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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 4

Beratung

Die Zukunft bewegen - sachsen-anhaltische Automobilindustrie im Strukturwandel unterstützen!

Antrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/1036

Änderungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1052


Einbringen wird den Antrag der Abg. Herr Hövelmann. - Herr Hövelmann, bitte.


Holger Hövelmann (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In Sachsen-Anhalt gibt es rund 270 Betriebe, die der Automobilzulieferindustrie zuzurechnen sind. Wenn wir die gesamte Produktionskette eines Autos betrachten, also z. B. auch Eisengießereien oder Glashersteller, dann sind es nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sogar fast 700 Betriebe.

Je nach Berechnung arbeiten in diesen Betrieben knapp 24 000 bis 28 000 Sachsen-Anhalter. Damit sind überwiegend kleine und mittlere Betriebe prägend für diese Branche. Sie sind zwar nicht der große Kern der Wirtschaft Sachsen-Anhalts, aber sie sind in Teilen unseres Landes besonders wichtig, z. B. im Harz, und zwar wichtig als Anziehungspunkt für Fachkräfte, als Ausbilder für junge Menschen und als Träger der lokalen Wirtschaft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht übertrieben, wenn wir von einem gewaltigen Strukturwandel in der weltweiten Automobilindustrie sprechen.

(Zustimmung bei der SPD und von Olaf Meister, GRÜNE)

Zahlreiche Automobilhersteller   ich glaube, sogar mittlerweile alle   haben sich entschieden, in den kommenden zehn bis 15 Jahren aus der klassischen Verbrennertechnologie auszusteigen. Wasserstoff und vor allem Elektromobilität gewinnen in den Leitmärkten an Bedeutung. So wird in China   immerhin der wichtigste Absatzmarkt der deutschen Automobilhersteller   bereits jedes zehnte Fahrzeug mit Strom, Wasserstoff oder als Plug-in-Hybrid betrieben. Die Tendenz ist steigend. In der Europäischen Union waren im letzten Jahr mehr als 20 % der neu zugelassenen Fahrzeuge elektrisch betriebene Fahrzeuge.

Dieser Wandel, meine sehr verehrten Damen und Herren, betrifft natürlich auch die Zulieferbetriebe bei uns in Sachsen-Anhalt. Denn ein Auto mit Elektroantrieb braucht keine Kolben oder Zylinder. Ein Wasserstoffauto hat bspw. durch Gewichtsverlagerungen andere Anforderungen an Karosserien und Lenksysteme als ein klassischer Benziner oder Diesel.

Nun kann man diesen Wandel gut oder schlecht finden. Man kann ihn ideologisch betrachten oder man kann ihn rational betrachten. Er ist da. Die Dramatik der Situation sollten wir daher nicht unterschätzen. In einem Fachgespräch des Wirtschaftsausschusses im Februar vor wenigen Wochen ging bspw. die IG Metall davon aus, dass allein in Halberstadt 6 000 Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie durch das Ende des klassischen Verbrennermotors gefährdet sind. - 6 000!

Die vielen kleinen und mittleren Unternehmen der Branche haben oft nicht die Mittel, aus einiger Kraft ihre Produktion umzustellen, die Fachkräfte umzuschulen und auch das notwendige Know-how in den neuen Antriebstechnologien aufzubauen. Alle am erwähnten Fachgespräch beteiligten Unternehmen, Gewerkschaften und Wissenschaftler haben deutlich gemacht, dass die Politik, also dass wir dringend handeln und die Branche unterstützen müssen.

Wir als SPD haben daher gemeinsam mit unseren Koalitionspartnern die Initiative ergriffen. Mit dem Ihnen vorliegenden Antrag wollen wir unsere heimische Automotive-Industrie für die anstehenden Veränderungen besser fit machen. Dazu zählt zunächst eine Unterstützung der Investitionen. Der Bund hat mit dem Zukunftsfonds Automobilindustrie bereits ein milliardenschweres Paket aufgelegt, welches die Vernetzung der Akteure, die Digitalisierung der Industrie und den Aufbau von Know-how bei den kleinen und mittleren Unternehmen fördern soll.

