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Plenarsitzung

Transkript

Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hätte der Femizid, also der Mord an einer Frau, in Bad Lauchstädt am 8. März dieses Jahres verhindert werden können? Diese Frage hat mich, Sie und viele andere Menschen in diesem Land in den vergangenen 14 Tagen umgetrieben.

Der Tod der in Bad Lauchstädt wohnenden Schulsekretärin, die sich wenige Wochen vor dem grausamen Mord und nachdem sie wiederholt Opfer häuslicher Gewalt geworden war, von ihrem Ehemann getrennt hatte, ist leider kein Einzelfall. In Deutschland geht die größte Gefahr für Frauen, Opfer eines Tötungsdeliktes zu werden, vom Partner oder vom Expartner aus. Jeden dritten Tag stirbt in unserem Land eine Frau durch die Gewalt ihres Partners oder Expartners. Allzu oft handelt es sich dabei um Fälle im Kontext von Trennungssituationen. Das sind keine Trennungsdramen oder Beziehungstaten, es sind Femizide,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Unruhe bei der AfD)

Tötungsdelikte an Frauen durch Männer, getrieben von archaischen Vorstellungen, die eben kein Zeichen einer Zuwanderungsgeschichte, sondern von toxischer Männlichkeit sind.

(Zurufe von der AfD)

Es ist ein gesellschaftliches Versagen, dass Frauen Angst vor ihrem Partner oder Expartner haben müssen. Es ist ein gesellschaftliches Versagen, dass wir Männer viel zu oft nicht den richtigen Umgang mit solchen Situationen finden. Männer müssen sich endlich mehr mit ihrem Selbstverständnis und den patriarchalen Strukturen, in denen wir leben, auseinandersetzen.

(Lachen bei und Zurufe von der AfD)

- Hören Sie zu! - Und wir Männer müssen lernen, mit unseren Emotionen zu arbeiten, statt sie destruktiv in Gewalt umzusetzen.

(Zuruf von der AfD: Dann fangen Sie mal bei sich an! - Lachen und Beifall bei der AfD - Weitere Zurufe von der AfD)

Schon sehr zeitig gab es im Fall des Femizids von Bad Lauchstädt Hinweise auf eklatantes Behörden- und Führungsversagen bei Polizei- und Waffenbehörden. Ein erster Schub von Fragen wurde uns durch das Innenministerium gestern beantwortet, nun liegt im Innenausschuss ein umfangreicher Selbstbefassungsantrag der GRÜNEN vor, um diesen Fall weiter aufzuklären.

Wie aus den Antworten der Landesregierung auf unsere dringlichen Anfragen hervorging, fand offensichtlich der Runderlass des Ministeriums aus dem Jahr 2010 zur Verhütung der Gewalteskalation in engen sozialen Beziehungen keinen Eingang in die weitere Bearbeitungspraxis. Dieser Erlass stellt aus meiner Sicht tatsächlich grundsätzlich eine brauchbare Grundlage für die Bearbeitung solcher Fälle dar.

Auch im polizeilichen Alltag, gerade in hektischen Dienstsituationen, kann es vorkommen, dass nicht jede Erlasslage sofort allen Beamtinnen und Beamten vollumfänglich bekannt ist. Wir wissen inzwischen durch die Ausführungen der Innenministerin, dass das hierbei nicht der Fall war. Dem ersten bearbeitenden Beamten war das klar; er hat angefangen, so zu arbeiten. Ein Polizeirevier hat aber durch seine Arbeitsorganisation sicherzustellen, dass solche Fälle mit hohem Eskalationspotenzial nicht anschließend durch das Raster fallen, sondern angemessen behandelt werden. Das ist in diesem Fall offensichtlich nicht geschehen.

Zur Einschätzung des Eskalationspotenzials wissen wir bisher Folgendes: Am 1. Februar erstattete das Opfer Anzeige, weil sie der Täter mit dem Auto verfolgt und sie aus dem Auto gezerrt habe. Sie äußerte im Gespräch, dass der Täter mehrere Waffen im Besitz habe und dass sie befürchte, er könne diese gegen sie einsetzen, und zwar in einem alkoholisierten Zustand, in dem er sich hochaggressiv verhalte. Die Polizei fand heraus, dass bereits aus dem Jahr 2020 eine Anzeige wegen Körperverletzung der Betroffenen gegen den späteren Täter vorlag. Der Polizei war bekannt, dass sich Opfer und Täter kürzlich getrennt hatten. All das sind gefahrerhöhende Aspekte, auch im Sinne des Erlasses. Es fehlte nur noch, dass der Täter isoliert lebte, sich in seinem Leben   es handelte sich um einen invalidisierten Mann   von seiner Frau abhängig sah und seine Welt durch die Trennung ohne jeden Halt zusammenbrach. Auch das war der Polizei bekannt.

