Eva Feußner (Ministerin für Bildung):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und - ich muss betonen, das hat mir in Ihrem Vortrag gefehlt - der SED-Diktatur
(Zustimmung bei der CDU, bei der AfD und von Andreas Silbersack, FDP)
ist kein abgeschlossener Teil der Vergangenheit. Sie bleibt eine beständige demokratische Aufgabe der Gegenwart und der Zukunft.
Besonders die schulische historisch-politische Bildung trägt hierbei Verantwortung. Sie befähigt junge Menschen dazu, Geschichte in ihren Konsequenzen zu verstehen, Extremismus von links und von rechts in seinen Wurzeln zu erkennen und sich aktiv für unsere freiheitliche Demokratie einzusetzen.
Gedenkstättenbesuche leisten in diesem Kontext einen unverzichtbaren Beitrag. Sie ermöglichen Schülerinnen und Schülern eine reflexive, emotionale und kognitive Auseinandersetzung mit der Geschichte weit über das hinaus, was allein im Unterricht vermittelt werden kann.
Die Begegnung mit Orten des Erinnerns, sei es im Kontext des Nationalsozialismus oder der SED-Diktatur, hat eine unmittelbare Wirkung auf das Geschichtsbewusstsein und auf das demokratische Selbstverständnis junger Menschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Sachsen-Anhalt existiert bereits eine zentrale Förderstruktur, getragen von der Landeszentrale für politische Bildung in Zusammenarbeit mit der Stiftung Gedenkstätten. Sie ermöglicht sowohl vollfinanzierte Fahrten zu landeseigenen Gedenkstätten der Stiftung als auch die Teilförderung von Fahrten zu bundes- und europaweiten Orten des Erinnerns. Das ist übrigens einmalig in Deutschland. Gemeinsam mit Trägern wie Arbeit und Leben e. V. werden Angebote bereitgestellt, bei denen Schulen organisatorisch und pädagogisch entlastet werden. Mit diesen Angeboten können wir uns bundesweit tatsächlich sehen lassen. Wir als Land finanzieren innerhalb von Deutschland die Gedenkstättenfahrten vollständig; diesbezüglich sind wir wirklich das einzige Bundesland.
Die Zahlen der Gedenkstättenbesuche sind in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Im Jahr 2024 fanden 172 Fahrten zu den Gedenkstätten der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt statt, die von der Landeszentrale, wie gesagt, vollständig finanziert wurden. In diesem Jahr liegt die Zahl Stand heute bereits bei 180 Fahrten. Hinzu kamen 14 Studienfahrten mithilfe von Bundesmitteln im Rahmen des Kinder- und Jugendplanes und aus Mitteln der Landeszentrale für Studienfahrten nach Ost- und Ostmitteleuropa mit unserem Partner Arbeit und Leben e. V.
Erst im Herbst des vergangenen Jahres hat mein Haus die Schulen in einem Schulleiterschreiben ermutigt, von den vorliegenden Angeboten noch stärker Gebrauch zu machen. Daher begrüßen wir ausdrücklich, dass das Thema auf die Tagesordnung der heutigen Landtagssitzung gesetzt wurde. Die Intention, Gedenkstättenfahrten zu stärken und im Rahmen der Vermittlung historischer Bildung an Schulen verbindlicher zu gestalten, trifft auf grundsätzliche Zustimmung.
Der heute vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke nennt zentrale Zielsetzungen, die wir im Großen und Ganzen unterstützen. Aber ich habe soeben schon dargestellt: Eigentlich tun wir all das schon.
(Oliver Kirchner, AfD: Das gibt es doch schon alles!)
- Eben. - Allerdings wäre eine flächendeckende Umsetzung - das muss ich kritisch sagen - der geforderten verpflichtenden Gedenkstättenfahrten - ich habe aber jetzt gehört, Sie wollen es wahrscheinlich doch gar nicht verpflichtend -
(Eva von Angern, Die Linke: Die Schulen verpflichten! - Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)
- ja, ich habe das verstanden, ich habe ja aufmerksam zugehört; darüber könnte man sicherlich noch diskutieren - für alle Schülerinnen und Schüler bis zum Ende der Sekundarstufe I unter den gegenwärtigen Bedingungen eher nicht realistisch.
(Oliver Kirchner, AfD: Dort steht „verpflichtend“!)
