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Plenarsitzung

Transkript

Holger Hövelmann (SPD): 

Vielen herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf das soeben Gesagte gehe ich nicht ein.

(Ulrich Siegmund, AfD: Brauchen Sie auch nicht!)

Ich will mich am Tagesordnungspunkt orientieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich beim Lesen des Antragstextes zur heutigen Aktuellen Debatte der FDP-Fraktion nachgedacht habe, wie man denn darauf reagiert oder was wir denn an Positionen vortragen wollen, habe ich mich gefragt, an wen sich die FDP-Fraktion eigentlich wenden will. Denn sie fordert „jetzt die Zukunft der Unternehmen in Sachsen-Anhalt sichern“. Wer soll das tun? - Als Teil der Landesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP,

(Guido Kosmehl, FDP: Machen wir das!)

können Sie daran mitwirken, genauso wie das die Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion tun oder wie es meine Fraktion tut. Ich denke, dass wir bei den Themen insgesamt gar nicht so weit auseinanderliegen. Wenn Sie also in letzter Zeit den Eindruck hatten, dass wir Ihre Expertise nicht wahrnehmen, dann kann ich Ihnen sagen: Zumindest meine Fraktion tut das und wir freuen uns über jede Anregung. Ich habe heute aber auch vernommen, dass es doch eine ziemlich intensive Aufrechnung und vielleicht auch eine Abrechnung mit der Bundespolitik war.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Minister hat in seinem Beitrag deutlich gemacht: Die wirtschaftliche Lage ist nicht zufriedenstellend. Wir sind weiterhin mit den energiepolitischen Folgen des Ukrainekrieges konfrontiert. Das alte, auf billigem russischen Gas basierende Geschäftsmodell vieler Firmen funktioniert nicht mehr. Beim Abbau von bürokratischen Lasten sind wir längst noch nicht am Ende. Mit der neuen US-amerikanischen Zollpolitik - wir werden heute Nachmittag auch noch die Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren - ist ein weiterer Unsicherheitsfaktor für die Unternehmen eingetreten. Die „Volksstimme“ berichtete in Bezug auf Firmeninsolvenzen vergangene Woche sogar von einem - ich zitiere - schwarzen April für Sachsen-Anhalt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hiermit wurde auch langsam der Punkt erreicht, an dem wir uns nicht weiter in Depressionen stürzen sollten. Denn das Gesamtbild ist doch wesentlich differenzierter. Ja, die Insolvenzen unter anderem von Bohai Trimet in Harzgerode und von ORWO Net in Wolfen sind schwere Schläge für die Region. Es trifft aber in vielen Fällen Unternehmen, die schon lange Umsatzprobleme hatten und bei denen schlicht der Kipppunkt erreicht wurde. Besonders die beiden genannten großen Firmen haben zudem gut gefüllte Auftragsbücher und die Chance auf eine selbstgeführte Sanierung. Es ist ernst zu nehmen, aber längst kein Grund zur Panik. 

Mit einem Blick auf die Zahlen gilt weiterhin das, was ich vor einem halben Jahr hier gesagt habe. Trotz aller seitdem geschehenen Krisen liegen Umsatz und Exporte unserer Unternehmen deutlich über dem Niveau von 2019. Trotz der Probleme bei der Intel-Ansiedlung finden in Sachsen-Anhalt weiterhin Investitionen in Milliardenhöhe statt. Trotz aller Schwierigkeiten können sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über ein Lohnniveau freuen, das sich mit großen Schritten dem bundesdeutschen Durchschnitt annähert. Ich glaube, das ist etwas, worauf wir lange gewartet haben. Unsere Wirtschaft steckt also nicht im finsteren Tal. Wir müssen nur aufpassen, dass sie dort nicht hineinläuft.

Seit zwei Wochen, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat Deutschland nun eine neue Bundesregierung. Diese ist schon im Vorfeld wichtige Schritte gegangen. Das neue Sondervermögen Infrastruktur wird, wenn wir es klug einsetzen, die Binnennachfrage in Deutschland deutlich erhöhen. Freuen wird die Unternehmen auch, dass CDU, CSU und SPD als Sofortmaßnahme die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß senken und einen Industriestrompreis einführen wollen. Das sind übrigens beides Vorschläge, die wir hier im Parlament immer eingebracht und diskutiert haben.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Und die an der FDP gescheitert sind!)

