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Plenarsitzung

Transkript

Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu vier Punkten etwas sagen. Erstens. Wenn ich auf die desaströse Bilanz unseres Schulsystems hinweise, dann beziehe ich mich dabei auf die Statistik der Kultusministerkonferenz. Wenn ich zum wiederholten Male vom Scheitern der Sekundarschule im gegliederten Schulsystem spreche, dann beziehe ich mich dabei auf Strukturentscheidungen. Das heißt, wenn ich über Rahmenbedingungen und Strukturentscheidungen spreche, für die die Politik Verantwortung trägt, dann hat das nie etwas damit zu tun, wie die Lehrkräfte nach bestem Wissen und Gewissen und mit übermäßiger Anstrengung in diesen Systemen und unter diesen Rahmenbedingungen arbeiten.

Das habe ich an keiner Stelle gesagt. Ich hoffe, bitte, wünsche, dass die Koalition nicht ständig versucht, diesen Spieß umzudrehen.

Zweitens. Wir sind in der Beurteilung dessen, was am 19. Januar stattgefunden hat und welche Ergebnisse es gebracht hat, naturgemäß auseinander. Wir halten aber daran fest, dass wir ein Bildungsforum brauchen. Wir halten daran fest, dass wir eine echte Debatte brauchen, die nicht in einer Zweistundenveranstaltung geführt wird, sondern über einen längeren Zeitraum, und die die gesellschaftlichen und auch die politischen Akteure einbezieht, wie wir es beim Bildungskonvent hatten, der gute Ergebnisse gebracht hat, die allerdings vermutlich außer mir niemand mehr kennt. Ich habe sie jedenfalls immer parat und kann immer hineinschauen.

Ich denke, nur so kommen wir aus diesem Schlagabtausch heraus, den wir ständig führen. Das hat der Bildungskonvent damals gezeigt. Mit Riesenmehrheiten sind Sachen beschlossen worden. Wenn wir davon einmal etwas umgesetzt hätten, dann wären wir heute im Übrigen weiter, als wir sind.

Drittens. Ich erwähne FDP und GRÜNE hier gelegentlich nicht - nicht weil ich euch ignoriere und nicht wüsste, in welcher Koalition ihr wart, sondern weil ich fair genug bin, euch für bestimmte Entwicklungen nicht die Schuld zuzuweisen. Denn dafür seid ihr nicht lange genug oder nicht in den entscheidenden Phasen wie etwa in der fünften und sechsten Legislaturperiode dabei gewesen. Ich sage einmal: noch nicht. Denn wir werden sehen, was ihr in den nächsten drei Jahren hier veranstaltet. Vielleicht kommt ihr dann auch in den Genuss der Kritik. Aber ihr habt die Chance, euch dieser zu entziehen.

Viertens und letztens zu der unseligen Arbeitszeitdebatte. - Kollege Borchert, es ist eine Unterstellung zu sagen, wenn man dagegenspreche, gehe es einem nicht um die Kinder,

(Carsten Borchert, CDU: Um was sonst?)

sondern sozusagen nur um die Beschäftigten. Am Ende müssten die Beschäftigten die Arbeit machen. Es wird nicht lange dauern, bis wir die Bilanz vorliegen haben, was die Vorgriffsstunde in Bezug auf die Unterrichtsversorgung bringt. Dass wir nicht bei 100 % sein werden     Ich sage einmal, vielleicht schaffen wir es von 93,5 % auf 94 %. Aber nicht einmal das ist sicher. Was machen wir dann? Dann verlangen wir die zweite Vorgriffsstunde. Die reicht dann auch nicht. Dann verlangen wir die dritte Vorgriffsstunde. Das ist doch ein endloser Prozess. Wir werden doch sehen, was am Ende dabei herauskommt.

Ich will euch sagen, was die Statistik der Kultusministerkonferenz zeigt, auf die man sich bezieht und auf die sich auch die Erzählung des Ministerpräsidenten bezieht, dass wir mit der Vorgriffsstunde nur den Bundesdurchschnitt erreichen würden. Unsere Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt bringen über alle Schulformen hinweg die gleichen Arbeitszeiten vor die Kinder   also, wirklich vor die Kinder  , wie dies in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und im Saarland der Fall ist. Das ist eine Stunde mehr als in Thüringen. Denn die Lehrkräfte dort bringen wirklich die geringste Anzahl von Stunden vor die Klasse. Dass das gelegentlich ein bisschen weniger ist, hat im Hinblick auf den Unterricht   ich will es nicht vertiefen   auch damit zu tun, wer wie viele Langzeiterkrankte   diese gehen dort nämlich mit ein  , Beschäftigungsverbote und Personen im Mutterschutz usw. hat. Das muss man sich in der Statistik alles einmal anschauen.

Wenn man die Schulformen insgesamt betrachtet, dann stellt man fest, dass es Unterschiede gibt. Bei den Gymnasien und den Grundschulen bewegen wir uns komplett im Durchschnitt aller Bundesländer, auch im Durchschnitt des Ostens. Manchmal liegen wir ein kleines bisschen niedriger als der Westen, aber keine Stunde. Es geht darum, was in Summe wirklich ankommt, und nicht darum, wie die Arbeitszeitregelungen aussehen. Denn dazu gehören die Anrechnungen usw.

