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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 8

Erste Beratung

Sicherheit für die Allgemeinheit erhöhen - Waffenrecht nutzen und schärfen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2364


Einbringerin für die Fraktion DIE LINKE ist Frau Quade. - Frau Quade, Sie haben das Wort. Bitte sehr.


Henriette Quade (DIE LINKE):

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 8. März ereignete sich in Bad Lauchstädt ein Femizid. Ein 61-jähriger Mann erschoss mit einer seiner acht legal erworbenen Waffen seine ehemalige Partnerin, beschoss Polizeikräfte und erschoss schließlich sich selbst.

Diese Tat macht fassungslos und sie bestürzt uns. Unsere Gedanken sind bei der getöteten Kerstin S. Unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl gelten den Hinterbliebenen.

(Beifall bei der LINKEN, bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

Diese Tat, so erschütternd sie ist, ist leider kein Einzelfall. Statistisch ereignet sich jeden dritten Tag ein Femizid in Deutschland. Dennoch ist das Thema nicht genug präsent. Ein Grund dafür dürfte sein, dass es entgegen den Forderungen der Fachverbände, Beratungsstellen und Interventionsstellen noch immer keinen eigenen Straftatbestand für Femizide gibt, also für Morde an Frauen, weil sie Frauen sind und die Täter eine bestimmte Vorstellung von Weiblichkeit haben.

Im Jahr 2021 gab es 113 solcher Femizide in Deutschland. Jährlich gibt es in Sachsen-Anhalt etwa zehn Fälle, wobei diese Straftat noch nicht einmal gesondert statistisch ausgewiesen wird. Noch immer ist dann - das eine hängt mit dem anderen zusammen - vielfach die Rede von Beziehungstat, Familientragödie, Eifersuchts- oder Trennungsdrama, im Fall von nicht-deutschen Tätern oft auch von Ehrenmord.

Wer sich mit Femiziden beschäftigt, mit Opfern und mit Tätern, der weiß, dass die Täter weder Vorname noch Glaube, weder Hautfarbe noch Bildungsstand, weder Altersgruppe noch Milieu eint. Was sie eint, ist, sie sind Männer und sie haben ein Bild von Weiblichkeit, davon, wie eine Frau zu sein hat, wie sie sich zu benehmen hat, und sie sehen sich in der Rolle, Abweichungen davon zu bestrafen.

Wer sich mit Femiziden und mit Gewalt gegen Frauen beschäftigt, der weiß auch, es gibt viele Stellen, an denen schnelle und wirksame Hilfe für die betroffenen Frauen scheitern kann. Die Istanbul-Konvention wird seit Jahren nicht konsequent umgesetzt, was nicht nur Betroffene und Hilfsstrukturen, sondern auch die Institution der EU und des Europäischen Rates ebenso lange kritisieren.

Seit Jahren wissen wir, dass wir in Sachsen-Anhalt dramatisch zu wenige Plätze in Frauenhäusern haben. Seit Jahren arbeiten die vier Interventionsstellen „Häusliche Gewalt“ im Land nicht am Limit, sondern weit darüber. Seit Jahren ist klar, dass die Hilfssysteme und Strukturen eine dauerhafte Finanzierung brauchen statt einer Projektfinanzierung, die erheblichen Verwaltungsaufwand bedeutet.

Sachsen-Anhalt ist das einzige Bundesland, in dem es keinen operativen Opferschutz gibt. Seit Jahren ist die Forderung nach einem flächendeckenden Hochrisikomanagement auf dem Tisch und ist klar, dass es stetige Schulungs- und Sensibilisierungsarbeit in den zuständigen Behörden sowie strukturierte Situations- und Gefährdungsanalysen braucht, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern in der Realität.

Schnelle und effektive Hilfe für Betroffene von Gewalt im sozialen Nahbereich kann an vielem scheitern. Sie kann auch scheitern, weil Betroffene nicht die Kraft haben, die notwendigen Schritte zu gehen, weil Angst zu Ohnmacht führt, weil wirtschaftliche Abhängigkeiten bestehen, weil noch immer viel zu oft den Betroffenen häuslicher Gewalt Mitschuld gegeben wird, weil das Stigma zu groß ist, weil sie nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen oder weil kein Platz frei ist.

Im Fall Bad Lauchstädt scheiterte schnelle und wirksame Hilfe für die Frau nicht an diesen Faktoren. Kerstin S. hat getan, was sie tun konnte. Sie hat alle Schritte unternommen, die ihr zur Verfügung standen. Trotz der strukturellen Defizite hat das Hilfsnetzwerk gegriffen. Hilfe scheiterte auch nicht daran, dass die zwei Mitarbeiterinnen der Interventionsstelle, die für den Saalekreis, für Mansfeld-Südharz, für den Burgenlandkreis und für Halle zuständig sind, schlichtweg woanders gebraucht wurden und in einem der 80 bis 100 Fälle, die sie monatlich zu bearbeiten haben, unterwegs waren. Die Hilfe scheiterte in diesem Fall auch nicht an ansonsten in unseren Augen zweifellos bestehenden Gesetzeslücken. Wirksame Hilfe scheiterte am eklatanten Versagen von Polizei- und Waffenbehörde.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Dieser Femizid hätte verhindert werden können und er hätte verhindert werden müssen.

