Tagesordnungspunkt 2
Sachsen-Anhalts Wissenschaft - exzellent, international, weltoffen und vernetzt
Regierungserklärung Landesregierung - Drs. 8/5593
Ich erteile Herrn Minister Willingmann das Wort für seine Regierungserklärung. Bitte.
(Zustimmung bei der SPD)
Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herrn! Gleich zu Beginn dieser Landtagssitzung wollen wir über Wissenschaft reden und das ist gut so. Es ist grundsätzlich gut, sich mit Wissenschaft auseinanderzusetzen, vorurteilsfrei und erkenntnisoffen. Noch wichtiger erscheint es mir inzwischen, dass das auch in den politischen Diskurs Einzug hält, in die politische Entscheidungsfindung. Wir haben damit in den letzten Jahren Erfahrungen gemacht.
Vor ziemlich genau vier Jahren ist dieser Landtag gewählt worden. Es ist also an der Zeit, einmal einen Moment lang einen Blick darauf zu werfen, wie sich die Wissenschaft in den letzten Jahren hier entwickelt hat. Ich freue mich, dass das in dieser Sitzungsperiode des Landtags nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen der Fall sein wird, wenn auch mit sehr unterschiedlicher Ausrichtung.
Dass Wissenschaft für die Entwicklung unseres Landes von besonderer Bedeutung ist, muss ich an dieser Stelle nicht betonen. Es gibt aber einen aktuellen Anlass und darauf will ich nachher noch besonders eingehen.
Sachsen-Anhalt hat sich im Jahr 1990 dazu entschieden, ein sehr breit gefächertes wissenschaftliches Angebot zu unterhalten, eine verzweigte Hochschullandschaft, die mit bemerkenswerter Konsequenz und durchaus mit Wissenschaftseuphorie aufgebaut wurde: zwei Universitäten, eine Kunsthochschule, vier heutige Hochschulen für Angewandte Wissenschaften seinerzeit Fachhochschulen, zwei in staatlicher und zwei in kirchlicher Trägerschaft und die FH Polizei. Sie spiegeln den Wunsch wider, im Lande ein breites Lehr- und Forschungsangebot staatlicher und staatlich anerkannter Einrichtungen zu unterhalten.
Dabei ging es nicht um die Errichtung oft gescholtener akademischer Elfenbeintürme, sondern es ging auch um Bedarfe im Lande, in einer vielfältigen, mitunter sehr kleinteiligen Wirtschaft.
(Beifall von Rüdiger Erben, SPD)
Diese staatliche Hochschullandschaft findet ihre komplementäre Ergänzung in zwölf ich betone: zwölf außeruniversitären Forschungseinrichtungen, also Instituten von Leibniz-Gemeinschaft sowie Fraunhofer-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft, die ihren Sitz hier in Sachsen-Anhalt haben. So entsteht eben jener wissenschaftliche Nukleus, den man braucht, um Wissenschaft voranzutreiben.
Dieses landes- wie bundesseitig finanzierte Konstrukt ist in nun schon fast 35 Jahren zu einem Wissenschaftssystem entwickelt worden, das demokratisch verfasst ist und sich dem Grundgesetz verpflichtet fühlt. Die Erfolge, die sich daraus ableiten lassen, werden zunehmend bundesweit und international sichtbar. Darüber will ich reden.
Lassen Sie mich den jüngsten Erfolg noch einmal exemplarisch verdeutlichen und Ihnen daran auch zeigen, welche Rahmenbedingungen gute Wissenschaft braucht. Sie unterscheiden sich sehr von dem, was gelegentlich in diesem Hause gefordert wird.
Seit 2005 gibt es bekanntlich die Exzellenzinitiative von Bund und Ländern mit dem Ziel, die strenge wissenschaftsgeleitete Auswahl und die konzentrierte nachhaltige Förderung der Spitzenforschung in Deutschland zu unterstützen und damit in den internationalen Wettbewerb zu treten. In den Auswahlrunden der letzten 20 Jahre konnten sich Bewerbungen aus Sachsen-Anhalt nicht durchsetzen. Das gilt übrigens bedauerlicherweise auch für Bewerbungen aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.
