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Plenarsitzung

Transkript

Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich habe noch immer die Hoffnung, dass wir mit der erneuten Abstimmung im Bundesrat am 25. November 2022 eine Einigung zum Bürgergeldgesetz erzielen; denn dieses gute und wichtige Gesetz wird dringend benötigt. Die Menschen, die von den Leistungen profitieren, warten darauf.

Die Einigung Ende nächster Woche ist von großer sozialpolitischer Bedeutung. Aber die Umsetzung der Regelungen in den Jobcentern kann nur gelingen, wenn das Gesetz die Zustimmung des Bundesrates erhält. Sonst wird es einfach zu knapp. Denn wesentliche Elemente sollen bereits am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Es ist daher höchste Zeit, wieder zu einer sachlichen Diskussion zurückzukehren und sich schnellstmöglich auf einen vernünftigen Kompromiss zu verständigen.

Doch worum geht es inhaltlich? Zentrale Schlagworte, die man mit dem Gesetzentwurf verbindet, sind: mehr soziale Sicherheit, mehr Chancengerechtigkeit, mehr Teilhabe. Es geht um Respekt für Lebensleistungen und neue Perspektiven für die Bürgerinnen und Bürger.

(Tobias Rausch, AfD: Respekt vor Lebensleistungen!)

Es geht aber auch darum, die fundamentalen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt seit dem Inkrafttreten der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Jahr 2005 abzubilden. Nicht zuletzt muss die Neuausrichtung auch Antworten auf die durch den russischen Angriffskrieg ausgelöste Krisensituation geben; denn vor allem die sozial Schwachen leiden unter der grassierenden Inflation und den explodierenden Energiekosten.

Lassen Sie mich zunächst auf die wesentlichen Eckpunkte des Bürgergelds eingehen. Mit der Gesetzesreform ist die dringend notwendige Erhöhung der Regelbedarfe verbunden. Alleinstehende erhalten ab dem Jahreswechsel 502 €, Paare jeweils 451 € und Kinder zwischen 318 € und 420 €. Eine Anhebung der Regelsätze in diesem Umfang gab es in der inzwischen mehr als 17-jährigen Geschichte des SGB II bislang nicht. Diese Erhöhung ist im Hinblick auf die aktuellen Preissteigerungen auch gerechtfertigt und sichert ein menschenwürdiges Existenzminimum. Die Messung des Regelbedarfs wird an die letzten Preissteigerungen angepasst und bezieht zusätzlich die zu erwartenden Kostenentwicklungen ein.

An dieser Stelle darf aber nicht vergessen werden, dass dieser Regelbedarf das Existenzminimum abbildet, also ein Leben in bescheidenen Verhältnisses ermöglichen soll.

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

Wer nun aber meint, 500 € Bürgergeld seien so attraktiv, dass sich Menschen von Erwerbstätigkeit abwenden, sollte darüber nachdenken, ob Arbeit in Deutschland ausreichend vergütet und gewürdigt wird.

(Zustimmung bei der SPD)

Selbstverständlich müssen arbeitende Menschen auch angemessen bezahlt werden.

(Ulrich Siegmund, AfD: Ach!)

Die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 € pro Stunde war deshalb ein wichtiger Schritt. Das ist nur der Mindestlohn und sollte keinesfalls repräsentativ für das Lohnniveau insgesamt sein.

(Zustimmung bei der SPD)

Auch für die Aufstockerinnen und Aufstocker lohnt sich Arbeit. Durch Änderungen bei der Anrechnung von Einkommen werden folgerichtig für Leistungsberechtigte zusätzliche Anreize geschaffen, ihre Einkommenssituation durch Arbeit zu verbessern.

(Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD, von Guido Kosmehl, FDP, und von Kathrin Tarricone, FDP)

Das Bürgergeldgesetz soll zur Entbürokratisierung beitragen. Dies wäre eine Erleichterung für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und für die Jobcenter, die in dieser krisengeschüttelten Zeit ohnehin schon besonderen Belastungen ausgesetzt sind. An dieser Stelle möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jobcenter ausdrücklich für ihr Engagement danken und zugleich betonen, dass das Bürgergeld keineswegs ihre gute Arbeit infrage stellen soll. Vielmehr soll es sie auf dem eingeschlagenen Weg unterstützen und die Rahmenbedingungen verbessern.

(Zustimmung bei der SPD und von Guido Kosmehl, FDP)

Der Umgang auf Augenhöhe zwischen Jobcentern und Leistungsberechtigten ist ein erklärtes Ziel des Gesetzes. Dazu wird die meist komplizierte und für die Betroffenen meist unverständliche Eingliederungsvereinbarung durch einen leicht verständlichen Kooperationsplan abgelöst.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz auf die besonders strittigen Punkte eingehen, die zu einer Ablehnung des Gesetzentwurfes im Bundesrat führten: die Sanktionen und die Vertrauenszeit. Es ist richtig, dass bei den Sanktionen Entschärfungen vorgesehen sind. Das Gesetz ist gleichwohl keine völlige Abkehr vom Grundsatz des Förderns und Forderns. Deshalb gibt es weiterhin Mechanismen, die dafür Sorge tragen, dass Personen bei geeigneter Unterstützung durch die Jobcenter die Aufnahme einer Beschäftigung bzw. die Weiterqualifizierung auch wirklich in Angriff nehmen. Allerdings sind diese Mechanismen hierbei das letzte Mittel. Dies wird mit dem Gesetz noch einmal deutlicher herausgestellt.

Das System der Vertrauenszeit sieht vor, dass in den ersten sechs Monaten nach Abschluss des Kooperationsplans keine Eingliederungsmaßnahmen mit Rechtsfolgebelehrung angeordnet werden. Das heißt, Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen sind in der Vertrauenszeit ausgeschlossen. Dieses Instrument setzt keine falschen Anreize. Es ist auch keine soziale Hängematte, wie es in den letzten Wochen oft kolportiert worden ist.

(Zustimmung bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Vielmehr soll während dieser Zeit die Vertrauensbeziehung zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigten mit dem Ziel einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gestärkt werden. Denn die bisherigen Erfahrungen, die wir auch hier im Land gemacht haben, haben gezeigt, dass eine erfolgreiche Vermittlung vor allem auch auf einer gedeihlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe und auf Vertrauen beruht.

Besonders wichtig erscheint mir beim Thema Vermittlung auch, dass mit dem Bürgergeld die Entfristung des sozialen Arbeitsmarkts einhergeht. Gerade das Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ bietet Menschen, die besonders lange keiner Arbeit mehr nachgegangen sind, eine echte Chance auf Rückkehr in die Beschäftigung. Die bisherigen Erfahrungen, auch bei uns im Land, sind ausnehmend positiv.

Allerdings würde ich mir wünschen, dass der Bund hierfür mehr finanzielle Mittel im Eingliederungsbudget zur Verfügung stellen würde. Nach ersten Rückmeldungen vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales scheint sich   das hat auch Hubertus Heil gesagt, als er in Magdeburg war   dabei etwas zu bewegen. Wir wissen bereits, dass die Bundesagentur auch mehr Mittel bekommt, sodass wir nicht wichtige Maßnahmen auf dem sozialen Arbeitsmarkt canceln müssen.

(Zustimmung bei der SPD)

Auch das Thema Weiterbildung spielt eine zentrale Rolle, um dem zunehmenden Fachkräftemangel durch gezielte Qualifizierung entgegenzuwirken. Das avisierte Weiterbildungsgeld von bis zu 150 € soll dabei einen Anreiz schaffen, eine Weiterbildung zu absolvieren und positiv abzuschließen.

Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Bürgergeld ist nicht unumstritten. Eine so grundsätzliche Neuausrichtung einer Sozialleistung ist eine hochkomplexe und daher streitanfällige Angelegenheit. Deshalb wurden im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens schon einige Änderungsvorschläge zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eingebracht. Lassen Sie mich die wesentlichen an dieser Stelle kurz skizzieren, weil sie in den öffentlichen Medien immer noch anders dargestellt werden.

In der sogenannten Karenzzeit, d. h. in den ersten zwei Jahren des Leistungsbezugs, werden die Kosten der Unterkunft nicht gekürzt. Die Heizkosten wurden jedoch im Laufe der Debatte ausgeklammert und unterliegen nun auch während der Karenzzeit einer Angemessenheitsprüfung. Man kann also nicht „volle Lotte“ die Wohnung beheizen.

Im Hinblick auf das Schonvermögen, also jenen Teil des Vermögens, das bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit unberücksichtigt bleibt, ist künftig eine Selbsterklärung abzugeben. Diese soll es ermöglichen, vorhandenes Vermögen besser einzuschätzen und in die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit einzubeziehen. Zudem gilt die erhöhte Vermögensfreigrenze nicht für Personen, die, z. B. aufgrund einer Heizkostenabrechnung, nur einen einmonatigen Leistungsanspruch haben. Dieser einmalige Bedarf soll vorrangig aus bestehendem Vermögen finanziert werden und somit ein Anspruch auf Bürgergeld vermieden werden.

Das sind Punkte, bei denen man während des Verfahrens auf die CDU zugegangen ist.

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die praktische Umsetzung des Bürgergeldgesetzes eingehen. Vielfach wird kritisiert   auch unser Landkreistag hat das getan  , dass das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2023 den Jobcentern so gut wie keine Vorlaufzeit für die umfassenden Änderungen gewährt. Ja, das ist eine Herausforderung für alle Akteure. Das lässt sich auch nicht kleinreden. Bei dieser Diskussion wird aber vergessen, dass viele Änderungen gar nicht zum 1. Januar 2023, sondern erst zum 1. Juli 2023 wirksam werden. Das betrifft insbesondere die Änderungen, die einen höheren Verwaltungsaufwand nach sich ziehen. Somit haben die Beteiligten noch mehr als ein halbes Jahr Zeit, Prozesse und Regelungen entsprechend anzupassen. Es gibt aber auch Bestandteile, die können nicht ein halbes Jahr warten; die Regelbedarfserhöhung ist dafür das wichtigste Beispiel.

Wie Sie sehen, geht es in der Gesamtschau eben nicht nur darum, der Grundsicherung einen neuen Namen zu geben. Insofern ist es auch mir ein besonderes Anliegen, dass die Umsetzung des Bürgergeldes gelingt. Mein Haus steht daher mit den Jobcentern und mit der Regionaldirektion in besonders engem Austausch und unterstützt nach Kräften bei der Mammutaufgabe.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist Konsens, dass den wirtschaftlich Schwächsten in diesen Zeiten schnell geholfen werden muss. Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, können in der derzeitigen Lage nicht monatelang auf eine Erhöhung der finanziellen Unterstützung warten. Sie brauchen das Geld schnellstmöglich, um sich und ihren Kindern auch in Zeiten der Inflation ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

Mit Geld allein ist es aber nicht getan. Daher kommt mit dem Bürgergeld ein Koffer mit Instrumenten, um diesen Menschen zu helfen, sich von staatlichen Transferleistungen zu emanzipieren.

Lassen Sie uns daher gemeinsam dafür einsetzen, dass das Bürgergeld rechtzeitig auf den Weg kommt. Ich appelliere an dieser Stelle noch einmal an die CDU: Lassen Sie uns die Chancen des Vermittlungsverfahrens nutzen, um das Gesetzgebungsverfahren Ende kommender Woche zu einem Abschluss zu bringen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)