Cookies helfen uns bei der Weiterentwicklung und Bereitstellung der Webseite. Durch die Bestätigung erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies gesetzt werden.

Plenarsitzung

Transkript

Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Mai letzten Jahres haben wir im Sozialausschuss in einer großen Anhörung vieles über das Wirken, die Fortschritte und die Schwierigkeiten in den Verhandlungen der Träger der Eingliederungshilfe mit der Sozialagentur gehört.

Die große Herausforderung damals wie heute war, die Finanzierung der Eingliederungshilfe mithilfe einer Konkretisierung des bereits vorliegenden Landesrahmenvertrages so auszugestalten, dass sie zu dem neuen Bundesteilhabegesetz passt   darum geht es  , dass sie auch in der Finanzierungsstruktur dem Teilhabegedanken entspricht, der den Menschen mit seinen besonderen Herausforderungen und Bedürfnissen ins Zentrum der Betrachtung rückt und nicht länger von der Einrichtung her denkt.

Man könnte meinen, diese Veränderung passe dem Träger nicht, weil sie Beantragung und Berechnung komplexer macht und damit verkompliziert. Ganz sicher gibt es an einigen Stellen, z. B. im Feld der Kosten der Unterkunft, strukturell noch ganz, ganz dringend Nachbesserungsbedarf. Aber nein, wir alle haben nicht nur im Sozialausschuss erlebt, dass die Träger in Sachsen-Anhalt sich engagiert auf den Weg gemacht haben, um diese neue Perspektive nicht nur mit Leben zu erfüllen, sondern sie auch als wichtig benennen und sie verteidigen.

Aber es hakt. Obwohl das Land ein eigenes Gremium, GK 131 genannt, eingesetzt hat   bei den vielen Gesetzen und bei all dem, was hier für Nichtfachleute an Ermüdendem heute schon genannt worden ist, wollte ich jetzt eine neue Vokabel, GK 131, ins Feld führen  , um erst den Rahmenvertrag zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Sachsen-Anhalt zu verhandeln und jetzt dessen weitere Umsetzung, und das gesetzeskonform bis zum Ende der Übergangsfrist in diesem Jahr, gab es schon im Mai letzten Jahres einen bemerkenswerten Stau an dieser Stelle. Es lagen schon damals etwa 380 offene Schiedsverfahren vor, bei denen es um die Anpassung von Leistungsgewährungen an konkret gestiegene und anerkannte Kosten ging.

Dennoch gab es im Sommer letzten Jahres durchaus Anlass zu Optimismus mit dem Blick auf die hiesige Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes. Das Land, also zuvörderst die Sozialagentur und die Leistungserbringer, also zuvörderst die Liga, schienen ihre Konflikte von Anfang 2022 beigelegt zu haben. Da schien das Sozialministerium in Person des Staatssekretärs sehr konstruktiv und schlichtend gewirkt zu haben. Die Liga-Vertreter schilderten beinahe euphorisch das neu gefundene Vertrauen und blickten optimistisch auf den weiteren Fortgang der Verhandlungen. Das Jahr 2023 sollte reichen, um die Verhandlungen erfolgreich abzuschließen und den Übergangszeitraum zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Sachsen-Anhalt damit zu beenden. Davon scheint nur wenige Monate nach dem Jahreswechsel nicht mehr viel übrig zu sein.

Gleichzeitig spitzt sich allem Anschein nach eine Situation weiter zu und eskaliert geradewegs, über die schon im Mai 2022 im Ausschuss intensiv diskutiert wurde: die Verhandlungen zwischen Sozialagentur und einzelnen Trägern in Sachen Vergütung und Leistungsvereinbarungen und die aus diesen gescheiterten Verhandlungen anwachsende Zahl an Schiedsstellenverfahren. Es wurde gerade schon erklärt, wie das funktioniert. Seinerzeit waren etwa 380 Schiedsstellenverfahren offen. Aktuell reden wir von fast doppelt so vielen.

Es scheint, der Teil der sehr kritischen Kommentare aus dem Fachgespräch im Mai hat sich trotz aller Verlautbarungen, Ankündigungen und sicherlich engagierter Arbeit aufseiten der Verwaltung und der Landesregierung nun doch bewahrheitet.

Tatsächlich muss man heute konstatieren, dass die Situation gerade hinsichtlich der Schiedsstellenverfahren immer schwieriger wird. Dieses Schlimmer-und-schwieriger-Werden   das sind nicht einfach zwei verhakelte Verhandlungspartner   hat konkrete Folgen, und zwar Folgen für die Betroffenen, deren Bedarfe bei all dem mindestens aus dem Blick rutschen und schlimmstenfalls nicht hinreichend erfüllt werden können. Dabei geht es genau um diejenigen Menschen, die mit dem neuen Bundesteilhabegesetz eigentlich im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen sollen. Es kann so also einfach nicht weitergehen.