Es muss uns nicht verwundern, dass sich die Länder, deren Universitäten sich seinerzeit und mitunter bis heute durchsetzen konnten, durchweg im Westen und sehr, sehr häufig im Südwesten des Landes befinden. Das hat zu einer Unwucht geführt, bei der man dennoch nicht dem Druck nachgegeben hat, hier Regionalförderung zu betreiben, sondern es wird weiterhin in einem wissenschaftsgeleiteten Verfahren Exzellenz ausgewählt. Und darum ging es auch in diesem Jahr.
Zur Verdeutlichung: Es geht um rund 533 Millionen €, die Bund und Länder jährlich für Spitzenforschung zur Verfügung stellen. Sich in diesen Wettbewerb einzubringen und um den Lorbeer zu ringen, war aller Ehren wert. Man muss dann ertragen, wenn in einem wissenschaftsgeleiteten Verfahren nicht alles erfolgreich ist. Dass das in den letzten 20 Jahren nicht gelungen ist, das war für uns wichtig als Lernbotschaft.
Wir konnten daraus etwas ziehen und wir haben daraus etwas gezogen.
Die Deutschlandkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 neben wichtigen Verständigungen zur Wissenschaftspolitik eine weitere Sache festgelegt dafür bin ich sehr dankbar ; wir haben nämlich seinerzeit verabredet, dass wir uns an der nächsten Exzellenzrunde nach einem kompetitiven Verfahren an unseren Universitäten beteiligen wollen. Und wir wollen durch nachdrückliche Finanzierung und Unterstützung dieses Exzellenzteils unserer Forschung versuchen, diesmal bei der Exzellenzförderung dabei zu sein.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der FDP)
Solche Konsequenz braucht es. Ich darf das, so glaube ich, im Namen der drei Koalitionspartner sagen: Solche Konsequenz braucht es. Wir hatten sie parteiübergreifend. Wir sind vor allen Dingen der festen Überzeugung gewesen, dass das nicht unterbrochen werden darf, selbst wenn zwischendurch einmal Erfolge nicht ganz so groß ausfallen.
(Beifall bei der SPD)
Nein, Wissenschaft in Sachsen-Anhalt scheut den Wettbewerb nicht. Als Ministerium hatten wir dafür Sorge zu tragen, dass die beiden Universitäten im Verbund mit ihren Projektpartnern interne Auswahlverfahren um diese Mittel durchführen, um mit besonders starken Cluster-Anträgen nach vorn zu treten. Wir haben letztlich vier Cluster gefördert, zwei aus Halle und zwei aus Magdeburg. Von denen haben es zwei in die Finalrunde geschafft; von denen wurden also zwei im letzten Jahr aufgefordert, einen Vollantrag zu stellen und damit ins Finale dieser Exzellenzförderung einzutreten.
Ich bin den beiden Rektoren der Universitäten unseres Landes, Frau Prof. Becker und Herrn Prof. Strackeljan, die diesen Prozess an ihren Universitäten durchsteuern mussten, außerordentlich dankbar. Denn jeder, der sich ein bisschen mit Wissenschaft beschäftigt, weiß, dass die Vorstellung distributiver Gerechtigkeit vor allen Dingen darin besteht, möglichst allen etwas zu geben und damit Ruhe im Karton zu behalten.
(Zuruf von der Linken)
Das klappt aber bei der Exzellenzförderung nicht. Man muss sich entscheiden, man muss einmal klar sagen: Die sollen für uns in den Wettkampf ziehen, und die anderen nicht.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der FDP)
Mit dem Projekt SmartProSys der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg-Stendal unter der Leitung von Prof. Sundmacher und dem Zentrum für Chirale Elektronik, einem Team der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg unter Leitung von Prof. Woltersdorf, ging es nun in die letzte Runde. Diese Finalrunde ist im Mai 2025 nun entschieden worden durch eine internationale Jury. Ich betone dies, weil es darum gleich noch entscheidend gehen wird.
