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Plenarsitzung

Transkript

Olaf Meister (GRÜNE):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE hat etwas an Aktualität eingebüßt. Denn naturgemäß wird die zeitlich nach der Antragstellung liegende Entscheidung der Koalition im Bund zum dritten Entlastungspaket in diesem Text nicht widergespiegelt, kann nicht widerspiegeln werden. Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass irgendeine Entscheidung der Bunderegierung bei der Antragstellerin auf größeren Beifall träfe. Allerdings hat die Bundesregierung das Problem der sozialen Brisanz der aktuellen Lage erkannt und mit 65 Milliarden € nun auch nicht herumgekleckert. Das ist jenseits von Symbolpolitik. Das ist wirklich ein großer Betrag   der Haushalt des Bundes umfasst 445 Milliarden €  , das ist wirklich ein Kloß.

Ob das Paket ausreicht, ob es alle kritischen Fälle erfasst und ob es den sich wandelnden Bedingungen immer gerecht werden wird, bleibt abzuwarten. Dafür wird es mit den weiteren Entwicklungen der Zukunft sicher weitere Maßnahmen und auch Präzisierungen der aktuellen Maßnahmen geben müssen. Das, meine ich, liegt auf der Hand.

Sowohl im Antrag der Fraktion DIE LINKE als auch im Antrag der AfD-Fraktion spielt der Kampf gegen die Gasumlage eine wichtige Rolle. Das ist insofern irritierend, als nach der Entscheidung zur Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas, die Gasumlage kompensiert wird. Faktisch wurde sie mit dieser Entscheidung vom Staat übernommen. Seitdem hat die Diskussion zur Gasumlage etwas Irrationales. Zum einen kann man sich natürlich mit Fug und Recht fragen, was der Aufwand einer Umlage soll, wenn der Staat sie am Ende doch selbst trägt. Das ist wohl nur mit der Historie des Vorhabens und der Koalitionsdynamik im Bund zu erklären. Eine stringente Vorgehensweise ist es tatsächlich nicht.

Zum anderen ist jedoch der Kampf gegen eine neutralisierte Umlage nur schwer nachzuvollziehen. Sie wird als Symbol genutzt, um jetzt Stimmung zu machen. Das darf man tun, natürlich. Das ist zulässig. Ob es in einer wirklich ernsten Lage, die von Kriegshandlungen und den Versuchen der deutschen und europäischen Politik geprägt ist, die Folgen zu bewältigen und wieder Frieden zu schaffen, verantwortungsvoll ist, so zu handeln, steht auf einem anderen Blatt.

Zu der Gasumlage selbst habe ich eine differenzierte Meinung, um es nett zu sagen. Das grundsätzliche Ziel der Umlage ist aber annähernd alternativlos. Große Anbieter von Gas stecken in der Klemme zwischen dramatisch steigenden Einkaufspreisen auf der einen Seite und längerfristig gebundenen Verkaufspreisen auf der anderen Seite und würden nach dem normalen Lauf der Dinge jetzt schlicht und einfach pleitegehen. In den Firmenzentralen wurden in der Vergangenheit falsche wirtschaftliche Entscheidungen getroffen. Die Folgen, wenn man das aber einfach so machen würde, wären katastrophal. Die Menschen hätten zwar die guten alten Verträge und müssten auch keine Umlage zahlen. Insolvente Lieferanten würden aber nicht liefern. Welche Kunden es wann trifft, ist purer Zufall. Das ist kein gutes Szenario für den Winter. Die Bundesregierung entfernte das Risiko und übertrug es mit einem Solidarprinzip auf alle Kunden, neutralisierte dann aber die Umlage und wir tragen sie nun alle über die Steuern.

Ich hätte, wenn es ohnehin nun über die Steuern geregelt wird, einen anderen Weg favorisiert. Dann wäre eine staatliche Investition in die betroffenen Unternehmen, also ihre temporäre Teilverstaatlichung, ähnlich wie wir das schon bei Lufthansa und Commerzbank in anderen Krisen hatten, ein wirkungsvoller Weg gewesen, der zugleich auch die Chance auf einen späteren Rückfluss der eingesetzten Mittel beinhaltet hätte. Auch diese Sache, die wir jetzt mit den Fehlanreizen haben, also dass sich Unternehmen um Geld bewerben, wäre auf diesem Weg natürlich nicht zustande gekommen, weil unter so einen Schutzschirm wirklich nur Unternehmen wollen, die es auch wirklich brauchen.

Kurz noch zum Antrag der AfD-Fraktion. Wir haben es heute letztlich schon an anderer Stelle diskutiert. Der besagt eigentlich nur, dass unsere Gasprobleme einfach dadurch zu lösen wären, dass wir bei Putins Angriffskriegen nicht mehr unnütz im Weg herumstehen.