Meine Damen und Herren! Die Erklärung der Waffenbehörde des Saalekreises macht mich noch heute fassungslos.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es findet sich darin nicht ein Gedanke an Kerstin S. Es findet darin sich nicht ein Wort des Bedauerns, der Trauer oder der Bestürzung. Es findet sich darin keine kritische und auch nur ansatzweise kritische Selbstreflexion, sondern es findet sich darin einzig und allein Schuldabwehr und das Wegschieben von Verantwortung.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wie die Behörde das vorbringt, ist beschämend. Was sie vorbringt, ist schlichtweg falsch.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Waffenbehörde hätte handeln können und sie hätte handeln müssen. Alle Voraussetzungen für die Entwaffnung des Täters waren gegeben. So defizitär das Waffenrecht aus unserer Sicht ist, so klar liegt auf der Hand, dass die §§ 5 und 41 des Waffengesetzes an dieser Stelle greifen und Zweifel an der Zuverlässigkeit bestehen.

Bevor sich hier wieder ein Mann bemüßigt fühlt, die Qualifikation, auf deren Basis ich diese Aussage treffe, infrage zu stellen, verweise ich auf den simplen Gesetzestext und im Übrigen auch auf die Einschätzung des Waffensachverständigen und Waffenrechtsexperten Lars Winkelsdorf, der exakt diese Einschätzung dem MDR am Dienstag gab.

Ja, wir müssen uns die Details anschauen. Wann die Polizei was mit welcher Dringlichkeit übermittelt hat, muss dringend aufgeklärt werden. Acht Tage nach der Tat, bei der zwei Menschen das Leben genommen wurde, aber rigoros jeden Fehler auszuschließen, lässt mich nicht nur moralisch ratlos zurück; es stellt auch die Frage, ob die Waffenbehörde glaubt, in diesem Fall einfach dreist lügen zu können und es merkt niemand.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Welche Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass Waffen in den Händen dieses Mannes eine Gefahr sind, wollen Sie denn noch? Wenn man die Argumentation ernst nimmt und davon ausgeht, dass eine Waffenbehörde in Sachsen-Anhalt ernsthaft so ahnungslos bezüglich der Grundlagen ihres Handels, nämlich des Waffengesetzes, ist, dann müssten wir unseren Antrag im Grunde erweitern und die Innenministerin beauftragen, wegen Gefahr im Verzug dieser Behörde jegliche Kompetenzen zu entziehen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Der Gedanke ist so fernliegend nicht. In anderen Bundesländern sind die Waffenbehörden Teil der Polizeistrukturen. Insofern wäre es naheliegend, im Übrigen auch angesichts der immer wieder vorgebrachten und völlig richtig vorgebrachten Verweise auf Personalnot und Aufgabenfülle in den Waffenbehörden, darüber nachzudenken, ob die Kontrolle des Waffenrechts nicht besser in den Händen der Polizei aufgehoben wäre.

Das Problem an der Idee ist: Wenn wir auf das Handeln der Polizei im Fall Bad Lauchstädt schauen, sehen wir dasselbe Versagen wie bei der Waffenbehörde und eigentlich sogar ein größeres.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es gab mehrere Fälle häuslicher Gewalt, die die Polizei offensichtlich auch als solche erkannt hat. Schon vor drei Jahren hatte Kerstin S. ihren damaligen Mann wegen häuslicher Gewalt angezeigt. Soweit der Presse zu entnehmen war, wurde dieses Verfahren wie so viele dieser Verfahren eingestellt. Das Leiden der Frau ging also weiter. Wenige Wochen vor ihrem Tod erstattete Kerstin S. Anzeige gegen ihren Ex-Partner, der versucht hatte, sie mit dem Auto zu rammen und sie aus ihrem Auto zerrte. Sie wies mehrfach auf die Bewaffnung des Mannes hin. Sie sagte klar, dass sie Angst hatte.

Die angezeigten Taten waren eindeutig. Bedrohungen, Nötigung, Stalking. Die Beamten nahmen die Anzeige auf. Sie schickten die Frau los, um sich Hilfe zu suchen, was sie auch tat. Sie informierten die Waffenbehörde. Wie genau und worüber genau, müssen wir uns anschauen. Sie fanden es auch grundsätzlich für angebracht, eine Gefährderansprache durchzuführen. Was sie nicht taten und was das offensichtlich Drängendste gewesen wäre, war es, den Täter zu entwaffnen.