Die Projektteams, die Partner kommen aus Deutschland und aus dem Ausland. Die Peers sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit viel Erfahrung in der deutschen und in der internationalen Wissenschaft. Es ist wirklich ein großartiger Erfolg, dass eben dieses Center for Chiral Electronics diese Exzellenzförderung erhält, ab 2026 für sieben Jahre. Es geht dabei um mehr als 65 Millionen €. Diese Mittel werden mit und unter den beiden Projektpartnern aus Regensburg und aus Berlin verteilt werden müssen, aber wir sind mit dabei. Ein weißer Fleck auf der Wissenschaftslandkarte Deutschlands wird damit getilgt.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU, bei der Linken, bei der FDP und bei den GRÜNEN)
Das zeigt, dass es sich lohnt, konsequent an einem Thema zu bleiben, auch in Zeiten knapper Kassen und auch in Zeiten, in denen wir vielleicht auch an anderer Stelle Begehrlichkeiten haben. Wir haben das durchgehalten. Dafür bin ich dankbar, übrigens auch den Abgeordneten dieses Hohen Hauses, die das auch in den Haushaltsverhandlungen mitgetragen haben.
Übrigens ist auch das IPK Gatersleben, das vorhin vom Kollegen Schulze erwähnt wurde, eine der führenden Forschungseinrichtungen weltweit es ist übrigens auch deshalb so anerkannt, weil es international vernetzt ist und mit einer Fülle von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland arbeitet und kooperiert , Partner eines Clusters aus Nordrhein-Westfalen und in dieser Spitzenforschung dabei. Das ist ein großartiger Erfolg für die Wissenschaftslandschaft Sachsen-Anhalts, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der FDP)
Es passiert jetzt das, was seit 20 Jahren in den anderen Einrichtungen und an den anderen Universitäten der Länder funktioniert, in denen bei der Exzellenzförderung bislang solche Erfolge errungen wurden: Man ist sichtbar, man ist dadurch interessant, man lockt damit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt an, man will mit diesen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenarbeiten. Junge Menschen wollen an solchen Universitäten studieren und junge Nachwuchswissenschaftlerinnen wollen sich qualifizieren. Das ist der Beifang so möchte man fast sagen dieser Exzellenzinitiative und des Erfolges dabei.
Meine Damen und Herren! Das funktioniert, weil die Wissenschaft in Sachsen-Anhalt international vernetzt ist, weil sie weltoffen ist und weil sie eine verlässliche Politik im Hintergrund hat.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der Linken und bei der FDP)
Aber diese Erfolge sind keine Ausnahme. Schauen wir einmal ins Land: Was ist denn in dieser Legislaturperiode noch alles passiert? - Davon, dass Halle den Zuschlag für die Errichtung des Zukunftszentrums Deutsche Einheit und Europäische Transformation erhalten hat, ist so gut wie niemand ausgegangen, weil es doch irgendwie eine Vorfestlegung gab, weil es doch irgendwie andere Örtlichkeiten gab, die näher dran lagen oder sich irgendwie politisch auch schon anders hatten einbringen können. Nein, Halle erfolgreich, und zwar mit einer hinreißenden Bewerbung und einer breiten Unterstützung aus der Stadtgesellschaft. Aber es ist nicht denkbar, dass diese Bewerbung hätte erfolgreich sein können, wenn nicht die Martin-Luther-Universität und die übrigen Wissenschaftseinrichtungen der Stadt mit in die Waagschale hätten geworfen werden können und sich in die Waagschale geworfen hätten.
Mittel in Höhe von 200 Millionen € investiert der Bund allein für bauliche Maßnahmen am Standort in Halle.
Im Jahr 2023 erfolgte die Ansiedlung des Großforschungszentrums Transformation der Chemie, Center for the Transformation of Chemistry, an den Standorten Delitzsch und Merseburg. Mittel in Höhe von mehr als 1 Milliarde € wird der Bund hierfür investieren, 330 Millionen € davon allein in Sachsen-Anhalt, vor allem am Standort der Hochschule Merseburg, an dem wir unseren Standort des CTC errichten wollen. Es geht um die Transformation, die Auswirkungen der Energiewende, des Kohleausstiegs auf die Wirtschaft und auf Bereiche der Gesellschaft. Es geht vor allen Dingen darum, einen wertvollen Beitrag für die künftige Entwicklung unserer chemischen Industrie zu leisten.
