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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 4

Aktuelle Debatte

Erwartungen an die neue Bundesregierung: Quo vadis Sachsen-Anhalt, quo vadis Ostdeutschland?

Antrag Fraktion Die Linke - Drs. 8/5502


Die Redezeit je Fraktion beträgt zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten.

(Unruhe - Zuruf: Man versteht nichts!)

Herr Roi, Sie versuchen gerade, lauter zu sein als ich. Das wird im Normalfall schiefgehen. Davor warne ich bloß. 

(Daniel Roi, fraktionslos: Wir unterhalten uns!)

Lassen Sie uns einmal versuchen, uns auf die Tagesordnung zu konzentrieren. - Es wurde folgende Redereihenfolge vereinbart: Die Linke, SPD, AfD, FDP, GRÜNE, CDU. Zunächst hat für die Antragstellerin Frau Eva von Angern das Wort. - Bitte sehr. 

(Lachen)


Eva von Angern (Die Linke): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie es mich gleich zunächst klar sagen: Vertrauen ist das Grundkapital von Politik. Die neue Bundesregierung hat leider genau an dieser Stelle eine große Baustelle. 

(Beifall bei der Linken - Markus Kurze, CDU: Was?)
Allen voran der Kanzler selbst - sein Ton: zu scharf; seine Ankündigungen: zu vollmundig; zentrale Positionen im Wahlkampf   ich erinnere an das Thema Neuverschuldung  : unhaltbar; seine Basta-Auftritte im Bundestag: verheerend und ein Geschenk für die AfD.

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Ja, danke!)

Im Windschatten der CDU-Wahlkampagne wurde sie noch stärker. Das ist ein bitteres Warnsignal für alle Demokratinnen und Demokraten. 

(Beifall bei der Linken - Zurufe von der AfD)

Meine Damen und Herren! Wir dürfen nicht zulassen, dass rechte Demagogen weiter erstarken. Fakt ist aber leider: Nur eine Minderheit in der Bevölkerung hält Friedrich Merz für den richtigen Kanzler. Kein Kanzler vor ihm hatte bereits vor Amtsantritt dermaßen schlechte Vertrauenswerte bei der Bevölkerung. Das ist angesichts der bestehenden Herausforderungen sehr bitter. Als CDU-Chef hat er alles dafür getan, die öffentliche Skepsis gegen ihn noch weiter zu vertiefen. Die CDU hat sich unter ihm zur aggressiven Kampagnenpartei entwickelt. Sie hat das Land gespalten, statt Zukunft zu beschreiben. Es war auch die Landes-CDU, die diesen Kurs und den Kandidaten Friedrich Merz mitgetragen hat. 

Der spalterische Ton, der Fokus auf politische Gegner, die Diffamierung von sozial Schwachen - all das hat die Risse im gesellschaftlichen Miteinander noch vertieft. Das hat Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger verspielt. Die Leute wollen keinen deutschen Trump und auch kein Rambo Zambo, was bei Stefan Raab witzig klingen mag. Es ist keine seriöse Lösung. 

(Beifall bei der Linken)

Und   das ist besonders bitter, ich denke, auch für Sie  : Nicht nur die Bürgerinnen, sondern auch die Koalitionsfraktionen stehen nicht hinter Friedrich Merz. Die Wahl zum Bundeskanzler war eine Blamage. Er schaffte, was keiner vor ihm schaffte. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik brauchte ein Kanzler zwei Anläufe zur Wahl. Zuversicht sieht anders aus. 