Damit hatten die Behörden alle   wirklich alle   gefahrerhöhenden Hinweise für eine Gefahrenprognose beisammen. Die Polizei und die Sicherheitsbehörden hätten alle zulässigen Maßnahmen ergreifen müssen, um die Frau zu schützen. Stattdessen gab es keine persönliche Kontaktaufnahme zu dem späteren Täter und eine Gefährderansprache auf der Dienststelle wurde nicht in die Wege geleitet. Es erfolgte bei der Polizei keine strukturierte Situations- und Gefährdungsanalyse. Die Rücksprache mit Staatsanwaltschaften und Richtern unterblieb, obwohl auch eine solche nach der Erlasslage frühestmöglich erfolgen sollte.

Die Polizei hätte eine Sicherstellung der Waffen in Betracht ziehen und durchführen müssen. Es ist mir unbegreiflich, warum die Waffenbehörde des Saalekreises hier keine Handlungsmöglichkeiten sah. Die oben genannten Hinweise rechtfertigten die Annahme, dass der spätere Täter die Waffen missbräuchlich verwenden würde. Der Saalekreis hätte die Waffenerlaubnis widerrufen müssen und hätte bei richtiger Ermessensausübung ein Waffenbesitzverbot aussprechen und die Waffen sofort sicherstellen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Verantwortung für dieses Nicht-Handeln ist zu klären. Ich erwarte, dass uns auch der Landkreis dazu Auskunft gibt, und hoffe, dass er zu der Sitzung des Innenausschusses vorstellig wird.

Ich denke, wir werden auch um eine Debatte zum Waffenrecht nicht herumkommen. Konkret auf diesen Fall bezogen, ist mir nicht verständlich, wieso ein Sportschütze Waffen und Munition bei sich zu Hause aufbewahren sollte,

(Zuruf: Wo denn sonst?)

Waffen, die er doch nur am Schießstand verwenden darf. Es geht nicht um die Kriminalisierung eines Sports, sondern um die Reduzierung von Gefahren für die Allgemeinheit. Wir werden diesen Antrag in den Innenausschuss überweisen. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Es gibt eine Intervention von Herrn Tillschneider. - Herr Tillschneider, bitte.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Herr Striegel, ich würde Sie jetzt als Frauenversteher bezeichnen,

(Eva von Angern, DIE LINKE: Widerlich!)

aber ich glaube, die Rechte an diesem Begriff hat derjenige, der heute präsidiert.

(Lachen)

Aber nein, Folgendes: Sie haben die Statistik erwähnt, dass soundso viele Frauen von ihren Partnern ermordet werden. Woher wissen Sie denn, dass diese Taten durch eine frauenfeindliche Einstellung motiviert sind und nicht durch Beziehungsprobleme, dass also derjenige die Frau ermordet, weil er Frauen generell hasst, und nicht weil er ein Beziehungsproblem hat? Wie kommen Sie so pauschal zu der Einstellung, das seien alles Femizide? - Erste Frage.

Zweite Frage: Was ist, wenn eine Frau von einer Frau ermordet wird? Ist das auch ein Femizid? Was ist, wenn eine Frau einen Mann ermordet? Ist das dann ein Androzid? Was ist, wenn ein Mann einen Mann ermordet?

(Lachen)

Auch darauf hätte ich gern eine Antwort.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Falls Sie wollen, können Sie antworten.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Das können Sie sich gern alles noch einmal im Detail erklären lassen.

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Also wissen Sie es nicht?)

Ich habe die Debatte bisher eigentlich so verstanden, dass wir dazu über ausreichende Erkenntnisse verfügen. Aber, Herr Tillschneider, etwas verrät Sie. Wenn ich Beziehungsprobleme habe, dann werde ich, glaube ich, nicht zu einem Gewalttäter.

(Zurufe von der AfD: Na ja, da wäre ich mir nicht so sicher! - Das weiß man nicht! - Weitere Zurufe)

Ich erwarte auch von den Männern in meiner Umgebung nicht, dass sie das tun, sondern ich erwarte, dass sie sich Rat holen, dass sie sich Unterstützung holen, dass sie sich beraten lassen, dass sie eine Paartherapie eingehen, Paarberatung und ähnliche Dinge. Ich glaube, dass das wichtig ist. Denn wer in einer solchen Situation von Beziehungsproblemen glaubt, das Problem mit Gewalt lösen zu müssen, der zeigt vor allem eines: dass er von toxischer Männlichkeit besessen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Oh! bei der AfD - Zuruf von der AfD: Das ist ja Männerhass! - Unruhe)