Meine Damen und Herren! Es ist nicht denkbar, dass diese Ansiedlung gekommen wäre, wenn wir nicht mit einer soliden Wissenschaftslandschaft im Hintergrund hätten argumentieren können.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Das führt nun einmal dazu, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland zu uns kommen. Das gilt gleichermaßen etwa für das Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik oder für das Deutsche Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung, das iDiv Halle - die Mitglieder des Wissenschafts- und Umweltausschusses haben es in Leipzig besucht. Das ist eine spektakuläre Einrichtung. Sie funktioniert als gemeinsame Einrichtung der Universitäten Jena, Leipzig und Halle-Wittenberg. Sie funktioniert, weil sich drei Länder dahintergestellt haben, nämlich Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. So funktioniert das. Dort hat man internationale Strahlkraft.
Das Gleiche gilt für die vielen außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die die Nachwuchsförderung vorantreiben und internationale Max-Planck-Research-Schools im Land einrichten. Das MPI für Ethnologie in Halle, das MPI für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg und auch das MPI für Mikrostrukturforschung an der Martin-Luther-Universität - sie allesamt leben vom internationalen Austausch.
(Zustimmung bei der SPD)
Halten wir fest: Spitzenforschung, einerlei ob an Grundlagen oder Anwendung orientiert, ist keineswegs l’art pour l’art. Forschung hat keinen Selbstzweck. Forschung trägt auch und gerade zur Ansiedlung von Unternehmen bei, einerlei ob Global Player oder regionaler Mittelstand. Kooperationen mit Firmen, national wie international, und mit Hochschulen sichern wirtschaftliche Entwicklung. Sie sichern übrigens auch medizinische Versorgung ich verweise auf unsere beiden Universitätsklinika und sie garantieren auch fachliche Begleitung - ich denke an die Coronakrise.
Meine Damen und Herren! Diese Wissenschaftslandschaft, zu der sich Sachsen-Anhalt seit 35 Jahren bekennt und die wir in den letzten Jahren, vor allem in den letzten beiden Legislaturperioden, sehr konsequent unterstützt und vor allen Dingen nicht mit Strukturdebatten überzogen haben, stützt natürlich auch wirtschaftliche Ansiedlungen. Das Unternehmen UPM errichtet in Kooperation mit der MLU eine Bioraffiniere, die erste dieser Art weltweit. Auch dieses Unternehmen hat seine Investitionsentscheidung maßgeblich wegen der Wissenschaftsverbindung getroffen.
Dasselbe gilt für Intel, selbst wenn sich das Vorhaben bisher nicht hat realisieren lassen. Der Schwung, den die Halbleitertechnik dadurch genommen hat, und das, was möglicherweise jetzt auch durch den geplanten Park dort entstehen kann, wäre nicht denkbar, wenn sich nicht die Universität und die Hochschule in Magdeburg hätten einbringen können mit ihren Wissenschaftsschwerpunkten und mit ihrer Möglichkeit, Fachkräfte zu qualifizieren.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Das ist funktionierende Wissenschaft in einem Land, das funktioniert. Wir werden an anderer Stelle noch darüber reden, dass man das auch völlig falsch einschätzen kann.
Meine Damen und Herren! Wir brauchen diese Wissenschaftseinrichtungen. Wir brauchen diese Hochschulen und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Wir brauchen sie vor allen Dingen auch, weil wir dadurch Bedarf an Fachkräften und Wertschöpfung generieren.
Ich muss an dieser Stelle nicht lange erläutern, wie sich die Geburtenentwicklung in den nächsten Jahren darstellen wird. Wir haben jetzt die 8. Regionalisierte Bevölkerungsprognose; sie zeigt ziemlich genau auf, wo welche Anzahl an Geburten in den nächsten 15 Jahren zu erwarten ist. Etwa 12 600 pro Jahr, das ist zu wenig, um unseren Lebensstandard halten zu können. Wir brauchen Binnenwanderung. Wir brauchen ausländische Studierende, und wir brauchen auf jeden Fall auch genügend Menschen, die noch bereit sind, die Arbeit hier zu leisten.
