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Plenarsitzung

Transkript

Kerstin Eisenreich (DIE LINKE):

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Und ewig grüßt das Murmeltier“ möchte ich angesichts der - ich weiß schon nicht mehr wievielten - Debatte hier im Landtag um die Atomkraft und die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke voranstellen. Dabei sind doch inzwischen alle Argumente ausgetauscht und die Absurdität dieser Forderung längst erwiesen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zurufe von der FDP: Nein!)

Aber nun ja, manch einem fällt es halt schwer, Fakten zu akzeptieren. Nachdem nun die drei vorherigen flammenden Plädoyers für die Atomkraft gehalten wurden, sollten wir uns einfach einmal wieder mit den Tatsachen und Fakten beschäftigen.

(Tobias Rausch, AfD: Haben wir gemacht! - Weiterer Zuruf von der AfD)

Die FDP trägt ja bei der Energiewende immer wieder das Mantra der Technologieoffenheit vor sich her. Nur, wissen Sie: Sie selbst erfüllen Ihre eigene Forderung nicht; denn immer wieder stellen Sie Behauptungen in den Raum: Erneuerbare Energien wären nicht grundlastfähig, Atomkraft ist CO2-neutral und daher nachhaltig;

(Zurufe von Tobias Rausch, AfD, und von Jörg Bernstein, FDP)

außerdem sei Atomkraft billig. Ich glaube, da muss man einmal eine ganze Menge geraderücken. Ich empfehle Ihnen - dem ganzen Mitte-rechts-Block - daher dringend die Lektüre der jüngsten Publikation des Bundesamtes für Sicherheit und nukleare Entsorgung, kurz BASE genannt. 146 Seiten Lektüre, die sich echt lohnen.

(Zustimmung von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Technologien, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind an sich weder gut noch schlecht,

(Tobias Rausch, AfD: Wo wird gespeichert?)

und die Menschheit hat eine ganze Menge hervorgebracht, allerdings eben nicht immer und nur ausschließlich zum Nutzen der Menschheit. Entscheidend ist dann doch die Frage: Wie geht man nun gesellschaftlich damit um? In der genannten Publikation wird aus meiner Sicht ein sehr anschauliches Bild verwendet, das ich hier gern einflechten möchte: Startet man eigentlich mit einer Technologie, ohne zu wissen, ob und wo man dann landen kann?

(Tobias Rausch, AfD: Ja!)

Oder werden vor dem Start Routen geplant, genau abgewogen und sichergestellt, dass am Ziel auch eine Landebahn vorhanden ist?

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Ewig kreisen!)

Bei der Atomenergie ist es jedenfalls nicht so. Es geht also darum, systematisch und ehrlich Risiken und Lösungen von Problemen bei einer Technologie vorherzusehen und abzuwägen. Im Falle der Atomkraft ist das eben nicht geschehen; denn auch nach 70 Jahren des Einsatzes ist die Entsorgungsfrage, vor allem des hochradioaktiven Atommülls, immer noch nicht gelöst. Wir bürden damit vielen nachfolgenden Generationen Abfälle auf, obwohl nur wenige Generationen einen direkten Nutzen aus dem Atomstrom gezogen haben. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist einfach unverantwortlich, und es verstößt im Übrigen auch gegen das von Ihnen immer wieder zitierte Grundgesetz, das nämlich fordert, dass mit den Ressourcen und der Umwelt so umzugehen ist, dass die Lebensgrundlagen für die nachfolgenden Generationen erhalten bleiben.

(Zustimmung von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Dazu lässt sich - neben der Entsorgungsproblematik - nachweisen, welche Schäden die risikobehaftete Technologie für Menschen und Umwelt hervorruft. Neben den allseits bekannten Reaktorunglücken von Tschernobyl und Fukushima haben weitere Atomunfälle für schwere Umweltschäden gesorgt. Da ist z. B. im Jahr 1979 in den USA der Damm eines Abraumbeckens gebrochen und die USA selbst betiteln dieses Unglück als „größten atomaren Unfall in ihrer eigenen Geschichte“. Die Liste größerer und kleinerer Unfälle ließe sich übrigens beliebig fortsetzen.

