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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 15

Beratung

Private Unterrichtsangebote organisieren und finanzieren!

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1106


Einbringer ist der Abg. Herr Lippmann. - Herr Lippmann, Sie haben das Wort. - Bitte sehr.


Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn das aktuelle Schuljahr noch einige Wochen läuft, die Vorbereitungen für das nächste Schuljahr sind bereits in vollem Gange. Uns erwarten weiter steigende Schülerzahlen und eine beständig schlechte Bewerberlage für neue Lehrkräfte, was Anlass genug für größte Sorgen um die Unterrichtsversorgung im kommenden Schuljahr ist.

Seit nunmehr acht Jahren verschlechtert sich die Unterrichtsversorgung von Jahr zu Jahr unaufhaltsam. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird sich auch im kommenden Schuljahr so fortsetzen. Vom Lehrkräftemangel sind zwar im Prinzip alle Schulformen betroffen, besonders gravierend sind aber die Einschnitte an den Schulen der Sekundarstufe I, also an den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen, aber auch an den Förderschulen. Schon im vorangegangenen Schuljahr hatten wir in diesen Schulformen bundesweit das schlechteste Unterrichtsangebot und der Abstand zu den anderen Bundesländern vergrößert sich immer weiter.

Der schulformspezifische Lehrkräftemangel und die daraus resultierende Einschränkung des Bildungsangebotes an unseren Schulen führen zu massiven Gerechtigkeitsproblemen, zu Unterschieden zwischen den Jugendlichen, die den noch relativ gut ausgestatteten gymnasialen Bildungsgang absolvieren, und den Jugendlichen, die alle anderen Bildungsgänge, einschließlich der Förderschulen, besuchen. Der größte Teil unserer Jugendlichen   das sind fast zwei Drittel   wird so in seiner Entwicklung massiv benachteiligt und im Schulsystem abgehängt.

Bereits im laufenden Schuljahr betrug der Unterschied in der Unterrichtsversorgung zwischen den Gymnasien und den Sekundarschulen offiziell elf Prozentpunkte, von 98 % bei den Gymnasien bis zu den dürftigen 89 % bei den Sekundarschulen. Doch das ist nur die geschönte Bilanz des Bildungsministeriums. Blendet man die mehrfach durchgeführten bedarfsmindernden Maßnahmen an den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen aus, dann liegt die Unterrichtsversorgung in diesen beiden Schulformen bereits deutlich unter 80 % und wird im kommenden Schuljahr real auf unter 75 % sinken.

In den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen lernen heute z. B. fast 7 000 Schülerinnen mehr als noch im Schuljahr 2013/2014. Dafür sind eigentlich mehr als 500 zusätzliche Lehrkräfte erforderlich. Tatsächlich ist der Lehrkräftebestand in diesen acht Jahren aber um mehr als 500 Lehrkräfte gesunken. An den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen fehlen also mindestens 1 000 Lehrkräfte, um wieder so wie im Schuljahr 2013/2014 unterrichten zu können.

Diese Entwicklung führt inzwischen dazu, dass immer mehr Schulen der Sekundarstufe I nicht mehr in der Lage sind, den Stundenplan mit eigenen Lehrkräften abzusichern. Inzwischen wird offenbar nicht mehr nur über 80-plus-10-Unterrichtsmodelle diskutiert, sondern mit Schulleitungen auch über die Planung von Vier-Tage-Unterrichtswochen beraten. Es gibt bereits Schulen, in denen an ganzen Schultagen kein Unterricht organisiert werden kann. Noch sind das einzelne Schulen; bis zum Ende der Wahlperiode wird es aber die gesamte Sekundarstufe I betreffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dann wird es außerhalb der Gymnasien keine Fünf-Tage-Unterrichtswochen mehr geben, und zwar bis weit in die 2030er-Jahre hinein. Deshalb muss jetzt mehr unternommen werden, um das Bildungsangebot in den Schulen der Sekundarstufe I wieder zu vervollständigen. Dabei wird es notwendig sein, auch auf private Unterrichtsangebote zurückzugreifen. Denn selbst bei extensiver Einstellung von Seiteneinsteigern gibt es in den nächsten zehn bis 15 Jahren wegen der ungenügenden Ausbildung keine Chance, genügend staatliche Lehrkräfte für diese Schulformen zu finden.