Wir wollen ergänzend dazu mit landeseigener Förderung besonders die Investitionen unterstützen, die eine veränderte Produktion ermöglichen. Wir wollen also bspw., dass ein auf Motorkolben spezialisierter Zulieferer neue Produktpaletten entwickeln und aufbauen sowie die dafür notwendigen Anlagen anschaffen kann.

Zudem wollen wir für die Beschäftigten unserer Automotive-Branche Weiterbildungsangebote schaffen. Ihr Können und ihre Jobs dürfen im Strukturwandel der Branche nicht verloren gehen. Wer heute noch Teile für Verbrennungsmotoren herstellt, kann dann morgen vielleicht als Mechatronikerin oder Mechatroniker an Elektroautos arbeiten.

Das Land Sachsen-Anhalt hat bspw. mit dem Fachkräftesicherungspakt schon die notwendigen Rahmenbedingungen für diese Aufgabe geschaffen. Ich bin mir daher sicher, dass wir zusammen mit den Unternehmen geeignete Programme geschaffen können, die unsere Fachkräfte im Land halten.

(Zustimmung bei der SPD)

Klar ist aber auch: Der Umbau der bestehenden Unternehmen allein wird nicht ausreichen, um den Strukturwandel abzufedern. Es braucht weiterhin eine kluge Ansiedlungspolitik im Land, die die Wertschöpfung der Automotive-Branche erhält und ausbaut. Nicht alles muss sich dabei gleich in der Größenordnung von Intel bewegen. Doch getreu unserem Landesmotto „modern denken“ sollen innovative und zukunftsträchtige Unternehmen jedweder Größenordnung in Sachsen-Anhalt ihren Beitrag zur Mobilität von morgen leisten können. Auch hierfür sind die Rahmenbedingungen eigentlich sehr gut. Wir müssen sie nur nutzen.

Von den Unternehmen wissen wir darüber hinaus, dass es vor Ort am Know-how zu den neuen Antriebstechnologien mangelt. Auch der Technologietransfer   das heißt, vom Labor zum Fließband   stellt für viele ein Problem dar. Dem müssen wir entgegensteuern.

Wir wollen und werden daher Forschung und Entwicklung in diesem Bereich besonders fördern. Wichtig ist dabei Technologieoffenheit. Es ist nicht klar, ob E- oder Wasserstofftechnologie und  mobilität in Zukunft das Rennen machen werden. Beides hat Vorteile, Nachteile und Herausforderungen. Und wer weiß, was uns die Ingenieurskunst in den nächsten Jahren noch an zusätzlichen Möglichkeiten schaffen wird?

Zu guter Letzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, wollen wir dafür Sorge tragen, dass alle beteiligten Akteure inklusive der von der Automotive-Branche geprägten Kommunen gemeinsam erfolgreich durch diesen Strukturwandel gehen. Einige werden sich erinnern: Bereits in der letzten Legislaturperiode sollte dazu ein Strategiedialog eingerichtet werden. Die Pandemie hat dies leider vorerst verhindert.

Angesichts der Entwicklungen auf dem Automobilmarkt sind jedoch der Austausch und die Vernetzung von Politik, Unternehmen, Gewerkschaften, Verkehrsverbänden und vielen anderen umso dringender geworden. Die Länder Niedersachsen und Baden-Württemberg haben desbezüglich bereits vorgelegt. Wir sollten dem nicht nachstehen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich habe es bereits gesagt: Ob wir den Strukturwandel in der Automobilindustrie gut oder schlecht finden, ist eigentlich egal. Er findet statt, und zwar jetzt in diesem Moment und in Zukunft immer schneller.

Von uns als Politik wird erwartet, dass wir den Betroffenen bei den anstehenden Herausforderungen helfen und dass wir sie nicht allein lassen. Die SPD und ihre Partner in dieser Koalition wissen um diese Verantwortung. Wir schaffen mit dem vorliegenden Antrag den Rahmen, um den Wandel zu einer modernen umweltfreundlichen Automobilindustrie auch in Sachsen-Anhalt erfolgreich zu bewältigen.

Ich bitte um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Hövelmann, für die Einbringung. Es gibt eine Intervention von Herrn Scharfenort. Außerdem gibt es noch einen Fragewunsch von Herrn Gallert. Wollen Sie diese Frage zulassen?