Statt Aufbruchstimmung zu verbreiten, hat dieser Wahlkampf Ängste geschürt und leider am rechten Rand die Erfolge gefördert. Ja, meine Damen und Herren, wir sind in schwierigen Zeiten. In Sachsen Anhalt ist die Angst vor Arbeitslosigkeit wieder zurück. Der US-Chemiekonzern Dow erwägt in Sachsen Anhalt und in Sachsen Werke stillzulegen. Eine Kaskade von Standortschließungen droht. Der Cracker in Böhlen steht auf der Kippe. An ihm, an der Chlor-, Alkali- und Vinylproduktion, hängt eine ganze Produktionskette von Kunststoffproduzenten und chemienahen Dienstleistern und auch die Autozulieferproduktion in Sachsen-Anhalt. Hunderte Arbeitsplätze betrifft es direkt, Tausende Menschen darüber hinaus. 

Wer glaubt, der Osten sei nur ein Beifang im Koalitionsvertrag, der unterschätzt die Dynamik. Eine zweite Deindustrialisierung im Osten wäre ein Staatsversagen. 

(Beifall bei der Linken)

Noch vor einem Jahr starteten wir mit hohen Erwartungen auf US-Konzerne wie Intel. Aber wir haben wieder einmal gelernt: Der Glaube versetzt keine Berge. 

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist aber nicht nur die Bedrohung von außen. Wir müssen hier vor Ort in die Zukunftssicherung und in eine nachhaltige Wirtschaftsstrategie investieren. Dazu gehören eine Strompreissenkung für Private, für Unternehmen und Brückenlösungen für die energieintensive Produktion. Dazu gehört aber auch die gezielte Förderung von klimaneutralen Technologien, der Ausbau der erneuerbaren Energien und einer dafür erforderlichen entsprechenden Infrastruktur. Nur so gelingen Unabhängigkeit, sowohl von Russland als auch von den USA, und Eigenständigkeit. 

Politik und Unternehmen haben das leider jahrelang verschleppt. Deshalb braucht es jetzt eine klare Richtung für Investitionen für eine nachhaltige Produktion. Zu dieser Dringlichkeit hört man von Friedrich Merz leider bislang nichts. Der Osten spielt für die Union keine Rolle. Die Verantwortung für Ostdeutschland wird im Kabinett der SPD zugeschoben. Das halte ich für ignorant und enttäuschend, auch in der Binnenlogik der Union; denn immerhin haben nicht wenige CDUler, gerade im Osten, auf Friedrich Merz gesetzt. Sie werden bitter enttäuscht. 

Die Verteilung im neuen Kabinett zeigt deutlich, wo Stärke vorhanden ist. Glückwunsch an die Sozialdemokratie in Mecklenburg-Vorpommern und in Thüringen. Mit ihren Vertreterinnen in der Bundesregierung sind sie durchaus stark vertreten. Aber nun gut, Sachsen-Anhalt darf sich mit einem Staatssekretär zufriedengeben. Immerhin hat er ja einen Jagdschein. 

(Alexander Räuscher, CDU: Ich auch!)

Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung zeigt bisher leider keine ostspezifische, keine regional bezogene und keine verlässliche sozialpolitische Agenda. Black-rot, wie mein Kollege Sören Pellmann, der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, sagte, ist bisher ein abgehobenes Eliten- und Gutverdienerprojekt. 

(Beifall bei der Linken)

Aber, meine Damen und Herren: Vertrauen und Zuversicht im Wandel lassen sich nicht mit markigen Sprüchen beeinflussen oder herstellen, sondern nur mit konkreten Ergebnissen für die Menschen in unserem Land; nicht mit einem neuen Grenzregime, über dessen Charakter Regierungen, Polizeigewerkschaft und Bundeskanzler streiten und das den Diskurs über die Zuwanderung   das wissen wir alle, weil es oft genug bedient worden ist   nur weiter vergiften wird. 

Meine Damen und Herren! Ein großer Wurf wäre stattdessen eine Rentenreform für eine Alterssicherung, in die alle einzahlen, auch Politikerinnen, Beamte und Selbstständige. 

(Beifall bei der Linken)

Was hat es allerdings in den Koalitionsvertrag geschafft? Menschen sollen auch im Rentenalter arbeiten. Wow, ich bin gespannt, wie viele tatsächlich noch die Rente erreichen. 