(Tobias Rausch, AfD: Nein, das stimmt doch gar nicht!)

Wir müssten halt nur die West- und Europabindung sowie alle unsere eigenen Sicherheitsinteressen aufgeben und auf die Werte verzichten, für die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung steht. Klar, Belarus ist ganz lieb zu Diktator Putin und hat bestimmt billiges Gas. Ich würde aber nicht tauschen wollen. Das ist aber genau das, was Sie in der Konsequenz mit Ihrem Antrag vorschlagen.

Scheren wir aus der europäischen Solidarität aus? Machen wir es nicht mehr gemeinsam mit Paris, London, Washington, Warschau und Kiew, sondern mit Moskau, Minsk und Pjöngjang? Wollen wir selbstbestimmt und souverän in der Mitte Europas sein mit unseren demokratischen Nachbarn und mit denen gemeinsam agieren und mit denen unsere Politik abstimmen oder wollen wir Teil der Selbsthilfegruppe Cäsarenwahn von Putin, Lukaschenko und Kim Jong-un sein?

(Zustimmung - Ulrich Siegmund, AfD: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)

Ihr Vorschlag ist selbstzerstörerisch. Es ist schade, dass dem immer noch Leute hinterherlaufen und nicht erkennen, was es in der Konsequenz bedeuten würde, wenn man Ihren Weg gehen würde.

(Ulrich Siegmund, AfD: Wer schreibt Ihnen denn sowas auf?)

Das passt zur politischen Einstellung der AfD. Engagement für Freiheit bedeutet nicht, das Lied von Westernhagen auf dem Domplatz zu singen, sondern eben tatsächlich für Freiheit einzustehen. Damit haben Sie gar nichts zu tun. - Danke schön.

(Zuruf von Hannes Loth, AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Meister, vielen Dank. Es gibt drei Fragesteller, wenn Sie Fragen zulassen. Das sind Herr Lieschke, Herr Dr. Grube und Herr Rausch. Lassen Sie die Fragen zu?


Olaf Meister (GRÜNE):

Ja.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Ja. Das ist ein Wort. - Herr Lieschke, bitte.


Matthias Lieschke (AfD):

Sie zeigten sich über den Antrag zur Gasumlage etwas verwundert, weil jetzt für das Gas ein verminderter Mehrwertsteuersatz anfällt, wie Sie sagten. Welchen Einfluss hat denn dieser Mehrwertsteuersatz auf Unternehmen? Spielt er dort eine Rolle?


Olaf Meister (GRÜNE):

Nein, bei Unternehmen wird es durchgereicht. Das ist für die ein durchlaufender Posten. Aber um die Frage zu beantworten: Der Staat übernimmt durch eine solche Mehrwertsteuergeschichte die Kosten. Das war der Punkt, den in ich in der Rede genannt habe.

(Zuruf)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Dr. Grube.


Dr. Falko Grube (SPD):

Herr Kollege Meister, die Argumentation nach dem Motto „Die Mehrwertsteuer wird gesenkt, dadurch ist die Gasumlage eigentlich schon kompensiert und deswegen kann man sie beibehalten“ ist eine sehr komische Haushälterlogik. Ich selbst bin kein Haushälter. Deswegen darf ich das komisch finden.

Eine Verdreifachung des Gaspreises bedeutet für viele Menschen, die jetzt zu Hause ihre Gasrechnung bekommen, auch eine Verdreifachung des verminderten Mehrwertsteuersatzes. Das heißt, im Vergleich zu den alten Preisen fallen jetzt quasi 21 % Mehrwertsteuer an. Das sind schon einmal 2 % mehr, als es bei den alten Preisen mit 19 % der Fall gewesen ist. Es ist nicht wenig Geld, was dabei herumkommt.

Meinen Sie nicht, dass man nach dem Modell der Bankenrettung, bei dem man nicht einer gesamten Branche nach dem Gießkannenprinzip geholfen hat, mit dem Geld, das dabei mehr hereinkommt, ganz zielgerichtet solche Unternehmen wie Uniper retten kann   sie sind systemrelevant, keine Frage; man muss sie leider retten; das ist doof, aber man muss es machen  , reicht das nicht aus? Ist es bei diesen Kautelen, auch mit Haushälterlogik, nicht verzichtbar, eine Gasumlage zu erheben?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Meister.