Sowohl die Schulen als auch die Gedenkstätten sowie die Landeszentrale als koordinierende Stelle würden dabei mit den Personalkapazitäten und der Finanzierung an klare Grenzen stoßen. Zudem würde eine verpflichtende Umsetzung konzentriert auf die Jahrgänge 9 und 10 erhebliche logistische Herausforderungen mit sich bringen, etwa was die Verfügbarkeit von Bussen, Unterkünften und pädagogischer Begleitung in den Gedenkstätten anbelangt.
Das zeigt: Gute Absichten allein reichen nicht, es braucht einen fundierten und realistischen Weg der Umsetzung. Aus der Sicht des Ministeriums wäre daher ein gestuftes Vorgehen sinnvoll. Ich rege an, vielleicht auch einmal im Ausschuss für Bildung gemeinsam mit dem Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, Medien sowie Kultur ein Expertengespräch durchzuführen, das zentrale Akteure zusammenbringt, insbesondere die Gedenkstätten, die Stiftung Gedenkstätten, Schulen, die Landeszentrale und, nicht zu vergessen, das LISA, die auch eine wesentliche Rolle spielen. Ziel dieses Gespräches sollte sein zu prüfen, unter welchen Rahmenbedingungen eine schrittweise Ermöglichung von Gedenkstättenfahrten für jeden Schüler und jede Schülerin während der Schulzeit vielleicht bis zum Jahr 2030 möglich ist. Darüber kann man sich gern einmal austauschen. Ich glaube, das ist sehr ratsam.
Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen, nicht mit symbolischen Festlegungen, sondern mit konkreten, aber auch umsetzbaren Schritten - nicht unter Zwang, sondern im Bewusstsein gemeinsamer Verantwortung für unsere Geschichte und für unsere Demokratie, in der wir leben. - Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und von Andreas Silbersack, FDP)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Ministerin, es gibt eine Frage oder eine Intervention - ich bin mir nicht ganz sicher - von Herrn Tillschneider.
Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):
Eine Frage.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Herr Tillschneider, Sie haben das Wort.
Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):
Diese Gedenkstättenfahrten wenden sich einem dunklen Kapitel unserer Geschichte zu und sind deshalb immer belastend.
Ich habe einmal eine Frage: Gibt es auch etwas Vergleichbares? Gibt es Ausflüge - Gedenkstättenfahrten sind es ja nicht -, Schulausflüge verpflichtend für alle, die sich positiven Aspekten unserer Geschichte zuwenden, also z. B., dass man einmal im Jahr einen Bismarckturm in der Nähe besucht oder sonst etwas?
(Eva von Angern, Die Linke: O Gott!)
Gibt es dazu ein Äquivalent?
(Zurufe von Stefan Gebhardt, Die Linke, und von Olaf Meister, GRÜNE - Unruhe)
- Nein. Gibt es ein Äquivalent, das genauso üblich und genauso weit verbreitet an unseren Schulen ist wie diese Gedenkstättenfahrten, das sich aber nicht auf ein dunkles Kapitel unserer Geschichte bezieht, sondern auf ein helles Kapitel?
Eva Feußner (Ministerin für Bildung):
Herr Tillschneider, dazu könnte ich Ihnen jetzt eine große Anzahl aufzählen.
(Zustimmung bei der Linken - Hendrik Lange, Die Linke: Ja, genau! - Zuruf von Eva von Angern, Die Linke)
Wir machen nämlich auch im kulturellen Bereich sehr, sehr viel mit unseren Schülern. Wir organisieren nicht nur Theaterbesuche und Museumsbesuche, sondern auch Klassenfahrten, die nicht nur Freude und Spaß bringen sollen, sondern die auch immer einen pädagogischen Hintergrund haben. Das muss auch jede Pädagogin, die das vorbereitet, gemeinsam mit den Schülern entsprechend so dokumentieren.
Es gibt Besuche bei ganz, ganz viele Kultur- und Baustätten. Insbesondere mit denen, die in unmittelbarer Umgebung sind, fangen schon die Grundschulen an.
(Eva von Angern, Die Linke: Bauhaus! - Stefan Gebhardt, Die Linke: Bauhaus - ein Ort der Geschichte!)
In den weiterführenden Schulen setzt sich das fort. Dazu können wir uns gern im Bildungsausschuss austauschen. Ich könnte Ihnen eine Vielzahl aufzählen. Ja? - Danke schön.