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Plenarsitzung

Transkript

Wulf Gallert (DIE LINKE):

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe vor allen Dingen heute bei dieser Debatte, aber auch bei dem Tagesordnungspunkt davor insofern kein gutes Gefühl, als wir alle wissen, dass wir uns in einer extrem dramatischen Situation befinden. Uns kann das hier in diesem Land Sachsen-Anhalt, in dieser Bundesrepublik und in Europa in den nächsten Monaten wirklich im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren fliegen. Ich habe bisher nicht den Eindruck gehabt, dass wir uns dieser Verantwortung in diesem Haus bei der Tonalität der Debatte wirklich immer voll bewusst waren und dieser gerecht geworden sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt komme ich zu diesem Antrag der AfD-Fraktion. Der hat im Grunde genommen zwei Signalebenen. Die eine ist, wo es um die Debatte um die konkreten Sanktionen geht. Die andere ist - das ist aber nun schon zwei Tagesordnungspunkte lang deutlich geworden  , dass es der AfD um eine andere Debatte geht. Diese andere Debatte wird hier transparent organisiert, und die transparente Organisation heißt: „Deutschland first“. Lasst die sich doch da die Ukraine schnappen. Lasst die sich doch da die Köpfe einschlagen, das ist interessiert uns alles nicht,

(Oliver Kirchner, AfD: Nee, nee, nee. Das haben wir so nicht gesagt, Herr Gallert!)

Hauptsache, wir kommen mit dem Rücken an die Wand. Klar, das ist für Sie normal. Für DIE LINKE als einer Partei der Internationalen Solidarität ist das ein No Go. - Punkt 1.

(Beifall bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: Für alle LINKEN!)

Punkt 2. Es ist übrigens auch aus der Perspektive nationaler Interessen völlig falsch, weil wir natürlich - Herr Willingmann hatte schon darauf hingewiesen - in einer Art und Weise von Exporten abhängig sind, die aus unserer Perspektive übrigens nicht gut ist. Das heißt nämlich, wir haben einen zu schwachen Binnenmarkt. Das bedeutet auf der anderen Seite aber auch, dass wir natürlich von einer funktionierenden völkerrechtsbasierten Weltordnung abhängig sind, weil unser Wohlstand ganz wesentlich darauf beruht, dass völkerrechtliche Standards eingehalten werden. Wenn diese nicht eingehalten werden, werden wir diesen wirtschaftlichen Vorsprung nicht nur verlieren, sondern wir sind dezidiert nicht in der Lage dazu, ihn weiter zu entwickeln.

Es ist unser absolutes Interesse, auch des eigenen Landes, völkerrechtliche Standards zu halten und den Bruch des Völkerrechts zu verbieten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)

Und da - das will ich auch ganz klar sagen - gibt es tatsächlich einen Unterschied zwischen dem, was Herr Willingmann hier gesagt hat - und sicherlich auch gemeint hat - und uns: Bei Völkerrechtsbruch unterscheiden wir nicht zwischen Verbündeten und Nichtverbündeten. Völkerrechtsbruch ist Völkerrechtsbruch und gehört in jedem Fall verurteilt.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann gibt es noch eine Metaebene, die heute nicht angesprochen worden ist, aber glücklicherweise von AfD-Funktionären bei TikTok - das geht ja heute durch das Netz. Und zwar der Satz mit dem offenen Mikrofon: Es muss dramatisch werden, und zwar diese Energiekrise der privaten Haushalte, sonst haben wir als AfD keine Basis. Das ist der Satz von AfD-Funktionären, der heute durch das Netz geht.

(Tobias Rausch, AfD: Wer sagt das?)

Sie haben vergessen, die Mikrofone abzuschalten. Das offenbart das eigentliche Problem. Sie haben ein Interesse daran, dass die Leute frieren, Sie haben ein Interesse daran, dass die Situation eskaliert, weil Sie es parteipolitisch ausschlachten wollen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Frank Otto Lizureck, AfD: Wir sind aber nicht schuld daran!)

Ich bin sehr froh, dass es ausdrücklich AfD-Funktionäre so offen ins Mikro gesagt haben.

(Tobias Rausch, AfD: Wer hat es gesagt?)