(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)
Ein Blick auf die Studierendenzahlen. Sie sind leicht rückläufig, ohne Frage, das ist übrigens eine Folge unserer eigenen demografischen Entwicklung aber nicht dramatisch. Denn in den letzten Jahren haben wir dadurch erreicht, dass wir bei uns einen relativ großen Zuzug von Studierenden aus anderen Bundesländern zu verzeichnen haben, etwa die Hälfte aller Studienanfänger, und auch einen großen Anteil an ausländischen Studierenden. Sie schon einmal hier zu haben und dann zu halten, das ist die kunstvolle Aufgabe. Das scheint mir auch das Gebot der Stunde zu sein.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU, bei der Linken und bei der FDP)
Die Studierendenzahl beträgt gut 50 000, der Ausländeranteil beträgt etwa 22 % an den staatlichen Hochschulen, bei den Studienanfängern sogar noch etwas größer. Das ist eine ziemlich wichtige Zahl.
Meine Damen und Herren, seien wir doch froh über jeden, der sich für unser Bundesland entscheidet und der sagt: Ich will hier in den nächsten Jahren meine Ausbildung durchlaufen; ich will möglicherweise auch hierbleiben. 60 % der jungen Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, können sich das übrigens vorstellen. Wir sollten versuchen, diese positive Grundeinstellung zu unterstützen.
(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der FDP)
Das tun wir natürlich auch dadurch, dass wir zumindest das grundständige Studium gebührenfrei gestalten. Die kurze Geschichte der Studiengebühren in Deutschland, die es vor 20 Jahren einmal gab, war tatsächlich eine sehr, sehr kurze Geschichte.
(Beifall bei der SPD und bei der Linken)
Ich halte es nach wie vor für sinnvoll, auf so etwas zu verzichten. Darüber werden wir an anderer Stelle noch diskutieren.
Auf eines darf ich schon jetzt aufmerksam machen, meine Damen und Herren: Den Mehrwert von Menschen, die zu uns kommen und hier ihr Leben verbringen sie studieren ja nicht nur, sie konsumieren auch, sie sind Verbraucher , kann man berechnen. Das hat das Institut der Wirtschaft für den 2022er-Jahrgang getan und dabei einen Überschuss für die öffentliche Hand in Deutschland von etwa 15,5 Milliarden € festgestellt. Das muss man mitdenken, wenn man sagt: Es gibt möglicherweise zu viele von woanders. Meines Erachtens sind es keineswegs und keinesfalls zu viele.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der Linken und bei den GRÜNEN)
Wir brauchen sie für die Herausforderungen unserer Landesentwicklung. Wir brauchen sie natürlich auch in den nächsten Jahren.
Dann vielleicht noch ein zweites Thema. Ich will das an dieser Stelle auch ansprechen, weil wir vielleicht nicht bei allen Punkten derselben Meinung sind, was die Einordnung von Wissenschaft betrifft. Meine Damen und Herren! Es gibt meines Erachtens nicht zu viele Studierende in diesem Land, schon gar nicht zulasten von Ausbildungsberufen. Ich kenne die Klagen des Handwerks, der gewerblichen Wirtschaft bestens, nicht nur aus den fünf Jahren von 2016 bis 2021. Auch heute gibt es dazu einen regen Austausch.
Aber eines müssen wir uns bitte klarmachen: Von den rund 19 000 Schulabgängern des Schuljahres 2023/2024 haben 25 %, etwa 4 800, das Abitur gemacht. Das ist keine bedrohliche Zahl, meine Damen und Herren. Der bundesweite Durchschnitt ist erheblich höher. Er lag in Sachsen-Anhalt übrigens auch schon höher: Im Schuljahr 2017/2018 lag er bei 31 %. Das muss man berücksichtigen, wenn wir versuchen, gelegentlich gegeneinander auszuspielen: Mehr Handwerk oder mehr Studium? Wir brauchen beides. Und da wir es allein nicht hinkriegen, brauchen wir die entsprechende Zuwanderung, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der Linken und bei den GRÜNEN)
Lassen Sie mich einen letzten Punkt aufgreifen, der zu dieser Regierungserklärung unweigerlich dazugehört, weil wir uns in einer bedrängten Zeit befinden: Hochschulen müssen Orte des freien und offenen rationalen Diskurses sein, des Interesses an Erkenntnis, Argumentation und neuen Perspektiven. Das ist bei uns verfassungsrechtlich gesichert. Dazu gehört die Wissenschaftsfreiheit. Sie ist ein wesentlicher Grundsatz. Deshalb sind übrigens unsere Hochschulen in ganz Deutschland so attraktiv.