Am 8. März zeigten sich die fatalen Folgen. Statt die Instrumente der Gefahrenabwehr zu nutzen und die Waffen wegen der offensichtlich drohenden Gefahr sicherzustellen, endete ihr Einsatz an einer verschlossenen Tür. Wie kann das sein, fragt man sich, und zwar erst recht, weil es eigentlich sehr klare Vorgaben für polizeiliches Handeln in genau diesem Fall gibt.

Ein Runderlass aus dem Jahr 2010 legt detailliert Folgendes fest: Werden tatsächliche Anhaltspunkte für Bedrohungen und Gewalttätigkeiten in gegenwärtigen oder ehemaligen Paarbeziehungen oder in Fällen von Stalking und damit einhergehende Bedrohungen polizeilich bekannt, sind ohne zeitlichen Verzug alle erforderlichen und rechtlich zulässigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung durchzuführen.

Ebenfalls regelt der Erlass: Eine Gefährderansprache soll binnen 48 Stunden erfolgen, und zwar auf der Dienststelle. Dem soll ein strukturierter Prozess der Situations- und Gefährdungsanalyse folgen und die nötigen Maßnahmen sollen auch und ausdrücklich auf den Täter gerichtet erfolgen.

Offensichtlich tat die Polizei das nicht. Die Frage, warum in diesem Fall so eklatant gegen die doch eindeutigen Dienstvorschriften, die nicht nur Vorschriften sind, sondern auch noch außerordentlich plausibel, naheliegend und nachvollziehbar sind, verstoßen wurde, muss ebenso aufgeklärt werden wie die Frage, wieso der Schützenverein, dem der Täter seit 30 Jahren angehörte, offensichtlich nicht kontaktiert wurde.

Diesen Fragen müssen wir nachgehen. Auch das fordern wir mit unserem Antrag. Dass es eine dramatische Form von Behördenversagen war, die den Femizid in Bad Lauchstädt ermöglicht hat, wissen wir angesichts dessen, was nicht getan wurde, schon heute.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir müssen es auch so klar benennen. Das hilft Kerstin S. nicht. Es hilft auch den 113 Frauen, die im Jahr 2021 in Deutschland von gewalttätigen Partnern, Ex-Partnern, Onkeln, Vätern und Brüdern ermordet wurden, nicht. Es hilft auch nicht den Menschen, die um Kerstin S. trauern. Aber es kann den 5 000 von häuslicher Gewalt Betroffenen, die wir im letzten Jahr in Sachsen-Anhalt hatten, helfen. Und es kann helfen, Femizide zu verhindern.

Polizei und Waffenbehörde haben die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht genutzt. Sie sind ihrer aus Waffengesetz, Polizeigesetz und Erlasslage des Innenministeriums resultierenden Verantwortung nicht gerecht geworden und haben damit im Kernbereich der ihnen übertragenen Aufgaben versagt. Das muss Konsequenzen haben.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Neben der Aufarbeitung von offensichtlichen Fehlern müssen wir uns auch kurzfristig und schnell auf die offensichtlich bestehenden Defizite in Bezug auf die Kenntnis der Rechtslage und des eigenen Handlungsauftrages bei Polizei und Waffenbehörden fokussieren und auf sie reagieren. Mit unserem Antrag fordern wir daher die Ministerin für Inneres und Sport auf, dafür Sorge zu tragen, dass künftig bei Fällen von Bedrohung, Stalking, Tätlichkeiten und gleichzeitig vorliegenden Waffenerlaubnissen die Möglichkeiten des Entzugs der Erlaubnis zum Waffenbesitz und des Waffenverbotes umfassend, schnell und wirksam genutzt werden, und zwar nicht als Kann-Bestimmung, sondern als ein Muss.

Ich gestehe unumwunden ein, einem Erlass und einem Gesetz, das nicht befolgt wird, mit einem weiterem Erlass zur Durchsetzung zu verhelfen, ist bei Weitem kein Selbstläufer und nur ein Teil dessen, was nötig ist. Aber das ist das, was wir hier als Parlament miteinander tun können.

Dafür zu sorgen, dass die gesetzlichen und die dienstlichen Vorgaben, die sie macht, auch umgesetzt werden, steht allerdings im Verantwortungsbereich der Innenministerin. Ob ihr das in Zukunft besser gelingt, daran wird sie sich messen lassen müssen.

Meine Damen und Herren! Wenn wir nicht bei Bestürzung stehen bleiben wollen, dann müssen wir uns auch - so unsere feste Überzeugung - anschauen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass der Täter legal Zugriff auf tödliche Waffen haben konnte. Das heißt, es ist die Frage nach dem Waffenrecht zu stellen. Ich werde das in der Fünfminutendebatte tun. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der LINKEN)