Ich könnte noch einmal daran erinnern - ich will es aber nicht  , warum es in der Bundesregierung nicht erfolgreich umgesetzt worden ist.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bürokratieentlastung ist durch die frühere Bundesregierung mit dem Bürokratieentlastungsgesetz IV erfolgreich auf den Weg gebracht worden. Die neue Regierung wird das Momentum aufgreifen. So wird unter anderem der Bitte von Unternehmen nachgegangen - das ist bereits genannt worden  , das nationale Lieferkettengesetz durch die europäische Lieferkettenrichtlinie zu ersetzen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich gebe aber auch zu, dass ich über den Antragstext an einer Stelle ein wenig irritiert bin. In vielen Worten haben die Antragsteller der FDP dargestellt, was sie wirtschaftspolitisch für bedenklich halten, um dann im letzten Satz zu schreiben, ich darf zitieren  : „Wer unsere Unternehmen schwächt, schwächt den Zusammenhalt in unserem Land.“ In der Pauschalität jedenfalls möchte ich das so nicht stehen lassen.

(Zustimmung bei der SPD)

Denn der Zusammenhalt in unserem Land ist nicht durch eine Wirtschaftspolitik gefährdet, die man gut oder schlecht finden kann. Gesellschaftliche Spaltung beginnt dort, wo man dem Gegenüber nur noch das Schlechteste unterstellt, indem man z. B. Menschen, die für den Ausbau erneuerbarer Energien eintreten, als verblendete Ideologen oder Bürgergeldempfänger als Schmarotzer darstellt

(Zustimmung bei der SPD und von Olaf Meister, GRÜNE)

oder den Einsatz für faire Löhne und den Kampf gegen Schwarzarbeit als Generalverdacht und Kontrollwahn gegenüber Unternehmen darstellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die politische Verantwortung von uns allen liegt doch darin, bei allen Differenzen, immer einen Kompromiss zu finden. Wer sich durch möglichst radikale Splitterpositionen profilieren will, der wird jedenfalls nach meiner Überzeugung dieser Verantwortung nicht gerecht.

(Felix Zietmann, AfD: Gesunder Menschenverstand sind keine Splitterpositionen!)

Ich möchte das betonen, weil wir das auch hier im Parlament viel zu oft erleben müssen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was brauchen unsere Unternehmen jetzt? - Diese Frage haben wir schon im letzten Jahr mit dem Wort „Verlässlichkeit“ beantwortet. Das heißt, dass wir im Sinne der politischen Berechenbarkeit an getroffenen Entscheidungen festhalten und nicht bei jedem Problem eine Rolle rückwärts machen. Übrigens schafft Frau Reiche mitnichten das Heizungsgesetz oder das Lieferkettengesetz ab.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Wolfgang Aldag, GRÜNE, lacht)

Das heißt auch, dass wir als Politik auch dort, wo es Verbesserungs- und Nachbesserungsbedarf gibt, handeln können und handeln wollen, und dass wir die vielen guten Ideen, die wir im Land und im Bund haben, politisch gemeinsam zuverlässig umsetzen.

Ich werbe an dieser Stelle auch dafür, Gewerkschaften und Betriebsräte einzubeziehen. Denn die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmerinteressen haben doch ein ureigenes Interesse daran, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben. Wer denn sonst, wenn nicht die, die sie ausfüllen, haben dieses Interesse? Deswegen sollten wir zuhören, welche Ideen sie für die Zukunft unserer Wirtschaft haben. Es wird auch viel Unsicherheit bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wegnehmen, wenn sie sich aktiv an der Debatte über die Zukunft unseres Wirtschaftsstandortes beteiligen können.

Was wir definitiv nicht brauchen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein Ausspielen verschiedener Bereiche gegeneinander. Das gilt für das Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Das gilt aber gleichermaßen für das Verhältnis von Wirtschaft und Sozialem. In der politischen Debatte ist oft schnell folgendes Motto zu hören: Das Soziale ist der Luxus, den wir uns in guten Zeiten leisten können und den wir in schlechten absägen müssen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, soziale Unterstützung und ein gutes Sozialsystem sowie wirtschaftlicher Erfolg hängen voneinander ab. Wenn die Kita aus finanziellen Gründen nur halbtags geöffnet hat, dann können Eltern eben nur in Teilzeit arbeiten. Wenn wir Sprach- und Integrationskurse für Migranten streichen, dann wird es bei der Fachkräftesuche für Unternehmen schwierig.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der AfD: Oh!)