Das ist die Situation, mit der wir uns hier auseinandersetzen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Jetzt gibt es noch die Ebene dessen, was in dem Antrag steht, um die es aber eigentlich nicht geht, wie wir jetzt wissen.

(Unruhe bei der AfD)

Es geht nämlich um die Frage: Was passiert in dieser Auseinandersetzung mit Russland? - Ich sage es noch einmal ganz klar   die Beschlusslage meiner Partei ist eindeutig  : Erstens. Wir lehnen Waffenlieferungen ab. Zweitens. Wir sind sehr wohl dafür, in dieser Auseinandersetzung Sanktionen einzusetzen, wenn sie a) die verantwortlichen Personen und Oligarchen und Kriegsgewinnler treffen, b) wenn sie die Kriegsfähigkeit Russlands einschränken und c) wenn sie nicht primär die Bevölkerung treffen, und zwar völlig egal, ob in Russland, Deutschland oder in der Ukraine. Und dann muss man abwägen.

Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was wir gerade haben, ist Ausdruck der Gasknappheit. Und Gas steht nicht auf der Sanktionsebene. Gas ist etwas, das Russland nicht liefert, weil sie sich mit uns auseinandersetzen.

(Thomas Korell, AfD: Wer ist schuld daran?)

Niemand hat gefordert, Gas zu stoppen, außer Herr Thomas   so ehrlich muss man sein   und eine ganze Reihe von CDU-Funktionären, und zwar im März dieses Jahres.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Merz als CDU-Fraktionsvorsitzender   gucken Sie nach; das Netz ist zum Glück nicht vergesslich  , von dem Sie offensichtlich ein Fan sind   das habe ich zumindest immer so verstanden   hat im März ausdrücklich Energiestopps gefordert, also kein Gas mehr aus Russland.

(Zustimmung bei der AfD - Daniel Roi, AfD: So ist es! Richtig!)

Wissen Sie, wen Herr Merz damals kritisiert hat ob seiner Weichherzigkeit, ob seiner mangelnden Konsequenz? - Herrn Habeck und Frau Baerbock. Auch das gehört zur Wahrheit dazu, lieber Kollege Thomas.

(Zustimmung bei der AfD - Daniel Roi, AfD: Richtig!

Deswegen sage ich, natürlich kann man all diese Dinge überprüfen, aber jetzt eine Öffnung von Nord Stream 2 zu fordern   das lehnen wir ausdrücklich ab, das ist bei uns Beschlusslage  , ist einfach Blödsinn; denn dann gibt es zwei Leitungen, durch die kein Gas kommt.

(Thomas Korell, AfD: Das ist alles reine Spekulation!)

Das, liebe Kolleginnen, hilft uns dezidiert nicht.

(Zurufe von der AfD)

Das, was wir brauchen, ist etwas anderes. Wir brauchen eine Debatte darüber, wie die Menschen in diesem Land diesen Winter überstehen können. Und das ist eine Frage der Umverteilung

(Oliver Kirchner, AfD: Nein! - Zuruf von der AfD: Ha, ha, ha!)

und keine Frage der Sanktionen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab.- Danke.

(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Gallert. - Es gibt eine Intervention von Herrn Roi. - Herr Roi, bitte.


Daniel Roi (AfD):

Vielen Dank. - Die Krise, die wir erleben, ist keine Krise, die durch eine Naturkatastrophe hervorgerufen wurde, sondern sie ist durch politische Fehlentscheidungen hervorgerufen worden, und zwar zum einen durch die fehlgeleitete Energiewende und zum anderen durch die außenpolitische Karte, die Sie beschrieben haben - Stichwort Waffenlieferungen und Sanktionspolitik. Solange wir nicht an dieser Schraube drehen, müssen wir nicht erwarten, mit Russland einen partnerschaftlichen Handel mit Rohstoffen betreiben zu können.

Sie haben gerade selbst gesagt, die Waffenlieferungen müssen eingestellt werden. Diesen Schritt müssen Sie weiterdenken; denn es ist doch sinnvoll, mit Russland über Nord Stream 2 zu reden. Aber die Voraussetzung ist, dass man überhaupt erst einmal redet. - Punkt 1.

