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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 10

Erste Beratung

a)    Masterplan zur Sicherung der Schulbildung in Sachsen-Anhalt

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1700

b)    Lehrkräftemangel aktiv bekämpfen - Den Lehrberuf von Beginn an attraktiver gestalten.

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1701


Zu Buchstabe a) startet Herr Lippmann. - Los geht’s.

(Zuruf von Thomas Lippmann, DIE LINKE)

- Naja, Zeit ist Geld. Wir drücken schon einmal.

(Lachen bei der CDU - Zurufe von der CDU)

- Wir sind hier zügig. Zack!

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD: Zeit ist Geld und Zeit ist knapp!)


Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Auf der Regierungsbank, Herr Präsident, sieht es noch ein bisschen schwach besetzt aus.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Die Bildung ist vertreten. Ich kann Ihnen sagen, wer alles entschuldigt ist. Das ist eine ganze Menge. Aber die wichtigste Person im Bereich Bildung sitzt Ihnen im Nacken.

Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Darf ich schon anfangen?


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Das geht alles schon von Ihrer Zeit ab. Sie können schon erzählen.

(Lachen bei der CDU und bei der AfD)


Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Das ist natürlich    

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dann spreche ich ein bisschen schneller.- 4 121 - das war die Zahl der Woche des Statistischen Landesamtes zum Weltlehrertag am vergangenen Mittwoch. So viele Lehramtsstudierende gab es vor einem Jahr in Sachsen-Anhalt. Das klingt vielleicht viel, ist es aber nicht. Denn um unseren Einstellungsbedarf im nächsten Jahrzehnt aus eigener Kraft zu decken, müssten es 2 000 bis 3 000 Lehramtsstudierende mehr sein. Es waren aber nur 200 Studierende mehr als im Jahr 2020.

Es geht also zwar etwas voran, aber weiterhin viel zu langsam und in zu kleinen Schritten. Denn im gesamten Jahr 2021 haben noch nicht einmal 400 Studierende ihr Lehramtsstudium bei uns abgeschlossen haben. Das ist weiterhin nicht einmal die Hälfte der Zahl der derzeit ausscheidenden Lehrkräfte. Um uns aus dem Mangel wieder herauszuarbeiten, würden wir in den nächsten zehn Jahren also zwei- bis dreimal so viele Absolventen benötigen.

Doch in der Lehramtsausbildung wird noch immer gemauert und geknausert. Am Ende steht gern die Behauptung, dass es ja gar keine Bewerberinnen und Bewerber für noch mehr Studienplätze gäbe. Fakt ist aber, dass diese 400 Lehramtsabsolventen im Jahr 2021 noch nicht einmal 5 % der Hochschulabschlüsse ausgemacht haben. Ich frage mich, wer noch ernsthaft behaupten will, dass dieser wirklich geringe Anteil nicht gesteigert werden kann.

Es gibt genügend junge Menschen, die ein Lehramt studieren wollen. Man muss sie nur lassen und ihnen ein adäquates Studium anbieten. In jedem Jahr werden Hunderte Interessenten an einem Lehramtsstudium von der MLU ferngehalten, weil es jede Menge Zulassungsbeschränkungen gibt.

Und es muss auch aufhören, Lehramtsstudierende für ihre fachwissenschaftliche Ausbildung mit den angehenden Fachwissenschaftlern zusammenzustecken. Das muss bei zwei Fächern, zwei Didaktiken und der pädagogischen Ausbildung in vielen Fällen zum Scheitern führen. Dass fast jedes zweite Lehramtsstudium ohne Erfolg bleibt, spricht Bände.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Woche fand die Stichtagserhebung für die Unterrichtsversorgung statt. Die Dimension des Unterrichtsabbaus kann man aber auch ohne Kenntnis dieser letzten Statistik mit wenigen Daten begreifbar machen. Denn einerseits ist Zahl der Schülerinnen und Schüler an den allgemeinbildenden Schulen in den letzten zehn Jahren um mehr als 20 000 gestiegen. Dagegen hat sich das Unterrichtsvolumen im gleichen Zeitraum um 20 000 Wochenstunden verringert. Entsprechend dem Anstieg der Schülerzahl hätte das Unterrichtsangebot aber um mindestens 36 000 Unterrichtsstunden steigen müssen, um weiter auf gutem Niveau zu unterrichten - das alles auf die Unterrichtswoche bezogen.

Rechnet man all das zusammen, ergibt sich für ein ganzes Schuljahr ein Defizit von mehr als 2 Millionen Unterrichtsstunden, die heutigen Schülergenerationen gar nicht mehr angeboten werden. Der Unterrichtsausfall aufgrund der Abwesenheit von Lehrkräften kommt noch obendrauf. Das sind dann noch einmal fast eine Million Unterrichtsstunden, die nicht vertreten werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Millionen fehlende Unterrichtsstunden entsprechen dem Arbeitsvolumen von etwa 2 200 vollbeschäftigten Lehrkräften. Das ist mehr als das Zweieinhalbfache der 850 Vollzeitlehrkräfte, die Ministerin Feußner am Dienstag im Interview mit der „Volksstimme“ zugestanden hat.