Was genau meine ich damit? - Sicherlich hat das Land die schwierige Aufgabe, die Widersprüche, die im BTHG stecken, irgendwie handhabbarer zu machen, Leistungen personenzentriert zu entwickeln und gleichzeitig Kostenneutralität zu wahren. Dass das schlicht nicht möglich ist, das sollte auf der Hand liegen. Es ist immer finanziell günstiger, Menschen in großen Einrichtungen unterzubringen, an deren Strukturen sich die Betroffenen dann anpassen müssen, als individuelle Hilfen personenzentriert und im besten Fall in der eigenen Häuslichkeit zu leisten und zu finanzieren.

Dieser Zielkonflikt, dass das teurer ist, ist schwer aufzulösen und wird konstruktive Verhandlungen mit den Leistungserbringern sicherlich oftmals unterlaufen, gerade mit einem gestrengen CDU-Finanzminister im Nacken, keine Frage. Dennoch und gerade weil die Gesamtsituation schwierig ist, braucht es ein Verhandeln auf Augenhöhe. Diese fehlende Augenhöhe ist das, was so nicht weitergehen darf. Gleiche Augenhöhe heißt, kooperativ zu handeln, weil man sich dem gleichen Ziel verschrieben hat, dem gemeinsamen Ziel von Leistungserbringern und Kostenträgern, die bestmögliche Lösung für den betroffenen Menschen zu finden.

Das Ziel kann eben nicht sein, von beiden Seiten das jeweilige Bild oder die jeweilige Idee davon zu verteidigen, wie sich die Situation darstellt, sich also in reiner Konfrontation zu verhaken. Eine Verhandlungskultur mit gemeinsamem Ziel - dieses Vertrauensklima scheint es in Sachsen-Anhalt nur ungenügend zu geben, ansonsten würden die Verhandlungen auf der Ebene der GK 131   da ist sie wieder   und auch die konkreten Leistungs- und Vergütungsverhandlungen nicht regelhaft in Sackgassen münden, aus denen man dann langwierig hinausmanövrieren muss.

Vertrauen neu zu schaffen ist natürlich überaus schwierig. Wenn Porzellan erst einmal zerschlagen, wenn das Tischtuch erstmal zerschnitten ist, sind Wege zu Kooperationen und einem grundsätzlichen Wohlwollen schwierig.

Wollen wir vertrauensvolle Verhandlungen befördern, dann muss das Land samt seiner Behörde mit einem Vertrauensvorschuss in die Verhandlungen einsteigen, mit der positiven Annahme, dass die Einrichtungen das Beste für ihre Klienten wollen, und eben nicht mit der negativen Unterstellung, dass die Einrichtungen im Sinne eines allein ökonomischen Kalküls für sich einfach nur das betriebswirtschaftlich profitabelste Ergebnis wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Trauen wir den Einrichtungen im Land zu, dass sie über das eigene Portemonnaie hinausdenken und ihren Werten als Wohlfahrtsverbände im Interesse der Klienten folgen.

Von der anderen Seite her betrachtet: Auch die Verhandlerinnen und Verhandler der Sozialagentur lenkt nicht allein ihre Krämerseele, sondern das ehrliche Anliegen, den Menschen mit Behinderungen eine volle Teilhabe zu ermöglichen. Wenn diese positiven Fremdbilder wirken, dann wird immer noch hart verhandelt, aber ohne die Unterstellung niederer Motive. Das wäre eine Verhandlungskultur, die lösungsorientiert vorgeht, die Kompromisse findet, nicht nur als kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern als gemeinsam entwickelte Lösung unter Anerkennung verschiedener Interessenlagen und Notwendigkeiten.

Ich begrüße es überaus, dass, wie zu hören ist, die Verhandlungsparteien der GK 131 die Option ziehen und sich zukünftig durch einen Mediator beraten lassen und ihr Gesprächssetting grundlegend betrachten wollen. So viel Einigkeit besteht noch. Darauf lässt sich aufbauen. Das scheint meines Wissens nach vielen Jahren ein neuer Weg zu sein.

Ich hoffe, eine gute Lösung findet sich auch für die aktuell etwa 700 laufenden Schiedsstellenverfahren. Ich setze darauf, dass wir zum Thema Sachkosten in der Eingliederungshilfe spätestens für das Jahr 2024 eine einheitliche und auskömmliche Lösung finden, die den Kostensteigerungen gerecht wird. Ich setze darauf, dass in Einzelverhandlungen und in Schiedsverfahren drohende Zahlungsengpässe unbürokratisch berücksichtigt und mit entsprechenden Vereinbarungen abgewendet werden.

Zum Abschluss: Ich hatte ob der Problemanzeigen seitens der Leistungserbringer im Januar im Sozialausschuss um einen aktuellen Bericht zu dem Verhandlungsstand der GK 131 gebeten. Das ist vom Haus zugesagt worden. Ich gehe davon aus, dass dieser Bericht angesichts der Lage und der heutigen Debatte in der nächsten Ausschusssitzung im April vorliegt. - Vielen Dank. Vielen Dank auch dafür, dass Sie den Ausführungen zu diesem schwierigen, aber wichtigen Thema so aufmerksam gefolgt sind.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE, und von Sebastian Striegel, GRÜNE)