Holger Hövelmann (SPD):

Ja.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Dann erst einmal Herr Scharfenort.


Jan Scharfenort (AfD):

Herr Hövelmann, Sie haben die Probleme durchaus richtig beschrieben. Aber was sind denn die Ursachen dieses Problems und der zukünftige Arbeitsplatzverluste gerade in Sachsen-Anhalt für die Zulieferindustrie? - Diese Rahmenbedingungen werden doch von der Politik, also auch von Ihnen gesetzt. Dabei gibt es eben eine einseitige Bevorzugung der E-Mobilität. Sie sprechen von „technologieoffen“. Das sind Sie nicht. Dafür sollten Sie sich im Bundestag bei der Regierung stark machen.

China zieht den Subventionsstecker noch in diesem Jahr. China wird ab 2025 sogar einseitig die E Fuels bevorzugen. Das sollten wir auch machen. Wenn Sie sagen, dass Sie technologieoffen sind, dann sollten Sie Rahmenbedingungen schaffen für die E Fahrzeuge und auch für die Verbrenner mit E Fuels. Das ist egal. Man kann die Technologie weitestgehend weiterverwenden und übrigens auch die Infrastruktur. Das wäre wirklich technologieoffen. So hätte man auch deutlich geringere volkswirtschaftliche Kosten.

Wenn Sie wirklich an der CO2-Reduzierung interessiert wären und das möglichst schnell erreichen wollten   das sagen Ihnen alle Fachleute  , dann könnten wir es am schnellsten erreichen über eine schrittweise Erhöhung des Anteils der synthetischen Kraftstoffe an den normalen Kraftstoffen. Das wäre mit volkswirtschaftlich minimalen Kosten zu erreichen. Sprechen Sie bitte einmal mit den Vertretern, gerade auch aus dem Harz. Die haben das genau so bestätigt und die haben auch ganz klar gesagt, dass das Problembewusstsein hier im Landtag überhaupt noch nicht angekommen ist.

(Zustimmung bei der AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Scharfenort. - Herr Hövelmann, wollen Sie reagieren?


Holger Hövelmann (SPD):

Es ist eine Intervention.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Ja, es ist eine Intervention. - Dann bitte, Herr Gallert.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Mich interessiert im Grunde genommen etwas, was in Ihrem Antrag angedeutet wird, aber interessanterweise nicht darin steht. Sie sagen, Sie wollen in Ergänzung zum Zukunftsfonds Automobilindustrie des Bundes ein eigenes Landesprogramm haben. Ein solches Landesprogramm könnte eine symbolische Bedeutung haben oder eine tatsächliche Wirkung. Deswegen würde mich interessieren, welche Dimension Sie sich dabei vorstellen, um die Dinge voranzubringen, die Sie aufgelistet haben.


Holger Hövelmann (SPD):

Jetzt wollen Sie eine Zahl von mir wissen?


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Ja.


Holger Hövelmann (SPD):

Welche hätten Sie denn gern? - Nein, mit aller Ernsthaftigkeit: Lassen Sie uns analysieren, welcher Bedarf bei den Firmen vorhanden ist, um genau diesen Technologietransfer und genau diese Ergänzung für das Bundesprogramm aus sachsen-anhaltischer Sicht zu gewährleisten. Das werden wir sicherstellen. Jetzt sage ich einmal salopp: Ob der Betrag dann sechsstellig oder siebenstellig ist, werden wir in Haushaltsberatungen verabreden und auch sicherstellen.

Wir wollen als Koalition   ich bitte Sie, den Antrag so zu verstehen   die Weichen dafür stellen, dass die Unternehmen in unserem Land, die in dieser Branche tätig sind   wenn sie nicht aus anderen Gründen in Schwierigkeiten geraten, was politisch nicht immer zu beeinflussen sind  , auch in Zukunft erfolgreich ihre Produkte in Sachsen-Anhalt erzeugen können und dass die Menschen, die dort arbeiten, auch in Zukunft sichere und anständig bezahlte Arbeitsplätze haben.

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP, und von Andreas Silbersack, FDP)

Dem werden wir folgen und das werden wir auch sicherstellen.