Mit der weltweit gewachsenen Bedeutung der Wissenschaft für technologische, rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Weichenstellungen ist leider auch das politische Interesse an einer inhaltlichen Steuerung der Wissenschaft und damit die Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit gewachsen. Das gilt bekanntermaßen ohnehin für klassische staatliche Bevormundung in despotisch regierten Staaten - Russland oder China.
Dort gibt es keine Wissenschaftsfreiheit. Man kann sich diese auch nicht herbeireden. Aber wir müssen neuerdings eben auch die Erfahrung machen, dass durch und durch demokratische Staaten wie etwa die Vereinigten Staaten anfällig sind für staatliche Übergriffe gegen unbequemes Denken an Hochschulen und Forschungsinstituten.
(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)
Die USA gehören zu den weltweit führenden Wissenschaftsnationen. Ihre bemerkenswerte Entwicklung hat übrigens in den 1930er-Jahren ihren Anfang genommen, als es den Exodus jüdischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland gab.
(Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)
Viele globale Netzwerke sind intensiv mit Forschungspartnern und Ressourcen in den USA verbunden. Der Schaden, den die wissenschaftsfeindliche Politik der US-Regierung ihnen zufügt, ist immens.
(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN)
Deshalb müssen wir auch bei uns im Lande ein Augenmerk darauf haben, Bestrebungen, die Wissenschaftsfreiheit einzuschränken, ganz deutlich zurückzuweisen.
(Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)
Mich irritieren Anträge, die die Genderforschung infrage stellen,
(Zustimmung von Eva von Angern, Die Linke)
und sei es nur über den Umweg der Finanzierung. Aber auch darüber wird noch zu reden sein. Aber mich haben auch beschämt Diskussionen über das Bauhaus und über deutsch denken, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zuruf von der AfD)
Das zeigt uns ein Stück weit, wohin politisch Rechte dieses Land kultur- und wissenschaftspolitisch führen wollen. Einen neuen Kulturkampf wollen wir ganz gewiss nicht, weder in unserer Gesellschaft noch an unseren Hochschulen.
(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU - Gordon Köhler, AfD: So ein Quatsch!)
Ich bin den Kollegen P. und W., zwei Historikern der Martin-Luther-Universität, außerordentlich dankbar, die am 3. Juni Gelegenheit bekamen auch das ist ein Mehrwert von Wissenschaft , sich in der „Mitteldeutschen Zeitung“ unter dem Titel „Geschichte ist kein Supermarkt“ mit dem Antrag „#deutschdenken“ aus der vorangegangenen Landtagssitzung zu befassen.
(Zustimmung von Felix Zietmann, AfD)
Sie haben dort insbesondere die entschiedene Ahnungslosigkeit der AfD in diesen Fragen herausgearbeitet.
(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP - Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)
Ich glaube, dass das Menetekel an der Wand steht. Man kann sehen, wohin das hier führt, wenn die AfD meint, Kultur- und Wissenschaftspolitik machen zu müssen.
(Christian Hecht, AfD: Das können Sie noch gar nicht sehen! So weit sind wir doch noch gar nicht!)
Dagegen ist das, was wir hier in den letzten Jahren als Deutschlandkoalition
(Zuruf von der AfD: Antideutschlandkoalition! - Christian Hecht, AfD: Wenn alles gut läuft, werden Sie das erleben!)
und als Regierung seit 2021 aufgebaut haben, ein entschiedener Gegenpol.
(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)
Die Parteien dieser Koalition haben sich bewusst zur Exzellenzförderung entschieden. Aber sie entscheiden sich genauso bewusst für den Erhalt der Wissenschaftsfreiheit und für die offenen Rahmenbedingungen an unseren Hochschulen hier bei uns im Lande. Offene Rahmenbedingungen für in- und ausländische Studierende,
(Zuruf von der AfD: Studenten!)
für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und für unsere Gesellschaft.
(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)
Das gehört zur Wissenschaftspolitik. Das wollte ich Ihnen mit dieser Regierungserklärung sagen. - Vielen herzlichen Dank.