Olaf Meister (GRÜNE):

Ich habe das mit der Gasumlage, mit dem Hintereinanderschalten der verschiedenen Maßnahmen nicht ganz verstanden. Ich mache erst die Gasumlage, also ich sage: Achtung, euer Gas kostet jetzt mehr, weil ich diese Solidargeschichte mache. Dann komme ich als Staat an und sage: Aber ich senke jetzt die Mehrwertsteuer. Das Ziel war tatsächlich, die Belastung für die Leute zu entfernen. Das klappt auch im Schnitt. In der Wirtschaft ist es anders.

Was ist dabei der tiefere Sinn? - Letztendlich habe ich damit als Staat haushälterisch die Kosten. Warum? - Dann brauche ich die Gasumlage nicht zu erheben. Verstehen Sie? Dann lasse ich doch die Gasumlage weg und sage von vornherein: Okay, ich mache eine Rettungsmaßnahme gezielt für die Unternehmen, die ich retten muss; darin sind wir einer Meinung. Aber dann kann ich mir doch den gesamten Aufwand sparen. Dann hätte ich jetzt die Leute nicht auf den Barrikaden, die da jetzt hinterherlaufen, und hätte auch das Hin und Her mit der Mehrwertsteuer auf Gas nicht.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Dr. Grube, eine Nachfrage? - Aber kurz.


Dr. Falko Grube (SPD):

Darin sind wir uns einig, das hätte man gleich lassen sollen, ja?


Olaf Meister (GRÜNE):

Genau. Das war mein Punkt, weswegen ich sagte: Das ist eigentlich nur aus der Historie und aus einer Koalitionsdynamik zu erklären, die das in Berlin ergeben hat. Aber insgesamt, wenn ich das von vornherein als Plan aufgeschrieben hätte, hätten alle gesagt: Na, hallo? Der Plan: erst Gasumlage, dann Mehrwertsteuer. Das wäre es nicht gewesen.

(Guido Kosmehl, FDP: Von wem kam das denn?)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Jetzt kommt noch die Frage von Herrn Rausch.


Tobias Rausch (AfD):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Kollege Meister, Sie haben sich gerade als Retter und Kämpfer der freien Welt präsentiert sowie uns als Helfershelfer der Despoten dargestellt und in eine Reihe mit Nordkorea, Russland und Belarus gestellt. Ich frage Sie, ob Sie die SOZ kennen? Das ist die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, in der unter anderem die BRICS-Staaten und viele andere Staaten organisiert sind, die alle diese Sanktionen nicht mitmachen, die alle in dieser gleichen Reihe stehen, die ungefähr dreimal so viele Menschen repräsentieren wie die Staaten, die die Sanktionen gegen Russland auf den Weg gebracht haben. Sind das auch alle keine Kämpfer für die Freiheit? Sind das auch alles Despoten? Ist es aus Ihrer kleinen Weltsicht so, dass Sie so polemisch daherkommen? Sehen Sie das so?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Meister.


Olaf Meister (GRÜNE):

Nein, das sind nicht alles zwingend Despoten. Das kommt auf das jeweilige Land an. Aber tatsächlich sind Länder, die sich daran nicht beteiligen, nicht an der Lösung beteiligt. Ich bin tatsächlich der Auffassung, dass man auf eine solche kriegerische Situation, auf einen solchen Angriffskrieg als Staatengemeinschaft reagieren muss. Das haben die westlichen Staaten gemacht, nicht nur die westlichen Staaten, andere auch, und andere stellen sich abseits. Das finde ich nicht okay. Diese sind, meine ich, auch nicht Teil der Lösung, ja.

(Tobias Rausch, AfD: Was heißt das, stellen sich abseits? Das ist die Bevölkerungsmehrheit der Erde!)

- Das ist mir ziemlich egal, welche Bevölkerungsmehrheiten dahinterstehen. Ich bewerte das Handeln.

(Tobias Rausch, AfD: Ihre Mindermeinung ist für Sie eine Mehrheitsmeinung?)

- Das ist nicht der Punkt. Die Frage ist: Kann ich auf der Weltbühne dafür eintreten und kann ich es als Grundprinzip nehmen, dass Staaten souverän sind und nicht ein Staat in einen anderen einmarschiert und meint, er könne das lösen? Wenn ich diese Auffassung vertrete, nicht nur in Bezug auf Russland, sondern auch auf andere, dann muss ich danach auch entsprechend handeln und muss mir Maßnahmen überlegen, wie ich dieses Ziel umsetzen kann. Und wie wir das tun, stellen wir dar. Dabei steht Europa fest zueinander. Das muss Russland begreifen. Weil das so ist, hat Russland keine Möglichkeit, sich militärisch vor Ort durchzusetzen. Das ist gut. Jetzt müsste Russland das noch umsetzen. Wenn man nämlich keine Chance hat, zum Erfolg zu kommen, sollte man es lassen.