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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 20

Beratung

Kinderärztliche Versorgung im Land sicherstellen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2365

Alternativantrag der Koalitionsfraktionen - Drs. 8/2412


Einbringerin ist Frau Anger für die Fraktion DIE LINKE. Sie erhält jetzt das Wort. - Bitte sehr.


Nicole Anger (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Sehr regelmäßig führen wir in diesem Parlament und in den Ausschüssen mittlerweile Debatten über die Zukunft der Krankenhäuser, über das fehlende Personal in den Kliniken, aber auch in den Praxen vor Ort und stellen insgesamt immer wieder fest, wie defizitär das Gesundheitssystem ist. Die strukturelle Problematik ist uns allen also bestens bekannt, ebenso wie der Fachkräftemangel. Sicherlich besteht auch Konsens dahin gehend, dass es einer Neustrukturierung der Krankenhauslandschaft bedarf, um eine nachhaltige und wohnortnahe Gesundheitsversorgung zu schaffen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Gerade im ländlichen Raum, aber auch in den Städten wird das notwendig sein. All das ist schön und gut, hilft aber aktuell weder den Pädiatrien, die kurz vor der Schließung stehen, siehe Zeitz, noch den Menschen, die schnelle medizinische Unterstützung brauchen. Perspektiven braucht es dringend, gerade im Bereich der Kindermedizin.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor einigen Monaten wies ich bereits darauf hin, dass Gardelegen bald überall sein wird, und glauben Sie mir, in manchen Punkten habe ich nicht wirklich gern recht. In Gardelegen gibt es seit mehr als einem Jahr keine Kindermedizin mehr. Diese wurde vorübergehend vom Netz genommen, und bis heute hat sich daran nichts geändert. Vorübergehend ist also ein Dauerzustand. Eltern fahren in Gardelegen 45 Minuten - Minimum - bis zur nächsten Kindermedizin. Genau diese Situation, meine Damen und Herren, wird in Kürze wohl auch in Zeitz eintreten. Bis Naumburg sind es mindestens 45 Minuten Fahrtzeit. Kinderklinik und Geburtsstation droht dort das Aus.

So kann man sich auch von der Kinderfreundlichkeit und dem Familienzuzug im ländlichen Raum verabschieden und selbige von der medizinischen Grundversorgung abhängen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber die Probleme, meine Damen und Herren, bestehen auch in der Stadt. Die Anfang Februar erfolgte Schließung der Kinder-ITS im Uniklinikum Magdeburg zeigt eindrücklich, wohin die Reise geht. Eine Wiederinbetriebnahme der Kinder-ITS ist derzeit nicht absehbar. Es fehlen Fachkräfte. Dass das kein neuer Fakt ist, sehen wir an den Abmeldungen von der Notfallmedizin. Die Kinder-ITS war in den letzten zwei Jahren zu 20 % von IVENA abgemeldet, größtenteils weil Personal fehlte. Auf der Kinder-ITS der Uniklinik Magdeburg brauchen Sie mindestens zwei Intensivmedizinerinnen, besser sogar drei. Das ist seit Längerem nicht gegeben.

(Ulrich Siegmund, AfD: Nur Frauen? Ein männlicher Arzt geht aber auch!)

Und das, meine Damen und Herren, bei einer Kinder-ITS, die auch für Kinder aus Stendal, Hannover, Braunschweig und anderen Orten vorhanden war. Es ist ein Skandal, dass diese Betten jetzt nicht mehr zur Verfügung stehen sollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist ein fast noch größerer Skandal, dass niemand in der Lage ist zu sagen, wie es weitergehen wird. Dabei sitzen drei Mitglieder der Landesregierung im Aufsichtsrat der Uniklinik. Sie wollen uns doch nicht weismachen, dass Sie all das nicht mitbekommen haben, dass Sie all das nicht vor Februar dieses Jahres wussten? - Im Gegenteil.

Ihre Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Kollegin Eva von Angern dazu ist eine Nebelkerze mit dem Blendwort „Intensivmedizin“. Richtig in der Antwort ist, dass die Früh- und Neugeborenen-ITS an der Uniklinik weiterhin regulär in Betrieb sind, aber eine Früh- und Neugeborenen-ITS ist eine vollkommen autarke Abteilung, die absolut nichts mit einer pädiatrischen Intensivmedizin zu tun hat. Neonatologen versorgen Neugeborene. Sie können die Versorgung von Kleinkindern und größeren Kindern nicht gewährleisten. Diesen Anschein erwecken Sie jedoch in Ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage.

Meine Damen und Herren! Wir müssen nicht nur klar benennen, was die Problemlangen sind, wir müssen als Land endlich ins Handeln kommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Uns läuft die Zeit davon. Den Menschen im Land läuft die Zeit davon. Oder die Menschen werden uns davonlaufen. Der Fachkräftemangel ist schon jetzt eklatant groß. Derlei Situationen verschärfen sich weiter.

Wie die Landesregierung auf die von meiner Fraktion gestellte Frage in der Regierungsbefragung im Februar mitteilte, sehe man die Gewinnung von Fachkräften in der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. Die Begründung in Kurzform lautete: Man kommt nur nach Sachsen-Anhalt, wenn auch die Lebensbedingungen vor Ort stimmen, und dazu trägt jeder Mensch in Sachsen-Anhalt bei.

