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Plenarsitzung

Transkript

Dr. Katja Pähle (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Land geht gemeinsam durch eine große Krise, die Bürgerinnen und Bürger genauso wie die Unternehmen. Alle haben durch Kriegsfolgen, Inflation und gestörte Lieferketten hohe Belastungen zu tragen. Aber anders als in anderen Krisensituationen erleben wir keinen Anstieg der Arbeitslosigkeit, sondern einen unvermindert hohen ungedeckten Bedarf an Arbeitskräften.

In dieser Lage sollten politische Verantwortungsträger ein eindeutiges Signal aussenden: Wir brauchen und wir wollen jeden und jede.

(Zustimmung bei der SPD)

Stattdessen hat sich die Union dafür entschieden, in der Debatte über das Bürgergeld die Botschaft an die Menschen zu senden: Wir misstrauen euch allen. - Das ist ein fatales Signal.

Meine Damen und Herren! Im Bundesrat gab es am Montag keine Mehrheit für das vom Deutschen Bundestag beschlossene Bürgergeld. Das liegt leider auch daran, dass sich schwarz-grüne, grün-schwarze Länder ebenfalls der Stimme enthalten mussten, wie z. B. auch Sachsen-Anhalt. Ich hoffe, werte Kollegen der GRÜNEN, auch mit dem Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg kann man jetzt gemeinsam auf einem guten Weg unterwegs sein.

Ich will hier eines ganz deutlich sagen:

Es hätte unserer Landesregierung gut zu Gesicht gestanden, dem Gesetz zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Denn es ist ein Gesetz, das in Sachsen-Anhalt überdurchschnittlich vielen Menschen hilft. Es ist ein Gesetz, das Familien stärker macht, gerade in Zeiten der Krise. Dass das Bürgergeld für Sachsen-Anhalt so wichtig ist, liegt nicht einmal an den Arbeitslosenzahlen, jedenfalls nicht nur. Es liegt vor allem auch an den vielen Niedriglohnverdienern und Mindestlohnempfängern, die ebenfalls vom Bürgergeld profitieren werden. Für viele Erwerbstätige in Sachsen-Anhalt wäre es ein Rückschlag, wenn eine Verständigung zum Bürgergeld scheitern würde.

(Beifall bei der SPD)

Ich respektiere natürlich den Grundsatz, dass unterschiedliche Auffassungen der Koalitionspartner zu einem Gesetzentwurf zur Enthaltung im Bundesrat führen. Wovor ich jedoch keinen Respekt habe, sind falsche Behauptungen, mit denen auf Bundesebene Friedrich Merz und Markus Söder und heute hier im Parlament Herr Siegmund in gekonnter Art und Weise, wie wir das kennen, gegen das Bürgergeld zu Felde ziehen.

(Zuruf von Daniel Roi, AfD)

Es ist unwahr, dass sich Erwerbsarbeit nach der Einführung des Bürgergeldes nicht mehr lohnen würde. Es ist unwahr, dass man mit Nichtstun mehr verdienen kann als mit Arbeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es ist es ist unwahr, dass das Bürgergeld der Einstieg in ein bedingungsloses Grundeinkommen ist. Es ist unwahr, dass die beabsichtigten Regelungen zum Bürgergeld für Leistungsempfänger aus dem Asylbewerberleistungsgesetz gelten. Diese bleiben in diesem Bezug. Das betrifft übrigens eine große Gruppe, die gerade in den Mittelpunkt dieser Diskussion gestellt wurde. Diese Infos sind falsch.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN und von Guido Kosmehl, FDP)

Das Gegenteil ist richtig.

(Zuruf von der AfD)

Das Bürgergeld ist das bislang größte Paket, um Menschen beim Weg aus der Arbeitslosigkeit zu helfen, um sie zu motivieren und zu qualifizieren. 539 € hat ein Single durch Arbeit mehr zur Verfügung als durch Bürgergeld. 812 € sind es bei einer oder einem Alleinerziehenden mit einem 14-jährigen Kind. 774 € mehr sind es für ein Paar mit zwei kleinen Kindern. Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Das sind Fakten. Arbeit lohnt sich in Deutschland immer.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der AfD)

Deshalb warten wir darauf, dass von der Union sachliche Kritik und konstruktive Vorschläge zum Bürgergeld kommen und keine Taschenspielertricks mit falschen Zahlen. Ihre immer wiederkehrenden Forderungen, Leistung müsse sich lohnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, wird auch nicht gerade glaubwürdiger, wenn sie am Tag der Bundestagsentscheidung in einer Pressemitteilung fordern, die Erhöhung des Mindestlohns auszusetzen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Angesichts solcher Vorschläge, mit denen sie sogar Erwerbstätige noch auf Hartz IV drücken wollen, kann ich Krokodilstränen um das Abstandsgebot überhaupt nicht nachvollziehen und verstehen;

(Beifall bei der SPD)

ganz zu schweigen davon, was solch ein Eingriff für die Lebensbedingungen von Arbeitnehmerinnen und ihren Familien mitten in der Krise bedeuten würde. Aber es gibt natürlich noch einen anderen Grund, warum sich Arbeit immer lohnt: Arbeit ist der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe.