Aber bereits die Förderung von Uran birgt immense Risiken. Mehr als 99 % des Uranerzes müssen nach der Aufbereitung als Abraum auf Halde oder als Bergbauschlamm in Abraumbecken gelagert werden - also weniger als 1 % Urangehalt im Erz  , und dafür wird eine riesige radioaktive Kontaminationsquelle - und damit eine ständige Bedrohung für die Umwelt - geschaffen. Was im Übrigen die Sanierung solcher Gebiete betrifft, sollten wir in Mitteldeutschland doch einmal gut vor Augen haben: Bis 2020 hat die Sanierung der gesamten Hinterlassenschaften der Wismut in Westsachsen und Ostthüringen bisher fast 7 Milliarden € verschlungen und der Prozess ist immer noch nicht abgeschlossen. Also, meine sehr geehrten Damen und Herren, Nachhaltigkeit sieht aus meiner Sicht ganz anders aus.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Damit sind wir bei dem Thema der vermeintlichen Nachhaltigkeit von Atomkraft, wie sie nach der EU-Taxonomie vorgenommen wurde. Das ist einfach Unsinn. Ich kann doch nicht die Nachhaltigkeit allein anhand der Stromerzeugung aus Atomkraft beurteilen und dabei gleichzeitig Uranabbau, Baustoff- und Energieeinsatz beim Bau von Kraftwerken und der Herstellung von Brennstäben sowie die Sicherheit im Betrieb, die Endlagerung und die Auswirkungen auf die Umwelt nicht berücksichtigen. Das funktioniert nicht. Wenn man dann eine ganzheitliche Betrachtung vornimmt, sieht auch die viel gerühmte, tolle CO2-Bilanz schon einmal ganz anders aus. Im Übrigen - auch das steht in dieser sehr interessanten Publikation  : Sollte die Kernenergie Deutschland spürbar von CO2-Emissionen entlasten, brauchten wir nach Schätzung des BASE bis zu 150 Kernkraftwerke in Deutschland. Dazu kann ich dann nur sarkastisch sagen: Viel Spaß bei der Standortsuche!

(Zustimmung von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Außerdem kommen Bauzeiten von mindestens 15 Jahren hinzu; aber wir sind doch in der Situation, dass wir CO2 sofort drastisch reduzieren müssen. Dabei helfen uns solche langfristigen Projekte überhaupt nicht. Sie sind also keine Option.

Nun kommen wir noch einmal zu der Behauptung, dass Atomstrom unabdingbar sei. Die Ministerin hat in Vertretung des zuständigen Ministers vorgetragen, dass heute in Deutschland und weltweit nur noch rund 10 % der Stromproduktion aus Atomenergie kommen und wir damit eigentlich keinen großen Player mehr vor uns haben. Flexibel, Herr Silbersack, ist diese Technologie überhaupt nicht.

(Zustimmung von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Sieht man sich an, mit welchen Problemen Kernkraftwerke z. B. im vergangenen Sommer allein wegen des Wassermangels in Frankreich zu kämpfen hatten und dass wegen anderer technischer Mängel fast die Hälfte abgeschaltet werden musste, dann erscheint die Grundlastfähigkeit in einem ganz anderen Licht. Und ja, billig ist der Atomstrom eben auch nicht; denn ohne massive Subventionen - also Steuergeld - wäre dies überhaupt nicht möglich und würde sich nicht rechnen.

(Zustimmung von Hendrik Lange, DIE LINKE - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Genau!)

Im Übrigen wäre Atomstrom heute viermal so teuer wie Strom aus Windkraftanlagen.

(Tobias Rausch, AfD: Stimmt doch gar nicht!)

Und ja, die Sicherheitsrisiken bei Kernkraft sind immens. Niemand versichert heute überhaupt solch ein Atomkraftprojekt. Die Risiken sind einfach zu hoch - und wer bezahlt dann dafür, wenn etwas passiert? Hinzu kommt, dass mit der zivilen Entwicklung immer auch die militärische Verwendung, also Atombomben, einhergeht.

(Tobias Rausch, AfD: Wir haben Atombomben in Deutschland!)

Das ist wiederum kaum kontrollierbar und muss endlich beendet werden. Wenn wir dann noch in die Ukraine schauen, wo eines der größten Kernkraftwerke der Welt in Saporischschja, mitten im Kriegsgebiet, liegt und hart umkämpft war und ist, dann wird doch deutlich, wie wenig die Sicherheit von Kernkraftwerken gewährleistet werden kann. Die Welt hat aus meiner Sicht absolut berechtigt Angst vor einem Super-GAU durch die Kriegshandlungen.

Außerdem stellt sich noch eine Frage: Woher kommen die tollen und viel gerühmten Brennstäbe? Einer der größten Exporteure ist Russland, und, meine sehr geehrten Damen und Herren, das wollen Sie wirklich in Erwägung ziehen? Also, das kann man überhaupt nicht mehr nachvollziehen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ja, dann sind da noch so tolle, angeblich vielgepriesene Technologien wie Transmutation; auch das ist eher ein Irrglaube und mehr Fiktion als Realität. Das würde im Endeffekt natürlich auch bedeuten, dass die Atomindustrie wiederaufgebaut werden müsste, und das lehnen wir aus den oben genannten Gründen ab. In Bezug auf die Kernfusion, na ja, sind wir meilenweit von der technischen Umsetzung entfernt. Das hilft uns bei der aktuellen Klimakatastrophe auch nicht.

(Andreas Silbersack, FDP: Unglaublich! - Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

Ich finde, dass wir in dieser Legislaturperiode schon viel zu viel Energie dafür verschwendet haben, über Atomkraft zu debattieren, statt diese Energie in den dringenden Ausbau der erneuerbaren Energien hier im Land zu stecken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren der FDP-Fraktion, mit dieser Aktuellen Debatte haben Sie aber wirklich in die Mottenkiste gegriffen.

(Unruhe bei der FDP - Tobias Rausch, AfD: So ein Quatsch!)

Verantwortung für die Landesentwicklung, die Menschen, die Energieversorgung und die Umwelt, die Wirtschaft und den Klimaschutz sieht wahrlich anders aus. - Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)