Ganz ehrlich, werte Kolleginnen von der Landesregierung, Sie machen sich doch wahrlich einen schlanken Fuß, wenn Sie die Verantwortung auf die Menschen delegieren. Die Kommunen arbeiten aktiv an ihrem Profil, sie kämpfen jeden Tag für Kita, für Schule, für Jugendarbeit, für ÖPNV, und sie kämpfen vor allen Dingen gegen die Vorurteile des Lebens im ländlichen Raum, und das trotz unzureichender finanzieller Unterstützung seitens des Landes.

Meine Damen und Herren! Bringen wir es einmal auf den Punkt. An der Kinder-ITS in Magdeburg sehen wir gerade die Fortsetzung einer fehlgeleiteten Profilpolitik für unser Bundesland. Wer genau hinsieht, der kann Folgendes erkennen: Das marode Gebäude der Kindermedizin zeugt von fehlenden Investitionen des Landes, und es ist rein optisch wahrlich kein attraktiver Arbeitsort. Das jahrelange Wegsehen beim Fachkräftemangel verlangt nun seinen Tribut auf der Kinder-ITS und anderswo. Dieser Personalmangel wird zu Weiterem führen; denn wer soll in einer Uniklinik Ärztinnen pädiatrisch oder gar intensivpädiatrisch weiterbilden, wenn so gut wie niemand mehr da ist? Es entstehen gravierende Ausbildungsmängel durch das Fehlen der pädiatrischen Intensivmedizin.

Meine Damen und Herren! Wir brauchen jetzt ein Umdenken; denn die bisherige Politik der Fachkräftegewinnung und  bindung hat sich als gescheitert erwiesen. Wir alle wissen doch, dass Fachkräftebindung mehr erfordert, als ein Jobangebot zu bekommen. Ich sage Ihnen, das werden auch Ihre Headhunter nicht leisten. Magdeburg und auch Sachsen-Anhalt sind eben nicht Berlin oder München, und das ist auch gut so. Unseren Charme sieht man nicht auf den ersten Blick. Daher muss es bei so einem Headhunting deutlich über das Jobmatching hinausgehen. Es muss Unterstützung beim Ankommen geben, bei der Wohnungssuche, bei der Kita-Suche, beim Platz an der Schule, beim Sportverein - eben alles, was dazugehört, um sich in einer neuen Stadt oder im ländlichen Raum niederzulassen. Der Job allein, meine Damen und Herren, wird es nicht mehr richten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die aktuelle Not bei der flächendeckenden Versorgung von zum Teil schwer erkrankten Kindern in Sachsen-Anhalt ist ein Skandal. Jetzt zeigen sich die Auswirkungen der jahrelangen Versäumnisse bei der Absicherung von Standorten und das Aussitzen struktureller Probleme. Es braucht eine höhere Attraktivität der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen für interessierte angehende Mediziner*innen und praktizierende Ärztinnen. Wir müssen deutliche Anreize setzen.

Ja, man kann Ihnen zugutehalten, dass Sie mit der Einführung der Landärztinnenquote einen ersten Schritt zur Sicherung des Versorgungsauftrags im ländlichen Raum gegangen sind. Dazu gehören auch Kinder- und Jugendmediziner*innen. Aber das Problem ist hier, dass die Fachspezialisierung erst nach mindestens fünf Jahren erfolgt und wir nie sichergehen können, dass sich von den 20 Studierenden auch nur eine einzige Person für die Spezialisierung in der Pädiatrie entscheidet. Das, was wir brauchen, sind Anreize für bereits praktizierende Medizinerinnen, damit diese in Sachsen-Anhalt bleiben.

Minister Willingmann sagte es bei der letzten Regierungsbefragung zusammengefasst so: Wir befinden uns im Wettbewerb um Goldstaub. Planerisch müssen wir also eine dringlich zu besetzende Sicherstellungspraxis etablieren, und wir müssen auch hier über zusätzliche Anreize für die Menschen reden, um sie zu binden.

Für meine Fraktion ist klar: Es braucht neben einer kurzfristigen Lösung auch ein langfristiges Konzept zur Sicherung der Pädiatrie und der Kinder-ITS im Speziellen. Es gilt, eine bedarfsgerechte Versorgung zu ermöglichen. Kinder- und Jugendmedizin ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Daseinsvorsorge. Kinder- und Jugendmedizin ist ein wesentlicher Standortfaktor. Dazu muss man auch über Kooperationen nachdenken. Aber seien einmal ehrlich: So etwas gelingt am besten, wenn alles gut läuft. In einer Situation wie der aktuellen birgt das nur noch mehr Unsicherheiten und wirkt erzwungen.

Mit wem könnte man ein Konzept zur Fachkräftegewinnung besser entwickeln, als mit den Expertinnen selbst, den Kindermediziner*innen und den Kinderintensivmediziner*innen? Holen Sie sich diese Expertinnen unbedingt mit ins Boot; denn diese wissen am besten, was eine gute medizinische Versorgung für unsere Jüngsten bedeutet und wie diese auszusehen hat. Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. -Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)