Es fehlen eben nicht nur 8 %, sondern mindestens 18 % zu einer vollwertigen und ungekürzten Unterrichtsversorgung, und das bei gewaltigen Unterschieden zwischen den Schulformen. Denn während die Gymnasien weiterhin kaum Defizite beklagen müssen, belaufen sich die Unterrichtsverluste aus den letzten zehn Jahren an den Sekundarschulen inzwischen auf fast 30 %.

Vonseiten der Schulbehörden werden zwar Anstrengungen unternommen, um diesem Elend beizukommen und den Schaden irgendwie zu begrenzen. Aber es gelingt nicht. Die Maßnahmen sind nicht ausreichend bzw. nicht wirksam.

(Beifall bei der LINKEN)

Unser gesamtes Schulsystem rutscht mit jedem Schuljahr wie auf einer schiefen Bahn immer weiter in den Keller.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind gefordert, dieser bedrohlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Dafür sind nicht nur neue Anstrengungen und neue Ideen gefordert. Gute Bildung kostet auch mehr Geld. Es mag als schlechter Zeitpunkt erscheinen, gerade jetzt mehr Geld für Bildung einzufordern.

(Frank Bommersbach, CDU: Genau!)

Doch die Krise unseres Schulsystems kann nicht auf die lange Bank geschoben werden. Diese Krise ist tiefgreifend und existenziell.

(Zuruf von Frank Bommersbach, CDU)

Wir werden noch sehr lange mit ihren Folgen zu kämpfen haben. Deswegen ist es eigentlich längst überfällig, dass sich auch der jetzt nicht anwesende Ministerpräsident endlich ernsthaft und persönlich für die Sicherung der Unterrichtsversorgung einsetzt. Das Kind liegt im Brunnen

(Oh! bei der CDU)

und Frau Feußner wird es ohne die Unterstützung des Ministerpräsidenten auch nicht herausbekommen.

(Detlef Gürth, CDU: Wir machen keinen Schwimmkurs!)

Damit sind keine weiteren Schulbesuche oder ein paar Unterrichtsstunden gemeint. Auch die aufwändig inszenierten Gespräche zu einem Schulfrieden haben offenbar nichts gebracht.

Dass wir heute in unseren Schulen bundesweit mit die schlechtesten Bedingungen und sinkende Kompetenzen bei unseren Schülerinnen und Schülern feststellen müssen, geht auf das Konto der letzten drei Landesregierungen. Unser Ministerpräsident, der das Land seit 2011 führt, trägt für die beklagenswerten Zustände in unseren Schulen eine wesentliche Verantwortung. Er muss jetzt endlich Farbe bekennen und für einen Kurswechsel sorgen.

In diesen Appell beziehe ich die Koalitionsfraktionen, insbesondere die CDU-Fraktion, aber auch die SPD-Fraktion mit ein. Es gibt keine Zeit mehr für Schaukämpfe. Wenn nicht Zehntausende Schülerinnen und Schüler bis weit in die 2030er-Jahre hinein ohne Hoffnung auf eine gute Ausbildung bleiben sollen, dann müssen Sie noch vor dem Ende der Wahlperiode eine Wende schaffen.

Deshalb gehört jetzt ein Masterplan für die Sicherung der Schulbildung auf Ihren Tisch. Es ist der entscheidende Zeitpunkt, um Verantwortung zu übernehmen und Weichen anders zu stellen. Wir haben unsere Vorschläge dazu im vorliegenden Antrag zusammengetragen und bieten unsere Unterstützung an.

(Guido Kosmehl, CDU: Oh Gott!)

Wir wollen gar nicht so hochtrabend von einem Schulfrieden reden. Aber eine ernsthafte Suche nach einem Schulkonsens oder eben eine Verständigung auf einen Masterplan scheinen uns das Mindeste zu sein, das Schülerinnen und Schüler, Eltern und Gesellschaft in dieser verfahrenen Situation von der Politik erwarten können.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir wissen natürlich selbst, dass in unserem umfangreichen Maßnahmenpaket auch Vorschläge enthalten sind, die Sie schon einmal abgelehnt haben oder die bisher nicht umgesetzt werden. Aber die Palette umsetzbarer und wirksamer Maßnahmen ist nun auch nicht beliebig groß.

Inzwischen wurden vom Bildungsministerium einige Maßnahmen auf den Weg gebracht, um den Mangel zu mildern. Dazu zählen unter anderem die schnelle Folge von Ausschreibungen, die inzwischen sehr weite Öffnung der Voraussetzungen für die Einstellung von Seiteneinsteigern und die Suche nach Sprachlehrkräften und ukrainischen Lehrkräften. Dem haben wir bei unseren Vorschlägen Rechnung getragen.

Außerdem will ich heute der Bildungsministerin einmal den Rücken stärken

(Zustimmung bei der CDU - Zurufe von der CDU: Ui! - Frank Bommersbach, CDU: Das ist ja etwas ganz Neues!)

bei Ihrem Einsatz für eine Ausweitung der Lehramtsausbildung in Magdeburg   schauen wir einmal, ob Sie zum Schluss noch klatschen   

(Zustimmung bei der LINKEN und von Holger Hövelmann, SPD)

und für eine A13-Besoldung für die Grundschullehrkräfte.

