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Plenarsitzung

Transkript

Andreas Silbersack (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir begrüßen den Antrag der Linken und die Diskussion zu dem Thema Erinnerungskultur grundsätzlich. Ich glaube, gerade vor dem Hintergrund des 80. Jahrestages des Kriegsendes und des 80. Jahrestages der Befreiung der KZ in Auschwitz, Stutthof, Buchenwald und anderen ist es wichtig, dass wir uns der Erinnerungskultur tatsächlich zuwenden. 

(Beifall bei der FDP, bei der Linken und bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Erinnerungskultur ist dabei nicht nur ein Begriff und ein Selbstzweck, sondern sie ist auch die Möglichkeit, sich mit dem Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit auseinanderzusetzen. Unfreiheit ist etwas, das wir in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich gespürt haben. Wir leben in Freiheit. Insofern ist es extrem wichtig, dass wir nachfolgenden Generationen verdeutlichen, was Unfreiheit bedeutet und welchen Wert die Freiheit hat. 

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Eva von Angern, Die Linke, von Stefan Gebhardt, Die Linke, und von Dr. Katja Pähle, SPD)

Nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges wurde in das Grundgesetz eine Reihe von Grundrechten aufgenommen, die die sogenannten Freiheitsrechte darstellen, ob das die Meinungsfreiheit, die Glaubensfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit oder andere Freiheiten sind. Sie sind letztendlich ein Resultat dessen, was in den Jahren zuvor, zwischen 1933 und 1945, geschah: die Verbrechen des Nationalsozialismus, die Verbrechen in den Konzentrationslagern, die ihresgleichen in der Geschichte der Menschheit suchen. 

Wer sich dieser Erinnerungskultur zuwendet, der bekommt ein sehr sensibles Gespür für den Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit. 

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Juliane Kleemann, SPD)

Dann wird das nahbar, wenn Menschen am Tor von Auschwitz ihre Sachen, ihre Ringe, all das abgeben mussten und dann nackig dastanden, dann in die Gaskammer kamen oder, wenn sie Glück hatten, Arbeit verrichten mussten und dabei starben. 

Das muss den Menschen, das muss den nachwachsenden Generationen verdeutlicht werden. Insofern begrüßen wir es ausdrücklich, dass wir uns diesem Thema zuwenden. Denn es ist nicht nur eine Betrachtung der Vergangenheit, sondern die Abgrenzung, die Erkennbarkeit zwischen Freiheit und Unfreiheit wird uns durch die Erinnerungskultur nahegebracht.

(Zustimmung von Konstantin Pott, FDP)

Deshalb ist dieses Thema der Erinnerungskultur so wichtig.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Die Erinnerungskultur ist natürlich etwas, das nicht allein auf die Jahre von 1933 bis 1945 beschränkt ist, sondern zwischen 1945 und 1990 - es wurde von einigen Rednern schon gesagt - wurde das Unrecht fortgesetzt. Wer sich davon ein Bild machen möchte und es noch nicht getan hat, der sollte sich einmal die Gedenkstätte im „Roten Ochsen“ anschauen. Denn dort wurden von 1933 bis 1945 meines Wissens ungefähr 600 Todesurteile vollstreckt. Nach 1945 hat erst die Sowjetunion dieses Gefängnis für ihre Gräueltaten genutzt und es wurde dann auch fortgesetzt. Dort, wo vorher die Leute erschossen und in den Zellen gehängt wurden, hat die Stasi später Verhöre durchgeführt. Mein eigener Großvater saß wegen Spionageverdachts in den 1950er-Jahren im „Roten Ochsen“ und hat die Unfreiheit am eigenen Leib gespürt. Insofern ist es unsere Verpflichtung, wenn wir über Erinnerungskultur sprechen, über eine Ganzheitlichkeit der Erinnerungskultur zu sprechen.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU, bei der Linken und bei der SPD)