(Zustimmung von Kathrin Tarricone, FDP)

Deshalb muss ein moderner Sozialstaat alles daran setzen, dass Menschen nicht in Arbeitslosigkeit verharren, sondern dass sie ihren Platz auf dem Arbeitsmarkt finden. Es gab auch gute Gründe dafür, dass die rot-grüne Bundesregierung vor 20 Jahren die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik einem veränderten Wirtschaftsumfeld angepasst hatte. Aber Hartz IV hatte irreparable Konstruktionsfehler. Einige davon sind übrigens im damaligen Vermittlungsausschuss ausgehandelt worden. Der größte Mangel von Hartz IV war und ist bis heute, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die viele Jahre gearbeitet und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt haben, nach einem Jahr vergeblicher Arbeitssuche genauso behandelt werden wie Menschen, die noch nie gearbeitet haben, und dass sie den Ertrag ihres Arbeitslebens opfern müssen, um Hilfe zum Lebensunterhalt zu bekommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, jeder Selbstständige, der heute vielleicht auch unter den Bedingungen der Krise seinen Betrieb schließen muss, fällt in das aktuell geltende System von Hartz IV. Kein Schonvermögen, kein Eigenheim. Das ist doch eigentlich genau Ihre Klientel und genau für diese sind die angehobenen Schonvermögen und die Nichtprüfung des Wohnumfeldes aufgenommen worden, auch unter den Bedingungen von Corona.

(Zuruf von Matthias Redlich, CDU)

Die betroffenen Menschen gehen reibungslos ohne Arbeitslosengeld I in Hartz IV. Das tragen Sie mit Ihrer Argumentation mit. Das wundert mich wirklich.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

Aber es gibt bei Hartz IV neben Fehlern im Gesetz vor allem auch Fehler im Vollzug. Nicht ohne Grund fallen in der Diskussion über das Bürgergeld immer Worte wie Respekt und Kultur. Das zieht sich durch vom Grundsatzbeschluss der SPD für einen neuen Sozialstaat aus dem Jahr 2019 bis hin zum jetzigen Gesetzentwurf für das Bürgergeld. Ja, wir müssen weg von einer Kultur des Misstrauens im Umgang mit arbeitslosen Menschen hin zu einer Kultur der Bestätigung und Förderung. Dafür sind die Instrumente von Vertrauenszeit und Karenzzeit richtig. Sie geben allen Beteiligten die notwendige Zeit, um die richtigen Qualifizierungsinstrumente und die passenden Jobangebote zu finden und auch um den Schulabschluss nachzuholen. Es ist notwendig, denen zu helfen, die teilweise schon in zweiter Generation noch nie Teil des Arbeitsmarkts sind.

Und ganz ehrlich: Diese Klientel bringen wir doch in dem jetzigen System auch nicht in Arbeit. Die Vermittlung in kurzfristige Hilfstätigkeiten sorgt doch nur dafür, dass diese Menschen über eine Drehtür ganz schnell wieder im Jobcenter sind. Auch an dieser Stelle brauchen wir Veränderung; denn wir wollen und brauchen jeden und jede auf unserem Arbeitsmarkt.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN - Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP)

Meine Damen und Herren! Nun werden wir also zum ersten Mal seit Langen mit einem bedeutenden Gesetzentwurf in den Vermittlungsausschuss gehen. Ein Kompromiss im Vermittlungsausschuss ist kein Teufelszeug, im Gegenteil. Der Vermittlungsausschuss ist ein einmaliges Instrument unseres Grundgesetzes, das institutionelle Konflikte auflösen und parteiübergreifende Problemlösungen möglich machen kann. Es kommt natürlich darauf an, mit welchen Intentionen man in das Vermittlungsverfahren einsteigt. Ich erwarte, dass sich die Vertreterinnen und Vertreter der Länder im Vermittlungsausschuss an dem orientieren, was im Bundesrat ihre Aufgabe ist, nämlich die Interessen ihres Landes zu vertreten.

Sachsen-Anhalts Interesse kann es nicht sein, dass ein großes Reformvorhaben dauerhaft blockiert wird und Arbeitsmarktpolitik weiterhin mit den Instrumenten von vor 20 Jahren gestaltet wird. Sachsen-Anhalts Interesse kann es nicht sein, dass Familien mit geringem Einkommen in der gegenwärtigen Lage nicht stärker unterstützt werden. Sachsen-Anhalts Interesse kann es nicht sein, dass wir uns mitten in der Krise einen ideologischen Dauerkonflikt leisten. Sachsen-Anhalts Interesse kann es auch nicht sein, dass der unter Corona eingeführte erleichterte Zugang zur Grundsicherung für Selbstständige zum Jahresende wegfällt, im Gegenteil. Gerade unser Land hat ebenso wie die anderen ostdeutschen Länder ein erhebliches Interesse daran, dass im Vermittlungsausschuss eine an der Sache orientierte Lösung gefunden wird. Ich setze darauf, dass sich Ministerpräsident Haseloff als ordentliches Mitglied des Vermittlungsausschusses und als ausgewiesener Experte im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ebenso wie Minister Willingmann als stellvertretendes Mitglied für eine solche Lösung einsetzen werden.