(Zuruf von Frank Bommersbach, CDU)

Nachher werden sicherlich einige von uns hinausgehen zu der Demonstration von Grundschullehrkräften. Deren Ungeduld, liebe Kolleginnen und Kollegen, und der Unmut über die weiter ausstehende Angleichung ihrer Bezahlung sind riesig. Lassen Sie unsere Grundschullehrkräfte nicht erneut frustriert und ohne Perspektive für eine gerechte Bezahlung nach Hause fahren. Sorgen Sie dafür, dass wir in Sachsen-Anhalt nicht das Schlusslicht bei der A13-Besoldung von Grundschullehrkräften bilden. Wir können es uns nicht länger leisten,

(Stefan Ruland, CDU: Nicht länger leisten …!)

dass uns dringend benötigte Lehrkräfte wegen der besseren Bezahlung in den Nachbarländern den Rücken kehren. Unser Gesetzentwurf für die A13-Besoldung liegt im Finanzausschuss. Lassen Sie ihn dort nicht herumliegen, sondern packen Sie ihn jetzt an.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Abschließend will ich auf einige der von uns aufgeführten Maßnahmen direkt eingehen, weil es dazu zum Teil schon Debatten gab, die bisher wenig fruchtbringend waren.

Das Erste ist die Steuerung und die feste Bindung der hier ausgebildeten Lehramtsabsolventen an den späteren Einsatz im Land. Wir schlagen erneut Anwärtersonderbezüge für alle schulformbezogenen, fächerbezogenen und regionalbezogenen Mangelbereiche vor. Außerdem drängen wir nachdrücklich darauf, dass die schon zweimal beschlossenen Vorverträge mit den Lehrkräften im Vorbereitungsdienst jetzt endlich umgesetzt werden. Die oftmals engen Bindungen zwischen den Auszubildenden und ihren Schulen sollen bewusst gepflegt und für einen späteren Einsatz an diesen Ausbildungsschulen genutzt werden.

Als Zweites plädieren wir dafür, wesentlich sorgsamer mit den Lehrkräften im Seiteneinstieg umzugehen. Es muss alles dafür getan werden, damit möglichst alle über einen berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst zu vollwertigen Lehrkräften werden. Und das auch dann, wenn sie nicht zwei Fächer nachweisen können.

(Zustimmung von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Vollwertig heißt dabei, durch den Vorbereitungsdienst pädagogisch qualifiziert und über eine Sonderlaufbahn in der Besoldungsgruppe A 13 auch in ein Beamtenverhältnis übernehmbar und wie alle anderen Lehrkräfte bezahlt zu werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Drittens wollen wir nachdrücklich darauf hinweisen, dass die Sekundarschule als Schulform im gegliederten Schulsystem nicht mehr dauerhaft erfolgreich weitergeführt werden kann. Sie ist für Schülerinnen und Schüler sowie Eltern ebenso wie für neue Lehrkräfte zunehmend unattraktiv und gleitet immer mehr auf das Niveau der früheren Hauptschulen ab.

(Tobias Rausch, AfD: Ja, woran liegt das?)

Wir schlagen deshalb vor, die Ausbildung für das separate Lehramt an Sekundarschulen aufzugeben und die Ausbildung im Lehramt an Gymnasien auf alle weiterführenden Schulen zu erweitern.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem schlagen wir vor, die Umwandlung bestehender Sekundarschulen in Gemeinschaftsschulen aktiv zu unterstützen und die Gemeinschaftsschule durch weitere innere und strukturelle Reformen so zu stärken, dass sie sich zu einer Schulform entwickeln, die den Gymnasien gleichwertig ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Als letztes wollen wir erneut den Versuch unternehmen, die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen von unserem Vorschlag für einen verbindlichen berufspraktischen Unterricht zu überzeugen. Dieser soll unter anderem wegen des wegbrechenden Unterrichtsangebotes in den Schulen der Sekundarstufe I und dort für die 8. und 9. Klassen im Umfang von einem Tag je Unterrichtswoche organisiert werden.

Er soll von qualifizierten Trägern der beruflichen Bildung und ggf. auch von ausreichend großen Ausbildungsbetrieben oder berufsbildenden Schulen durchgeführt werden, wobei private Träger dafür eine kostendeckende Vergütung erhalten müssen.

Die jetzt hier nicht angesprochenen Maßnahmen, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus unseren 13 Punkten und aus unserem Antrag sind zum Teil ebenfalls nicht neu oder sollten sich hinsichtlich ihrer Zielsetzung von selbst erschließen.

Wir hoffen im Sinne der Schülerinnen und Schüler, der Eltern und unserer gesellschaftlichen Entwicklung auf eine produktive Auseinandersetzung in den Ausschüssen, und zwar federführend im Bildungsausschuss und mitberatend im Finanzausschuss. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.