Punkt 2. Mich hätte interessiert, wo Ihre Kritik an dem Bandera-Kult ist, den DIE LINKE noch im Jahr 2015 per Anfragen im Bundestag hinterfragt hat. Es interessiert Sie heute offensichtlich überhaupt nicht mehr, mit wem wir da zusammenarbeiten.

Der nächste Punkt, den ich in Ihrer Rede vermisst habe, war das Stichwort NATO-Beitritt. Sie sind in Bezug auf die NATO auch eine kritische Partei, zumindest in Bezug auf das, was die NATO in den letzten Jahrzehnten so betrieben hat. Meine konkrete Frage: Sind Sie wirklich der Meinung, dass dieser Krieg so stattgefunden hätte, wenn die Ukraine nicht so gehandelt hätte, wie sie es getan hat, nämlich den NATO-Beitritt als erklärtes Ziel in ihre Verfassung zu schreiben? Das war doch der Punkt, an dem Putin ganz klar gesagt hat, und zwar bevor er angegriffen hat, das geht zu weit. Auch dazu haben Sie nichts gesagt.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Roi, das war Intervention. - Herr Gallert, wenn Sie dazu Stellung nehmen wollen, dann gern.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Ja. - Die letzten drei Fragen habe ich in meinem ersten Redebeitrag am, ich glaube, 25. oder 26. Februar 2022 in diesem Haus sehr deutlich beantwortet.

(Zuruf)

- Das kann man nachlesen. - Ich sage ganz klar: Es gab   der Meinung bin ich nach wie vor   viele, viele Fehler des Westens, der NATO, es gab völkerrechtliche Angriffskriege, aber nichts davon ist die Ursache für diesen Krieg. Inzwischen wissen wir, dass der Bundeskanzler vor dem 24. Februar 2022 gegenüber Selenskyj eindeutig garantiert hat   dafür ist er im Nachhinein übrigens kritisiert worden  , dass ein NATO-Beitritt der Ukraine überhaupt nicht zur Debatte steht. Ich meine, das ist kein Geheimnis; das wissen wir alle.

Wir haben die NATO-Ausweitung in den Westen natürlich trotzdem ausdrücklich kritisiert, aber wir wissen eindeutig: Ursache dieses Krieges ist eine nationalistisch-imperialistische, militaristische Ideologie und Politik des Putin-Regimes.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Darin unterscheiden wir uns vielleicht von Teilen der Koalition: Imperialismus ist für uns immer zu verurteilen, und zwar egal, ob aus Washington, Moskau, Ankara oder von wem auch immer organisiert.

Aber das Problem, das Sie haben, ist, dass Sie diesen Putin-Imperialismus mit dem amerikanischen entschuldigen. An dieser Stelle trennen wir uns sehr deutlich, Herr Roi.

In Bezug auf Bandera will ich ganz klar sagen: Wenn jedes Land, in dem es den Faschismus verherrlichende Strukturen gibt, auf einmal angegriffen werden müsste, oder wenn das eine Rechtfertigung dafür wäre, Krieg zu führen,

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Sachsen-Anhalt wäre arg gefährdet!)

dann   das muss ich ganz ehrlich sagen   würde ich mich auch in Sachsen-Anhalt schlagartig nicht mehr wohlfühlen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Insofern verurteilen wir ausdrücklich, dass linke Kräfte verprügelt und von faschistischen Strukturen innerhalb der Ukraine zum Teil aus dem Land getrieben worden sind. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass es in dieser Situation in der Ukraine nicht mehr das Jahr 2014 oder 2015 gibt, sondern dass es dort sehr wohl Auseinandersetzungen gegeben hat, die nicht dazu geführt haben, dass faschistische Strukturen in der Ukraine verschwinden. Aber das geschieht ja in Deutschland offensichtlich auch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Dann zuletzt noch einmal zu der Geschichte mit dieser korrupten Saubande. Transparency International nennt einen Wert von 32 für die Ukraine; sie belegt damit Platz 122 im globalen Ranking. Damit ist das also eine korrupte Saubande. Russland ist in dieser Liste mit einem Wert von 29 auf Platz 136. Ihr verehrter Herr Putin, Geldgeber für rechte Parteien in Europa - wie würden Sie ihn eigentlich bezeichnen, wenn Sie die Ukraine als korrupte Saubande bezeichnen?

(Oliver Kirchner, AfD: Alle korrupt!)

Danke, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)