Wenn in finanziell schwierigen Zeiten zuerst Angebote der Jugendhilfe gestrichen werden, dann suchen viele talentierte junge Menschen eben in anderen Regionen ihr Glück. Nichts davon, meine sehr verehrten Damen und Herren, hilft der Wirtschaft weiter.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Aktuelle Debatte ist mit dem Titel „Feuer im Maschinenraum“ überschrieben. Das klingt nach großer Gefahr, bei der sofort viel Wasser herangeholt werden muss. Nur geht auch die richtig ausgebildete Feuerwehr nicht ohne eine Erkundung der Situation in einen brennenden Raum. Auch sie schaut erst einmal, wem schnell zuerst geholfen werden muss, wie man ein Ausbreiten des Feuers verhindert und mit welchen Mitteln und Methoden der Brand am besten gelöscht wird. 

Übertragen auf die Wirtschaft heißt das, wir sollten das tun, was unseren Unternehmen hilft. Dazu brauchen wir eine differenzierte Diskussion unter uns, aber auch mit Experten und Praktikern. Ich unterstelle, meine sehr verehrten Damen und Herren, uns allen das aufrichtigste Interesse am Wohlergehen unserer Wirtschaft. Die Ansätze mögen sich unterscheiden, aber im Rückblick haben wir doch immer eine parteiübergreifende Lösung gefunden. Die kann nur entstehen, wenn gemeinsam und respektvoll, auch über die heutige Zehnminutendebatte hinaus, diskutiert wird. Die gerade in den USA zu beobachtende Tendenz, möglichst radikale Forderungen aufzustellen, per Dekret alles niederzureißen und dann mit großen Augen auf die Folgen zu schauen, bringt niemandem etwas.

(Zustimmung bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN)

Der letzte Satz, Frau Präsidentin, ist: Die SPD - das wissen Sie - steht für eine gute, gemeinsame Lösungsfindung unter Demokraten. So arbeiten wir im Land und so arbeiten wir im Bund. - Herzlichen Dank.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Hövelmann. Es gibt eine Nachfrage, und zwar von Herrn Gallert. - Herr Gallert, bitte.


Wulf Gallert (Die Linke): 

Herr Hövelmann, ich habe mich sehr über einen Satz in Ihrer Rede gefreut, und zwar darüber, dass Sie ausdrücklich sagen, wer die Durchsetzung des Mindestlohns als Kontrollwahn abdisqualifiziere, treffe hier die falsche Entscheidung. Nun haben wir genau dazu einen Antrag im Wirtschaftsausschuss behandelt und wir haben dort versucht, eine Anhörung zu beantragen, um zu erfahren, warum es fast keine Kontrollen mehr gibt, obwohl die Quote der Verstöße bei den übrig gebliebenen Kontrollen deutlich steigt. Dazu hat auch der Vertreter der SPD-Fraktion gesagt - ich kann es auch direkt sagen, es war eine öffentliche Sitzung  , also Sie haben gesagt: Na ja, das stehe jetzt erst einmal nicht zur Debatte; man wolle später irgendwann einmal eine Anhörung zur Schwarzarbeit machen und darin könne man die Fragen auch stellen. 

Wenn ich Sie heute richtig verstanden habe, dann wäre es doch eigentlich vernünftig, dass wir eine gemeinsame Initiative starten, um uns um dieses Problem in Sachsen-Anhalt zu kümmern, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. - Danke.


Holger Hövelmann (SPD): 

Ich darf reagieren, Frau Präsidentin?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Hövelmann, bitte.


Holger Hövelmann (SPD):

Sie können natürlich jederzeit Anträge stellen. Das machen Sie auch und das ist völlig in Ordnung so. Wir haben das Thema Schwarzarbeit, das Thema Dumpinglöhne und damit auch das Thema der Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns im Blick. Wir kümmern uns darum. Wenn Sie darauf abzielen, dass Sie in einer Sitzung mit Ihrem Antrag nicht durchgekommen sind, dann will ich Ihnen Folgendes sagen: Ich habe selbst - das wissen Sie - einen Antrag eingereicht, der sich mit den Thematiken befasst. Der wird, so hoffe ich es, in der nächsten Sitzung des zuständigen Ausschusses für Wirtschaft und Tourismus beraten werden. Ich finde, dorthin gehört dann auch diese Debatte. Ich finde es zunehmend schwierig, dass, wenn man sich für einen Bereich engagiert, dieses Engagement einem dann zum Vorwurf gemacht wird. Das sage ich jetzt einmal sehr persönlich. Denn ich habe Ihnen damit, auch in der Sitzung, die Brücke gebaut, Ihre Anliegen in dem Ausschuss vortragen zu können. Punkt.