Ich kann mir gut vorstellen, dass sich einige beim Lesen unseres Antrags etwas verwundert die Augen gerieben haben: DIE LINKE fordert die Öffnung der öffentlichen Schulen für private Unterrichtsangebote. - Das ist schon ungewöhnlich,

(Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Ja!)

zeigt aber nur, wie dramatisch die Entwicklung ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich appelliere daher an die Koalitionsfraktionen, bei diesem Antrag nicht gewohnheitsmäßig mit uns zu streiten, sondern gemeinsam anzupacken, um den Niedergang in den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen aufzuhalten.

Unser Antrag orientiert dabei vor allem auf die Angebote privater Bildungsträger für einen guten berufspraktischen Unterricht.

(Ministerin Eva Feußner: Das machen wir doch schon!)

Diese sind in den letzten Jahren bereits entwickelt worden und sind inzwischen erprobt und ausgereift. Beispiele dafür sind etwa das Projekt „Pink!“ der Berufsakademie in Leuna oder das Projekt „Tabeo“ des Bildungszentrums für Beruf und Wirtschaft in Wittenberg.

Dieser berufspraktische Unterricht soll flächendeckend für die 8. und 9. Klassen aller Schulen der Sekundarstufe I im Umfang von einem ganzen Unterrichtstag pro Woche organisiert werden. Er unterscheidet sich grundlegend von dem aktuellen BRAFO-Angebot und von den Betriebspraktika. Betriebspraktika und BRAFO sollen dabei nicht wegfallen, sondern als etablierte Formen der Berufsorientierung in den berufspraktischen Unterricht integriert werden.

Ein qualitativ hochwertiger und vielseitiger berufspraktischer Unterricht, der an der konkreten wirtschaftlichen Struktur der Region ausgerichtet wird, ist nach unserer Überzeugung am besten dafür geeignet, das Unterrichtsangebot an den Schulen der Sekundarstufe I wieder zu ergänzen und durch eine gute Berufsorientierung und Berufsvorbereitung den Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler insgesamt zu verbessern.

(Beifall bei der LINKEN)

Es müssen deshalb jetzt zügig die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass allen Jugendlichen aus den Schulen der Sekundarstufe I ein solcher berufspraktischer Unterricht angeboten werden kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist der einzige Weg, um aus der Not des Lehrkräftemangels tatsächlich eine Chance für unsere Jugendlichen zu machen. Diese Chance, liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der CDU und der SPD, sind Sie unseren Jugendlichen schuldig.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn die Löcher in den Stundentafeln, die jetzt immer weiter aufreißen, sind allein die Folge Ihrer Personalpolitik in den letzten 15 Jahren.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Da aber auch durch berufspraktischen Unterricht der Ausfall ganzer Fächer nicht kompensiert werden kann, haben wir unseren Antrag etwas weiter gefasst. Wenn z. B. Träger der Erwachsenenbildung, wie etwa die Volkshochschulen, in der Lage sind, mit ihrem Fachpersonal den regulären Fachunterricht abzusichern, der sonst wegen des Mangels an staatlichen Lehrkräften nicht stattfinden kann, dann muss das künftig möglich sein.

Es geht jedenfalls nicht, dass sich die Schulbehörden nach den Einstellungsrunden zurücklehnen und die Hände heben, wenn noch immer riesige Defizite im Unterrichtsangebot bestehen. Es geht auch nicht, dass der Finanzminister Personalkosten im dreistelligen Millionenbereich zusammenstreicht, die für die Schulbildung zur Verfügung stehen müssen. Die gekürzten Personalmittel für die staatlichen Lehrkräfte müssen im Jahr 2023 wieder in den Haushalt eingestellt werden, und zwar so, dass auch Unterricht durch private Bildungsträger bezahlt werden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau jetzt ist die Zeit zum Handeln. Viele Gespräche in den letzten Monaten haben gezeigt, dass es ein großes Interesse bei den Schulen, beim Handwerk und bei der Industrie gibt. Und es gibt große Potenziale bei den Bildungsträgern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie diese Initiative deshalb ernst und lassen Sie die Jugendlichen, die nicht an den Gymnasien lernen, nicht weiter im Regen stehen. -  Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)