(Angela Gorr, CDU: Die Arbeitszeitregelung ist doch das Entscheidende!)

Vielmehr geht es um das, was man aus der KMK-Statistik, auf die man sich bezieht, herausnehmen kann. Bei den Sekundar- und den Gemeinschaftsschulen sowie den Förderschulen liegen wir tatsächlich mit einer Stunde darunter. Das sind aber genau die Schulen, bei denen wir die schlechteste Unterrichtversorgung, die höchsten Belastungen, den höchsten Krankenstand und vermutlich, ohne das abgefragt zu haben, die meisten Überstunden zu verzeichnen haben, die ohnehin schon geleistet werden. Sich zu überlegen, genau denen noch eine Stunde obendrauf zu geben, damit sie auch so viel machen wie die anderen, halte ich nach wie vor   ich wiederhole das gern   für eine der blödesten Ideen. Sie wird sich rächen. Es wird dabei keinen Gewinner geben. Es ist ein absolutes Verliererthema. Aber wir werden uns in einem halben oder dreiviertel Jahr auf jeden Fall noch einmal darüber unterhalten.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Lippmann, letzter Satz.


Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Letzter Satz. - Eine normale Unterrichtsverpflichtung umfasst 23 Stunden, so wie es vor der Wende war und wie es europaweit ist, und nicht 26, 27 oder 28 Stunden. Diese kann man in vernünftiger Qualität nicht unterrichten.

(Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Lippmann, es gibt einen Fragewunsch von Frau Gorr. Wollen Sie die Frage beantworten? - Dann, Frau Gorr, können Sie sie stellen. Bitte.


Angela Gorr (CDU):

Herr Lippmann, es ging in der heutigen Debatte unter anderem um Wertschätzung der Lehrerinnen und Lehrer an unseren Schulen. Sie selbst haben sich mehrfach auf den Bildungskonvent bezogen. Können Sie sich, hochverehrter Kollege Herr Lippmann, an Ihre Äußerungen auf dem damaligen Bildungskonvent erinnern, dass es kein schlimmeres Schicksal gibt, als Leiter einer Sekundarschule zu sein?

(Oh! bei der AfD)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können antworten.

(Angela Gorr, CDU: Steht im Protokoll!)


Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Wenn Sie es nachgelesen haben    

(Angela Gorr, CDU: Ich habe gehört!)

Das ist natürlich die am stärksten benachteiligte Schulform. Das ist die abgehängte Schulform. Natürlich haben es die Kolleginnen und Kollegen dort viel schwerer als bei den anderen Schulformen, jetzt erst recht. Damals, 2007 bis 2010, als es den Bildungskonvent gab, gab es den Lehrkräftemangel nicht. Wir hatten die Beschäftigung sichernden Tarifverträge. Damit haben wir das alles gesteuert. Wir hatten für unsere Schüler wirklich genügend Lehrkräfte zur Verfügung. Es gab keine überbordenden, aber vernünftige pädagogische Bedingungen.

Aber das ist nun einmal so. Das will man immer nicht hören. Im gegliederten Schulsystem gibt es eben ein Oben und ein Unten. Die einen gehen zum Gymnasium, und diejenigen, die das nicht geschafft haben, gehen zur Sekundarschule. Das ist nicht besonders toll für diese Schulform. Deswegen verlangen wir auch, auch in einem Bildungsforum, dass man endlich noch einmal neu darüber spricht, wie man die Sekundarschule aus dieser Situation, in der sie seit 30 Jahren ist, herausholt.

Sie wissen, dass ich zwölf Jahre lang Schulleiter an einer Sekundarschule war und natürlich weiß, dass es selbstverständlich große Bemühungen und große Erfolge gibt. Darum müssen wir uns nicht streiten. Aber das Systemische bekommen natürlich auch die besten Lehrkräfte und die besten Schulleitungen nicht weg. Sie können nur mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten, die ihnen dort gelassen werden.

(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Wir befinden uns in einer Dreiminutendebatte. - Frau Gorr, Sie wissen, man hat eine Minute Zeit. Davon haben Sie 40 Sekunden verbraucht. Jetzt haben Sie noch 20 Sekunden übrig. Dann kann Herr Lippmann noch einmal antworten. Danach sind wir fertig. Bitte, Frau Gorr.


Angela Gorr (CDU):

Glauben Sie nicht, Herr Lippmann, dass ein Schulleiter auch die Verantwortung für die Wertschätzung seiner Lehrerkolleginnen und -kollegen sowie der Schülerinnen und Schüler hat, um sie in ihrer schulischen und beruflichen Zukunft zu stärken?

(Eva von Angern, DIE LINKE: Aber das widerspricht sich doch nicht!)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Jetzt können Sie noch einmal antworten.


Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Ich mache es ganz kurz. Es ist wie mit Frau Ministerin Feußner. Wir reden einfach aneinander vorbei.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Ja!)

Das sind doch Selbstverständlichkeiten. Das sind doch fast Plattitüden, gerade wenn man aus dem Bereich kommt. Sie rufen das ja immer auf, um nicht über die Strukturprobleme reden zu müssen.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Das verstehe ich auch. Aber ich darf es doch wenigstens benennen.

(Beifall bei der LINKEN)