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Plenarsitzung

Transkript

Monika Hohmann (DIE LINKE):

Recht schönen Dank. - Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Die heute geführte Aktuelle Debatte ist derzeit richtig und in Anbetracht des Bundeskabinettsbeschlusses zur Fachkräfteeinwanderung mehr als notwendig. Auf diesem Wege will die Bundesregierung dem Arbeitskräftemangel begegnen, in dem es für Menschen aus Nicht-EU-Ländern attraktiver wird, in Deutschland zu arbeiten.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die aktuellen Gegebenheiten und Entwicklungen in den Bereichen Arbeitsmarkt und Fachkräfte politische Aufmerksamkeit sowie Lösungen benötigen. Doch bevor ich mit meinen Ausführungen fortfahre, möchte ich Ihren Blick auf die Definitionen von Arbeitskräftemangel und Fachkräftemangel lenken. Darüber habe ich mich in Vorbereitung auf meine Rede informiert. Das ist wichtig zu wissen; denn die Begriffe werden immer durcheinander geworfen. Aber was ist nun was?

Bei der Bundeszentrale für politische Bildung habe ich folgende Definition gefunden:

„Von einem Arbeitskräftemangel kann gesprochen werden, wenn Betriebe […] mehr Stellen zu besetzen haben als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Betriebe würden dann bspw. auf Stellenausschreibungen keine oder nur wenige Bewerbungen erhalten. Als Arbeitskräfte werden, unabhängig von ihrer Qualifikation, alle arbeitsfähigen Personen bezeichnet. […] Von einem Fachkräftemangel kann dann gesprochen werden, wenn die Nachfrage nach Fachkräften“

- also nach Personen, die eine anerkannte akademische Ausbildung oder eine anerkannte mindestens zweijährige Berufsausbildung absolviert haben  

„über einen längeren Zeitraum nicht mehr ausreichend gedeckt werden kann.“

Gemäß den Angaben der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur dauerte es im Zeitraum September 2021 bis August 2022 durchschnittlich 140 Tage, bis eine sozialversicherungspflichtige Stelle in Sachsen-Anhalt besetzt werden konnte. Begründet wird dies oftmals mit einem bestehenden Fachkräftemangel, welcher aufgrund des demografischen Wandels besteht.

Aber schauen wir uns die Zahlen genauer an. Die Zahlen zeigen erst einmal einen Arbeitskräftemangel und belegen, dass sich nur wenige Personen auf die Stellenangebote in Sachsen-Anhalt bewerben. Gemäß der aktuellen Ausgabe des Statistischen Landesamtes leben in Sachsen-Anhalt 867 429 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte - jetzt kommt es  , wobei nur 805 193 Beschäftigte ihren Arbeitsort in Sachsen-Anhalt haben. Mehr als 60 000 Menschen sind zwar sozialversicherungspflichtig beschäftigt, aber arbeiten nicht in Sachsen-Anhalt. Dies lässt vermuten, dass eine hohe Zahl an Arbeitskräften in anderen Bundesländern tätig ist.

Schauen wir uns doch einmal den Bereich der Pflege an. Bundesweit sowie hierzulande wird von einem Fachkräftemangel gesprochen. Studien zeigen, dass aktuell 290 000 Stellen offen sind, und prognostizieren, dass die Zahl auf 1,8 Millionen offene Stellen im Jahr 2035 ansteigen wird.

Doch auch wenn in all diesen Fällen von Arbeitskräfte- sowie Fachkräftemangel gesprochen wird, zeigt die Realität, dass die aktuellen Begriffsverwendungen fehl am Platz sind. So zeigt die Studie „Ich pflege wieder, wenn…“, dass mindestens 300 000 Vollzeitpflegekräfte durch Wiedereinstieg in den Beruf oder durch eine Aufstockung der Arbeitszeit zur Verfügung stehen würden, wenn die Arbeitsbedingungen in der Pflege sich deutlich verbessern würden.

Des Weiteren zeigt die Untersuchung, dass die Beschäftigungsquote in den Pflegeberufen in den vergangenen fünf Jahren überdurchschnittlich um 14 % gestiegen ist, dass das Gesundheitswesen, das in der Coronapandemie Höchstleistungen erbracht hat, zu den wenigen Branchen in Deutschland gehörte, die nicht von einem Beschäftigungsrückgang betroffen waren.

Demzufolge zeigt sich, dass die oben genannte Zahl an offenen Stellen bundesweit vollständig gedeckt werden könnte, wenn die Arbeitsbedingungen in der beruflichen Pflege verbessert werden, und dass dementsprechend ausreichend Fachkräfte verfügbar sind.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Auch im Jahr 2019 zeigte eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, dass nur bei sieben von 144 Branchen die Zahl der offenen Stellen die Zahl der Arbeitslosen übersteigt.