Das ist auch unsere Verpflichtung der nachwachsenden Generation gegenüber. Insofern begrüßen wir als Freie Demokraten es ausdrücklich, dass wir uns hier und dann auch im Ausschuss mit dem Thema der Erinnerungskultur weitergehend beschäftigen. Wir haben im Augenblick eine aufgeriebene Gesellschaft; es zerreißt sich. Unsere Aufgabe ist es, den Blick dafür zu schärfen, was Freiheit ist, was es bedeutet, Freiheit zu verteidigen, und was es bedeutet, unfrei zu sein. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Silbersack, es gibt eine Intervention von Herrn Tillschneider. - Herr Tillschneider, Sie haben das Wort.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD): 

Ich habe eine Frage. Diese Gedenkstättenfahrten beruhen grundsätzlich auf dem Konzept „Historia magistra vitae“: Die Geschichte ist die Lehrmeisterin des Lebens. Indem man sich mit der Geschichte befasst, kann man Lehren für das Hier und Heute ziehen. Ich spreche jetzt nicht von einer identitätsstiftenden Beschäftigung mit Geschichte, sondern im Sinne dieses Konzepts. Das funktioniert natürlich umso besser, je näher man noch diesen Bedingungen ist; denn je näher man zeitlich daran liegt, desto mehr verbindet die heutige Zeit mit der Geschichte. Die Zeit der DDR ist uns also noch näher als z. B. die Zeit des Dritten Reiches und die Zeiten davor liegen uns noch ferner. Es käme heute niemand auf die Idee, sich intensiv mit der Zeit des Dreißigjährigen Krieges zu beschäftigen, um daraus irgendwelche Lehren abzuleiten, weil die Zeit uns eben so fern ist.

Nun hat es die Zeit an sich, dass sie vergeht und dass die vergangenen Ereignisse in die Ferne rücken. Auch unsere Zeit unterscheidet sich schon so sehr von der NS-Zeit, dass ich Zweifel daran habe, ob sich daraus noch produktiv etwas lernen lässt.

(Kathrin Tarricone, FDP: Doch!)

Man kann z. B. den Antisemitismus von heute betrachten. Dabei will ich gar nicht auf den importierten Antisemitismus eingehen, sondern auf den Anschlag in Halle. Der hat mit dem, was z. B. die SA getrieben hat, strukturell überhaupt gar nichts gemeinsam. Das war ein vereinzelter Computerspieler, der durchgedreht ist und sich irgendeinen Müll im Internet reingezogen hat. Das kann man nicht, in keiner Weise, mit dem vergleichen, was 1933 auf den Straßen los war.

Jetzt würde ich Sie fragen, wie es denn in der Zukunft aussieht. In 100 Jahren oder in 200 Jahren wird man noch viel weniger aus dieser Zeit lernen können, weil die Zeit sich dann viel stärker verändert haben wird. Soll es diese Gedenkstättenfahrt in 100 und in 200 Jahren Ihrer Meinung nach noch geben? Oder kommt irgendwann ein Punkt, ab dem Sie sagen, das ist jetzt so sehr vergangen ist, dass man eigentlich nicht mehr viel daraus lernen kann?


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können antworten.


Andreas Silbersack (FDP): 

Herr Tillschneider, ich bin insofern etwas irritiert, als dass diese Fragestellung tatsächlich an Niveaulosigkeit nicht zu überbieten ist.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU, bei der Linken, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist eigentlich auch unter Ihrem eigenen Anspruch an Intellektualität. Ich sage Ihnen auch, warum. Wenn Sie mir zugehört hätten, dann hätten sie gemerkt, dass ich darüber gesprochen habe, dass diese Ereignisse, entweder die von 1933 bis 1945 oder danach in der SED-Zeit, in der Zukunft dafür sensibilisieren sollen, dass man den Wert der Freiheit erkennt und wiedererkennt und dass man das Gespür des Unterschieds zwischen Freiheit und Unfreiheit in sich trägt. Das ist ein wesentlicher Teil der Erinnerungskultur. Das ist gleichzeitig eine Verpflichtung für die Zukunft. Wenn Sie die Frage stellen, wie das in 100 oder 200 Jahren mit den Unfreiheiten bzw. mit den Gräueltaten der Vergangenheit sein wird, dann haben Sie offensichtlich das, was ich vorgetragen habe, nicht verstanden. - Vielen Dank.