Ich finde, gerade bei diesem Thema ist es wieder einmal angemessen, Regine Hildebrandt zu zitieren. „Erzählt mir doch nicht, dass es nicht geht.“

Ich bin überzeugt, es geht. Ein mehrheitsfähiges Bürgergeld ist machbar. Darauf setze ich. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Ich setze darauf, dass Sie die Frage von Herrn Siegmund beantworten.


Dr. Katja Pähle (SPD):

Ja.


Ulrich Siegmund (AfD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Dr. Pähle, ich bin Ihrer Rede genau gefolgt. Sie haben anhand verschiedener Rechenbeispiele vorgetragen, inwieweit sich Arbeit im Vergleich zum Bürgergeld lohnt in Bezug auf verschiedene Familienkonstellationen. Sie haben gesagt, für zwei Erwerbstätige mit zwei Kindern würde sich ein Mehr von 870 € ergeben.


Dr. Katja Pähle (SPD):

Moment, das kann ich Ihnen gleich noch einmal sagen.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Lassen Sie ihn doch erst einmal fragen.


Dr. Katja Pähle (SPD):

Fragen Sie erst einmal, genau.


Ulrich Siegmund (AfD):

Ungefähr 800 €. Frage: Die beiden müssen aber auch irgendwie zur Arbeit kommen. Das heißt, sie müssen ein Auto finanzieren, ggf. zwei Autos. Sie haben mindestens 200 € bis 300 € Kosten pro Monat. Wenn man im ländlichen Raum wohnt, weiß man das. Das heißt, die Differenz schmälert sich auf ungefähr 200 €. Dafür geht jeder von ihnen 170 Stunden arbeiten. Wenn sie 200 € mehr haben und dafür zweimal 170 Stunden arbeiten gehen, dann ergibt sich ein Stundenlohn von unter 1 €.

Inwieweit ist das aus Ihrer Sicht eine Motivation, arbeiten zu gehen?

(Thomas Lippmann, LINKE: Das ist eure Milchmädchenrechnung! - Zurufe von der SPD)


Dr. Katja Pähle (SPD):

Herr Siegmund, ich finde es spannend, was Sie an verschiedenen Stellen hereinrechnen und an anderen Stellen nicht hereinrechnen. Ich kenne sogar ALG II-Empfänger, die ein Auto haben. Sie fahren in ländlichen Regionen z. B. regelmäßig damit einkaufen.

(Zuruf: Zum Arbeitsamt!)

Derjenige, der arbeitet, muss das selbstständig tragen, und derjenige, der im ALG II-Bezug ist und ein Auto hat, muss das auch. Nur mal so als Info.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich habe ausgeführt, dass ein Paar mit zwei kleinen Kindern am Ende des Monats unter Einbezug der Leistungen, auf die sie Anspruch haben, und zwar Verdiener im Niedriglohnbereich, zusammen 774 € mehr haben. 774 € mehr - das gebe ich gern zu - erlauben keine riesigen Luftsprünge. Aber ich frage mich, wie viel es Menschen neben der sozialen Teilhabe auch wert ist, nicht regelmäßig zum Amt gehen zu müssen, die Anträge und Überprüfungen im Jobcenter, die Termine im Jobcenter und die Arbeitssuche nicht machen zu müssen, weil sie sich in Beschäftigung befinden. Genau darum geht es doch. Tun wir doch nicht so, als ob die Einführung des Bürgergeldes eine automatische Überweisung an alle diejenigen ist, die sich dort melden. Auch mit dem Bürgergeld sind Pflichten und die Einhaltung von Mitwirkungspflichten verbunden. Diese betreffen auch die Terminwahrnehmung, das Angebot und das Kümmern um Arbeit sowie das Suchen nach Arbeiten bzw. die Annahme von Jobangeboten. Ich bin mir nicht sicher, ob man für die eigene Freiheit und das selbstbestimmte Ausgeben von Mitteln nicht tatsächlich auch den Weg der Arbeit in Kauf nimmt, um diese Freiheit gleichzeitig inklusive zu haben.

(Ulrich Siegmund, AfD: Okay, danke!)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. - Zum Abschluss der Debatte hat Frau Sziborra-Seidlitz das Wort. - Sie verzichtet. Dann sind wir nur 16 Minuten im Zeitverzug. Beschlüsse zur Sache werden nicht gefasst. Der Tagesordnungspunkt 3 ist erledigt.