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Plenarsitzung

Transkript

Guido Kosmehl (FDP):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar dafür, dass ich erst zu einem so späten Zeitpunkt in die Debatte einsteigen darf, weil es mir die Gelegenheit gegeben hat, nach dem Redebeitrag des Kollegen Schulenburg mein Gemüt etwas abzukühlen.

(Zustimmung von Rüdiger Erben, SPD)

Herr Kollege Schulenburg, ich hatte gehofft, dass sich die Union, also auch die CDU, insbesondere die CDU Sachsen-Anhalts, langsam mit der Tatsache vertraut gemacht hat, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das checken die nicht! Das wollen die nicht! - Zurufe von der AfD: Das muss ja nicht so sein! - Nee!)

Das war aber in der Geschichte schon immer so. 

(Zurufe von der AfD)

Vielleicht beschäftigen Sie sich einmal mit unserer Geschichte. 

(Zuruf von der AfD: Das machen wir ständig! - Guido Heuer, CDU: Zu Recht!)

- Ja, Sie aber nur mit Teilbereichen.

(Lachen und Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Guido Heuer, CDU, lacht)

Wenn Sie sich einmal ernsthaft damit beschäftigen, dass in den letzten zwei Jahrhunderten sehr viele Volksgruppen nach Deutschland zugewandert sind, hier ihre Heimat gefunden haben und sich sowie ihre Nachkommen heute - ich glaube, zu Recht - als Deutsche bezeichnen, müssen wir endlich der Tatsache ins Auge sehen: 

(Zurufe von der AfD)

Deutschland ist ein Einwanderungsland.

(Zustimmung bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und, meine Damen und Herren, ähnlich wie die Vereinigten Staaten von Amerika, 

(Zuruf von der AfD: Heißen die Franzosen? Oder was? - Weitere Zurufe von der AfD) 

für die wir sozusagen auch dankbar sein müssen, dass sie in der dunkelsten Stunde unserer Geschichte viele unserer Mitbürger aufgenommen haben und ihnen eine Heimat gegeben haben, 

(Zuruf von der AfD: Ja!)

ihnen Möglichkeiten gegeben haben, so müssen wir das auch für die Bundesrepublik Deutschland in der Zukunft sehen. 

(Zuruf von der AfD: Das haben aber alle gemacht!)

Für die Freien Demokraten will ich klar sagen: Wir machen das nach dem Viertürenmodell: Erstens. Das Grundrecht auf Asyl ist Teil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. 

(Zuruf: Ja!)

Wer das Asylrecht infrage stellt, stellt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der FDP: Richtig! - Zuruf: Ach nee! - Unruhe bei der AfD) 

Der zweite Punkt sind die aufgrund internationaler Abkommen verpflichtendem subsidiären Schutz Unterliegenden, diejenigen, die vorübergehend aus Kriegsgebieten flüchten müssen. Auch die müssen wir aufnehmen.

(Zuruf: Ja! - Zuruf von der AfD: Wir müssen alle aufnehmen!)

Die dritte Tür ist die qualifizierte Zuwanderung; denn wir haben das Problem, dass wir Fachkräfte brauchen.

(Beifall bei der FDP - Jan Scharfenort, AfD: Die kommen doch nicht nach Deutschland! So was!)

Wenn wir nicht endlich qualifizierte Zuwanderung organisieren,

(Jan Scharfenort, AfD: Die machen einen großen Bogen um Deutschland!)

dann werden wir auf Dauer riesige Probleme bekommen.

