzt nicht nutzen wollen, um eine Erklärung abzugeben, dann nehme ich das so hin. Für uns hier vorn ist das auf jeden Fall ein Vorfall, den wir auswerten werden. Wir werden uns das Protokoll anschauen und uns das anhören. Dann werde ich reagieren. So geht es nicht.

Die Fragestunde ist damit zu Ende. - Danke, nehmen Sie bitte Platz.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Sie hatten doch meine Frage angenommen! - Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Wieso ist die Fragerunde beendet?)

- Weil die Stunde vorüber ist.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Aber die kann doch verlängert werden! Ich hatte mich vorher gemeldet!)

- Nein, die Fragestunde ist trotzdem vorüber. Wir sind schon zwei Minuten über der Zeit.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Ich hatte mich vor Herrn Heuer gemeldet! - Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

- Sie haben sich auch gemeldet? Als Fraktionsvorsitzende? - Dann bitte. Als Fraktionsvorsitzende können Sie selbstverständlich sprechen. Die Fragestunde ist zu Ende.

(Zuruf von Eva von Angern, DIE LINKE)

- Sehr geehrte Frau von Angern, Sie können sich zehnmal melden: Wenn die Stunde vorüber ist, dann ist sie vorüber.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Habe ich ja gemacht! Vor Herrn Heuer! - Daniel Roi, AfD: Das spielt doch keine Rolle! Wenn es um ist, ist es um! Wie lange sitzen Sie denn hier schon? Das müssen Sie doch mal mitgekriegt haben! - Zuruf: Die Zeit ist abgelaufen! - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Bin ich jetzt dran?)

- Selbstverständlich sind Sie jetzt dran.