Bärbel Bas hatte nun den Mut, diese Forderung zu erheben - allerdings erst, nachdem die Tinte unter dem Koalitionsvertrag bereits trocken war. Das ist dann alles andere als mutig; denn wir alle wissen nur zu gut: Was nicht im Koalitionsvertrag festgeschrieben wird, das wird nichts. 

(Beifall bei der Linken)

Wenn die Bundesregierung tatsächlich erfolgreicher als ihre vorhergehende Regierung werden möchte und sein möchte, dann muss sie den Impuls von Arbeitsministerin Bärbel Bas aufnehmen. Eine breitere Finanzierungsbasis stützt eine Rente, auf die sich Menschen verlassen können. In Ostdeutschland ist die gesetzliche Rente, wie wir alle wissen, der einzige Garant für einen würdevollen Lebensabend. Hier gibt es keine Aktienpakete, keine Mieteinnahmen, keine großen Vermögen, sondern nur steigende Lebenskosten. Die Linke sagt deswegen schon lange: Alle zahlen ein. Wir stabilisieren die gesetzliche Rente, wie bspw. in Österreich seit vielen Jahren vorgelebt. 

(Beifall bei der Linken)

Ebenso zentrales Thema ist die Chancengleichheit für Kinder - eine echte Kindergrundsicherung. Auch sie fehlt in der Koalitionsvereinbarung. Wir brauchen funktionierende Schulen, bezahlbare Mieten, bezahlbare Nebenkosten und stabile Lebensmittelpreise. Viel zu viel - das wissen wir nicht nur erst seit dem letzten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes - geht für Essen und Wohnen drauf. Das ist nicht akzeptabel. 

(Beifall bei der Linken)

Und, meine Damen und Herren, Familie und Beruf dürfen kein Widerspruch sein. Auch da lohnt sich der Blick in den Osten, der besondere Blick nach Sachsen-Anhalt. Das sollten Bundespolitiker endlich zur Kenntnis nehmen. Friedrich Merz kann an dieser Stelle vom Osten lernen. 

(Beifall bei der Linken)

Wir brauchen ein qualitativ gutes Kita-Netz und nicht Subventionen für Reiche, die sich Haushaltshilfen leisten können. Das sind Alltagsbilder, die mit Köthen, Bitterfeld oder von mir aus auch Zeitz nichts gemein haben. Wir brauchen flächendeckend gute Kitas und nicht die steuerlichen Vorteile für Putzkräfte. 

Meine Damen und Herren! Zusammenhalt entsteht nicht durch Debatten über Leitkultur. Er entsteht über geöffnete Bibliotheken, über erreichbare Krankenhäuser, über stabile Ticketpreise bei Bus und Bahn. Zusammenhalt schafft eine Kommune, die sich die Jugendarbeit, auch die offene Jugendarbeit, das Geburtshaus und die Grünanlage leisten kann. Dafür braucht es mehr Steuer- und Mittelverteilung in die Kommunen, statt Steuergeschenke für Unternehmen und für Superreiche. 

(Beifall bei der Linken)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen nicht die Marktradikalität zurück, die die Infrastruktur im Osten schon mehrfach, wie wir wissen, plattgemacht hat. Unser Land braucht eine nachhaltige, eine solidarische Politik, die den Menschen echte Perspektiven bietet. Wenn die Merz-Regierung bereit ist, auf den Osten zu achten und ebenso auf den Ruhrpott zu schauen, also ganz Deutschland im Blick zu haben, nach Bremen und nach Bitterfeld zu schauen, dann muss sie an einer sozialen Agenda dringend mitarbeiten. Doch solange sie lieber Neiddebatten anzettelt als Zusammenhalt stiftet, werden wir sie als Koalition, auch die koalitionstragenden Fraktionen in Berlin, unnachgiebig kritisieren und die sozialen Interessen der Menschen in Sachsen-Anhalt verteidigen. - Vielen Dank.