(Zurufe von der AfD)

Die vierte Tür, meine sehr geehrten Damen und Herren, geht nach außen auf. Die vierte Tür sind Rückführungen;

(Zuruf von der AfD: Ach!)

denn es gehört zu einem Gesamtkonzept dazu, dass diejenigen, die kein Bleiberecht, und zwar ein rechtsstaatlich festgestelltes Bleiberecht, haben,

(Zurufe von der AfD)

unser Land wieder verlassen müssen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP - Gordon Köhler, AfD: Meistens! - Zurufe: Das kann doch wohl nicht wahr sein! - Ach! - Dann machen Sie das doch einfach mal! -Oh! - Machen wir doch! - Weitere Zurufe von der AfD)

Ich bin der Ampelkoalition ausdrücklich dankbar dafür, 

(Zurufe von der AfD: Was soll denn das? - Ach! - Oh!)

dass wir uns gerade jüngst - ich glaube, vor einer Woche oder vor eineinhalb Wochen - auf die Eckpunkte verständigt dafür haben, dass wir endlich den Weg für ein qualifiziertes Zuwanderungsgesetz in Deutschland schaffen. 

(Zuruf von der AfD: Jawohl! Weiter so!)

Im ersten Quartal des nächsten Jahres soll der Gesetzentwurf im Kabinett beschlossen werden. Er wird dann sicherlich diskutiert.

(Zuruf von Jan Scharfenort, AfD)

Des Weiteren will ich an der Stelle ausdrücklich sagen: - Frau Ministerin, wir können gern das Spiel „Was macht der Bund? - Was macht der Bund nicht?“ spielen. Das geht aber am besten, wenn man seine eigenen Hausaufgaben macht.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD) 

Wenn wir uns die Zahlen ansehen - das ist weniger Ihre Statistik als die Ihrer Vorgänger Holger Stahlknecht und Michael Richter  , dann beantwortet sich die Frage, wie viele Rückführungen, Abschiebungen es aus Sachsen-Anhalt gab. Da ist Sachsen-Anhalt zwar noch vor Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, aber da ist noch Luft nach oben. Und wie es geht, wie es gehen kann, wenn eine Landesregierung Rückführung und Abschiebung quasi nach vorn schiebt, hat der liberale Integrationsminister Joachim Stamp in NRW in den vergangenen fünf Jahren deutlich gemacht. Da sind die Zahlen nämlich exorbitant nach oben gegangen, weil man konsequent auf Rückführung und Abschiebung gesetzt hat, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Zurufe von Ministerin Dr. Lydia Hüskens und von Ulrich Thomas, CDU) 

Ich habe in der Sitzung des Innenausschusses - Sie waren bei der IMK; vielleicht hat es der Staatssekretär berichtet  , im Rahmen der Haushaltsberatungen gefragt, warum wir die Ansätze für die freiwilligen Ausreisen und Rückführungen absenken. Das ist nämlich nicht das Zeichen, dass man das als Priorität ansetzt und dass man auch an dieser Stelle vorangeht. 

Ich will ganz deutlich sagen, Frau Ministerin, bei dem Punkt, den Sie hier angekündigt haben - wir haben bereits einmal darüber gesprochen -, bin ich sehr bei Ihnen.

(Ministerin Dr. Lydia Hüskens nickt)

Die Frage eines Bundesaufnahmeprogramms ohne die Länder - bisher nur im Benehmen mit diesen - müssen wir anders regeln. Ich sehe auch, dass der Bund keine grundsätzlichen Zusagen machen kann und die Länder dann etwas - ich sage es in Anführungsstrichen - hilflos nur noch damit agieren können. Ich glaube, dabei ist eine bessere Verständigung sinnvoll. Ich glaube auch, dass sie machbar ist. Jedenfalls kann ich für die Freien Demokraten im Landtag von Sachsen-Anhalt zusagen, dass ich dieses Anliegen durchaus mit nach Berlin tragen und dafür werben werde, dass wir eine   g e m e i n s a m e   Politik von Ländern und Bund machen, um in der Frage der Migration voranzukommen.

Herr Kollege Schulenburg, Sie haben die seehofersche Obergrenze angesprochen - es war quasi die Rettung, damit die Union nicht auseinanderbricht, dass man so eine Zahl in der GroKo durchsetzt, 

(Oh! bei der AfD)

um zu zeigen, dass man da etwas begrenzen muss  ,

(Daniel Roi, AfD: Das hat Herr Haseloff hier auch schon gesagt!)

haben dann aber die ganze Zeit über die Flüchtlinge aus der Ukraine gesprochen. Entschuldigung: Die fallen nicht darunter. Wenn wir da eine Obergrenze gezogen hätten - wir sind mit Stand 8. November 2022 bei 1 024 841 in Deutschland und knapp acht Millionen in Europa gewesen  , hätten wir wenig Hilfsbereitschaft gegenüber der Ukraine gezeigt. Ich bin dankbar dafür, dass wir gerade mit Blick auf die Ukraine nicht irgendwelche Obergrenzen gezogen, sondern zunächst einmal unsere Hilfsbereitschaft ausgedrückt und das hier im Land sehr gut umgesetzt haben.

Eine letzte Bemerkung sei mir an der Stelle noch erlaubt. Das sind vielleicht Hausaufgaben, die wir uns alle selbst mitnehmen können. Es gibt einen Migrationsmonitor. Bei einer Zahl bin ich ein bisschen stutzig geworden. Dem muss man hinterhergehen. Die Erwerbstätigkeit der Bevölkerung mit Migrationshintergrund liegt in Deutschland im Jahr 2019 - das ist die letzte Zahl, die veröffentlicht wurde - bei 68,9 %, in Sachsen-Anhalt nur bei 55,2 %. Wir sind das Schlusslicht.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE - Zuruf von den GRÜNEN)

Wir sollten wirklich schauen, ob wir nicht an der Stelle einiges zu tun haben, gerade wenn wir mit Blick auf Fachkräfte Leute gewinnen wollen. Da scheinen wir noch Nachholbedarf zu haben.

(Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP - Zuruf: Ja!)

Ich will das hier keiner politischen Farbe zuweisen, weil wir mit Ausnahme der AfD in den vergangenen 30 Jahren alle hier einmal Verantwortung getragen haben. Aber das sind so Punkte, bei denen ich glaube, wenn wir da in der Integration vorankommen, dann ist der Sprung, ob ich hier dauerhaft geduldet lebe oder ob ich den Weg gehe, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, am Ende nicht mehr so weit. Es kommt doch darauf an, die Menschen hier zu integrieren. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, würden wir gern mitnehmen.

(Zuruf: Ja, machen Sie das! - Weitere Zurufe)

Weil das Staatsangehörigkeitsrecht jetzt noch einmal angesprochen worden ist, will ich an der Stelle noch einen Satz sagen. Ich bin in vielen Punkten mit Nancy Faeser darin übereingekommen - wir haben das ja verabredet  , dass wir da etwas machen wollen. Aber es gibt ein paar Punkte, an denen es auch für die Freien Demokraten noch deutlichen Rede-, Diskussions- und Änderungsbedarf gibt. Das liegt einfach an der Frage der Sprache. Die Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Ohne Sprachkenntnisse kann es keine Staatsangehörigkeit geben.

Wir als Freie Demokraten und ich besonders als Jurist - ich habe mich viel mit internationalem Privat- und Zivilverfahrensrecht beschäftigt - 

(Zuruf von der AfD)

sind der Meinung, Mehrstaatlichkeit auf Dauer ist ein Problem.

(Zuruf von der AfD)

Deshalb haben wir als Freie Demokraten gesagt, spätestens in der Enkelgeneration muss man sich entscheiden, ob man den türkischen Pass oder den deutschen Pass will.

(Zustimmung bei der CDU)

Das müssen wir bei der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts verankern. Ich glaube, das können wir auch in Berlin besprechen. Wir brauchen sowieso die Länder im Bundesrat. Das heißt, es wird eine Diskussion. Ich möchte nur um eines bitten, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, auch und insbesondere aus der CDU: Lassen Sie uns die Diskussion sachlich führen! Keine „Kinder statt Inder“, keine Staatsangehörigkeitswahlkampagnen mehr wie in Hessen 1999. Wir können sachlich über vieles reden. Dann können wir gute Ergebnisse erzielen. Das ist meine Hoffnung in der Diskussion im nächsten Jahr über die Zukunft von Einwanderung und Staatsangehörigkeit.

(Beifall bei der FDP - Zurufe - Unruhe)