In Sachsen-Anhalt wird insbesondere ein Arbeitskräftemangel im Handwerk verzeichnet. Die dramatische Situation in einigen Handwerksberufen bestätigt auch unsere Kleine Anfrage im Bundestag. Im Kern zeigt sie jedoch, dass die erfolglose Personalsuche der Unternehmen oftmals ihre Ursache in häufig schlechteren Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen hat, nicht aber in einer unzureichenden Anzahl an Arbeitskräften.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist zu begrüßen, dass der Arbeitsmarkt für Menschen aus Ländern außerhalb der Europäischen Union geöffnet wird. Diese Öffnung ist richtig und wichtig, muss aber nach dem Grundsatz „Gute Arbeit für alle“ erfolgen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Deutschland braucht die Zuwanderung, aber wir brauchen keine Konkurrenz und Unterbietung auf dem Arbeitsmarkt. Denn nach dem aktuellen Debattenverlauf wird nur darauf gesetzt, dass Unternehmen möglichst billig und unkompliziert Fachkräfte aus dem Ausland bestellen. Jedoch können die Herausforderungen der Fachkräfteentwicklung nicht durch die weitere Ausbeutung von migrantischen Arbeits- und Fachkräften gelöst werden.

Somit sind also die Ursachen für einen Fachkräftemangel richtig zu benennen, der derzeit lediglich in einer sehr begrenzten Zahl von Branchen anzutreffen ist. Die Bundesregierung unternimmt zu wenig, um dort gezielt für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen.

Auch wenn sich mit dem Bürgergeld-Gesetz die Weiterbildungsbedingungen für Leistungsbezieherinnen in der Grundsicherung verbessert haben, haben wir schon mit unserem Antrag zum Bürgergeld im Oktober aufgezeigt, wie Menschen in der Langzeitarbeitslosigkeit geholfen werden kann.

Und ja, wir müssen in unsere Schülerinnen und Schüler im Land investieren. Aber unter den aktuellen Gegebenheiten des Lehrerinnenmangels an unseren Schulen ist es mehr als bedenklich, dass 11,6 % unserer Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2021/2022 die Schule ohne Abschluss verlassen haben. Das sind allein im letzten Schuljahr 2 070 Jugendliche, die nun versuchen müssen, ihren Weg ins Leben und den Beruf ohne Schulabschluss über andere Wege, die Frau Ministerin vorhin aufgezeigt hat, zu finden. Das ist - das muss ich ganz ehrlich sagen - eine Schande für Sachsen-Anhalt.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn wir beklagen den Fachkräftemangel und lassen es zu, dass mehr als 2 000 Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss in die Welt hinausgehen. Ein erfolgreicher Schulabschluss ist die Voraussetzung dafür, in Sachsen-Anhalt qualifizierte Fachkräfte ausbilden zu können. Auf diesem Weg können wir auch der nächsten Generation an Langzeitarbeitslosen präventiv vorbeugen. Hierzu benötigen unsere Schülerinnen und Schüler unter anderem einen uneingeschränkten Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Bildung, und zwar unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was brauchen wir nun, um den aktuellen Problemlagen entgegenzuwirken? - Zu Beginn müssen wir die Rechtslage von der Duldung hin zu einem echten Bleiberecht für Geflüchtete mit Arbeits- und Ausbildungsplatz formulieren und rechtssicher für alle Beteiligten gesetzlich verankern, damit die Einwanderung bzw. Einbürgerung nicht zur Ausbeutung der zugewanderten Fachkräfte führt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen an den Arbeitsbedingungen und rechtlichen Rahmen arbeiten. Es ist unter anderem erforderlich, unbefristete Arbeitsverträge zur Regel zu machen, Mini- und Midi-Jobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umzuwandeln und somit den Niedriglohnsektor zurückzubauen und die zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Wochen auf 40 Stunden zu reduzieren

(Guido Kosmehl, FDP, lacht)

und in diesem Kontext ggf. in einigen Bereichen über eine generelle Arbeitszeitverkürzung nachzudenken, um bspw. Frauen und Kinder vor Familien- und/oder Altersarmut zu schützen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: Bei vollem Lohnausgleich, nicht wahr!)

Zudem müssen wir Sachsen-Anhalt als lebenswertes Bundesland für alle gestalten. Wir brauchen eine funktionierende Sorge- und Sozialstruktur in den Bereichen Bildung, Wohnen und Gesundheit sowie gute Kitas bis hin zu Freizeitangeboten für alle Familienmitglieder.

Auf diesem Weg können wir die Abwanderung von qualifiziertem Fachpersonal vermeiden und die Attraktivität des Standortes Sachsen-Anhalt für alle potenziellen Arbeitskräfte steigern. Alles andere stellt nur eine Symptombehandlung dar, behebt aber nicht die Ursachen der Problemlagen am Arbeitsmarkt. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN)